| Titel: | Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. | 
| Autor: | A. Bucher | 
| Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 145 | 
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                        Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in
                           								Brüssel 1910.
                        Von Ingenieur A. Bucher,
                           								Tegel bei Berlin.
                        
                           Lokomotiven.
                           
                        (Fortsetzung von S. 135 d. Bd.)
                        Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel
                           								1910.
                        
                     
                        
                           Zylinder. Die Anordnung der Dampfzylinder (Fig. 40) entspricht dem bekannten amerikanischen
                              									System „Vauclain“ von den Baldwin-Werken in Philadelphia. Die Versuche auf dem
                              									Prüffelde der Weltausstellung in St. Louis 1904, welche für den Entwurf der hier
                              									beschriebenen Maschine besondere Beachtung fanden, hatten für diese Anordnung mit
                              									nur einem Schieber für Hoch- und Niederdruckzylinder einen verhältnismäßig geringen
                              									Dampf verbrauch ergeben. Je ein innerer Hoch- und ein äußerer Niederdruckzylinder
                              									mit gemeinsamem Schieberkasten bilden ein Gußstück, beiden Hälften sind in der
                              									Maschinenmitte zusammengeschraubt und tragen mit ihrem Sattel die Rauchkammer. Der
                              									Doppel-Kolbenschieber (Fig. 41) mit 340 mm 
                              									besteht aus einem Gußstücke mit federnden Ringen auf drei Schiebertrommeln, von
                              									denen die mittlere die Hochdruck-, die beiden äußeren die Niederdruckkanäle steuern.
                              									Kolben- und Schieberstangen laufen in Stopfbuchsen mit der in Dänemarküblichen
                              										„United states metallic packing-Dichtung“; alle Zylinderdeckel haben
                              									Sicherheitsventile, der vordere Schieberkastendeckel hat außerdem ein
                              									Lufteinlaßventil für den Leerlauf. Das Anfahren erfolgt mit den Niederdruckkolben
                              									allein durch ein auf Mitte Schieberkasten außen angebrachtes Anfahrventil (Fig. 42), an welchem sich ebenfalls ein
                              									Luftsaugeventil befindet. Dieses Anfahrventil besteht aus einem senkrechten Gehäuse
                              										1 mit einem Kolben 2,
                              									dessen obere Fläche vom Drucke des Kesselfrischdampfes, die untere Fläche aber vom
                              									Schieberkastendrucke beeinflußt wird; der Kanal 6 steht
                              									mit dem (mittleren) Frischdampfkanal des Schiebers in Verbindung, die beiden Kanäle
                              										4 und 5 des
                              									Ventilgehäuses mit den Dampfeingangskanälen des Hochdruckzylinders. Zum Anfahren
                              									wird durch einen im Führerhaus an der Kesselrückwand angebrachten Anfahrhahn (Fig. 43) der Kesselfrischdampf über dem Kolben 2 durch die Kanäle 3 und
                              										5 abgelassen (Stellung I), der Kolben 2 hebt sich dadurch, und
                              									frischer Dampf strömt durch die Kanäle 4 und 5 auf beiden Seiten des Hochdruckkolbens und durch den
                              									Verbinder nach dem Niederdruckzylinder. Nach einigen Radumdrehungen wird der
                              									Anfahrhahn umgestellt in Stellung III, wodurch der
                              									Kesseldruck den Kolben 2 des Anfahrventiles wieder auf
                              									seinen Sitz herabdrückt, so daß nun mit Verbundwirkung weitergefahren wird. Der
                              									erwähnte Anfahrhahn (Fig. 43) hat außerdem noch den
                              									Zweck, die Zylinder-Ablaßventile mit Dampf zu steuern. In Stellung II strömt Kesseldampf durch einen weiteren Kanal 2 und ein Verbindungsrohr nach dem Stutzen 3 des Zylinderablaß-Ventilgehäuses (Fig. 44). Dadurch wird das Ventil 2 und die Kugel 1 gehoben,
                              									so daß das Kondenswasser aus dem Zylinder durch das durchlöcherte Schalldämpferrohr
                              										4 hindurch ins Freie ausblasen kann.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 145
                              Fig. 40.
                              
