Titel: | Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. |
Autor: | A. Bucher |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 257 |
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Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in
Brüssel 1910.
Von Ingenieur A. Bucher, Tegel
bei Berlin.
Lokomotiven.
(Fortsetzung von S. 247 d. Bd.)
Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel
1910.
2 C 1-Pacific-Schnellzuglokomotiven.
Seit einigen Jahren haben verschiedene europäische Hauptbahnen, insbesondere solche,
deren Oberbau einen Achsdruck von 16–18 t zuläßt, für die Beförderung ihrer
schwersten Schnellzüge auf Strecken mit wechselnden Neigungsverhältnissen ihren
Lokomotivpark um eine neue Type vermehrt durch die Beschaffung von schweren 2C1 oder
amerikanisch-Pacificlokomotiven. Während die bisherigen
2C-Naßdampf-Schnellzuglokomotiven auf Steigungen von 10 v. T. mit 60 km/Std. Züge
bis höchstens 300 t zu befördern imstande waren, und die 2B1- oder Atlantic-Type
infolge ihres geringen Reibungsgewichtes überhaupt nur für Flachlandstrecken in
Frage kommt, beträgt die Zugbelastung für die neue Bauart mit der gleichen
Geschwindigkeit von 60 km/Std. auf 10 v. T. Steigung etwa 400 t.
Die größte Anzahl dieser 2C1-Type, deren Grundform in Amerika im Jahre 1902 zum
ersten Male bei der Missouri-Pacific-Bahn zur
Ausführung kam, besitzt gegenwärtig die Paris-Orleans-Bahn mit 150 Stück in zwei Serien mit 1940 bezw. 1850 mm
Treibrädern. Die erste Lieferung erfolgte 1907 von der Elsassischen Maschinenbau-Gesellschaft in Belfort mit der bekannten
Triebwerksanordnung de Glehn-du Bousquet. Gleichzeitig
kamen auch für die Großherzoglich Badische Staatsbahn zwei Maschinen als erste
deutsche Pacificlokomotiven von J. A. Maffei in München
zur Ablieferung, welche sich von den französischen unterschieden durch die
Triebwerksanordnung v. Borris-Courtin und den
Barrenrahmen. Seither hat diese neue Type auch bei anderen Hauptbahnen
verhältnismäßig rasch Eingang gefunden, insbesondere in Bayern, Elsaß und
Württemberg, ferner in Frankreich bei der verstaatlichten Westbahn und der Midibahn,
sowie neuerdings auch in Belgien. Dieser Verbreitung entsprach denn auch die Anzahl
von 7 Stück solcher 2C1-Lokomotiven auf der Ausstellung in Brüssel.
16. 2C1-Vierzylinder-Verbund-Heißdampf-Schnellzuglokomotive der Französischen
Südbahn, Betriebs-Nr. 3051, gebaut von der Elsässischen
Maschinenbau-Gesellschaft in Belfort, Fabrik-Nr. 6143, 1910. (Fig. 107 und 108.)
Die Verwaltung der Midibahn hat 1908–10 nach dem Vorgehen der Paris-Orleansbahn von
der Baufirma 20 Stück 2C1-Lokomotiven beschafft, 16 Stück davon als
Verbund-Naßdampflokomotiven mit 370 mm der Hochdruckzylinder, und 4 Stück
als Verbund-Heißdampflokomotiven mit Schmidtschem
Rauchröhrenüberhitzer und Hochdruckzylindern von 400 mm . Das
Zylinderraumverhältnis der Naßdampflokomotiven war
\left(\frac{620}{370}\right)^2=2,84, dasjenige der
Heißdampfmaschine infolge der Vergrößerung der Hochdruckzylinder nur
\left(\frac{620}{400}\right)^2=2,4.
