Titel: | Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. |
Autor: | A. Bucher |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 113 |
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Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in
Brüssel 1910.
Von Ingenieur A. Bucher,
Tegel bei Berlin.
Lokomotiven.
(Fortsetzung von S. 101 d. Bd.)
Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel
1910.
2. 2 B 1-Vierzylinder-Verbund-Schnellzuglokomotive Gattung S 9 der Preußischen
Staatsbahnen, K. E. D. Hannover, Betriebs-Nr. 947, gebaut von der Hannoverschen Maschinenbau-A.-O. vormals G. Egestorff
in Linden bei Hannover, Fabrik-Nr. 5801. 1910. (Fig.
29 und 30.)
Die Kgl. Eisenbahn-Direktion Hannover und mit ihr die Hannoversche Lokomotivfabrik hat sich um die Einführung und den Ausbau der
Verbundlokomotive sehr große Verdienste erworben, so daß Hannover mit der Zeit zum
eigentlichen „Verbundbezirk“ der Preußischen Staatsbahnen geworden ist.
Infolge dieses zähen Festhaltens an dem Verbund-Gedanken ihres früheren, 1906
verstorbenen Eisenbahn-Direktors v. Borries war man
daher in Brüssel einigermaßen gespannt auf diese Ausstellungsmaschine, welche gegen
die Zwillings-Heißdampflokomotive immer noch erfolgreich konkurriert.
Die Entwicklungsgeschichte der Vierzylinder-Verbundlokomotive Bauart v. Borries von 1900 bis heute darf wohl als genügend
bekannt vorausgesetzt werden. Die neueste Schöpfung dieser Art, wie sie in Brüssel
zu sehen war, ist gegenüber den früheren Ausführungen bedeutend verstärkt, so daß
sie zurzeit die schwerste europäische 2B1-Type darstellt. Die Hauptabmessungen
befinden sich wie bei allen späteren Beschreibungen bei dem Gesamtbild der
Lokomotive, und zwar in folgender Abkürzung:
\frac{\mbox{Zyl.}-∅\,\times\,\mbox{Hub}}{\mbox{Treibrad}-∅}\,.\,\mbox{at}\,.\,\frac{\mbox{Verdampfungsheizfl.}}{\mbox{Rostfläche}}
\mbox{Rohrlänge}\,.\,\frac{\mbox{Leergewicht}}{\mbox{Dienstgewicht}}\,.\,\mbox{Reibungsgew.}
Der Kessel weicht von der sonst üblichen preußischen Bauart erheblich ab durch die
breite, über den Rahmen hinausragende Feuerbuchse, die vorn infolge des tief
ausgeschnittenen Rahmens trotz der gegenüber der 2B-Heißdampflokomotive um 75 mm
weniger hoch liegenden Kesselmitte reichliche Tiefe hat. Der hintere der beiden
langen Kesselschüsse ist im oberen Teil zur Vergrößerung des Dampfraumes um 112 mm
kegelförmig, der auffallend weit zurückliegende Dom mußte daher einen schiefen,
besonders teueren Untersatz erhalten. Trotz der 5,2 m langen Siederohre ist die
Rauchkammer sehr lang, sie hat außen keine Bekleidung; dies mag wohl seine Vorteile
haben, beeinträchtigt aber jedenfalls durch die sichtbaren Nietköpfe das gute
Aussehen. Die Kesselrückwand hat für die Beschickung des 2 m breiten Rostes zwei
Feuerlöcher mit Marcotty-Kipptüren. Der dreiteilige
Aschkasten ist reichlich groß bemessen und ragt in der Breite der Kupferbuchse über
den Rahmen hinaus. Auch die äußeren beiden Kasten haben vordere und hintere Klappen,
welche gleichzeitig mit den inneren Klappen bewegt werden. Die Scharniere der
Seitentüren dürften zweckmäßig inwendig angenietet werden, namentlich bei einer
Ausstellungslokomotive. Der Querschnitt F für den
Lufteintritt in den Aschkasten beträgt 0,5 qm, der gesamte Rostspaltenquerschnitt
Rf ist 1,44 qm, das Verhältnis Rf/F ist daher 2,88fach.
Textabbildung Bd. 326, S. 113
Fig. 29.
