Titel: | GRAPHISCHE ERMITTLUNG DER BEWEGUNGSVERHÄLTNISSE DES KURBELTRIEBES. |
Autor: | Josef Kuhn |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 553 |
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GRAPHISCHE ERMITTLUNG DER BEWEGUNGSVERHÄLTNISSE
DES KURBELTRIEBES.
Von Dr. techn. Josef
Kuhn, Bielitz.
KUHN: Graphische Ermittlung der Bewegungsverhältnisse des
Kurbeltriebes.
Inhaltsübersicht.
Es wird ein einfaches Verfahren zur zeichnerischen Ermittlung des
Weges, der Geschwindigkeit und der Beschleunigung des Kreuzkopfes (Kolbens) bei
Berücksichtigung der endlichen Länge der Kurbelstange angegeben und ein „Diagramm
der Bewegungsverhältnisse des Kurbeltriebes“ mitgetheilt.
–––––
Zur Berechnung des Kreuzkopfweges s, der
Kreuzkopfgeschwindigkeit c und der
Kreuzkopfbeschleunigung p bei endlicher
Schubstangenlänge bedient man sich nach Radinger
gewöhnlich der Näherungsformeln:
s=r\,\left(1-\mbox{cos}\,\omega\,\pm\,\frac{1}{2}\,\frac{r}{l}\,\mbox{sin}^2\,\omega\right)
. . . 1)
c=v\,\left(\mbox{sin}\,\omega\,\pm\,\frac{1}{2}\,\frac{r}{l}\,\mbox{sin}\,2\,\omega\right)
. . . . 2)
und
p=\frac{v^2}{r}\,\left(\mbox{cos}\,\omega\,\pm\,\frac{r}{l}\,\mbox{cos}\,2\,\omega\right)
. . . . 3)
in denen
r die Länge der Kurbel,
l die Länge der Schubstange,
ω den Winkel, welchen die Kurbel
beim Vorwärtsoder Hingange mit ihrer inneren, beim Rückgange, auf den sich das
negative Vorzeichen bezieht, mit der äußeren Totlage einschließt, und
v die konstante Umfangsgeschwindigkeit
des Kurbelzapfens bedeutet.
Nachstehend soll ein einfaches Verfahren zur zeichnerischen Bestimmung obiger
Ausdrücke mitgetheilt werden. 1. Kreuzkopf weg. Führen wir in die Formel 1 den
Hilfswinkel α1 ein,
indem wir
\frac{1}{2}\,.\,\frac{r}{l}=\mbox{tg}\,\alpha_1
setzen, so nimmt sie für den Hingang die Gestalt an:
s = r – (r cos ω – r sin2 ω tg
α1). . . . . . . . . 1a)
Um diesen Wert zu finden, schlagen wir in Fig. 1 über A B = r einen Kreis K, ziehen
durch A den Halbstrahl A
m, welcher mit A B den Winkel α1 bildet, und die
Geraden G und G1 so, daß sie mit A B
im Abstande r parallel laufen.
Hat sich die Kurbel aus ihrer Totlage A B um den
Winkel ω < 90° gedreht, so ist, wenn der Punkt,
in welchem die Kurbelrichtung den Kreis K schneidet, mit M und seine Projektion auf
A B mit M' bezeichnet wird,
BM = r cos ω. . . . . . . a)
und
A M' = A M • sin ω.
Da A M = r sin ω, so ist auch:
A M' = r sin2
ω,
oder: A M' • tg α1 – r sin2 ω ig a1 = M' m. . . . . .
. . . b)
Textabbildung Bd. 326, S. 554
Fig. 1.
Mit Bezug auf a und b wird
s = r – (BM – M' m),
oder, wenn wir m N = B M machen
und beachten, daß SM' = r ist,
s
=
SM'
–
(m N – M' m)
=
SM'
–
M'N
=
SN.
Für den Kurbelwinkel ω1 = 180 – ω wird, da
cos ω1 = – cos ω ist,
s1 = r + r cos ω + r sin2 ω tg α1
= SM' + BM + M' m
und, wenn wir auch m N1 = B M machen,
s1 = S M' + m N1 + M' m
= SN1 = r + M' N1
Tragen wir also die Strecke BM auf der durch M gezogenen Vertikalen von m aus nach beiden Seiten hin ab, so erhalten wir gleichzeitig die
Kreuzkopfwege, welche zu den Kurbelwinkeln ω und 180 –
ω gehören und, wenn wir ω von 0° bis 90° wachsen lassen, alle Kreuzkopfstellungen für den
Vorwärtsgang.
