Titel: DIE LANGSAM LAUFENDE, ZWANGLÄUFIGE FRIKART-STEUERUNG.
Autor: O. Kölsch
Fundstelle: Band 326, Jahrgang 1911, S. 595
Download: XML
DIE LANGSAM LAUFENDE, ZWANGLÄUFIGE FRIKART-STEUERUNG. Von Diplomingenieur O. Kölsch, München. KOELSCH: Die langsam laufende, zwangläufige Frikart-Steuerung. Inhaltsübersicht. Für die langsam laufende, zwangläufige Frikart-Steuerung, welche sich von den bisher gebräuchlichen Dampfmaschinensteuerungen grundsätzlich dadurch unterscheidet, daß die Steuerwelle mit der halben Drehzahl der Maschine umläuft, versagen die bekannten Schieberdiagramme. Im nachstehenden wird daher für diese interessante und sehr zeitgemäße Steuerung ein neues Steuerungsdiagramm entwickelt und dessen Verwendbarkeit an einem Beispiel gezeigt. Einige Bemerkungen deuten an, wie das von Frikart zur konstruktiven Durchbildung gewählte und in seinem kinematischen Zusammenhang nur angenähert genaue Steuerungsgetriebe die richtige Dampfvertheilung beeinflußt. ––––– In der Z. d. V. d. I. 1909, S. 1764 u. f. beschreibt E. Frikart seine neue, langsam laufende, zwangläufige Ventilsteuerung für Dampfmaschinen. Das bisherige Anwendungsgebiet dieser Steuerung erstreckt sich auf liegende Dampfmaschinen, welche eine eigene Steuerwelle aufweisen, die parallel zur Zylinderachse angeordnet ist und mit der halben Drehzahl der Maschine umläuft. Die Einzelheiten des Steuerungsgetriebes sind aus dem Querschnitt durch einen Dampfzylinder (Fig. 1) zu ersehen. Fig. 2 soll Aufschluß geben, in welcher Weise die Steuerung vom Regulator beherrscht wird. Ich will hier noch einmal kurz die von E. Frikart beschriebene Wirkungsweise der Steuerung an Hand der Fig. 1 und 2 wiedergeben. Die Dampfvertheilungsorgane sind entlastete Kolbenschieber, deren Kanäle beim Steuervorgang auf entsprechende Kanäle in den Schieberbüchsen treffen. Auf jeder Zylinderseite ist je ein Einlaß- und ein Auslaßschieber angeordnet, die von der Steuerwelle entsprechend der halben Drehzahl der Maschine bewegt werden. Wir werden später sehen, wie dieser Umstand es gestattet, den Steuervorgang in die Nähe der für einen präzisen Dampfabschluß äußerst günstigen Exzentermittellagen, also in die Zeit der größten Schiebergeschwindigkeit zu verlegen, und wie er andererseits fordert, daß die gleichen steuernden Kanten des Schiebers, welche beispielsweise auf dem Hinweg des Schiebers die zwei Punkte Ve und Exp (d. i. Voreinströmen und Expansion) des Indikatordiagramms eines beliebigen Kolbenhinganges festlegen, auf dem Rückwege des Schiebers, unter Vertauschung ihrer Rollen, genau die gleichen Punkte für das lndikatordiagramm des nächsten Kolbenhingangs bestimmen. Will man die Füllung ändern, z.B. vergrößern, so ist nur dafür zu sorgen, daß die Zeit, während welcher der Einlaßkanal im Schieber den Einlaßkanal der Schieberbüchse freilegt, vergrößert wird. Dies erreicht Frikart, wie Fig. 1 zeigt, dadurch, daß er den Einlaßschieber aus zwei Theilen mit einem dazwischenliegenden Spalt baut, und daß er die beiden Schieberhälften mehr oder weniger einander nähert, wodurch er den als Einlaßkanal dienenden Spalt ändert. Ist der Schieberspalt breiter geworden, so verstreicht mehr Zeit bis er über den Kanal in der Büchse hinweggeführt ist: die Füllung wird vergrößert. Wird die Schlitzweite im Schieber