Titel: | DIE FESTIGKEIT VON ZUSAMMENGESETZTEN VORGESPANNTEN SÄULEN. |
Autor: | W. Rehfus |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 545 |
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DIE FESTIGKEIT VON ZUSAMMENGESETZTEN
VORGESPANNTEN SÄULEN.
Von Dr.-Ing. W. Rehfus,
Charlottenburg.
REHFUS: Die Festigkeit von zusammengesetzten vorgespannten
Säulen.
Inhaltsübersicht.
Es wird die elastische Nachgiebigkeit einer einfachen massiven und
dann einer zusammengesetzten vorgespannten Säule ermittelt. Als wichtigstes Ergebnis
wird unter anderem gefunden, daß die elastische Nachgiebigkeit von beiden Säulen
gleich ist, wenn sie gleich große Querschnitte besitzen.
Es folgt dann für die zusammengesetzten Säulen die Bestimmung der
theoretisch günstigsten Vorspannung und der entsprechenden Beanspruchung des
Materials, auch wird die Beanspruchung ermittelt für den Fall, daß die Vorspannung
einen größeren Betrag erhält als er theoretisch am günstigsten ist.
Zum Schluß sind noch zwei Beispiele durchgeführt, um zu zeigen,
wie die Ergebnisse anzuwenden sind.
–––––
Das Bestreben des modernen Maschinenbaues, die Leistungen der Maschinen bis an die
äußerst zulässigen Grenzen durch Erhöhung ihrer Tourenzahlen zu vergrößern, ist
unverkennbar. Die dabei auftretenden Geschwindigkeiten, wie die
Gleitgeschwindigkeiten von Kolben und Lagerzapfen oder die
Strömungsgeschwindigkeiten in Ventilen und Kanälen, können vom Konstrukteur meistens
noch ohne große Schwierigkeiten beherrscht werden. Ungleich schwieriger ist es
dagegen, die Massenkräfte, welche von den hin- und hergehenden Maschinentheilen
ausgehen, und die Kolbenkräfte derart im Maschinenrahmen aufzunehmen, daß dieser
möglichst geringe elastische Formänderungen erleidet und auch keine Veranlassung
gibt zu unangenehmen, wenn nicht unzulässigen Erschütterungen der nächsten Umgebung
der Maschine.
Sehr oft wird daher der Konstrukteur vor die Aufgabe gestellt, irgend zwei
Maschinentheile durch eine möglichst starre Säule miteinander zu verbinden, so daß
die gegenseitige Bewegung der beiden festgehaltenen Theile infolge der Elastizität
der Säule möglichst gering ist. Diese Bedingung ist z.B. bei der Konstruktion von
Gerüsten stehender Maschinen zu erfüllen, wobei eine oder mehrere Säulen die
Maschine stützen; sie liegt auch vor bei vielen Kriegsschiffsmaschinen, wo
ausschließlich Säulen die ganze Maschine tragen, oder auch bei liegenden Dampf- oder
Gasmaschinen, bei welchen zwei hintereinander angeordnete Zylinder oder das
Kurbellager und der erste Zylinder möglichst starr miteinander verbunden werden
sollen.
In solchen Fällen benutzt man entweder massive Säulen mit möglichst großem
Querschnitt, oder häufig auch aus zwei Theilen zusammengesetzte Säulen, indem der
eine Theil, z.B. ein Rohr, auf Druck und der andere Theil, etwa eine durch das Rohr
gesteckte Stange, auf Zug beansprucht wird. Beide Theile werden von vornherein
gegenseitig verspannt, in der Absicht, dadurch eine Verbindungssäule von möglichst
geringer Elastizität zu erhalten.
Ob die einfache oder die zusammengesetzte und vorgespannte Säule vortheilhafter ist,
soll nachfolgende Untersuchung entscheiden helfen.
1. Elastische Dehnung der einfachen
Säule.
Aus der Festigkeitslehre ist bekannt, daß ein Stab von der Länge l sich um den Betrag ∆ l
dehnt, wenn eine Kraft P in der Richtung seiner Achse
auf ihn einwirkt. Das Maß der Dehnung ist durch die Gleichung
\Delta\,l=\frac{P}{F}\,.\,\frac{1}{E}
bestimmt, wobei F den Querschnitt
des Stabes und E den Elastizitätsmodul des benutzten
Materials darstellt.