                           Triebwerk. Die Niederdruck-Kolben wirken auf die
                              									hintere, die Hochdruck-Kolben innen auf die vordere Treibachse, welch letztere als
                              									Kropfachse mit Rechteck-Querschnitt aus Kruppschem
                              									Nickelstahl hergestellt ist. Die Kurbeln einer Maschinenseite sind gegeneinander um
                              									180° versetzt, diejenigen eines Räderpaares um 90°. Treib- und Kuppelstangen sind
                              									aus Chromnickelstahl hergestellt, die innere Treibstange ist 1800 mm lang (R : L = 1 : 5,6), die
                              									äußere ist 3350 mm lang (R : L
                                 										= 10,5). Alle Stangenlager sind nachstellbar, Treib- und Kuppelzapfen sind
                              									durchbohrt. Das vordere Ende der Treibstangen ist gegabelt, der zwischen je zwei
                              									nebeneinander angeordneten Gleitstangen geführte Kreuzkopf (Fig. 45) erhält seine richtige Lage zur Zylindermitte
                              									stets durch Einlegen von dünnen Blechen zwischen dem Kreuzkopfkörper und seinen
                              									bronzenen Gleitschuhen. Die Schmierung der Zapfen erfolgt durch doppelte
                              									Ventiltüllen an den Stangenköpfen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 146
                              Fig. 41.
                              
                           Die Steuerung nach Heusinger-Walschaert ist innenliegend und hat, da die Hochdruckzylinder
                              									die erste Achse antreiben, sehr kurze Stangen mit stark gebogenen Kulissen, durch
                              									Exzenter bewegt, deren Scheiben mit der Kurbelachse aus einem Stück geschmiedet
                              									sind. Die Steuerwelle ist in zwei hohen, auf dem Barrenrahmen befestigten
                              									Lagerböcken gelagert, die zugleich die gleitstangenartige Schieberstangenführung
                              									sowie die Plattform tragen. Zur Ausbalancierung der Steuerung ist auf der
                              									Steuerwelle ein kurzer Hebel mit Gegengewicht angebracht. Die Steuerzugstange ist
                              									dreiteilig, die Umsteuerung mit Schraube sitzt rechts in einer gußeisernen Führung
                              									am Feuerbuchsmantel. Die Bewegung der Spindelmutter auf der Schraube mit
                              									linksgängigem Flachgewinde geschieht durch Kurbel mit Sperrad und Klinke. Durch den
                              									großen Horizontalabstand der beiden Zugstangen-Enden von 230 mm wird die Stange samt
                              									ihren Führungen etwas vielteilig und teuer, auch die Herstellung der Kulisse sowie
                              									der Steuerungsbolzen mit bombiertem Kopf ist etwas kostspielig.
                           Rahmen. Da für die breite Feuerbuchse der Plattenrahmen
                              									nicht gut geeignet ist, so war die Verwendung des Barrenrahmens nach amerikanischem
                              									Muster um so eher geboten, als derselbe den Vorzug größerer Leichtigkeit und guter
                              									Zugänglichkeit zum inneren Triebwerke besitzt. Der Hauptrahmen ist dreiteilig,
                              									überall bearbeitet und hinter den Zylindern bezw. vor der Feuerbuchse
                              									zusammengeschraubt. Die beiden hinteren Teile sind aus Stahlformguß mit 38–45 kg
                              									Festigkeit pro qmm und mindestens 20 v. H. Dehnung, der vordere Teil mit 100 mm
                              									Breite aus Flußeisen geschmiedet. Der Zusammenbau der Längsträger und der
                              									Stahlguß-Querverbindungen ist aus Fig. 46
                              									ersichtlich. Der Zugkasten aus Stahlguß ist als Stoßbuffer ausgebildet, um eine
                              									zwangläufige Einstellung des Tenders in den Kurven zu erzielen. Die Kupplungsbolzen
                              									für das Zugeisen sind zum leichten Aus- und Einbringen stark konisch, sie werden
                              									oben durch Verschlußstücke niedergehalten. Die vordere Bufferbohle ist durch
                              									kräftige Kümpelbleche gegen den Rahmen abgesteift, die Bufferstempel haben 450 mm
                              									, der Zughaken mit geführter Traverse und zwei Federn entspricht den
                              									Normalien der Dänischen Staatsbahn.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 146
                              Fig. 42.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 146
                              Fig. 43.
                              
