Titel: | Die Grenzschicht an einem in den gleichförmigen Flüssigkeitsstrom eingetauchten geraden Kreiszylinder. |
Autor: | K. Hiemenz |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 372 |
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Die Grenzschicht an einem in den gleichförmigen
Flüssigkeitsstrom eingetauchten geraden Kreiszylinder.
Von K. Hiemenz
(Fortsetzung von S. 362 d. Bd.)
Die Grenzschicht an einem in den gleichförmigen Flüssigkeitsstrom
eingetauchten geraden Kreiszylinder.
3. Messungen der Druckverteilung
längs der Zylinderwand.
Der Meßzylinder stand, wie bereits erwähnt, bei den Versuchen in der Kanalmitte,
seine Achse 300 mm vom Ende der Rinne entfernt. Vorversuche hatten ergeben, daß am
Ende der Rinne die günstigste Stelle für den Zylinder ist. Wie nämlich die
Beobachtung zeigt, ist der Wirbelschweif, der sich hinter einem in die Strömung
eingetauchten Hindernis bildet, ein durchaus unstabiles Gebilde. An der Grenze des
Schweifes lösen sich Wirbel los, die in dem Maße, als sie vom Körper fortrücken,
nach den Seiten abwandern und durch Rückwirkung infolge der nahen Wände ein
unregelmäßiges Pendeln des ganzen Schweifes herbeiführen. Es zeigte sich nun, daß
dieses Pendeln am
geringsten wurde, wenn der Zylinder am Ende der Rinne aufgestellt war, wo die
Abwanderung frei erfolgen kann. Um den Strom beim Verlassen der Rinne etwas
zusammenzuhalten, wurde auf der linken Seite der Rinne ein Blech senkrecht
eingestellt, das bis auf den Boden des Troges reichte.
Für die Messungen der Druckverteilung längs der Zylinderwand war ein für die
Versuchsdauer konstant bleibender Vergleichsdruck nötig. Zur Herstellung eines
solchen Vergleichsdrucks wurde an der rechtsseitigen Wand der Versuchsrinne, 190 mm
vom Ende der Rinne entfernt und etwa 30 mm unter dem Wasserspiegel, eine Bohrung von
ungefähr 2 mm Weite angebracht und von da an der Außenseite der Rinne ein
Messingröhrchen von entsprechender Weite hochgeführt.
Gemessen wurde in der Regel bei der mittleren Motorgeschwindigkeit (Geschwindigkeit
3), also einer Wassergeschwindigkeit von 19 cm/Sek.
Für die Wahl dieser mittleren Geschwindigkeit war maßgebend, daß sich dabei bei
einer Meßrohrneigung von 20,0 Ausschläge ergaben, die innerhalb des Meßbereichs
liegen, und daß auch bei dieser geringen Geschwindigkeit der Aufstau des
Wasserspiegels vor dem Zylinder unbedeutend blieb. Es sollten dadurch die Fehler in
den Messungen, die durch die Vertikalkomponente der Strömung veranlaßt werden,
möglichst gering gemacht werden. Aus dem gleichen Grunde wurden die oberen Bohrungen
des Zylinders nicht zu Messungen benutzt, da die Vertikalkomponente der
Geschwindigkeit mit der Entfernung vom Wasserspiegel rasch abnimmt, so daß sie in
mittleren Höhen schon sehr gering ist.