Lassen wir die Kraft P als Zugkraft von Null an wachsen,
so wird der Stab proportional mit der Kraft an Länge zunehmen (vergl. Fig. 1), bis die Beanspruchung des Materials die
Proportionalitätsgrenze erreicht.
Diese Grenze soll in den folgenden Untersuchungen nie überschritten werden.
∆l und P sind die einzigen
unter sich abhängigen veränderlichen Größen, während l,
F und E konstant bleiben. Die Abhängigkeit von
∆l und P wird daher
durch eine Gerade f in Fig.
1 wiedergegeben, deren Neigung zur Vertikalachse durch den Winkel a bestimmt ist, und zwar besteht, wie aus dem
Vorstehenden hervorgeht, die Beziehung
\mbox{tg}\,\alpha=\frac{P}{\Delta\,l}=\frac{F\,.\,E}{l}.
tg a ist mithin direkt ein
Maßstab für die Festigkeit des Stabes; denn derselbe ist um so weniger nachgiebig,
je größer tg a und auch der Winkel a selbst ist. Der Winkel soll daher im folgenden als
„Festigkeitswinkel“ bezeichnet werden.
Textabbildung Bd. 326, S. 546
Fig. 1.
Geben wir der Kraft P eine entgegengesetzte Richtung, so
daß der Stab auf Druck beansprucht wird, so gelten sinngemäß dieselben Betrachtungen
(vgl. Fig. 2).
Textabbildung Bd. 326, S. 546
Fig. 2.
Die Gerade f in Fig. 2
stellt wieder die Längenänderung ∆l als Funktion von
P dar, und der „Festigkeitswinkel“
β ist bestimmt durch die Beziehung:
\mbox{tg}\,\beta=\frac{-P}{-\Delta\,l}=\frac{P}{\Delta\,l}=\frac{F\,.\,E}{l}.
Da Querschnitt, Länge und Festigkeitsmodul gleich geblieben sind, so ist
α = β.
Sind daher zwei Maschinentheile durch eine Säule, wie in Fig. 3 angedeutet, miteinander verbunden und greift an einem Theil eine
Kraft P an, welche abwechselnd positiv und negativ wird
und dabei jedesmal den Grenzwert P1 erreicht, während der andere Theil der Maschine
festgehalten ist, so erleidet die Säule eine elastische Längenänderung, wie sie das
in Fig. 5 aufgezeichnete Diagramm angibt.
Vom Ruhezustand aus gemessen, ist die elastische Längenänderung nach der einen wie
nach der anderen Richtung
\Delta\,l_1=P_1\,\frac{1}{F\,.\,E}=\frac{P_1}{\mbox{tg}\,\alpha}
. . . . 1)
und der zur Längenänderung nötige Arbeitsaufwand ist:
A=\frac{P_1\,\Delta\,l_1}{2}
II. Elastische Dehnung der
zusammen-gesetzten und vorgespannten Säule.
Die einfache Säule soll jetzt durch eine zusammengesetzte, aus einem Rohr und einer
durch dieses gesteckten Stange bestehende Säule, wie Fig.
4 zeigt, ersetzt werden. Die Stange wird durch Anziehen der Mutter
derart angespannt, daß in ihr, und naturgemäß auch im Rohr, eine Vorspannung V entsteht.
Es fragt sich nun, ob eine derartig vorgespannte Säule aus Festigkeitsgründen der
einfachen Säule vorzuziehen ist.
Textabbildung Bd. 326, S. 546
Fig. 3.
Textabbildung Bd. 326, S. 546
Fig. 4.
Textabbildung Bd. 326, S. 546
Fig. 5.
Die bei dieser Untersuchung gebrauchten Bezeichnungen sind im folgenden
zusammengestellt;
S beliebig veränderliche Zugbelastung
der Säule.
S1
beliebig angenommene konstante Zugbelastung der Säule.
Smax
die größte vorkommende Zugbelastung der Säule.
Sg
Zugbelastung der Säule, bei welcher das Rohr entlastet ist, die Stange sich aber
noch nicht abgehoben hat (Grenzbelastung).
SP
Zugbelastung der Säule, bei welcher die Beanspruchung der Stange die
Proportionalitätsgrenze erreicht,
V Vorspannung der Säule.
Die entsprechenden Druckbelastungen der Säule sind: R,
R1, Rmax, Rg, Rp.