                           Die Befestigung des Kessels auf dem Rahmen geschieht vorn
                              									durch Verschraubung des im unteren Teile 23 mm starken Rauchkammermantels mit dem
                              									Zylindersattel. Der Feuerbuchsbodenring ruht an vier Stellen mittels Gleitschuhen
                              									auf dem Barrenrahmen auf und ist durch Klammern gegen das Abheben gesichert. Hinter
                              									dem Dom ist ein kräftiges Band um den Kessel geschlungen und mittels Kloben mit dem
                              									Kesselträger fest verbunden. Der Langkessel ist beim Gleitstangenträger durch eine
                              									10 mm-Platte mit diesem fest verbunden, so daß das Blech bei angeheiztem Kessel der
                              									Ausdehnung entsprechend etwas nach hinten gebogen wird. Hierbei sei bemerkt, daß es
                              									zweckmäßiger ist, diese am Kesselträger angeschraubte Platte bei angeheiztem Kessel mit Paßstück an dem am Kessel
                              									festgenieteten Winkeleisen zu montieren, damit das Blech im
                                 										Dienst gerade ist und nur außer Dienst gebogen
                              									wird.
                           
                           Die Achslager-Gehäuse und deren Lagerschalen sind
                              									nach Bauart Busse zweiteilig ausgeführt, um die
                              									Abnutzung der Bandagen, besonders die sogen. Schlaglöcher infolge der wechselnden
                              									Kolbendrücke zu vermindern; die Treibachslager haben Stellkeile vorn. Die Tragfedern
                              									über den Achsen sind durch Ausgleichhebel verbunden, der Stützpunkt des hinteren
                              									Balanciers ist verstellbar, um die Achslasten verschieden verteilen zu können.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 147
                              Fig. 44.
                              
                           Das Drehgestell hat ebenfalls Stahlguß-Barrenrahmen und
                              									Blattfedern über den Laufachsen. Der Drehzapfen ruht auf Zylindermitte in einer
                              									Kugelpfanne mit Pendelaufhängung, welche eine Seitenverschiebung von 60 mm zuläßt.
                              									Die hintere Laufachse ist samt den Lagern um 40 mm nach jeder Seite verschiebbar,
                              									wobei der Druck der Tragfeder durch eine einfache flache Platte übertragen wird.
                           Die Befestigung der Bandagen auf den Felgen der Radsterne erfolgt durch Schrauben.
                              									Trotzdem sich die hin- und hergehenden Massen durch die Vierzylinder-Anordnung in
                              									der Hauptsache selbst ausgleichen, haben die Räder doch Gegengewichte erhalten,
                              									durch welche 25 v. H. der überschüssigen Massen zum Ausgleich kommen.
                           Bremse. Sämtliche Räder der Maschine sind einseitig
                              									gebremst. Da aber für die großen Saugzylinder der hier verwendeten selbsttätigen
                              									Vakuumbremse (von der Vacuum Brake Co. Limited, London)
                              									nicht genügend Raum vorhanden ist, so wurde in der rechten vorderen Ecke des Tenders
                              									ein Drucksteigerer eingebaut, in welchem von dem darüber befindlichen Saugzylinder
                              									durch Einlassen von Luft eine Wasserpressung von 12 kg/qcm erzeugt wird. Dieses
                              									Preßwasser wird durch dünne bewegliche Rohrleitungen nach den entsprechend kleineren
                              									gewöhnlichen Bremszylindern gedrückt und so der nötige Bremsdruck auf die Klötze
                              									erzeugt. Die Bremsklötze aus Gußeisen haben besondere Bremssohlen mit flußeisernen
                              									Einlagen, welche ausgewechselt werden können.
                           Das Führerhaus wird vom Kessel getragen und folgt diesem
                              									bei den Wärmeausdehnungen, während die Plattform auf Konsolen am Rahmen befestigt
                              									ist. Die Seitenwände aus 7 mm Blech haben Fenster zum Herunterlassen wie bei
                              									Personenwagen, an den 600 mm breiten Rückwänden sind einfache Klappsitze für die
                              									Mannschaft angebracht. Das Holzdach. ist zum Schutze gegen die Witterung nach hinten
                              									stark verlängert. Auch der starke hölzerne Bodenbelag ist, auf Konsolen ruhend, nach
                              									hinten auf den Tender verlängert, so daß die Mannschaft stets auf festem Fußboden
                              									steht. Zum Besteigen des Tenderaufbaues, das besondere gymnastische Uebung
                              									erfordert, sind an der hinteren Abschluß wand oben besondere Handgriffe vorgesehen.
                              									Die Anordnung der Plattform ist gut gewählt, doch würde ein breiter Gurtwinkel das
                              									Aussehen noch wesentlich verbessern.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 147
                              Fig. 45.
                              