Bei den Versuchen wurde so verfahren, daß der Motor angestellt wurde und in der Regel
mindestens eine halbe Stunde vor dem Beginn der Messungen sich einlief. Während der
Messungen wurde von Zeit zu Zeit die Spannung kontrolliert und mitunter auch die
Tourenzahl des Motors bestimmt. Nachdem der Motor sich eingelaufen hatte, begannen
die Messungen. Zuerst wurden das Vergleichsrohr und ein Bohrloch des Zylinders
mittels dünner Gummischläuche mit den beiden Stutzen des Mikromanometers verbunden,
das Instrument und alle Schläuche aus dem hochgestellten Wassergefäß gefüllt, und
dann der Meniskus so eingestellt, daß er in der Ruhelage etwa in der Mitte der
Meßröhre bei 100 mm stand. Nun wurde der Zylinder so lange gedreht, bis das mit dem
Druckanzeiger verbundene Zylinderloch im Scheitelpunkt der Strömung stand, was sich
nach Augenmaß genau genug ausführen ließ. Kleine Unruhe in der Einstellung des
Meniskus, die namentlich bei den Messungen im Schwanz auftrat, wurde durch Anbringen
von Quetschhähnchen in die Zuleitung gegebenenfalls abgedämpft. Um die Verschiebung
des Nullpunktes, die durch die Ausdehnung der Luft bei Temperaturschwankungen
bedingt wird, unschädlich zu machen, mußte man entweder bei jeder Messung den
Nullpunkt neu bestimmen oder die Ausschläge nach beiden Seiten messen. Die letzte
Methode hat den Vorteil, daß sie eine größere Sicherheit gegenüber den durch
Verschiedenheit der Kapillarkräfte entlang der Meßröhre entstehenden Fehlern
gewährt. Deshalb wurden die Ausschläge nach beiden Seiten gemessen und zur Kontrolle
jeweils nach einer Anzahl Messungen der Nullpunkt bestimmt. Bei richtigem Arbeiten
des Manometers muß er merklich in der Mitte der Ausschläge liegen (S. 359). Da eine
Kontrolle und ein genaues Konstanthalten der Wassergeschwindigkeit nicht möglich
war, wurde der Zylinder bei den Messungen nicht stets in dem gleichen Sinne
weitergedreht, sondern drei Beobachtungen auf der einen Seite gemacht, dann der
Zylinder zurückgedreht und an drei, zu den ersten symmetrischen Beobachtungsstellen,
der Druck gemessen. Hätte man immer in der gleichen Richtung weiter gedreht, so
würde eine Aenderung der Wassergeschwindigkeit während der Versuchsdauer eine
größere Asymmetrie zwischen der Druckkurve der rechten und linken Zylinderseite
hervorgerufen haben. Inwieweit eine solche Aenderung in der Geschwindigkeit der
Strömung während der Versuchsdauer eingetreten war, konnte so festgestellt werden,
daß nach Beendigung der Messungen der Zylinder in seine ursprüngliche Lage
zurückgedreht, der Meniskusausschlag gemessen und mit dem zu Beginn erhaltenen
verglichen wurde. Es mögen nun die Tab. 9 und 10 über die beobachtete
Druckverteilung und entsprechende Zeichnungen angefügt werden. An geeigneter Stelle
werden immer einige Erläuterungen einge schoben werden. In den Tabellen sind die
beobachteten Meniskuseinstellungen l1 und l2, in den Figuren die Summe der Ausschläge l1
– l2 = a + a' verzeichnet. Als
Abszissen sind die Drehwinkel vom Scheitel der Strömung aus gerechnet gewählt. Die
Winkel 0–180° entsprechen dabei der rechten Zylinderseite (rechts im Sinne eines in
der Stromrichtung blickenden Beschauers).
Textabbildung Bd. 326, S. 373
Fig. 20.Druckverteilung. Die Kurven 1', 2, 2' sind um 10, bezw. 20 und 30
Einheiten versetzt.
Textabbildung Bd. 326, S. 373
Fig. 21.Druckverteilung zwischen 60 und 80°.
Während von 0–80° bezw. von 280–360° die Einstellungen dies Meniskus ruhig erfolgen,
zeigen sich von da an Schwankungen der Einstellung des Meniskus von 2–4 mm an der
Skala. Die in den Tabellen verzeichneten Werte geben die Ruhelage, um die nach
Schätzung die Schwankungen erfolgten. Diese Schwankungen sind wegen der Unruhe des
Wirbelschwanzes nicht verwunderlich. Aus der gleichen Ursache ist es zu erklären,
daß die Werte des Druckes innerhalb des toten Raumes in der Schaulinie kein glattes
Kurvenbild ergeben. Die kleine Unsymmetrie zwischen rechts und links von 0–80° bezw.
280–360° rührt offenbar von einer unscharfen Einstellung des Scheitelpunktes der
Strömung her. Die von 80° an beginnende Verschiedenheit dagegen hat ihre Ursache in
Ungleichheiten der Strömung rechts und links. Wahrscheinlich macht sich links der
Einfluß der Pumpe stärker bemerkbar als rechts. Demgemäß würde der rechtsseitige
Teil der Kurve als der zuverlässigere zu betrachten sein (Fig. 20).
Von dieser zweiten Reihe gelten die gleichen Bemerkungen wie zur vorigen. Die
Differenz in der Klemmenspannung
Tabelle 9. Messung der Druckverteilung vom 10. Juli 1908.
Meßloch I3;
Motorgeschwindigkeit 3. Motor läuft seit 8,55 Uhr. Beginn der Versuche 9,30 Uhr;
Schluß 12,55 Ulm Meßrohrneigung 20,0. Spannung zu Beginn 69,9 V; zum Schluß 68,9 V.
Fig. 20,1 und 20,1'.
