Titel: | Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. |
Autor: | A. Bucher |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 181 |
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Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in
Brüssel 1910.
Von Ingenieur A. Bucher,
Tegel bei Berlin.
Lokomotiven.
(Fortsetzung von S. 165 d. Bd.)
Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel
1910.
1 C-Heißdampf-Schnellzuglokomotive Gruppe 640 der Italienischen Staatsbahn,
Betriebs-Nr. 64092, gebaut von der Maschinenfabrik Societá
Italiana Ernesto Breda in Mailand, Fabrik-Nr. 1179, 1910. (Fig. 54 und 55.)
Textabbildung Bd. 326, S. 181
Fig. 54.
Die große Zahl der im Jahre 1906 in Mailand ausgestellt gewesenen
Heißdampflokomotiven veranlaßte die Verwaltung der erst seit 1904 verstaatlichten
italienischen Eisenbahnen, auch in ihrem Lokomotivbetriebe den Heißdampf
einzuführen. Der vom Staat übernommene Lokomotivpark erwies sich als sehr
ungenügend, so daß gleich in den ersten Jahren nach der Uebernahme zahlreiche
Neubeschaffungen erfolgen mußten. Da die heimische Lokomotivindustrie diesem
plötzlichen Ansturm nicht gewachsen war. gingen die Aufträge nach dem Auslande,
insbesondere nach Deutschland an die Maschinenfabrik
Esslingen, die Lokomotivfabrik Henschel &
Sohn in Cassel und an Schwartzkopff Berlin.
Die letztere Firma baute die in Italien sehr verbreitete, 1 C-Type im Jahre 1906
zuerst als Naßdampf-Verbundlokomotive nach eingesandten Zeichnungen, und daran
anschließend als Heißdampflokomotive mit Schmidtschem
Rauchröhrenüberhitzer nach eigenen Entwürfen, wobei die Maschine, um die bei der
Verstaatlichung ohnehin große Anzahl verschiedener Lokomotivgattungen nicht zu
vermehren, nur in den durch die Anwendung des Heißdampfes bedingten Teilen
umgestaltet wurde. Da diese Heißdampfmaschinen von Schwartzkopff nach zahlreichen Versuchs- und BelehrungsfahrtenZ. d. V. d. I. 1908, S. 1306. sich
in jeder Beziehung gut bewährten, so folgten den ersten, 48 Stück umfassenden
Lieferungen später weitere Bestellungen bei Breda in
Mailand, so daß die italienische Staatsbahn gegenwärtig etwa 100 Stück der Gruppe
640 besitzt. Sie befahren die nahezu wagerechten Strecken Oberitaliens mit
leichteren Schnellzügen von 280 t und haben deshalb nur eine verhältnismäßig Weine
Kesselheizfläche erhalten.
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Fig. 55.1 C-Heißdampf-Schnellzuglokomotive der Italienischen
Staatsbahn.
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Fig. 56.
Textabbildung Bd. 326, S. 182
Fig. 57.
Kessel. Der infolge der hohen Lage der beiden
Innenzylinder sehr hochliegende Kessel mit über dem Rahmen liegender Kupferbuchse
zeigt die übliche Bauart Fig. 55 mit dreireihigem
Rauchröhren-Ueberhitzer. Jede Reihe enthält sieben Elemente mit Rauchrohren von
125/133 mm und je vier Ueberhitzerröhren von 28/36 mm . Die letzteren
münden, abweichend von der preußischen Ausführung, von unten senkrecht in den
Ueberhitzerkasten, wodurch der Rauchkammerdurchmesser nur 44 mm größer geworden ist
als der äußere Durchmesser des 15 mm starken vorderen Kesselschusses. Die
Ueberhitzerklappen sind senkrecht angeordnet und werden durch Hebel und
Zugstangenverbindung mittels des Automaten (Fig. 56)
oder von Hand bewegt. Beim Oeffnen der Rauchkammer für werden auch die mit derselben
durch eine Kette verbundenen Klappen zur Besichtigung mitgeöffnet. Die Krümmer der
Ueberhitzerröhren sind an diese angeschweißt.
Grobe Armatur. Das Webbsche
Feuerloch mit gußeisernem Schutzring hat eine zweiteilige Schiebetür. Der Rost
besteht aus drei Lagen gewöhnlicher gußeiserner Stäbe (je drei in einem Paket), die
beiden Endlagen sind fest, die mittlere Lage ist als Kipprost durch eine
linksliegende Spindel mit Handrad beweglich angeordnet. Der Aschkasten ist am Rahmen
befestigt
dadurch, daß dessen Boden als Rahmenquerverbindung ausgebildet ist.