Wenn der Kreuzkopf sich in der zum Kurbelwinkel 180 – ω
gehörigen Lage befindet, hat er zur Vollendung seines Hinganges noch einen Weg
zurückzulegen, welcher ebenso groß ist wie der zum Winkel ω gehörige Rückweg, wenn wir für diesen den Kurbelwinkel von der äußeren
Totlage an zählen. Daraus folgt, daß die zu den Winkeln ω und 180 – ω gehörigen Rückwege durch die
Strecken S1
N1 und S1
N dargestellt werden. Somit ist zur Festlegung
sämtlicher Kreuzkopfstellungen nur die obere Hälfte des Kreises K erforderlich.
Textabbildung Bd. 326, S. 554
Fig. 2.
Das hier angegebene, zeichnerische Verfahren zur Bestimmung der Kreuzkopfwege bei
Berücksichtigung der endlichen Stangenlänge ist handlicher als die viel angewendete
Bogenprojektion, welche bei größerem Maßstabe die Benutzung eines Stangenzirkels
erfordert, aber weniger einfach als die von BrixF. A. Brix, Das
bizentrische polare Exzenterschieberdiagramm, Z. d. V. d. I. 1897, S.
432. angegebene Konstruktion. Dieser gegenüber besitzt es aber
den Vortheil einer größeren Genauigkeit. Für das am häufigsten gewählte Verhältnis
\frac{r}{l}=\frac{1}{5} beträgt der maximale Fehler, welcher
bei der Brixschen Methode unterläuft, ± 0,0019 r oder ± 0,17 v. H., bei der hier mitgetheilten nur ±
0,0010 r oder ± 0,09 v. H. (für
\frac{r}{l}=\frac{1}{4} betragen diese Fehler ± 0,28 v. H.
und ± 0,18 v. H.).
2. Kreuzkopfgeschwindigkeit. Setzen wir
\frac{r}{l}=\mbox{tg}\,\alpha_2
so geht die Geschwindigkeitsformel für den Vorwärtsgang über
in:
c=v\,\mbox{sin}\,\omega+\frac{v}{2}\,\mbox{sin}\,2\,\omega\,\mbox{tg}\,a_2
. . . 2a)
Zur Konstruktion dieses Ausdruckes benutzen wir einen mit dem
Radius \frac{v}{2} beschriebenen Kreis (Fig. 2) und einen Halbstrahl O n, welcher
mit O D den Winkel a2 bildet. Für einen Kurbelwinkel ω < 90° ist
dann:
A M = v sin ω
und, wenn wir M auf O D projizieren,
O\,M''=\frac{v}{2}\,\mbox{sin}\,2\,\omega,
oder auch:
O\,M''\,\mbox{tg}\,\alpha_2=\frac{v}{2}\,\mbox{sin}\,2\,\omega\,\mbox{tg}\,\alpha_2=M''\,n.
Mit den gewonnenen Beziehungen wird
c = AM + M'' n
und, wenn wir n C = A M
machen,
c = n C + M'' n = M'' C.
Wählen wir ω1 = 180 – ω, so ist sin
ω1 = sin ω, sin 2 ω1 = – sin 2 ω und daher:
c_1=v\,\mbox{sin}\,\omega-\frac{v}{2}\,\mbox{sin}\,2\,\omega\,\mbox{tg}\,\alpha_2=A\,M-M''\,n,
= A M – M'' n,
oder, wenn wir A M von n nach C1 auftragen,
C1 = n C1 – M'' n = M'' C1.
Auch hier erhalten wir also mittels derselben Zirkelöffnung
A M zwei Geschwindigkeitswerte. Beim Rückwege des
Kreuzkopfes entsprechen den Kurbelwinkeln ω und 180 –
ω, wie sich leicht ergibt, die mit dem negativen
Vorzeichen genommenen Geschwindigkeitswerte M'' C1 bezw. M'' C. Es
genügt daher zur konstruktiven Bestimmung aller Geschwindigkeitswerte ein
Halbkreis.
Textabbildung Bd. 326, S. 555
Fig. 3.
3. Kreuzkopfbeschleunigung. Mit
\frac{v^2}{r}=k und
2\,\frac{r}{l}=\mbox{tg}\,\alpha_3
erhalten wir für die Kreuzkopfbeschleunigung beim
Kreuzkopfhingange die Gleichung
p=k\,\mbox{cos}\,\omega+\frac{k}{2}\,\mbox{cos}\,2\,\omega\,\mbox{tg}\,\alpha_3.