Textabbildung Bd. 326, S. 374
Zahl; Hahnindex; Meniskus;
Nullpunkt.
des Motors zu Beginn und zu Ende der Versuche, ebenso der
Unterschied zwischen dem Resultat der Kontrollmessung und der ersten Messung sind
geringer als bei der vorigen Beobachtungsreihe. Aus diesem Grunde wurde den weiter
unten mitgeteilten Berechnungen die rechtsseitige Druckkurve, wie sie die Versuche
vom 13. Juli ergaben, zugrunde gelegt.
Um die Stelle des Minimums des Druckes genauer zu bestimmen, wurden am 3. Juli und am
27. Juli in der Nähe des Minimums auf der rechten Zylinderseite Druckmessungen von 2
zu 2° vorgenommen, und zwar beim ersten Male am Meßloch II3, beim zweiten Male an dem auf 1,5 mm
verengten Meßloch I3.
Das Resultat dieser Messungen ist auf Fig. 21
wiedergegeben.
Je eine Aufnahme der Druckverteilung wurde bei Geschwindigkeit 4 und 5 gemacht; im
einzelnen sind ihre Ergebnisse aus den Tab. 11 und 12 zu entnehmen.
Die Kurven zeigen, wie es den Aehnlichkeitsbetrachtungen (S. 323) entspricht, die
gleichen gestaltlichen Verhältnisse wie die für Geschwindigkeit 3 gefundenen. Der
Unterschied in der Druckverteilung zwischen der rechten und linken
Zylinderhälfte bleibt bestehen. Genauer sollten sich nach den früheren
Aehnlichkeitsbetrachtungen bei Geschwindigkeitssteigerung die Differenzen zwischen
zwei bestimmten Punkten des Zylinderumfangs verhalten wie die Quadrate der
Geschwindigkeiten. Bei Motorgeschwindigkeit 3 betrug nun die Wassergeschwindigkeit
durchschnittlich 19,2 cm/Sek, bei Motorgeschwindigkeit 4 23,2 cm/Sek. Die
Druckdifferenz zwischen 0 und 70° betrug im ersten Falle 204 mm der Ableseskala, im
zweiten 290 mm. Für das Verhältnis
\left(\frac{23,2}{19,2}\right)^2 findet man 1,46, und daraus
würde sich eine Druckdifferenz 204 • 1,46 = 298 mm für Motorgeschwindigkeit 4
berechnen. Berechnetes und beobachtetes Resultat stimmen innerhalb der Fehlergrenze
gut miteinander überein. Denn einmal ist nicht bekannt, ob die Konstante des
Pitotrohrs für verschiedene Geschwindigkeit die gleiche bleibt, und weiter sind wohl
bei gleicher Motorgeschwindigkeit Unterschiede 1 bis 2 v. H. in der Geschwindigkeit
des Wassers für zeitlich auseinanderliegende Versuche möglich.
Tabelle 10. Messung der Druckverteilung vom 13. Juli 1908.
Meßloch I4;
Motorgeschwindigkeit 3. Motor läuft seit 9,40 Uhr. Beginn der Versuche 10,30 Uhr;
Schluß 12,16 Uhr. Meßrohrneigung 20,0. Spannung zu Beginn 69,9 V, zum Schluß 69,8 V.
Fig. 20,2 und 20,2'.
Textabbildung Bd. 326, S. 375
Zahl; Hahnindex; Meniskus;
Nullpunkt.
4. Ermittlung der Ablösungsstelle und
der gestaltlichen Verhältnisse des toten Raumes.
Versuche, bei denen die Stromfäden gefärbt wurden, sollten Aufschluß geben über die
gestaltlichen Verhältnisse des toten Raumes und eine experimentelle Bestimmung der
Ablösungsstelle möglich machen. Als Färbmittel diente eine stark konzentrierte
Lösung von Kaliumpermanganat in Wasser. Die Farbflüssigkeit wurde aus einem wenig
höher als der Wasserspiegel des Versuchsgerinnes aufgestellten Gefäß nach einem
Anschlußrohrstück des Zylinders und von da durch eines der Meßlöcher nach außen
geleitet. Ein Quetschhahn diente dazu, die ausfließende Menge der Flüssigkeit so zu
regeln, daß sie ohne merkliche Geschwindigkeit austrat. Die Versuche, die auf diese
Weise angestellt wurden, gelangen sehr gut und sind außerordentlich instruktiv.
Stellte man die Austrittsöffnung so ein (bei stationärer Strömung), daß sie vor die
Ablösungsstelle zu liegen kam, so legte sich der Farbfaden zunächst dicht an den
Zylinder an, sank höchstens entlang dem Zylinder um ein weniges wegen seiner
größeren Dichte und bog dann an der Ablösungsstelle von der Wand ab. Ein kurzes
Stück verlief er noch einheitlich, zerfaserte dann und löste sich schließlich
auf. Stellte man dagegen die Oeffnung auf die Mitte des vom Wirbelschwanz berührten
Teiles der Zylinderwand ein, so sank die Farbe in schwach pendelnder Bewegung
langsam zu Boden, ein Zeichen, daß an dieser Stelle die Geschwindigkeit sehr klein
ist. Läßt man die Bewegung aus der Ruhe heraus beginnen, so kann man die Ausbildung
des Schwanzes an der Bewegung des Farbfadens sehr gut verfolgen.