Bezeichnet man die Zugbeanspruchung der Stange mit a und die Druckbeanspruchung des Rohres mit p
und läßt durch den angehängten Index die jeweilige Belastung der Säule erkennen, so
haben wir folgende Beanspruchungen zu unterscheiden:
σs
\sigma_{s_1}
σs max
σsg
σsp
σv
σr
\sigma_{r_1}
σr max
σrg
σrp
ρs
\sigma_{s_1}
ρs max
ρsg
ρsp
ρv
ρr
\sigma_{r_1}
ρr max
ρrg
ρrp
Textabbildung Bd. 326, S. 547
Fig. 6.
Textabbildung Bd. 326, S. 547
Fig. 7.
Textabbildung Bd. 326, S. 547
Fig. 8.
Weitere Bezeichnungen sind:
F
s
Querschnitt der Stange.
F
r
Querschnitt des Rohres.
l
s
Länge „ „
l
r
Länge „ „
E
s
Elastizitätsmodul desMaterials der Stange.
E
r
Elastizitätsmodul desMaterials des Rohres.
α
Festigkeitswinkel derStange.
β
Festigkeitswinkel desRohres.
∆l
s
Elastische Dehnungder Stage
∆l
r
Elastische Dehnung desRohres.
unter der Einwirkung der Vorspannung V.
∆l
Elastische Dehnung unter der Einwirkung der Grenz-belastung
(ist für Stange und Rohr gleich).
σn
und ρn normal zulässige Beanspruchungen von Stangeund Rohr.
Textabbildung Bd. 326, S. 547
Fig. 9.
Textabbildung Bd. 326, S. 547
Fig. 10.
Textabbildung Bd. 326, S. 547
Fig. 11.
Lassen wir eine Zugkraft S auf die Stange allein
einwirken, so längt dich diese um den Betrag ∆l, und
die Abhängigkeit von S und ∆l ist, wie bekannt, nach dem Diagramm in Fig.
6 durch
\mbox{tg}\,\alpha=\frac{S}{\Delta\,l}=\frac{F_s\,.\,E_s}{J_s}
gegeben.
Wir bestimmen dann eine Druckkraft R derart, daß
durch deren Einwirkung auf das Rohr dasselbe sich um den gleichen Betrag ∆l verkürzt, um den sich die Stange gelängt hat. Das
dazu gehörige Diagramm zeigt Fig. 7, aus welchem
sich die Beziehung ergibt:
\mbox{tg}\,\beta=\frac{R}{\Delta\,l}=\frac{F_r\,.\,E_r}{l_r}
Die beiden Diagramme in Fig. 6 und 7 legen wir nebeneinander (vergl. Fig. 8), verbinden den unteren Eckpunkt A mit dem oberen Eckpunkt D und finden dadurch den Schnittpunkt O auf
der Strecke B C. Wenn wir jetzt eine Wagerechte durch
den Punkt O legen, so erhalten wir auf dieser die
Strecken E O und O F
welche unter sich gleich sind, weil sie parallel zur gemeinsamen Basis A B der inhaltsgleichen Dreiecke A B C und A B D
liegen.
Die Strecken E O = O F
geben die Größe der in der Säule herrschenden Vorspannung V an; denn nur sie erfüllen die durch die Vorspannung
naturgemäß gegebene Bedingung, daß die in der Stange und im Rohr gleichzeitig
auftretenden Belastungen gleich groß sind.
Unter dem Einfluß dieser Vorspannung hat sich die Stange um den Betrag ∆ ls gelängt und das
Rohr um ∆ lr verkürzt
(vergl. Fig. 9).
Die beim Vorspannen geleistete Arbeit ist:
A=\frac{V\,.\,\Delta\,l_s}{2}+\frac{V\,.\,\Delta\,l_r}{2}=\frac{V\,\Delta\,l}{2}.
Wir lassen jetzt eine äußere Kraft, z.B. eine Zugkraft S1, auf die Säule wirken, worauf die
Belastung und damit die Dehnung der Stange größer wird, während gleichzeitig die
Belastung und Dehnung im Rohr abnehmen (vergl. Fig.
10). Die Belastung der Stange entspricht der Strecke H K, die des Rohres der Strecke G H; die Differenz der beiden muß gleich der äußeren Kraft S1 sein.
