Titel: | Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. |
Autor: | A. Bucher |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 244 |
Download: | XML |
Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in
Brüssel 1910.
Von Ingenieur A. Bucher,
Tegel bei Berlin.
Lokomotiven.
(Fortsetzung von S. 230 d. Bd.)
Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel
1910.
15. 2C-Vierzylinder-Verbund-Heißdampf-Schnellzuglokomotive S 11, Betr.-Nr. 3166
der Französischen Ostbahn, gebaut in deren Bahnwerkstätten in Epernay, Fabr.-Nr.
635, 1910 (Fig. 97 und 98).
Während der Schmidtsche Rauchröhren-Ueberhitzer auch in
Frankreich bereits mehrfach zur Anwendung gekommen ist, hat die Verwaltung der
Französischen Ostbahn nach den Angaben des Maschinendirektors L. Salomon durch ihre Ingenieure einen Stufenüberhitzer
eigener Bauart entworfen und auf einer 2C-Lokomotive ihrer neuesten, 70 Maschinen
umfassenden Serie 11, Nr. 3101–3170, zur Ausführung gebracht. Bei der in Frankreich
allgemein üblichen zweistufigen Dampfdehnung lag es nahe, nicht nur den
Kesselfrischdampf für die Hochdruckzylinder mäßig zu überhitzen, sondern auch den
Verbinderdampf vor seinem Eintritt in die Niederdruckzylinder durch einen
Zwischenüberhitzer zu leiten, um zur Vermeidung der Niederschlagsverluste seine
Temperatur zu erhöhen. Da die Hochdruckzylinder und deren Bewegungsorgane hohe
Ueberhitzungstemperaturen bei Verbundlokomotiven infolge der zeitweilig sehr großen
Füllungen sowie der hohen Spannung des ausströmenden Dampfes nicht genügend
betriebssicher vertragen, so bildet eine solche Unterteilung der Ueberhitzung
wesentliche Vorteile, verursacht aber eine größere Vielteiligkeit der
Ueberhitzer-Einrichtung. Ob eine bessere Wärmeausnutzung des Kessels bei dem hier
zur Verwendung gekommenen Ueberhitzer gegenüber dem Schmidtschen möglich ist, werden die inzwischen vorgenommenen
Versuchsfahrten ergeben.
Textabbildung Bd. 326, S. 244
Fig. 97.
Textabbildung Bd. 326, S. 244
Fig. 98.2C-Vierzylinder-Verbund-Schnellzuglokomotive der Französischen
Ostbahn.
Die Maschine hat im allgemeinen die in Frankreich übliche Bauart mit Verbundtriebwerk
de Glehn-du Bousquet; die äußeren Hochdruckzylinder
wirken auf die zweite, die inneren Niederdruckzylinder auf die erste Treibachse.
Ueber die Besonderheiten der Lokomotive ist im einzelnen folgendes zu sagen: Der Kessel ist von der Belpaire-Type mit flacher Decke und schräger Rückwand, die Kupferbuchse,
zwischen den Rahmen liegend, hat sehr große vordere Tiefe und einen stark geneigten
Rost, dessen vorderer Teil als Kipprost mit querliegenden Stäben ausgebildet ist.
Zur Verankerung der inneren mit der äußeren Feuerbuchse dienen Stehbolzen von 24
bezw. 26 mm , die unteren Reihen sind aus Kupfer, die oberen aus
Manganbronze, alle mit 6 mm Durchbohrung. Auch die Längs- und Queranker, ebenso die
Deckenanker sind auf 150 mm angebohrt.
Die Feuertüre (Fig. 99) mit rechteckiger Türöffnung
schlägt nach innen auf. Sie ist aus Gußeisen einteilig und wird leicht bewegt durch
Hebel mit Gegengewicht.
Der Dom, auf dem vordersten der drei ineinandergeschobenen Kesselschüsse
sitzend, enthält einen Wasserabscheider und erhält trockenen Dampf durch ein
kupfernes Sammelrohr. Der Regulator mit einfachem Flachschieber und durchgehender
Zugstange ist vor dem Dom angeordnet und leitet den
Kesselfrischdampf durch einen Gußkrümmer g (Fig. 101) nach der Rauchkammer in den Sammelkasten
des Stufenüberhitzers.
Textabbildung Bd. 326, S. 245
Fig. 99.
Textabbildung Bd. 326, S. 245
Fig. 100.
Textabbildung Bd. 326, S. 245
Fig. 101.