Um die Ablösungsstelle zu bestimmen, wurde nach dem Einlaufen des Motors zunächst die
Austrittsöffnung der Farbflüssigkeit so gestellt, daß der Farbfaden sich teilte.
Damit war die Lage des Scheitels bekannt Dann wurde die Austrittsöffnung so lange
weitergedreht, bis der Farbstrahl aufhörte an der Wand anzuliegen, also die
Austrittsöffnung mit der Ablösungsstelle zusammenfiel. Das Verfahren macht eine
ziemlich feine Bestimmung möglich. Um größere Genauigkeit zu erzielen, wurde nicht
nur mit einem Meßloch normaler Weite, sondern auch mit einem verengten Meßloch
gemessen. Hier seien nur die Ergebnisse der letzten Messung angegeben (Tab. 13).
Insgesamt zeigen die Versuche, daß innerhalb der erreichbaren Genauigkeit die
Ablösungsstelle auf der gleichen Erzeugenden bleibt. Daß die Ablösung links früher
wie rechts eintrat, war nach der S. 323 gegebenen
Tabelle 11.
Messung der Druckverteilung vom 23. Juli 1908.
Motorgeschwindigkeit 4. Meßrohrneigung 20,0.
° Zahl
α + α'
° Zahl
α + α''
0
143
10
134,5
350
134,5
20
102,5
340
100,5
30
51
330
50
40
– 14,5
320
– 15
50
– 75,5
310
– 76,5
60
– 127,5
300
– 126
70
– 146,5
290
– 147,5
80
– 129
280
– 129
90
– 119
270
– 117
100
– 118,5
260
– 116
110
250
120
– 118,5
240
– 116,5
130
230
140
– 119
220
117
150
210
160
– 120
200
– 115
170
190
180
– 117
0° Kontrolle
146
Erklärung der Ablösung zu erwarten, da der Druck auf der
linken Zylinderweite nach Erreichung des Minimums rascher ansteigt als auf der
rechten.
Tabelle 13.
Geschwin-digkeit
Meßloch
Scheitel
Ablösung
Δ
3
I3
143°
rechts 225°links 62,5°
82°80,5°
I3
143°
rechts 225°links 62°
82°81°
4
I3
142°
rechts 224°links 61°
82°81°
I3
142°
rechts 224°
82°
Fig. 22 gibt ein Bild des Verhaltens des Farbfadens.
Das Bild wurde bei einer Blendenöffnung f/30 mit einer Belichtungsdauer von 180
Sekunden aufgenommen und entspricht der Geschwindigkeit 3. Die Schärfe des Bildes
beweist, wie ruhig die Ablösungsstelle auf derselben Erzeugenden bleibt. In der
gleichen Weise wurden bei anderen Motorgeschwindigkeiten Aufnahmen des Farbfadens
gemacht. Ein Vergleich dieser verschiedenen Aufnahmen ergibt, daß die Stelle der
Ablösung und die Gestalt des toten Raumes, soweit sie sich auf den Bildern
verfolgen
Tabelle 12.
Messung der Druckverteilung vom 24. Juli 1908.
Motorgeschwindigkeit 5. Meßrohrneigung 30,0.
° Zahl
α + α'
° Zahl
α + α''
0
121,5
10
114
350
114
20
85
340
85,5
30
42
330
41
40
– 15
320
– 9,5
50
– 68
310
– 65,5
60
– 109,5
300
– 109
70
– 128
290
– 129
80
– 111,5
280
– 110
90
– 101,5
270
– 102
100
– 101
260
– 101
110
250
120
240
130
230
140
– 103
220
– 101
150
210
160
200
170
190
180
– 102
0° Kontrolle
123
läßt, die gleichen bleiben für die verschiedenen
Geschwindigkeiten. Man sieht weiter, daß der Winkel, der die abgelöste Strömung mit
der Zylinderwand an der Ablösungsstelle bildet, klein ist; denn es läßt sich auf den
Abbildungen kein sehr deutlicher Knick des Farbfadens an der Ablösungsstelle
wahrnehmen. Dem entspricht die Tatsache, daß sich der Ablösungswinkel aus den
Rechnungen zu etwa 5° findet.
Textabbildung Bd. 326, S. 376
Fig. 22.Ablösung bei Geschwindigkeit 2.
(Fortsetzung folgt.)