Der Dom mit sorgfältig ausgebildetem Wasserabscheider enthält einen
Schieber-Regulator auf gewöhnlichem Knierohr, von dem aus ein langes Dampfrohr von
155 mm nach dem Einström-Kreuzrohr in die Rauchkammer führt. – Besonders
auffällig und für das Aussehen nicht günstig ist die Lage der Kesselspeiseventile
vorn auf dem Scheitel des Langkessels, um das kalte Speisewasser möglichst hoch über
den Siederohren in den Kessel einzuführen. Denselben Zweck erreichen die englischen
und südamerikanischen Lokomotiven auf einfachere und billigere Weise, indem der
Injektor – Gresham oder Friedmann – senkrecht an der Kessel-Rückwand angeordnet und sowohl
Dampfrohr wie Druckrohr über der Feuerbuchsdecke durch den Kessel hindurchgeführt
wird, wobei man die
vordere Mündung des Speiserohres zweckmäßig trichterförmig ausweitet.
Die Dampfzylinder mit verhältnismäßig großem Durchmesser, aber kurzem Hub liegen nach
dem v. Borriesschen Patent alle in einer Ebene und
haben ein Raumverhältnis von 1 : 2,33, die Niederdruckzylinder liegen innen, die
Hochdruckzylinder außen. Beide Zylinderpaare, bestehend aus je einem Hoch- und einem
Niederdruckzylinder in einem Gußstück, sind in der Mitte zusammengeschraubt und
bilden oben den Rauchkammersattel. Die Niederdruckzylinder haben unten breite
Flanschen zur Aufnahme der Druckplatten für das Drehgestell; ein kräftiger Steg
zwischen Hoch- und Niederdruckzylinder dient zur Aufnahme des Barrenrahmens und zur
Verbindung des Zylinders mit dem Rahmen durch senkrechte Schrauben.
Textabbildung Bd. 326, S. 114
Fig. 30.Vierzylinder-Verbund-Schnellzuglokomotive S 9 der Preußischen
Staatsbahn.
Von den 90 bis jetzt abgelieferten S 9 Lokomotiven hat nur die Ausstellungsmaschine
Lentz-Ventilsteuerung für die Hochdruckzylinder,
die Zylinder der übrigen Lokomotiven haben sämtlich Kolbenschieber mit doppelter
Einströmung und federnden Ringen (nach Fig. 31), die
Hochdruckschieber haben bei 150 mm innere, die Niederdruckschieber bei 240
mm äußere Einströmung.
Lentz-Ventilsteuerung. Da eine wirklich gute Entlastung
der Flachschieber trotz vieler Versuche nicht erreicht wurde, ist man seit
Einführung des Heißdampfes auch bei den Naßdampf-Schnellzuglokomotiven fast
allgemein zur Anwendung des Kolbenschiebers übergegangen. Derselbe arbeitet bei
guter Ausführung mit federnden Ringen und zweckmäßiger Schmierung beinahe
reibungslos, ergibt aber mit seinen Kanalkanten ebenso wie der Flachschieber infolge
des schleichenden Oeffnens und Schließens namentlich bei den kleineren
Füllungsgraden starke Drosselung des Einströmdampfes bezw. hohe Kompression,
also eine ungenügende Völligkeit der Dampfdruckschaulinien. Es hat daher nicht an
Versuchen gefehlt, die Ein- und Auslaßorgane wie bei den ortsfesten Dampfmaschinen
als Drehschieber oder Ventile auszubilden, doch erwies sich im Lokomotivbetriebe
bisher noch keine dieser Präzisionssteuerungen dauernd brauchbar. Seit einigen
Jahren bemüht sich nun die Hannoversche Maschinenbau-A.-G.
vormals G. Egestorff mit einigem Erfolge um die Einführung der
Ventilsteuerung, Patent Lentz, im Lokomotivbau.
Textabbildung Bd. 326, S. 114
Fig. 31.