Ueberhitzer. Der der Ostbahn patentierte
„schraubenrörmige Stufenüberhitzer“ (Fig.
100 und 101) hat mit dem Schmidtschen Rauchröhrenüberhitzer große Aehnlichkeit
durch die Verwendung gleicher Rauchröhren von 125/133 mm . Dreireihig wie
jener, besteht er aus einem Hochdrucküberhitzer mit zehn Elementen (in den unteren
beiden Reihen) (s. Fig. 100) und einem
Niederdrucküberhitzer mit elf Elementen, welche die Hochdruckelemente umgeben. Diese
Anordnung ist sehr zweckmäßig gewählt, um für den Verbinderdampf etwas größeren
Durchgangsquerschnitt zu erhalten. In jedem Rauchrohr befindet sich anstelle der Schmidtschen ⋃-Röhren ein Serve-Rohr von 66 mm lichtem Durchmesser mit äußeren Rippen (Fig. 102). Das hintere Ende dieses Rippenrohres ist
durch einen angeschweißten, eiförmigen Krümmer geschlossen, der zur Zentrierung des
Rohres drei Ansalze trägt. In das Serve-Rohr
eingesteckt ist ein zweites, glattes Rohr von 42/47 mm , auf dessen
Oberfläche zur Zentrierung eine schraubenförmig verlaufende Rippe aufgeschweißt ist.
Beide Röhren sind vorn in der Rauchkammer zu einem Element vereinigt durch einen
Stahlgußstutzen (Fig. 103) mit zwei Kammern. Das
äußere Serve-Rohr ist eingeschraubt, das innere glatte
Rohr wird in die mittlere Scheidewand eingewalzt. Während die Rohrstutzen des
Niederdrucküberhitzers (nach Fig. 100 und 101) durch Flansch direkt an den Dampfsammelkasten
angeschraubt werden, sind die Hochdruckrohrstutzen durch kurze Flußeisenrohre
von 42/50 mm mit diesem verbunden.
Textabbildung Bd. 326, S. 245
Fig. 102.
Hoch- und Niederdruck-Dampfsammelkasten sind aus Stahlguß in einem Stück gegossen und
am Rauchkammermantel seitlich durch Konsole getragen. Der Kesselfrischdampf strömt
aus dem Regulator durch die Kammern a und c (Fig. 101) hindurch
nach dem inneren, an seinem hinteren Ende offenen Rohr, passiert dieses und kehrt
durch das äußere Serve-Rohr zurück in die vordere
Kammer des Rohrstutzens und nach den Heißdampfkammern b
und d des Hochdrucksammelkastens. Während das Serve-Rohr direkt geheizt wird durch die das Rauchrohr
durchziehenden Heizgase, wird das innere Rohr nur indirekt erwärmt durch die
Berührung seiner schraubenlinig verlaufenden Rippe mit dem inneren Rande des Serve-Rohres. Der Trall hat den Zweck, den
zurückkehrenden Dampf durch eine drehende Fortbewegung kräftig zu mischen, damit
eine gleichmäßige Temperatur desselben erzielt wird.
Textabbildung Bd. 326, S. 245
Fig. 103.
Ein erheblicher Nachteil der Dampfführung besteht darin, daß wie bei den Ueberhitzern
mit Field-Röhren von Cole
und Notkin der vom Sammelkasten durch das innerste Rohr
strömende Naßdampf den ihn umspülenden, in der entgegengesetzten Richtung strömenden
überhitzten Dampf im Serve-Rohr und namentlich beim
Austritt aus demselben immer wieder abkühlt. Der Heißdampf hat daher nach
Durchströmung der langen Einströmrohre bei der Ankunft im Hochdruckzylinder einen
Teil seiner ursprünglichen Temperatur schon wieder verloren, so daß die beabsichtigte bessere
Wärmeausnutzung des Kessels doch recht fraglich erscheint.
Der aus dem Hochdrucksammelkasten durch die daran angeflanschten Einströmrohre l geführte Heißdampf strömt nach seiner Arbeitsleistung
im Hochdruckzylinder durch den Verbinder n nach dem
Niederdrucküberhitzerkasten in die Kammern e (Fig. 101), wird hier in den
Niederdrucküberhitzerelementen nochmals überhitzt und strömt durch die Kammer l des Niederdrucksammelkastens und durch die mit ihm
verbundenen Niederdruckeinströmrohre s nach den
Niedruckzylindern. Zur Vermeidung von Abkühlverlusten ist zwischen dem
Hochdrucksammelkasten (Kammer d) und dem
Niederdrucksammelkasten (Kammer e) eine isolierende
Luftschicht angeordnet.