Der Kessel der Heißdampflokomotive enthält einen dreireihigen Ueberhitzer mit 24
Rauchröhren 125/133 mm und 4 × 24 = 96 Ueberhitzerröhren 29/36 mm ,
sowie 145 Stück Siederohre 52/57 mm von 6 m Länge. Zur Unterbringung einer
Rostfläche von 4 qm hat die Belpaire-Feuerbuchse eine
neue Form erhalten. Hinten sehr breit über den Rahmen hinausragend (Fig. 108 u. 108a), ist sie vorn der Kuppelachse wegen zwischen
den Rahmen stark eingezogen und reichlich tief. Der Rundkessel besteht aus drei
Schüssen, von denen der vorderste, um auf einfachste Weise einen großen
Rauchkammerdurchmesser zu erhalten, den größten Durchmesser aufweist. An der
Rauchkammertür ist der sonst übliche Verschluß durch Traverse mit Spindel und
Handrad weggelassen, da die vorhandenen Vorreiber die Tür genügend dicht schließen,
auch sind die beiden Scharnierbänder nicht an der stark gewölbten Tür, sondern,
diese durchdringend, am inneren, geraden Schutzblech angenietet.
Die äußeren Hochdruckzylinder, auf die mittlere Treibachse wirkend, haben Schmidtsche Kolben und Stopfbuchsen, sowie
Kolbenschieber von 240 mm mit innerer Einströmung und federnden Ringen; die
inneren Niederdruckzylinder haben Bronze-Flachschieber, gewöhnliche Kolben und
Stopfbuchsen und wirken auf die erste Treibachse, die in Z-Form aus Spezial-Kanonenstahl mit 55–65 kg/qmm Festigkeit und 18–22 v.
H. Dehnung hergestellt ist.
Der Hauptrahmen aus 30 mm Platten ist infolge der starken Verbreiterung des
Hinterteiles der Feuerbuchse zweiteilig ausgeführt und vorn zur Aufnahme des großen
Niederdruck-Zylinderpaares um je 65 mm nach außen gekröpft.
Das Drehgestell mit Innenrahmen und wagerecht angeordneten Rückstellfedern hat 45 mm
Seitenspiel, die hintere Laufachse mit senkrechten Spiralfedern hat ebenfalls 45 mm
Spiel nach jeder Seite.
Die Maschine ist ausgerüstet mit der selbsthätigen Westinghouse-Schnellbremse, welche mit sechs Klötzen einseitig auf die
Kuppelräder wirkt und mit vier Klötzen durch besondere Bremszylinder auf die
Drehgestellräder.
Von den übrigen Sonderausrüstungen sind noch zu erwähnen: Ein Preßluft-Sandstreuer
Gresham für die vordere Treibachse und ein
Handsandstreuer für die mittlere Treibachse, zwei Friedmann-Injektoren SZ Nr. 11 mit 275 l minutl. Leistung, ein
Geschwindigkeitsmesser von HaushälterS. D. p. J. 1908, Bd. 323, S. 315.,
sowie zwei Galena-Sichtöler mit vier resp. drei
Oelabgaben.
Ausführung und Formgebung dieser Maschine waren äußerst sorgfältig, der Anstrich war
schwarz.
17. 2C1-Vierzylinder-Verbund-Heißdampf-Schnellzuglokomotive, Gattung
S\,\frac{3}{6} der Kgl. Bayerischen Staatsbahn, Betriebs-Nr.
3602, gebaut von J. A. Muffel in München, Fabrik-Nr.
3142, 1910. (Fig. 109 und 110.)
Diese in der deutschen Eisenbahnhalle durch ihre gewaltigen Abmessungen und ihre
interessante Konstruktion besonders hervortretende Maschine wird von der Baufirma
Maffei seit 1907 ausgeführt, zuerst für die
Großherzoglich Badische Staatsbahn nach den Angaben von Oberbaurat Courtin und seit 1908 für die Bayerische Staatsbahn,
welch letztere beim Bau ihrer sämtlichen neueren Schnellzuglokomotiven
ausschließlich den Barrenrahmen verwendet.
Textabbildung Bd. 326, S. 258
2C1-Vierzylinder-Verbund-Schnellzuglokomotive der Französischen
Südbahn.
