Titel: | UNTERSUCHUNG EINER HEUSINGER-STEUERUNG MIT SYMMETRISCHER DAMPFVERTEILUNG. |
Autor: | L. Schneider |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 449 |
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UNTERSUCHUNG EINER HEUSINGER-STEUERUNG MIT
SYMMETRISCHER DAMPFVERTEILUNG.
Von Dr.-Ing. L. Schneider, München.
SCHNEIDER: Untersuchung einer Heusinger-Steuerung mit symmetrischer
Dampfverteilung.
Inhaltsübersicht.
An Stelle des bisher ausschließlich üblichen empirischen
Probierverfahrens zur Ausmittelung von Umsteuerungen mit symmetrischer
Dampfverteilung wird ein Verfahren auf kinematischer Grundlage entwickelt. Dasselbe
beruht darauf, die Lage der Umsteuerwelle und die Länge des Aufwerfhebels zu
bestimmen als Mittelpunkt und Halbmesser eines Kreises, von dem eine Tangente durch
die Richtung der Tangentialgeschwindigkeit und die Krümmung im Berührungspunkt der
Tangente durch die Normalbeschleunigung gefunden werden können. In das
Steuerungsgetriebe wird eine Bewegung durch den Kreuzkopf eingeleitet, während der
Schieber fiktiv festgehalten wird und der Aufwerfhebel um die Umsteuerwelle frei
drehbar ist. Das Verfahren erfordert wie alle grapho-kinematischen Methoden große
Genauigkeit beim Zeichnen, gewährt aber lehrreiche Einblicke in das Wesen der
Umsteuerungen.
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Von einer richtig entworfenen Steuerung verlangt man, daß bei jeder Stellung des
Regulators oder des Umsteuerhebeis die Füllungsgrade auf beiden Kolbenseiten
einander möglichst gleich seien. Diese Forderung ist am leichtesten zu erfüllen bei
Ventil- und Hahnsteuerungen, wo für Kurbel- und Deckelseite voneinander unabhängige
Steuerungsantriebe vorhanden sind. Auch bei Einschiebersteuerungen mit Achsenregler
und bei den Steuerungen mit eigenem Expansionsschieber kann die Füllungsgleichheit
im üblichen Füllungsbereich, der bei ortsfesten Maschinen in der Regel nicht groß
ist, leicht erreicht werden. Bedeutend schwieriger ist die symmetrische Füllung bei
den Umsteuerungen mit einem Schieber zu erzielen. Von diesen sind die wichtigsten
die Kulissensteuerungen von Heusinger v. Waldegg,
Stephenson und Gooch.
Das bisher übliche Verfahren, mit den genannten Steuerungen die erwünschte
Uebereinstimmung in der Größe der Füllung zu erzielen, ist ein rein empirisches
Probierverfahren. Beim Entwurf der Umsteuerung werden gewisse Verhältnisse des
Getriebes so lange geändert, bis das Ziel erreicht ist. Dabei werden die
Schieberwege Meistens mittels Schablonen des Getriebes aus Pappe oder Blech
ermittelt. Nun gibt es bei jeder Kulissensteuerung gewisse Punkte, deren Annahme
größeren oder kleineren Einfluß auf die Gestalt der Schieberellipsen ausübt. Diese
„empfindlichen Punkte“ herauszufinden und die Verschiebungen richtig
vorzunehmen, ist Sache der Erfahrung, so daß besonders dem Anfänger Mißgriffe nicht
erspart bleiben. Die Folge davon ist ein unverhältnismäßiger Zeitaufwand zum Entwurf
einer richtigen Steuerung.
Im folgenden wird ein kinematisches Verfahren entwickelt, nach welchem sich die
genannten Kulissensteuerungen prinzipiell so entwerfen lassen, daß in einem größeren
Bereich auf beiden Kolbenseiten Füllungsgleichheit herrscht. Das Verfahren ist an
Hand einer Heusinger-Umsteuerung erläutert, weil es an
derselben am übersichtlichsten durchzuführen und diese Steuerung unter allen
Kulissensteuerungen die wichtigste ist.