Der Ueberhitzer ist durch einen Blechkasten von der Rauchkammer abgeschlossen, die
Regulierung des Zuges bewirken drei durch einen linkssitzenden kleinen Automaten
bedienten Klappen aus Stahlguß, die sich bei geschlossenem Regulator durch ein
Gegengewicht selbsttätig schließen.
Das Blasrohr hat eine durch besonderen Zug vom
Führerstande aus bewegliche Düse aus Rotguß.
Textabbildung Bd. 326, S. 246
Fig. 104.
Die Zylinder haben die bekannte Verbundanordnung mit de Glehnscher Anfahrvorrichtung.D. p. J. 1906, Bd. 321, S. 196. Der
Kolbenhub mit 680 mm ist sehr lang, dagegen dürfte der Durchmesser der Zylinder für
die wirtschaftliche Ausnutzung des Heißdampfes etwas größer gewählt werden. Wie aus
Fig. 101 ersichtlich, haben Kolben und
Stopfbuchsen Aehnlichkeit mit den Schmidtschen
Ausführungen; die vorderen und hinteren Kolbenstangenstopfbuchsen sind, abgesehen
von ihrem verschiedenen Stangendurchmesser, in der Dichtung genau gleich; die
Kolbenstange wird hinten getragen vom Kreuzkopf und ist vorn durch eine lange
Rotgußbuchse geführt. Alle vier Zylinder haben Kolbenschieber mit federnden Ringen
nach Fig. 105, die Hochdruckschieber haben 250 mm
mit 27 mm (innerer) Einströmdeckung, die Niederdruckschieber 350 mm
mit 27 mm (innerer) Einström- und 3 mm (äußerer) Ausströmdeckung. Der maximale
Schieberweg beträgt 130 mm, die Exzentrizität 110 mm.
Für den Leerlauf ist am linken Hochdruckeinströmrohr ein Luftventil vorgesehen,
desgleichen eines am Verbinderkanal jedes Niederdruckzylinders (s. Fig. 101), außerdem hat jeder Zylinderdeckel zwei
Sicherheitsventile von 35 mm , welche bei 16 at (Hochdruck) bezw. bei 6½ at
(Niederdruck) abblasen. Für die Gegendampfbremse sind an den Ausströmkammern der
Zylinder Rohrleitungen angeschraubt; Dampf und Kühlwasser hierfür wird durch
zwei an der Rückwand angeordnete Hähne aus dem Kessel entnommen.
Zur Schmierung von Kolben und Schiebern dient ein Nathan-Lubrikator Nr. 0 von Friedmann, Wien,
an der Kesselrückwand angeordnet, sowie zur Reserve eine über dem linken
Hochdruckzylinder auf der Plattform sitzende Schmierpumpe von Bourdon, Paris. Beide Apparate haben nur je vier
Oelabgaben mit vollkommen voneinander unabhängigen Schmierleitungen, die zwar dicht
nebeneinander, aber getrennt das Oel der Einströmung
jedes Schieberkastens zuführen, wo es vom Dampf zerstäubt wird.
Textabbildung Bd. 326, S. 246
Fig. 105.
Die Steuerung ist außen und innen nach Heusinger-Walschaert mit gut proportionierten Stangen.
Die Umsteuerung links hat die bekannte Anordnung mit einem Handrad und zwei getrennt
übereinanderliegenden Steuerschrauben und Umsteuer-Zugstangen. Durch die Anordnung
von Zahn- und Sperrad mit Klinken können entweder beide Steuerungen zugleich
ausgelegt werden, oder nur die Hochdrucksteuerung allein.
Rahmen. Zur Unterbringung der beiden großen
Niederdruckzylinder sind die 27 mm starken Hauptrahmenplatten vor der
Niederdrucktreibachse geteilt und aufeinander genietet, so daß das Lichtmaß von 1246
mm hinten auf 1300 mm vorn vergrößert wird. Die Querverbindung zwischen den
Hochdruckzylindern ist aus Stahlguß kastenförmig, die übrigen sind aus Blech mit
Winkeleisen; über den Treibachsausschnitten sind kräftige Blechverstärkungen außen
am Rahmen aufgenietet.