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Fig. 58.
Feine Armatur. Der Kessel ist ausgerüstet mit: zwei
Sicherheitsventilen der Coale Muffler Co., einem
Sicherheitsventil mit Federwage (Fig. 54), einem
Wasserstand, drei Probierhähnen mit Ablaufrohr, einem Armaturstutzen mit zwei
Dampfventilen für die untenliegenden Friedmann-Injektoren, Klasse S Z Nr. 9. An Manometern sind vorhanden: eines
für Kesseldruck (12 at), eines für Schieberkastendruck, zwei für Bremse, eines für
Dampfheizung und ein Fernthermometer für die Ueberhitzung, von Fournier, Paris.
Regulator. Der im Dom sitzende ausbalancierte
Ventilregler der bekannten Bauart Zara, von dem ein
Modell an dieser Maschine mit ausgestellt war, wird bewegt durch Drehstange mit
stark nach rückwärts gekröpftem Doppelhebel an der schrägliegenden Kesselrückwand
(Fig. 55).
Zylinder. Die eigenartige, in Italien übliche
Bauart der Zylinder mit außenliegendem Kolbenschieber ist aus Fig. 55 ersichtlich. Die beiden Innenzylinder mit 540
mm sind zwecks Unterbringung des Drehgestelles hochliegend und daher stark
geneigt. Kolben, Kolbenstangen- und Schieberstangenstopfbuchsen haben die Schmidtsche Ausführung. Die Kolbenschieber mit 220 mm
nach Patent Fester mit federnden Ringen und
kreuzförmigem Keilverschluß (Fig. 57) haben innere
Einströmung mit 28 mm Deckung. Jeder Zylinder hat, wie bei allen
Heißdampflokomotiven, eine Druckausgleich-Vorrichtung, die hier durch einen am
Rauchkammermantel rechts befestigten Automaten (Fig.
56) betätigt wird, ebenso sind Sicherheits- und Luftsaugeventile
vorhanden. Kolben und Schieber werden geschmiert durch eine einfache Michalksche Schmierpumpe (Fig. 58), welche links im Führerhaus steht und ihren Antrieb vom hinteren
Kuppelzapfen erhält.
Textabbildung Bd. 326, S. 183
Fig. 59.
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Fig. 60.Dampfdruckschaulinien der 1 C-Heißdampf-Schnellzuglokomotive,
Gruppe 640, auf der Strecke Orte-Arezzo der Italienischen Staatsbahn. K =
Kesseldruck. S Schieberkastendruck; Versuchsfahrt
Triebwerk. Der Kreuzkopf läuft auf einschieniger, oberer
Gleitstange, die Treibstange mit hinterem offenen Kopf und durch Keilfläche mit
schrägstehender Schraube nachstellbarem Lager hat eine Länge von 2,3 m, was einem Verhältnis zur
Kurbel von \frac{2,3}{0 35}=6,6 entspricht.
Steuerung. Um trotz innenliegendem Triebwerk die ganze
Steuerung nach außen legen zu können, ist das bekannte Heusinger-Gestänge derart modifiziert, daß der kurze Voreilhebel seine
Bewegung statt vom Kreuzkopf durch eine besondere, 2,4 m lange Exzenterstange von
einer 246 mm langen Gegenkurbel am Treibrad erhält, wodurch allerdings für die
Kulissenbewegung ein zweites Exzenter notwendig ist (s. Fig. 54).
Die Treibachse aus Nickelstahl mit 70 mm Durchbohrung hat im Kropfarm
Rechteckquerschnitt, die Radsternnabe ist weit nach außen gedrückt, um dem
Achsschenkel genügende Länge (230 mm) zu geben bei einem Durchmesser von 220 mm. Die
Kuppelachse hat im Achsschenkel 190 mm und 250 mm Länge. Die vordere
Kuppelachse ist mit der Laufachse, ähnlich wie bei Krauß-Helmholtz, zu einem Drehgestell der bekannten Bauart Zara vereinigt, so daß die geführte Länge der
Lokomotive bis zum Drehzapfen 5310 mm beträgt; der vordere Kuppelzapfen ist daher
kugelförmig. Die nach unten stark durchgebogenen Tragfedern der Treib- und hinteren
Kuppelachse sind durch Ausgleichhebel verbunden, die Achslager sind beweglich
ausgeführt nach Bauart Zara (Fig. 59). Für sorgfältige Schmierung sowohl der Lager als auch der
Gleitbacken ist gesorgt durch besondere, am Kessel und am Rahmen befestigte
Schmiergefäße.