Die in Fig. 1 schematisch dargestellte Steuerung ist
ausgeführt an der von J. A. Maffei, München, für die
großherzoglich badische Staatseisenbahn gebauten
Vierzylinderverbund-Güterzuglokomotive Gattung VIIIe. Die Abmessungen der
Steuerungselemente werden aus der Figur ersichtlich. Die festliegenden Punkte des
Getriebes sind durch Schraffur gekennzeichnet. Wenn die Füllung der Zylinder
eingestellt ist, liegt auch der Aufwerfhebel GH
fest.
Diese Lokomotive, welche dazu dient, schwere Güterzüge auf einem an Steigungen
reichen Netz zu befördern, hat eine vordere Laufachse und vier darauffolgende
gekuppelte Achsen. Sie ist also 4/5 gekuppelt, vom Achsschema 1 D oder vom Typ
„Consolidation“, wie die amerikanische, auch im internationalen Verkehr
vielfach angewendete Bezeichnung lautetMan
bezeichnet die Anzahl der Laufachsen mit arabischen Ziffern, die der
gekuppelten Achsen mit großen lateinischen Buchstaben. Dementsprechend
ist:„Columbia“1 B 12/4gekuppelt„Mogul“1 C3/4 „„Atlantic“2 B 12/5 „„Prairie“1 C 13/5 „„Consolidation“1 D4/5 „„Pacific“2 C 13/6 „„Mikado“1 D 14/6 „. Die in einer Reihe unter der Rauchkammer angeordneten, zwischen dem Rahmen
liegenden Hochdruckzylinder und außerhalb des Rahmens liegenden Niederdruckzylinder
treiben auf die vorletzte Achse. Diese Bauart erlaubt die Verwendung einer sehr langen
Treibstange vom zehnfachen Kurbelradius, bedingt aber auch eine starke Neigung der
innenliegenden Zylinder, da die Hochdrucktreibstangen über die beiden vorderen
Kuppelachsen hinwegtreiben müssen.
Textabbildung Bd. 326, S. 450
Fig. 1.
Textabbildung Bd. 326, S. 450
Fig. 2.Schnitt durch den Hochdruckzylinder.
Fig. 2 stellt den senkrechten Schnitt durch einen
Hochdruckzylinder dar. Das Hochdruckkurbelgetriebe ist geschränkt, d.h., die
Zylinderachse geht nicht durch den Mittelpunkt des Kurbelkreises, sondern 120 mm
darüber hinweg.
Die Dampfverteilung besorgt für je einen Hochdruck- und einen Niederdruckzylinder
einer Maschinenseite ein Kolbenschieber, über welchen später noch einiges zu sagen
ist. Das Zylinderpaar einer Seite nebst dem zugehörigen Schiebergehäuse ist aus
einem Stück gegossen.
Die beiden Hälften sind sodann in der Lokomotivmittelebene unter sich und außerdem
mit dem Barrenrahmen kräftig verschraubt. Auch die Achsen des Niederdruck- und des
Schieberzylinders sind gegen die Wagerechte geneigt, und zwar um einen Winkel a, dessen Sinus
\frac{90}{4725}ist. Diese Neigung ist erforderlich, um die
Niederdruckzylinder innerhalb des vorgeschriebenen Lichtprofils zu halten.
Einen Schnitt durch Schiebergehäuse und Niederdruckzylinder stellt Fig. 3 dar. Die Hochdruckkurbel eilt der
Niederdruckkurbel bei Vorwärtsfahrt um nicht ganz 180° (entsprechend der Neigung der
beiden Zylinderachsen gegeneinander) voraus.