Sämtliche Teile dieser Steuerung befinden sich, wie aus Fig. 32, des in natürlicher Größe am Kopfende der Maschine mit
ausgestellt gewesenen Modelles und aus Fig. 32a
hervorgeht, in einem gußeisernen Gehäuse, das auf den Hochdruckzylinder dampfdicht
aufgeschabt und aufgeschraubt ist. Zum Abheben dieses Gehäuses und der Ventile ist
am Rauchkammermantel ein besonderer Drehkran angebracht. Die zwei inneren Ventile
E regeln den Einlaß, die beiden äußeren A den Auslaß. Jedes Doppelsitzventil ist an einer
Stahlspindel angeschraubt, die in einer gußeisernen Führung gleitet und ohne Verwendung von
Stopfbuchsen mittels eingedrehter Rillen nach dem sogen. Labyrinthsystem abgedichtet
ist. Die Spindeln enden in breiten, zylindrischen Köpfen, in denen glasharte
geschliffene Rollen leicht drehbar angeordnet sind. Die Spindelköpfe gleiten mit den
Ventilen in ihren Führungen auf und nieder und schließen den oberen, als Oelbehälter
ausgebildeten Teil des Gehäuses gegen den unteren Abdunstraum ab. Sie tragen in
ihrem oberen tellerförmigen Ende die Ventilbelastungsfedern, welche zur Vermeidung
von Verwechselungen für den Auslaß aus rechteckigem Federstahl für die erheblich
schwächeren Einlaßfedern aus kreisrundem Stahldraht hergestellt sind, so daß selbst
bei höheren Umdrehungszahlen ein dauernder Kraftschluß zwischen den Rollen und der
Steuerstange stattfindet. Diese Stange ist aus Flußeisen, im Einsatz gehärtet und
geschliffen, und erhält ihre Bewegung wie die gewöhnliche Schieberstange durch das
Gestänge der bekannten Heusinger- von
Borries-Steuerung. Für die Ventilerhebung erhalten die Stangen entsprechend
geformte Hubkurven, auf denen die in den Spindelköpfen frei drehbaren Rollen
gleiten. Das Voreilen beträgt 4 mm, entsprechend einer Ventilerhebung von 1½ mm, die
äußere Deckung ist 4,5, die innere Deckung 4 mm, der größte Weg der Stange beträgt
156 mm, die maximale Ventilöffnung 12 mm.
Textabbildung Bd. 326, S. 115
Fig. 32.
Ein unverkennbarer Vorteil dieser Ventilsteuerung ist die schnelle Eröffnung und der
rasche Abschluß für Dampfein- und Austritt, ferner die sehr geringe Reibungsarbeit
und dementsprechend sparsame Schmierung. Die Ventile können jederzeit ohne besondere
Schwierigkeiten nachgeschliffen bezw. ausgewechselt werden. Der Nachteil der
Steuerung für den Lokomotivbetrieb besteht eben nur in der erforderlichen
„Präzision“, denn durch die Vereinigung der Ein- und Auslaßbewegung auf
einer Hubkurvenstange ist ein besonders sorgfältiger Zusammenbau notwendig, damit
bei Ventilschluß das Ventil in seinem Sitz und die Rolle auf der Hubkurvenstange
gleichzeitig aufsitzen; auch die schädlichen Räume sind ziemlich groß.
Bis jetzt sind von der Baufirma 60 Lokomotiven mit Lentz-Ventilen ausgerüstet worden, auch mehrere Auslandsbahnen haben
diese Steuerung versuchsweise bei einigen ihrer Lokomotiven eingebaut, so die
Oldenburgische Staatsbahn, die Lübeck-Büchener Bahn, die Malmö-Istad-Bahn, die
Schweizer Gotthard- und die Bundesbahn, die italienische Staatsbahn, die Belgische
Nordbahn und die Französische Midibahn. Von der Oldenburgischen wie von der
Preußischen Staatsbahn liegen zwar bereits günstige Betriebsergebnisse vor, doch
sind die Nachbestellungen einstweilen verhältnismäßig spärlich.
Textabbildung Bd. 326, S. 115
Fig. 32a.A Auslaßventile; E Einlaßventile.
Textabbildung Bd. 326, S. 115
Fig. 33.
Eine weitere Neuerung an der ausgestellten Maschine war die Anfahrvorrichtung nach
dem System des Oberbaurates Ranafier in Oldenburg. Sie
besteht im wesentlichen aus einem Ventil (Fig. 33),
das über der nach vorn verlängerten Steuerstange angeordnet und ebenfalls mit Rolle
und Spindel versehen ist, sowie aus einem am Rauchkammermantel angeschraubten
Anfahrzylinder mit Dampfverteilerkolben, der vom Führerstande aus mittels besonderer
Zugstange bewegt wird. Bei gewöhnlicher Fahrt mit reiner Verbundwirkung wird der
Kolben durch Dampfdruck von der Frischdampfleitung in seiner Ruhelage gehalten, das Anfahrventil ist
durch Federkraft auf seinen Sitz gedrückt, wodurch die Spindel bezw. die Rolle so
hoch zu stehen kommt, daß die unter ihr hin- und hergleitende Hubkurvenstange sie
nicht berührt. Wird die Zugstange vom Führer in die erste Rast bewegt, so strömt der
Kesselfrischdampf durch den vom Verteilerkolben geöffneten Kanal nach dem
Anfahrventil und öffnet dieses so weit, daß die Rolle kraftschlüssig an die
Steuerstange angepreßt wird. Der Sattel dieser Hubkurvenstange enthält eine
Einfräsung, die so bemessen ist, daß in allen Kurbelstellungen bei Vorwärts- oder
Rückwärtsfahrt Gegendruck durch die Frischdampfleitung nicht erfolgen kann. Sinkt
nun die Rolle über den Hubbogen in diese Einfräsung, so öffnet sich das Ventil
weiter und der Frischdampf strömt durch eine Rohrleitung hinter den Hochdruckkolben
während dessen Dehnungsperiode.