Nun ist
G H = J K,
weil beide Strecken parallel und gleich weit von der
gemeinsamen Basis A B der inhaltsgleichen Dreiecke A B C und A B D entfernt
sind. Folglich ist:
H K – Q H = H J = der äußeren Kraft S1.
Dieses Ergebnis gilt für jeden Betrag von S1 solange S1 zwischen Null und C D
liegt, weshalb die Größe von S1 durch die von den Strahlen O C und O D begrenzten Strecken H J wiedergegeben ist.
Die von S1
hervorgerufene elastische Längenänderung der Säule ist ∆l1 und da
\mbox{tg}\,\gamma=\frac{S_1}{\Delta\,l_1},
so entspricht der Winkel γ dem
„Festigkeitswinkel“ für die zusammengesetzte Säule.
Die Größe von ∆ l1 kann
an Hand von Fig. 11 gefunden werden:
\Delta\,l_1=\frac{S_1}{S_g}\,.\,\Delta\,l_r
wobei:
\Delta\,l_r=\frac{V}{R_g}\,.\,\Delta\,l
und die Vorspannung, wie später durch Formel 3 begründet
wird,
V=\frac{S_g\,.\,R_g}{S_g+R_g}
ist. Folglich ist
\Delta\,l_1=\frac{S_1}{S_g+R_g}\,.\,\Delta\,l .
. . 2)
und die Arbeit der elastischen Dehnung
A=\frac{S_1\,\Delta\,l_1}{2}=\frac{{S_1}^2}{S_g+R_g}\,.\,\frac{\Delta\,l}{2.}
Mit Hilfe dieser Ergebnisse lassen sich die verschiedenen Eigenschaften der
zusammengesetzten Säule ermitteln.
So bleibt der Winkel γ naturgemäß unverändert, auch wenn
die äußere Belastung negativ, also die Säule auf Druck beansprucht wird.
Hieraus folgt: Wenn eine zusammengesetzte vorgespannte Säule in
der Richtung ihrer Achse von einer äußeren Kraft auf Zug oder auf Druck
beansprucht wird, so bleibt die elastische Nachgiebigkeit
der Säule in beiden Richtungen der Kraft gleich,
unabhängig davon, ob der auf Zug beanspruchte Theil der Säule eine größere oder
kleinere Elastizität besitzt, als der auf Druck beanspruchte.
Das Diagramm in Fig. 11 ist daher auch, abgesehen von
der Größe des Festigkeitswinkels, dasselbe wie dasjenige der einfachen Säule in Fig. 5.
Ziehen wir durch den Punkt A (Fig. 12) eine Parallele zu B C, so ist der
Winkel ∡ L A D = γ und die Strecke L C = R g. Es besteht daher die Beziehung
\mbox{tg}\,\gamma=\frac{S_g+R_g}{\Delta\,l}=\frac{S_g}{\Delta\,l}+\frac{R_g}{\Delta_l}=\mbox{tg}\,\alpha+\mbox{tg}\,\beta
oder
\frac{S_1}{\Delta\,l_1}=\frac{F_s\,\,E_s}{l_s}+\frac{F_r\,.\,E_r}{l_r}
d.h. die elastische Nachgiebigkeit
einerzusammengesetzten vorgespannten Säule ist genau ebenso groß wie die einer
einfachen Säule, welche durch Vereinigung der Querschnitte Fig. 12. von beiden Theilen, aus welchen die
zusammengesetzte Säule besteht, gebildet ist.
Textabbildung Bd. 326, S. 548
Fig. 12.
Wenn es sich also darum handelt, eine möglichst starre Säule zu konstruieren, so
bietet die zusammengesetzte Säule gegenüber der einfachen keine Vortheile. Die
Anwendung der zusammengesetzten Säule ist daher nur dann zu empfehlen, wenn die
Zusammensetzung an und für sich konstruktive Vortheile oder Erleichterung der
Montage bringt.
Aus der oben gefundenen Beziehung
tg γ = tg α + tg β
folgt auch ohne weiteres:
Die elastische Nachgiebigkeit einer zusammengesetzten
vorgespannten Säule ist unabhängig von der Größe der Vorspannung.
Die Größe der jeweilig herrschenden Vorspannung kann durch die Kraft, welche zum
Drehen der Mutter auf der Stange nötig ist, oder durch genaues Messen der
Längenänderung der ganzen Säule während des Anziehens der Mutter näherungsweise
festgestellt werden.
(Fortsetzung folgt.)