verringert, so nimmt der Füllungsgrad ab. Freilich muß, wie wir später sehen werden, mit der Aenderung der Schlitzbreite des Schiebers eine Aenderung des Voreilwinkels eintreten, wenn die allgemein übliche Forderung eines konstanten polaren Voreilens erfüllt sein soll. Um eine richtige Dampfvertheilung auch bei wechselndem Füllungsgrad zu erzielen, bildet Frikart das äußere Steuerungsgetriebe in folgender Weise aus (s. Fig. 2). Textabbildung Bd. 326, S. 596 Fig. 1. Ein Exzenter vom Halbmesser I D sitzt auf der mit der halben Drehzahl der Maschine umlaufenden Steuerwelle I und treibt mittels der geknickten Stange \overline{2\,2'} den Einlaßschieber und zugleich den Auslaßschieber an. In das Bereich unserer Betrachtungen soll nur die Einlaßsteuerung gezogen werden. Haben wir ihre Wirkungsweise erkannt, so ist das Verständnis für die weit einfachere Auslaßsteuerung von selbst gewonnen. Bei einer Umdrehung des Exzenters I beschreibt der Endpunkt E der Exzenterstange \overline{2\,2'} die in Fig. 2 eingezeichnete ellipsenähnliche Kurve, Diese Bewegung wird von der kleinen Schubstange 6 indirekt nach dem Einlaßkolbenschieber übertragen. Die Stange 6 treibt zunächst die schwachgeknickte Stange \overline{5\,5'} an, welche um ihren unteren Zapfen III schwingt. Der Drehpunkt III dieses unteren Zapfens wird von der unter der Herrschaft des Regulators stehenden Stange 7 festgehalten. Der obere Endpunkt G der Stange \overline{5\,5'} muß bei der eingezeichneten Lage der Stange 7 einen Kreisbogen um III beschreiben. Die Horizontalkomponente der Bewegung von G wird von der Stange 8 nach dem Punkte H, einem mit der linken Hälfte des Einlaßschiebers fest verbundenen Punkt übertragen. Da die Stange 8 fast parallel verschoben wird, so erfährt auch der Punkt K der rechten Hälfte des Einlaßschiebers durch den Winkelhebel \overline{8\,8'} und die kleine Schubstange 10 annähernd den gleichen Antrieb. Eine Gleitbahn führt die Punkte H und K in genau wagerechter Richtung. Wir können deshalb sagen, daß die beiden Schieberhälften praktisch genau die gleiche Bewegung erhalten, so daß sie bei festgehaltener Regulatormuffe, also unveränderlicher Lage von Punkt III, wie ein einziger Schieber mit gegebener Kanalbreite wirken. Greift nun der Regulator ein, so verdreht er die Stange 7 um die Achse IV der Regulierwelle. Nehmen wir an, die ganze Stange \overline{5\,5'} hebt sich, so zieht sie Punkt H mit der linken Schieberhälfte nach links, und der Winkelhebel \overline{8\,8'} schiebt den Punkt K mit der rechten Schieberhälfte nach rechts, den Schieberspalt vergrößernd. Mit der Stange 5 hebt bezw. senkt sich aber auch der Endpunkt F der Stange 6. Dadurch wird die Ableitungsrichtungfür die Schieberbewegung eine andere, was nach den Regeln der Bewegungslehre der Steuerungsgetriebe gleichbedeutend ist mit einer Aenderung des Voreilwinkels. Diebekannten Schieberdiagramme von Reuleaux-Müller, Zeuner, Bilgram usw. versagen für den vorliegenden Fall der Dampfvertheilung. Es ist deshalb nothwendig ein neues Steuerungsdiagramm aufzustellen, aus welchem die Abhängigkeit von Füllungsgrad, Voreilwinkel und Kantenentfernung (das ist Summe der Kanalbreiten im Schieber und Schieberspiegel) ersichtlich ist. In Fig. 3 sehen wir den nach der halben Drehzahl der Maschine bewegten