Treib- und Kuppelachsen sind aus Martin-Stahl mit
Achsschenkeln 200 × 260 mm, die gekröpfte Niederdrucktreibachse hat im Mittelstück,
da die inneren Exzenter darauf aufgekeilt sind, einfachen, runden Querschnitt und
wiegt zusammen mit den Rädern 4285 kg. Infolge der Vierzylinderanordnung sind in den
Gegengewichten nur die rotierenden Massen ausgeglichen. Sowohl die Achsschenkel als
auch die Gleitflächen der aus Flußeisen eingesetzten Achsbuchsgehäuse werden
sorgfältig geschmiert durch oben an der Kesselbekleidung sitzende Schmiergefäße mit
Tüllen und Absperrhähnchen. Die unten montierten Tragfedern sind stark gebogen und
durch Ausgleichhebel verbunden.
Das Drehgestell (Fig.
106) mit innerem Plattenrahmen aus 27 mm Blech hat einen Seitenausschlag
von 55 mm mit Rückstellung durch Blattfedern. Ein Stahlgußdrehzapfen, an der unteren
Horizontalverbindung des Hauptrahmens angeschraubt, bewirkt die Zentrierung des
ganzen Gestelles in einer kräftigen Führung aus Stahlguß, während die etwa 20 t
betragende Last des vorderen Teiles der Maschine durch zwei seitliche Druckplatten
auf die Druckpfannen des Drehgestelles übertragen wird. An der hinteren Quertraverse
sind zur Begrenzung des Ausschlages zwei Winkel angenietet. Um die Achsschenkel zur
Verminderung des Flächendruckes möglichst lang machen zu können, sind die Naben der
Laufradsterne stark nach außen gedrückt. Hierdurch wird der Schenkel mit den beiden
Bunden zusammen über 300 mm lang, so daß der Druck nur 12 kg/qcm beträgt. Die übrige
Bauart des Drehgestelles ist aus der Figur klar ersichtlich.
Bremse. Kuppel- und Laufräder sind sämtlich
einseitig gebremst, jene durch zwei senkrechte 13 zöllige Bremszylinder, diese durch
zwei wagerechte Bremszylinder von 196 mm mit Doppelkolben durch die
selbsttätige Luftdruck-Schnellbremse, Bauart Westinghouse, Fives-Lille, deren Betriebsdruck von einer zweistufigen
Luftpumpe mit gerippten Luftzylindern erzeugt wird. Die Bremskraft beträgt etwa
dreiviertel des Dienstgewichtes der Lokomotive.
Das Führerhaus mit einfachem Blechdach hat ein hohes,
federndes Holzpodium, verstellbare Polstersitze für die Mannschaft und seitliche
Türen.
Sonderausrüstungen. Die Maschine ist ausgerüstet mit
zwei Friedmann Injektoren Nr. 9½, einem Hilfsregulator
für die Frischdampfleitung der Niederdruckzylinder, einer Gegendampf bremse und
einem Druckluft-Sandstreuer. Zum Messen der Temperaturen des Heißdampfes dienen zwei
Pyrometer von Fournier, Paris, das eine für den
Hochdruckdampf von 200–400°, das andere für den Niederdruckdampf von 70–250°, beide
im Führerhaus. Die Geschwindigkeit wird registriert durch einen Tachometer, System
Flaman, angetrieben von einem Bügel am Schaft der
linken hinteren Kuppelstange. Ferner sind zu nennen eine Rußausblase-Vorrichtung
mittels Dampf für die Ueberhitzerrohre und endlich noch eine Heizungseinrichtung,
kombiniert für Dampf und Preßluft nach System Lancrenon.
Bei einem Dienstgewicht von 79 t beträgt das abgefederte Lokomotivgewicht 61,21 t,
die toten Lasten (Radsätze, Achslager, Tragfedern und Stangenköpfe) betragen
zusammen 17790 kg.
Der zugehörige, nicht mitausgestellte Tender ist dreiachsig und hat bei 22,3 cbm
Wasser- und 8 t Kohlenfassung ein Dienstgewicht von 50,5 t. Der Wasserkasten hat
Hufeisenform mit stark geneigter Vorderwand.
Textabbildung Bd. 326, S. 247
Fig. 106.
Form, Anstrich. Die Grundform der Lokomotive ist sehr
gut durchkonstruiert, doch wurde das Gesamtbild unruhig beeinflußt durch die vielen
Blechverkleidungskasten, Rohre und Züge. Die Ausführung der Einzelteile war durchweg
sehr gut und sauber. Die ganze Maschine hatte schwarz lackierten Anstrich mit
Messingbändern, sowie blanke Triebwerksteile, Bandagen und Buffer.
(Fortsetzung folgt.)