Textabbildung Bd. 326, S. 116
Fig. 34.
Genügt diese Drucksteigerung durch Zuführung von Hilfsdampf nach dem
Hochdruckzylinder infolge der nahe der Totlage befindlichen ungünstigen
Kurbelstellung zum Anfahren noch nicht, so zieht der Führer die Anfahrzugstange ganz
zurück in ihre Endstellung, wodurch der Verteilerkolben den Durchtritt des
Frischdampfes in den Receiver bezw. in den Niederdruckschieberkasten freimacht. Ist
nach einigen Radumdrehungen die Anzugkraft in dieser Weise ausgeübt, so schaltet
sich nach Loslassen des Handgriffes im Führerhaus die Vorrichtung durch Dampfdruck
auf den Verteilerkolben selbstätig wieder aus, das Anfahrventil kehrt mittels
Federkraft auf seinen Sitz zurück, wodurch sich die Rolle mit einigen Millimetern
Spiel wieder vom Sattel der nun frei beweglichen Steuerstange abhebt. Diese
Vorrichtung ist also eine einfache Hilfssteuerung, welche es ermöglicht, den
vorhandenen Kolbenflächen in jeder Kurbelstellung den zum stoßfreien Anziehen
nötigen Dampfdruck zu geben.
Der Rahmen ist dreiteilig, der vordere Teil aus Barren
ist zur bequemen Aufnahme der inneren Niederdruckzylinder mittels kräftiger
Schrauben außen am Plattenrahmen befestigt. Die hohe Lage des Rahmens an dieser
Stelle und der große Abstand zwischen Treibrad und hinterem Drehgestellrad schaffen
bequem Platz für das Durchkriechen des Heizers zum inneren Triebwerk. Der hintere
Teil des Plattenrahmens mit 28 mm Stärke ist hinter der Kuppelachse innen am 30
mm-Hauptrahmen angenietet, wodurch für die hintere Adamsche Laufachse das nötige Spiel erreicht wird. Zum Heben der Maschine
hat der Kessel mit dem Rahmen noch eine besondere Verbindung erhalten durch ein
70 × 20 mm starkes Band, außerdem ist der Barrenrahmen an der vorderen Bufferbohle
nach amerikanischem Muster durch zwei kräftige Rundeisenstreben gegen die
Rauchkammer abgesteift. Da neuerdings die Barrenrahmen aus gewalzten Platten
hergestellt und die Rahmenausschnitte autogen ausgebrannt werden können, so dürfte
sich die Anwendung eines durchgehenden Barrenrahmens für diese Maschine ohne
Mehrkosten empfehlen.
Die Tragfedern der Kuppelachsen sind mit 13 Lagen 1200 mm lang, die zwei Federn des
Drehgestells hannoverscher Bauart sind bei 21 Lagen 1300 mm lang; die hintere
Laufachse hat infolge der hohen Belastung von ebenfalls 16,5 t außer den Blattfedern
von 1100 mm Länge in den Stützen noch besondere Schraubenfedern erhalten. Die langen
Gehängeschrauben der Treibachsen haben keine besondere Führung; beide Treibachsen
sind durch Ausgleichhebel verbunden, die hintere Laufachse mit der Kuppelachse durch
Winkelhebel und Verbindungsstange; das abgefederte Gewicht des ganzen
Lokomotivkörpers ist also in drei Punkten getragen.