                           An Sonderausrüstungen sind vorhanden: Zwei Nathan-Lubrikatoren von Friedmann-Wien an der
                              									Kesselrückwand zum Schmieren der Kolben und Schieber; ein Geschwindigkeitsmesser von
                              										Stroudley (England) in der rechten Führerhaus-Ecke
                              									vorn; zwei unter dem Kessel an den
                              									Rahmenquerverbindungen befestigte Sandkasten, durch einen Zug von Hand betätigt, und
                              									eine Dampfheiz-Einrichtung.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 147
                              Fig. 46.
                              
                           Der Tender läuft auf vier im Blechrahmen einzeln
                              									gelagerten Achsen, von denen die zweite und vierte fest sind, während die erste
                              									Achse nach dem Gölsdorf-System 20, die dritte 10 mm
                              									Spiel nach jeder Seite hat. Der Wasserkasten hat den in Dänemark üblichen
                              									trogförmigen Kohlenraum, die langen, seitlichen Wassereingüsse nach Gölsdorf haben Klappen, die durch Züge geöffnet
                              									werden.
                           Der Ausstellungszustand dieser Maschine war sehr gut, sowohl die Ausführung als auch
                              									die Instandhaltung der Einzelteile war äußerst sorgfältig, auch auf äußere
                              									Formgebung war hier besonderer Wert gelegt. Der Anstrich war in der Hauptsache
                              									schwarz, die Kesselbekleidung matt mit lackierten Ziehbändern und roten
                              									Einfaßlinien, Speiserohr und Handstangen am Kessel blank; Führerhaus, Rahmen und
                              									Tender waren schwarz lackiert, Aschkasten nur schwarz gestrichen, da konnte das an
                              									der Hinterkante abwärts führende Schlabberrohr auch schwarz gestrichen statt blank
                              									sein. Triebwerk, Bandagen und Zylinderdeckel-Bekleidungen waren blank, der
                              									Schornstein trug ein Band in den dänischen Landesfarben, rot-weiß-rot.
                           Leistungen. Die vorgenommenen Versuchsfahrten mit einer
                              									der ersten 2B1-Schnellzuglokomotiven der Dänischen Staatsbahnen haben ergeben, daß
                              									die im Bauprogramm gestellten Anforderungen zur Beförderung von 370 t schweren
                              									Schnellzügen mit hoher Geschwindigkeit vollkommen erreicht wurden. Sowohl die
                              									Schieber als auch die Anordnung des Triebwerkes mit nur einer Steuerung für je zwei
                              									Zylinder haben sich nach einem Laufwege der ersten Maschinen von 70000 km vorzüglich
                              									bewährt. Auch der Kessel lieferte für die nach Tab. 7 aus den
                              									Dampfdruck-Schaulinien sich ergebenden Leistungen reichlich Dampf, so daß die
                              									Zylinder der Serie 1910 ohne Aenderung der Rostfläche erheblich vergrößert werden
                              									konnten, um das Reibungsgewicht von 36 t besser auszunutzen.
                           Tabelle 7.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 326, S. 148
                              Anfahren oder Fahrt;
                                 										Geschwindigkeit in km/Std.; Zylinderfüllung in %; Kesselüberdruck in kg/qcm;
                                 										Mittlerer Schieberkastendruck im; Arbeitsleistung im; Verhältnis der Leistungen
                                 										zu einander; Gesamt-Leistung in PS; Umrechnung für die vergrößert. Zylinder;
                                 										Zugkraft in kg; Anfahren; Fahrt
                              
                           Durch den Einbau eines Rauchröhren-Ueberhitzers ließe sich die Leistungsfähigkeit
                              									dieser Maschine wesentlich erhöhen, wobei das große Reibungsgewicht von 18 t für
                              									jede Achse noch besser ausgenutzt werden könnte.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)