Zur zeichnerischen Bestimmung von p benutzen wir in Fig. 3 den mit dem
Halbmesser \frac{k}{2}aus O
beschriebenen Kreis und den durch O unter dem Winkel
a3 gegen A B gezogenen Strahl O
o
Ziehen wir die Sehne B M so, daß sie mit A B wieder den Kurbelwinkel ω < 90° bildet, dann gilt:
BM = k cos ω,
M'\,O=\frac{k}{2}\,\mbox{cos}\,2\,\omega,
oder:
M'\,O\,\mbox{tg}\,\alpha_3=\frac{k}{2}\,\mbox{cos}\,2\,\omega\,\mbox{tg}\,\alpha_3=M'\,o
und:
p = B M + M' o.
Bestimmen wir die Punkte P und
P1 auf der durch
M normal zu A B
gezogenen Geraden so, daß o P = o P1
= B M ist, so wird:
p = o P + M' o = M' P
und die zum Winkel ω1 = 180 – ω gehörige
Beschleunigung:
\begin{array}{rcl}p_1&=&\frac{k}{2}\,\mbox{cos}\,2\,\omega\,\mbox{tg}\,\alpha_3-k\,\mbox{cos}\,\omega\\
&=&M'\,o-o\,P_1=M'\,P_1 \end{array}
M' P1 besitzt die entgegengesetzte Richtung von M'
P, stellt also eine Verzögerung dar.
Beim Rückgange des Kreuzkopfes gehört zum Winkel ω die
Beschleunigung
p=k\,\mbox{cos}\,\omega-\,\frac{k}{2}\,\mbox{cos}\,2\,\omega\,\mbox{tg}\,\alpha_3
=-\left(\frac{k}{2}\,\mbox{cos}\,2\,\omega\,\mbox{tg}\,\alpha_3-k\,\mbox{cos}\,\omega\right)
= – M' P1
und zum Winkel 180 – ω die
Verzögerung – M' P.
Die zu supplementären Winkeln gehörigen Kreuzkopfbeschleunigungen können also bei
diesem an und für sich höchst einfachen Verfahren stets gleichzeitig bestimmt
werden, was eine sehr rasche Verzeichnung der Beschleunigungskurve gestattet. Dabei
genügt zur Bestimmung sämtlicher Beschleunigungswerte wieder ein Halbkreis.
Der größte Fehler, welcher sich ergibt, wenn wir uns zur Berechnung der Kreuzkopfbe
schleunigung des hier gebrauchten Näherungswertes anstatt der genauen Formelvon Radinger,
Dampfmaschinen mit hoher Kolbengeschwindigkeit. 3. Auflage. S. 306. Der
daselbst für \frac{r}{l}=\frac{1}{5} angegebene Wert des
Bruchfaktors soll statt 1,004 richtig 1,020 heißen.
p=\frac{v^2}{r}\,\left(\mbox{cos}\,\omega\,\pm\,\frac{r}{l}\,\mbox{cos}\,2\,\omega\,.\,\frac{1-\left(\frac{r}{l}\right)^2\,\mbox{sin}^2\,\omega+\frac{1}{4}\,\frac{\mbox{sin}^2\,2\,\omega}{\mbox{cos}\,2\,\omega}\,\left(\frac{r}{l}\right)^2}{\left[1-\left(\frac{r}{l}\right)^2\,\mbox{sin}^2\,\omega\right]^{3/2}}\right)
bedienen, beträgt für das Verhältnis
\frac{r}{l}=\frac{1}{5} fast genau 2 v. H. (für \frac{r}{l}=\frac{1}{4} . . . 3,18 v. H.).
Dieser Fehler tritt bei ω = 90° auf, also gerade an
einer Stelle, wo die Ordinate der Beschleunigungskurve sehr klein ist. Bei der schon großen
Länge dieser Ordinate von 10 mm würde er nur 0,2 mm betragen. So groß dürfte wohl
auch der Fehler sein, welcher sich bei der Durchführung der von RittershausProf. T.
Rittershaus, Zur Konstruktion der
Beschleunigungskurve des Kreuzkopfes eines Kurbelmechanismus. Z. d. V.
d. I. 1883, S. 136., MohrMohr, Zivilingenieur 1879, S.
612. und KirschProf. Dr. Kirsch, Ueber die graphische Bestimmung der
Kolbenbeschleunigung. Z. d. V. d. I. 1890, S. 1320.
angegebenen genauen Verfahren ergibt, da diese viel umständlicher sind und wegen der
hier nothwendigen Verzeichnung der Schubstange einen viel kleineren Maßstab
bedingen. Ein Vorzug der oben angegebenen Methode liegt auch darin, daß sie sich
leicht begründen läßt und für alle Kurbelstellungen gleich scharfe Ergebnisse
liefert, während die Verfahren von Rittershaus und Mohr in der Nähe der toten Punkte versagen, dasjenige von
Kirsch aber in der Nähe von ω = 90° ungenauere Werte liefert.