Der Kessel hat eine breite, über den Rahmen weit
hinausragende Feuerbuchse (Fig. 111) mit stark nach
vorn geneigter Vorder- und Rückwand. Der große Durchmesser des Rundkessels von
1700 mm ermöglichte die bequeme Unterbringung einer großen Anzahl Heizrohre, so daß
die Rohrlänge nicht allzu groß bemessen zu werden brauchte, hingegen aber eine sehr
lange Rauchkammer ergibt. Es sind untergebracht: 25 Rauchrohre von 129/137 mm
, 175 Siederohre mit 51,5/56 mm und 5 Ankerrohre von 42/56 mm
. Zur Beschickung des breiten Rostes sind in der Kesselrückwand zwei
Feuertüren angeordnet, die beide nach rechts geöffnet werden. Der Aschkasten, durch
welchen die Rahmen hindurchgehen, hält zur ausgiebigen Luftzufuhr die ganze Breite
des Rostes ohne jede Einschnürung bis zum Boden bei.
Alle vier Zylinder liegen nach Fig. 112 in einer
Ebene nebeneinander, die beiden Hochdruckzylinder mit ihren Schieberkammern, dem
Rauchkammersattel und den Stützflächen zum Auflagern auf dem Drehgestell sind in
einem Stück gegossen. Um mit den inneren Treibstangen über die erste Kuppelachse
hinwegzukommen, mußten die Hochdruckzylinder sehr hoch gelagert und stark geneigt
werden, wobei die Neigung nicht durch die Treibachsmitte geht, sondern durch einen
um 100 mm darüberliegenden Punkt. Die Hochdruckkolbenschieber haben innere, die
Niederdruckkolbenschieber äußere Einströmung und federnde Ringe. Zum leichten
Anfahren in jeder Kurbelstellung dient ein bei 68 v. H. selbsttätig öffnender Anfahrhahn, der
Frischdampf bis zu 9 at in die Niederdruckzylinder leitet.
Textabbildung Bd. 326, S. 259
Fig. 109.
Textabbildung Bd. 326, S. 259
Fig. 110. 2C1-Vierzylinder-Verbund-Schnellzuglokomotive der Bayer.
Staatsbahn
Die Bewegung der inneren Hochdruckschieber wird durch Uebertragungswellen von der
außenliegenden Heusinger-Steuerung abgeleitet. Durch
die breite Feuerbuchse wurde das Führerhaus derart ausgefüllt, daß die Spindel der
Umsteuerung wegen Platzmangel nach vorn an den Umsteuerhebel gelegt werden
mußte.
Textabbildung Bd. 326, S. 259
Fig. 108a.
Rahmen. Zur besseren Uebersichtlichkeit und
Zugänglichkeit des inneren Triebwerkes hat diese Maschine einen dreiteiligen
geschmiedeten Barrenrahmen von 100 mm Breite. Trotz der vielen gegenteiligen
Meinungen namhafter Eisenbahn-Ingenieure hat es die Firma Maffei in München unternommen, ihre Werkstätten für den Bau von
Barrenrahmen einzurichten, und die große Zahl der in den letzten Jahren damit
ausgeführten Maschinen beweist, daß dieser Rahmen namentlich beim
Vierzylindertriebwerk immer mehr Eingang auch bei europäischen Bahnverwaltungen
findet.
Die Treibachse aus Nickelstahl hat rechteckigen Kropfarm. Die untenliegenden
Tragfedern sind mit der vorderen Kuppelachse durch Ausgleichhebel verbunden, die
hintere Kuppelachse mit der Laufachse durch Winkelhebel und Verbindungsstange. Trotz
des großen Gesamtradstandes von 11365 mm ist eine betriebssichere
Kurvenbeweglichkeit und zwangloses Durchfahren der Weichen gewährleistet, indem das
Drehgestell je 70 mm Seitenspiel, die hintere Adam-Achse 60 mm Spiel nach jeder Seite hat und der Spurkranz der
mittleren Treibachse außerdem schwächer gedreht ist.
Textabbildung Bd. 326, S. 259
Fig. 111.
Textabbildung Bd. 326, S. 259
Fig. 112.