Bremse. Die Luftdruckbremse, Bauart Westinghouse, Hannover, wirkt nach Fig. 34 durch zwei vor der Treibachse senkrecht
angebrachte Bremszylinder auf die beiderseitigen Bremsklötze der Kuppelräder und auf
die hinteren Bremsklötze der Laufräder derart, daß der linke 13zöllige Zylinder die
sechs hinten anliegenden, der rechte 10zöllige Zylinder die vier vorn anliegenden
Bremsklötze betätigt. Die Bremstraverse der Laufachse wird in den Krümmungen von
einem am Achsbuchsgehäuse, befestigten Bügel mitgenommen. Von dem vollen
Reibungsgewicht der beiden Kuppelachsen werden 70 v. H. abgebremst, von dem
Schienendruck der hinteren Laufachse 45 v. H. Das vordere Drehgestell wird nach dem
Vorgehen einer Reihe von Auslandsbahnen hier erstmalig ebenfalls gebremst durch
einen auf vier Bremsklötze wirkenden 10zölligen Bremszylinder.
Das sehr kräftig gebaute, geräumige Führerhaus mit
geraden Vorderwänden hat zur Einhaltung des Umgrenzungsprofiles ein stark gewölbtes
Dach und etwas abgeschrägte obere Seitenwände erhalten. Die Verteilung der Armaturen
am Kessel und die Anbringung der Manometer auf einer gemeinsamen Platte ist sehr
übersichtlich. Es sind vorhanden: ein Manometer für Kesseldruck (14 at), eines für
Hochdruck-Schieberkasten und eines für den Verbinder, sowie die übrigen Manometer
für Bremse und Dampfheizung. Die Friedmann-Schmierpresse mit sechs Oelabgaben und Vorwärmung sitzt links und
erhält ihren Antrieb von der hinteren Kuppelachse. Rechts sitzt ein
Geschwindigkeitsmesser für 110 km der Deutschen
Tachometerwerke, angetrieben von der hinteren Laufachse mit
Flacheisenbügel. Der Zylinderventilzug mit Händel und Klinke sitzt rechts an der
Führerhaus-Seitenwand.
Die Plattform ist über den Rädern angeordnet und bis an
die Kesselbekleidung herangeführt. Durch das Absetzen der Plattformbreite von 3 m am
Führerhaus auf 2,5 m über der Treibachse ergibt sich beim Steuerwellenhebel ein
recht schmaler Laufsteg von nur 120 mm, es würde sich daher empfehlen, die Plattform
auf 3 m gerade durchzuführen (Grundriß von Fig. 30),
dadurch könnte das Einziehen des Gleitstangenträgers wegfallen. An Stelle des 65 mm
hohen Gurtwinkels wäre besser ein ungleichschenkliges Winkeleisen 100 × 65 × 9
anzubringen, die Zugstange des Zylinderventilzuges könnte dann ganz verdeckt innen
am senkrechten Schenkel angebracht werden.
Textabbildung Bd. 326, S. 117
Fig. 35.
Bezüglich der Verteilung der Ziehbänder an der Bekleidung des Rundkessels gilt hier
das schon früher Gesagte. Der Raum zwischen dem hintersten und vordersten Band kann
mit vier Bändern bequem in drei gleiche Felder abgeteilt werden, wobei Dom und
Sandkasten entsprechend zu versetzen sind auf die Mitte zwischen je zwei Bänder. –
Der Sandstreuer, Bauart Knorr, wirkt von vorn auf beide
Kuppelräder. Auf sorgfältige Schmierung aller bewegten Teile ist auch bei dieser
Maschine besonderer Wert gelegt. Um dem Personal den Ausblick durch die
Vorderfenster dauernd zu erhalten, trägt der Schornstein zur Hochführung des
Auspuffes einen abnehmbaren Aufbau.
Der Tender (Fig. 35) hat
eine von der sonst üblichen stark abweichende Bauart. Er ist mit 64 t Dienstgewicht
der schwerste europäische Tender und hat zum Befahren der 254 km langen Strecke
Berlin-Hannover ohne Anhalten einen Wasserkasten von 31 cbm Fassungsraum und einen
mittleren Aufbau für 1½ t Kohlenladung. Die beidseitig gebremsten Tenderräder laufen
in zwei Drehgestellen mit Rahmen aus Preßblechen. Zur Wasserentnahme dienen zwei am
tiefliegenden Wasserkastenboden angenietete Blechtröge von 300 mm Breite und 2,8 m
Länge, so daß der gesamte Wasservorrat verbraucht werden kann. Tenderkupplung,
Bufferbohle und sonstige Ausrüstungen entsprechen den üblichen Normalien der
preußischen Staatsbahnen.