Soll die Kurve des auf die Einheit der Kolbenfläche (1 qcm) entfallenden
Beschleunigungsdruckes bestimmt werden, so ist
k=\frac{\frakfamily{G}}{F\,g}\,\frac{v^2}{r} zu setzen,
wobei
\frakfamily{G} das Gewicht der hin- und
hergehenden Massen in kg,
F die Fläche des Kolbens in qcm
und
g die Beschleunigung der Schwere =
9,81 m/sek.2
bedeutet.
Textabbildung Bd. 326, S. 556
Fig. 4.
Wählt man den Maßstab für die Kreuzkopfgeschwindigkeit so, daß v = r, so wird auch
k=\frac{v^2}{r}=r und es können dann die zu den verschiedenen
Kurbelstellungen gehörigen Wege, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen des
Kreuzkopfes mittels eines einzigen über dem Kurbelradius beschriebenen Halbkreises
K (Fig. 4) gefunden
werden. Dabei gelangen alle zu demselben Kurbelwinkel ω
gehörigen Größen auf Geraden zur Darstellung, welche durch den Punkt (M) gehen, in welchem die dem Winkel ω zukommende Kurbelrichtung K. durchschneidet. Die stetige Aenderung der genannten Größen in
Abhängigkeit vom Kurbelwinkel ω läßt sich, wie Fig. 4 zeigt, durch drei Kurven darstellen, die
zusammen ein anschauliches „Diagramm der Bewegungsverhältnisse des
Kurbeltriebes“ liefern. Da sich die Bestimmung eines Kurvenpunktes auf das
Abtragen einer Strecke beschränkt und die zu supplementären Winkeln gehörigen Werte
derselben Größe mittels einer Zirkelöffnung gewonnen werden so geht die Verzeichnung
der Kurven sehr rasch vor sich. Bei dem von uns gewählten Maßstabe k = r ergibt sich noch die weitere Vereinfachung, daß
die zueinander gehörigen Punkte der Weg- und Beschleunigungskurve N und P, bezw. N1 und P1 durch Auftragen
derselben Kreissehne B M erhalten werden, sich also
immer vier Kurvenpunkte zugleich ergeben.
Die Uebertragung der so ermittelten Bewegungsgrößen in ein rechtwinkliges
Koordinatensystem, in welchem die Wege als Abszissen, die zugehörigen
Geschwindigkeiten und Beschleunigungen als Ordinaten erscheinen, bietet bei
Beachtung der eingezeichneten Richtungspfeile keine Schwierigkeit. Der Vorgang
hierbei erhellt genügend aus den für die Punkte M und
M1, die zu den
Supplementwinkeln ω und 180 – ω gehören, in der Fig. 4 angegebenen
Bemerkungen. Um beim Auftragen der zu einem Winkel ω >
90° gehörigen Kurbelwege s1 unbequem große Zirkelöffnungen zu vermeiden, empfiehlt essich,
anstatt diese Wege von A aus, die Strecken s1
– r (z.B. M' N1) von B an
abzutragen.
Die Tatsache, daß sich für die Kurbelwinkel ω = 45° und
ω1 = 180° – 45° =
135° dieselben Beschleunigungswerte ergeben, ob es sich um endlich oder unendlich
lange Schubstangen handelt, führt zur Bestimmung zweier streng richtiger Punkte 4'
und 12' der Beschleunigungskurve und kann daher zu einer Kontrolle unseres
Verfahrens dienen, was in Fig. 4 ebenfalls
ersichtlich gemacht wurde.
Textabbildung Bd. 326, S. 557
Fig. 5.
Der Vollständigkeit halber wurde außer der Beschleunigungskurve auch noch die
Geschwindigkeitskurve für die unendlich lange Schubstange eingezeichnet, welche bei
dem gewählten Maßstabe mit dem Kurbelkreise zusammenfällt, und auch das Maximum der
Kurbelgeschwindigkeit bei endlich langer Schubstange festgehalten.
Handelt es sich nur um die Festlegung der auf den Kreuzkopfweg bezogenen
Beschleunigungskurve, so führt das in Fig. 5
hinreichend erläuterte Verfahren am schnellsten zum Ziele. Es unterscheidet sich von
dem vorstehend angegebenen nur dadurch, daß wir jetzt die zur Gewinnung der Wege
erforderliche Konstruktion in einer gegen früher um 90° im Sinne von ω gedrehten Lage vornehmen. Dadurch erreichen wir, daß
sich die Kreuzkopfstellungen jetzt ebenso wie die Beschleunigungen direkt durch
Projektion ergeben und die Uebertragung derselben mittels des Zirkels umgangen
wird.