Bremse. Die Westinghouse-Schnellbremse wirkt auf sämtliche Räder mit drei getrennten
Bremsanordnungen: Die Hinterachsbremse mit einem zehnzölligen Bremszylinder ist
derart durch Pendelaufhängung und Deichselführung beweglich mit der Laufachse
verbunden, daß die Bremsklötze jederzeit sicher anklappen. Die von hinten einseitig
gebremsten Kuppelräder haben einen 15'' Bremszylinder
und das Drehgestell 2 Stück 10'' Zylinder, wodurch im
ganzen 60 v. H. des Dienstgewichtes der Maschine abgebremst werden.
Das Führerhaus mit schräger Vorderwand hat federnden Holzbelag; die über den
Rädern sehr hochliegende Plattform ist am Kessel befestigt.
Sonderausrüstungen. Die Maschine ist ausgerüstet mit
zwei Friedmann-Injektoren, einem verbesserten Brüggemannschen Preßluftsandstreuer, einem
Geschwindigkeitsmesser, Bauart Haushälter, zwei
Schmierpumpen von Friedmann und einer
Dampfheizungs-Einrichtung.
Der Tender faßt 26 cbm Wasser und 7,5 t Kohlen. Er läuft
auf zwei Drehgestellen und hat bei 20,5 t Leergewicht ein Dienstgewicht von 54
t.
Textabbildung Bd. 326, S. 260
Fig. 113.
Form, Anstrich. Sowohl der Tender als auch namentlich
die Maschine wiesen bezüglich der äußeren Form trotz der gewaltigen Dimensionen eine
gewisse Eleganz auf. Die Gliederung und der Gesamtaufbau der Einzelteile, sowie der
Uebergang der größeren Körperformen bot einschönes, architektonisches Gesamtbild.
Der Anstrich war graugrün, matt, mit blanken Messingbändern, blankem Triebwerk,
Buffer, Gurtwinkel usw. Auch der Barrenrahmen war außen blank.
Textabbildung Bd. 326, S. 260
Fig. 114.
Leistungen. Diese Maschine eignet sich für die in Bayern
vielfach vorkommenden Strecken mit langen Steigungen von 10 v. T. sehr gut. Bis
jetzt sind 16 Stück zur Ablieferung an die Bayerische Staatsbahn gekommen, und auch
die Badische Staatsbahn besitzt bereits 15 Stück dieser Type, die zum großen Teil
von der Maschinenbau-Gesellschaft Karlsruhe nachgebaut
worden sind. Bei den in Bayern vorgenommenen Probefahrten beförderte eine Lokomotive
den vorgeschriebenen Wagenzug von 400 t ohne Ueberanstrengung mit 120 km/Std. in der
Ebene, mit 90 km auf 5 v. T. Steigung und mit 60 km/Std. auf 10 v. T.
Steigung.
18. 2C1-Vierzylinder-Verbund-Heißdampf-Schnellzuglokomotive der Paris-Orleans-Bahn,
Betriebs-Nr. 4600, gebaut 1909 von der Société francaise de
Constructions mécanique (anciens Etablissements
Cail) in Denain, Fabrik- Nr. 3122. (Fig.
113 und 114.)
Diese Lokomotive entspricht, abgesehen von einigen besonderen Normalien, fast
vollkommen der unter Nr. 16 beschriebenen Pacificmaschine der Midibahn. Als
Naßdampflokomotive Serie 4501–70 zuerst entworfen und 1907 gebaut von der Belforter
Fabrik, wurde die letzte Serie von Cail in Denain
gebaut und zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit mit Schmidtschem Rauchröhrenüberhitzer ausgerüstet. Bei 5,9 m Länge zwischen
den Rohrwänden enthält der Kessel 145 glatte Siederohre 50/65 mm und 211 qm
Gesamtverdampfungsheizflache, sowie 3 × 8 = 24 Rauchrohre mit 63,5 qm
Ueberhitzerfläche.
Zur Erzeugung der Druckluft für die Westinghouse-Schnellbremse dient eine zweistufige Luftpumpe mit gerippten
Luftzylindern auf rechter Maschinenseite.
Ausführung und Formgebung dieser Maschine sind ebenfalls gut zu nennen, wenn auch die
ursprüngliche, sehr gewählte Belforter Form etwas abgeändert war; der Anstrich war
schwarz, lackiert, mit blankem Triebwerk und schwarzgrau gestrichenen Bandagen.
(Fortsetzung folgt.)