Die gewaltigen Abmessungen gaben der ganzen Maschine ein imposantes Aussehen; der
Anstrich war der preußische; Triebwerk, Steuerung und Handstangen, ebenso die am
Kessel entlang führenden Rohre waren blank, Buffer schwarz gestrichen, Bufferstangen
gebläut; der Ausstellungszustand war vorzüglich. An der gegenüberliegenden Wand
hatte die Baufirma noch eine Reihe von Photographien der in den letzten Jahren
gelieferten Exportlokomotiven sehr wirksam zur Schau gebracht.
Leistungen. Die hier beschriebene Lokomotive eignet sich
ganz besonders für schnellfahrende Züge im flachen Gelände und wird daher meistens
zur Beförderung der D-Züge Berlin–Hannover–Köln und Berlin–Hamburg benutzt. Die
Strecke Hannover–Berlin, Zoologischer Garten mit einer Länge von 245 km wird von dem
schnellsten Zug D 25 ohne Anhalten in 191 Minuten zurückgelegt, was einer
Reisegeschwindigkeit von nur 78 km/Std. entspricht, weil einige Zwischenstationen mit
lebhaftem Verkehr und eine Steigung von 7 v. H. bei Spandau mit geringer
Geschwindigkeit befahren werden müssen. Die Dauergeschwindigkeit auf der freien
Strecke beträgt dem Bauprogramm entsprechend etwa 85 km/Std. Nimmt man für die schwersten Züge
die höchste zulässige Zugbelastung an zu 450 t ausschließlich dem Gewicht G von Lokomotive und Tender, welches 139 t beträgt, so
ergeben sich folgende Zugwiderstände:
a) für die Lokomotive mit Tender nach StrahlOrgan für die Fortschritte des Eisenbahnwesens
1908, S. 322.
W_1=2,5+0,067\,.\,\left(\frac{V}{10}\right)^2+\left(a+0,116\,.\,\frac{V}{D}\right)\,.\,\frac{Q_a}{G},
wobei der Faktor a für
B-Lokomotiven zu 2,5 eingesetzt wird.
W_1=2,5+0,067\,.\,\left(\frac{85}{10}\right)^2+\left(2,5+0,116\,.\,\frac{85}{1,98}\right)\,.\,\frac{33}{139},
W1 =
7,35 + 1,77 = 9,1 kg/t,
also W1 = 9,1 • 139 = 1265 kg.
Die für diesen Eigenwiderstand der Lokomotive erforderliche
Leistung beträgt
N_l=\frac{1265\,.\,85}{270}=400\mbox{ PS.}
Der Widerstand für den Wagenzug ist nach FrankZ. V. D. I.
1907, S. 96.
W_w=2,5+0,03\,.\,\left(\frac{V}{10}\right)^2
W_w=2,5+0,03\,.\,\left(\frac{85}{10}\right)^2=4,67\mbox{ kg/t,}
also Ww = 4,67 • 450 = 2100 kg.
Leistung N_w=\frac{2100\,.\,85}{270}=660\mbox{
PS.}
Die erforderliche Zugkraft für den ganzen Zug beträgt also
Z = 1265 + 2100 = 3365 kg
und die Gesamtleistung
N=\frac{3365\,.\,85}{270}=1060\mbox{ PS.}
Der kommerzielle Wirkungsgrad beträgt
\eta=\frac{N_w}{N}=\frac{660}{1060}=0,62.
Die Leistung von nur 1060 PS steht hinter der vom Kessel
verfügbaren sehr weit zurück, und zwar um
1520 – 1060 = 460 PS!
Für die 2B-Heißdampf-Zwillingslokomotive errechnet man unter den gleichen
Verhältnissen für diesen Zug eine Leistung von 990 PS, die vom Kessel dauernd
hergegebene zu 1100 PS. Daraus ergibt sich, daß die um 29 t leichtere und um
rund 25000 M billigere 2B-Heißdampf-Zwillingslokomotive Gattung S 6 für die
Beförderung der schwersten Züge bei der auf dieser Strecke üblichen Geschwindigkeit
vollkommen ausreicht.
Es ist daher leicht begreiflich, daß die gewaltige Vierzylinderlokomotive es
ermöglicht, alle Verspätungen einzuholen, denn sie ist noch lange nicht bis an die
ihren Abmessungen und ihrem Verbrauch entsprechende Leistungsgrenze angestrengt.
Unbegreiflich erscheint es aber, daß eine so schwere und teure Lokomotive für die
auf genannter Strecke noch verhältnismäßig kleine Leistung benutzt bezw. überhaupt
gebaut wird.
(Fortsetzung folgt.)