Rahmen. Hauptrahmen und Drehgestellrahmen bestehen aus
30 mm Blechplatten; Querverbindungen, Bufferbohle und Zugkasten sind ebenfalls aus
Blech ausgeführt mit Winkeleisen. Der Drehgestellrahmen hat Pendelaufhängung und
Rückstellung durch äußere Kegelfedern mit rechteckigem Querschnitt.
Bremse. Die Kuppelräder werden einseitig gebremst durch
zwei dreizehnzöllige Bremszylinder mit Druckluft, Bauart Westinghouse, Turin.
Führerhaus, Plattform. Das geräumige Führerhaus mit
Doppeldach und Fußboden aus Waffelblech ist hinten mit dem Rahmen verbunden, während
die Vorderwand auf der Kesselbekleidung aufliegt. Die Plattform ist über den Rädern
durchgeführt und mit Flacheisen vom Kessel getragen. Zum Besteigen der Maschine sind
reichliche, aber keineswegs schöne Fußtritte und Handstangen angebracht.
An Sonderausrüstungen sind noch zu nennen: ein Dampfsandstreuer, Bauart Leach, eine Dampfheizung, Bauart Haag, und ein registrierender Geschwindigkeitsmesser
von Hasler in Bern, mit Antrieb vom rechten, hinteren
Kuppelstangenkopf mittels aufgeschraubtem Bügel.
Der dreiachsige Tender (Fig. 54) mit einem Leergewicht von 14 t faßt 15 cbm Wasser und 6 t Kohlen
das Verhältnis \frac{\mbox{Leergewicht}}{\mbox{Ladung}} ist also
\frac{1,43\,.\,100}{21}=68 v. H. Die Tenderräder sind
beiderseitig gebremst.
Aussehen und Formgebung dieser Maschine waren im allgemeinen gut, die vordere Partie
über der Laufachse könnte jedoch besser durchgebildet werden. Der
Ausstellungszustand war recht befriedigend. Anstrich: oben alles schwarz, unten rot,
Bandagen weiß gestrichen: Triebwerk, Steuerung und Handsäulen blank.
Leistungen. Wie bereits eingangs erwähnt, dienen diese
Maschinen hauptsächlich zur Beförderung leichterer Schnellzüge von etwa 280 t auf
den ziemlich ebenen Strecken Mailand–Turin (150 km), Verona–Venedig (110 km) und
(Rom)–Orte–Arezzo–(Florenz) – letztere Strecke mit einer kurzen Steilrampe von 10–11 v.
T. Steigung – mit Geschwindigkeiten bis zu 90 km. Zahlreiche Versuchsfahrten, die
mit den ersten Maschinen auf diesen Strecken vorgenommen wurden, ergaben eine große
Ueberlegenheit der Heißdampfmaschine gegenüber der bisherigen Verbundmaschine. Züge
von 280–300 t hinter dem Tenderzughaken konnten anstandslos befördert und jede
Verspätung eingeholt werden. Die aufgenommenen Schaulinien (Fig. 60) ergaben bei Füllungen von 30–40 v. H.
Zylinderleistungen von 900–1100 PS. wobei eine durchschnittliche Temperatur des
Heißdampfes von 330° erreicht wurde.
Angaben zu den Diagrammen (Fig.
60).
Dia-grammNr.
Ver-suchs-fahrt
n
Vkm
Fül-lungv. H.
Oeff-nungdes Re-gulators
Temp-ratur
desHeiß-dampfes°C
Pmkg
NiPS
13222528
227
175147229261
61 51,58091
38423235
¾¾⅔⅔
320335335335
4,205,426,692,96
10291122 8651080
20243031
226
129158192221
45556777
42423835
¾¾⅔⅔
335345315320
5,194,773,233,43
938105618701060
18242528
229
206275229255
72968089
38383535
⅔⅔¾⅔
315330310320
3,482,623,183,02
1006101010221080
(Fortsetzung folgt.)