Die Kolbenschieber (Fig. 4) für je eine
Maschinenseite sitzen auf einer gemeinsamen Schieberstange, und zwar der
Hochdruckschieber mit 200 mm zwischen dem geteilten Niederdruckschieber von
400 mm . Diese Anordnung bewirkt sowohl eine Gewichtsersparnis durch Wegfall
eines zweiten Schieberantriebes und eines Schiebergehäuses, als auch eine
Vereinfachung des Getriebes, die vom betriebsökonomischen Standpunkt sehr erwünscht
ist. Gegenüber der Bauart mit zwei Schiebern entfällt hier eine Stopfbüchse sowie
eine Reihe von Schmierstellen an den Zapfen. Die Dampfverteilung mit nur einem Schieber ist bereits in mehrfachen Ausführungen
vertreten; so bei der 2/5 gek. Schnellzuglokomotive der Dänischen StaatsbahnOrgan f. F. d. Eisenbahnw. 1907, S.
1., bei der Berglokomotive Gattung A 3/5 der GotthardbahnZeitschr. d. V. D. I. 1908, S.
1821., der 3/5 gekuppelten Schnellzuglokomotive der Compagnie des
Chemins de fer portugais, der 3/6 gekuppelten Schnellzuglokomotive Serie 210 der
österreichischen StaatsbahnZeitschr. d. V. D.
I. 1910, S. 537. und der 5/5 gekuppelten Güterzuglokomotive der
bayerischen StaatsbahnAusgestellt 1911 in
Turin..
Textabbildung Bd. 326, S. 451
Fig. 3.Schnitt durch das Schiebergehäuse und Niederdruckzylinder.
Der Hochdruckschieber gibt innere, der Niederdruckschieber äußere Einströmung. Vom
Frischdampfraum a (Fig.
4) gelangt der Dampf durch die Kanäle b in
den Hochdruckzylinder und durch dieselben Kanäle nieder zurück in den Raum c. Von hier aus führen die Schlitze d in den Niederdruckzylinder, Während bei e die Einlaßöffnungen der Anfahrventile münden (vergl.
auch Fig. 3). Die Schieberdeckungen sind
zusammengestellt:
Hochdruckschieber: Einlaßdeckung, Deckelseite 26 mm
Einlaßdeckung, Kurbelseite
24
mm
Auslaßdeckung
0
„
Niederdruckschieber:
Einlaßdeckung
25
„
Auslaßdeckung
0
„
Der Schieber erhält seine Bewegung vom außenliegenden Niederdruckgestänge. Die
theoretische Untersuchung ist zunächst für die Niederdruckdampfverteilung
durchgeführt. Es wird aber später gezeigt, daß es nur einer geeigneten Wahl der
Hochdruckdeckungen bedarf, um auch für den kleinen Zylinder die gewünschte
Dampfverteilung zu erreichen.
Die äußere Steuerung ist in Fig. 5 abgebildet. Der
Antrieb erfolgt wie üblich von einer Gegenkurbel und vom Kreuzkopf aus. Die einfache
Schlitzkulisse wird seitlich von Schildern gefaßt und schwingt um einen Punkt ihres
Krümmungskreises. Der Linealträger ist als Stahlgußstück ausgebildet, welches
zugleich das Kulissenlager und die Lager der Umsteuerwelle enthält und zwischen dem
ersten und dem zweiten Kuppelrad angeordnet ist. Der Voreilhebel ist am oberen Ende
gerade geführt.
Textabbildung Bd. 326, S. 451
Fig. 4.Kolbenschieber.
Das ganze Triebwerk und die Steuerung im Verein mit dem von Maffei bei allen neueren Lokomotiven angewendeten Barrenrahmen macht den
Eindruck großer Uebersichtlichkeit und bequemer Zugänglichkeit.
Von dieser Maschine sind die Steuerungsergebnisse bekannt, und wir wollen
daran hernach die Richtigkeit und Brauchbarkeit der entwickelten kinematischen
Methode erproben.
Die zu lösende Aufgabe lautet: Es ist eine Heusinger-Steuerung zu entwerfen, die bei Vorwärtsfahrt zwischen 30 und 50 v.
H. des Kolbenweges auf beiden Kolbenseiten gleiche Füllungen einstellt.
Textabbildung Bd. 326, S. 452
Fig. 5.
Alle Verhältnisse der Steuerung mit Ausnahme der Lage des Drehpunktes H, des Aufwerfhebels G M
und der Länge des letzteren wollen wir nach vorbildlichen Ausführungen und den
gegebenen räumlichen Voraussetzungen entsprechend wählen und versuchen, die Aufgabe
lediglich durch Bestimmung der Lage von H zu lösen. Der
Gedankengang, der uns dabei leitet, ist folgender: Während der Kolben auf der
Kurbelseite alle Punkte von 30 bis 50 v. H. seines Weges zurücklegt, bewegt sich der
Endpunkt G des Hängeeisens F
G (vergl. Fig. 1) auf dem Kreis um H, wenn wir uns zugleich den Schieber in der Stellung,
wo er eben die Füllung auf K S abschneidet,
festgehalten denken, d.h. bei äußerer Einströmung im Abstand gleich der
Einlaßüberdeckung von seiner Mittellage gegen die Deckelseite zu. Zu jeder Lage von
G auf dem Kreis um H
gehört eine gewisse Stellung des Kolbens auf der Kurbelseite, und zwar ist dies die
Stellung, bei welcher der Schieber eben die Füllung abschneidet. Voraussetzungsgemäß
soll der Füllungsgrad auf der andern Kolbenseite bei der nämlichen Lage von G auf dem Kreis um H ganz
der gleiche sein. Wenn wir uns also den Schieber so festgehalten denken, daß er die
Füllung auf der Deckelseite abzuschneiden im Begriffe ist, und den Punkt G auf dem Kreis um H
bewegen, so muß jetzt der Kolben auf der Deckelseite seine Bewegung symmetrisch zu
seiner vorherigen Bewegung auf der Kurbelseite machen. Dann entspricht innerhalb 30
bis 50 v. H. jedem Füllungsgrad auf Kurbel- und Deckelseite dieselbe Stellung des
Aufwerfhebels. Es beschränkt sich unsere Aufgabe also darauf, den Punkt G so auf einem Kreisbogen zu führen, daß er in
gleichen Zeiten immer die gleiche Lage gegenüber seiner Anfangslage bei 30 v. H.
hat, während der Kolben einmal auf der Deckelseite und einmal auf der Kurbelseite
sich mit derselben Geschwindigkeit und Bechleunigung von 30 v. H. auf 50 v. H.
bewegt und der Schieber jeweils in der Stellung festgehalten wird, wo er auf der
Deckelseite oder auf der Kurbelseite die Füllung abschneidet. Die Bahn des Punktes
G, d.h. die Lage des Kreismittelpunktes H, ist bekannt,
sobald wir in einem Punkt der Bahn von G die
Geschwindigkeit v und die Beschleunigung b von G kennen. Denn die
Geschwindigkeit bestimmt als Richtung der Bahntangente dazu senkrecht die Richtung
des Halbmessers der Bahnkrümmung, während die zur Geschwindigkeitsrichtung
senkrechte Beschleunigungskomponente, die sog. Normalbeschleunigung n, die Länge r des
Bahnhalbmessers zu berechnen gestattet aus der Beziehung:
n=\frac{v^2}{r} zu
r=\frac{v^2}{n}.
Nach diesem Verfahren kann ganz allgemein die Bahn eines bewegten Punktes als
Umhüllende der Krümmungskreise einzelner Punkte der Bahn ermittelt werden.
Textabbildung Bd. 326, S. 452
Fig. 6.
In Fig. 6 ist w die Bahn
des Punktes G, GGv
dessen Geschwindigkeit und GGb dessen Beschleunigung. Der Mittelpunkt des Krümmungskreises liegt auf
der Senkrechten zu GGv
durch G, und zwar in der Richtung der
Normalbeschleunigung GGn, da letztere stets auf den Mittelpunkt zu gerichtet ist. Die Größe des
Halbmessers GH errechnet sich aus der Gleichung:
\overline{G\,H}=\frac{\overline{G\,{G_v}^2}}{G\,G_n}.
Die Maßeinheiten müssen natürlich übereinstimmen, d.h., es ist z.B. G H in m, GGv in m/Sek. und G Gn in m/Sek2
auszudrücken.
(Fortsetzung folgt.)