Schieber mit seinem Schieberspiegel in schematischer Darstellung. Die Breite des Einlaßkanals im Spiegel sei mit a2, die Breite des Einlaßschlitzes im Schieber mit a1 bezeichnet. Die Summe beider, die Größe a1 + a2, nennen wir die Kantenentfernung k, weil sie angibt, welchen Abstand die beiden, den Punkt EXP steuernden Kanten 1' und 2' voneinander haben müssen, wenn der Schieber, wie gezeichnet, gerade im Punkt VE steht, d.h. wenn die Kanten 1' und 2 gerade zusammentreffen. Die Schieberstange setzen wir als unendlich lang voraus. Dann läßt sich die Bewegung eines jeden Punktes des Schiebers darstellen als die Projektion der Bewegung des Endpunktes des Exzenterarmes r auf die Wagerechte. Wir stellen nun den Schieber derart auf seinen Spiegel, daß die rechte Kante (2) des Schieberschlitzes mit der linken Kante (1') des Kanals im Spiegel zusammenfällt. Sodann ziehen wir, den Abstand der Kanten 1 und 2' halbierend, die Senkrechte m1 m2. Auf dieser liege der Mittelpunkt O unseres verschobenen Exzenterkreises, dessen Exzenter sich mit der Drehzahl \frac{n}{2} bewegt, wenn n die Drehzahl der Maschine i. d. Min. bedeutet. Textabbildung Bd. 326, S. 597 Fig. 2. Verfolgen wir nun die Bewegungen der Kante 1 des Schiebers. Bei der eingetragenen Rechtsdrehrichtung geht das mit r bezeichnete Exzenter gerade nach rechts; ebenso der Schieber. Die Stellung des Exzenters, welche Fig. 3 zeigt, ist mit VE zu bezeichnen, da die beiden steuernden Kanten 2 und 1' dem Dampf gerade den Weg zum Zylinder freigeben. Geht der Schieber um die Strecke a1 + a2 nach rechts, so kommt das Exzenter in den Punkt EXP zu stehen; steuernde Kanten sind nun die Kanten 1 und 2', welche die Dampfzufuhr nach dem Zylinder gerade beenden. Bewegt sich das Exzenter weiter, so tritt, wenn auf dem Rückweg des Schiebers die Kante 1 über die Kante 2' gelangt, wieder Dampf in den Zylinder ein. Die gleichen Kanten, die zuvor den Punkt EXP steuerten, legen nun den Punkt VE im Dampfdiagramm fest. Geht der Schieber um a1 + a2 weiter nach links, so kommt das Exzenter in die Stellung EXP und die Kanten 2 und 1', welche auf dem Hinweg des Schiebers den Voreintritt VE des Dampfes ermöglichten, steuern auf dem Rückweg des Schiebers den Punkt EXP. Dreht sich das Exzenter weiter, so wiederholt sich das gleiche Spiel immer wieder. Bis das Exzenter eine halbe Umdrehung ausführt, z.B. von seiner linken Totlage (t1) bis zu seiner rechten Totlage (t2) läuft, vollendet die Kurbel eine volle Umdrehung. Wenn also die Punkte VE und EXP für einen beliebigen Kolben hingang gelten, sind die Punkte VE und EXP, für den nächsten Kolben hingang maßgebend. Die Einströmverhältnisse beim Rückgang des Kolbens werden auf der anderen Zylinderseite von einem eigenen Schieber geregelt. Sollen die Einströmverhältnisse für die beiden aufeinanderfolgenden Kolbenhingänge genau die gleichen sein, so muß der Punkt EXP gegen EXP und der Punkt VE gegen VE, im Exzenterkreis um 180° versetzt sein, weil während dieser Zeit die Kurbel sich um je 360° weiterdreht. Damit es nun überhaupt möglich ist, die obengenannten Punkte im Exzenterkreis um 180° zu versetzen, muß die Mittellage m1 m2 des Exzenterkreises genau durch die Mitte der Strecke a1 + a2 gehen, wie Fig. 3 zeigt. Textabbildung Bd. 326, S. 598 Fig. 3. Der Winkel VE , O, EXP im Exzenterkreis ist halb so groß als der Winkel φ, den die Kurbel während der Einströmperiode beschreibt; wir bezeichnen Winkel VE, O, EXP daher mit \frac{\varphi}{2} und erblicken in ihm ein Maß für den Füllungsgrad der Maschine. Die Sehne VE, EXP gibt ohne weiteres die Summe der Schlitz- und Kanalbreiten a1 + a2 an, die bei der gerade herrschenden Füllung vorhanden sein muß. Wollen wir also aus dem Kurbelzapfenkreis, der in Fig. 3 mit gleichem Durchmesser wie der Exzenterkreis gezeichnet wurde, auf die Stellung des Schiebers schließen, so brauchen wir nur den Winkel φ zu halbieren, um die Größe des Drehungswinkels des Exzenters während der Einströmung zu finden, und die Sehne V_{E_K}\,b aus der rechten Figur herauszugreifen, um die erforderliche Kantenenifernung k = a1 + a2 in der linken Figur zu erhalten. Nun tritt die Frage auf: In welchem Winkel zur Kurbel keilen wir das Exzenter auf? Bei unserer Maschine stehen Kurbelwelle und Steuerwelle im Raum senkrecht aufeinander. Die Kurbelstellung läßt sich also nur indirekt dazu benutzen, den Aufkeilwinkel des Exzenters anzugeben. Wir drehen die Kurbel in die Stellung V_{E_K}, in welcher das Voreinströmen in den Zylinder beginnen soll; dann muß das Exzenter die in dem linken Theil der Fig. 3 mit VE bezeichnete Stellung einnehmen, und als Aufkeilwinkel können wir den Winkel (t1 O, VE) = δ bezeichnen, den das Exzenter mit der Wagerechten einschließt, wenn es in der Stellung VE, O steht. Von einem Voreil winkel in dem bei den bekannten Steuerungen üblichen Sinne können wir hier nicht sprechen wegen der ungleichen Drehgeschwindigkeit von Kurbel und Steuerwelle. Wir hörten schon, daß bei unserer Maschine das polare Voreilen konstant bleiben soll. Es muß somit das Exzenter bei jedem Füllungsgrad, sobald es nur mit der Wagerechten den Winkel δ oder (180 + δ) einschließt, den Punkt VE oder VB steuern. Dies tritt stets dann ein, wenn die Kurbel im unveränderlichen Punkte V_{E_K} steht. Textabbildung Bd. 326, S. 598 Fig. 4. Textabbildung Bd. 326, S. 598 Fig. 5. Wie verhält sich aber die Steuerung beim Aendern des Füllungsgrades? Wir erinnern uns, daß die Punkte VE und EXP im Exzenterkreis unter allen Umständen symmetrisch zur Linie m1 m2 liegen müssen (Fig. 3). Stellen wir einmal die Kurbel in den Punkt EXPK, das Exzenter also in den Punkt EXP und lassen den Regulator auf eine größere Füllung hinarbeiten (Füllwinkel φ in Fig. 4), so erhalten wir die neue Kantenentfernung in der Sehnenlänge V_{E_1}\,E_{XP_1}. Soweit wäre der Steuervorgang richtig. Als nicht erwünscht finden wir aber, daß der Punkt V_{E_1} nicht mit dem bei Füllwinkel φ gefundenen Punkt VE zusammenfällt, sondern sich um einen Winkel (V_{E_1}\ O\ V_E) von der Größe \frac{1}{2}\,.\,\left(\frac{\varphi_1}{2}-\frac{\varphi}{2}\right)=\frac{\varphi_1}{4}-\frac{\varphi}{4} in Fig. 4 nach links verschoben hat. Um den doppelten Betrag dieses Winkels würde sich im Kurbelkreis der Punkt V_{E_K} linksdrehend verschieben. Dies vermeiden wir dadurch, daß, wenn wir die Entfernung der Kanten 1 und 2 voneinander ändern, wir auch zugleich den Aufkeilwinkel des Exzenters um den Winkelbetrag \frac{\varphi_1}{4}-\frac{\varphi}{4} ändern, wie in Fig. 5 ausgeführt ist. Dann erscheint die neue Mittellinie \overline{(m_1)_1\,(m_2)_1} des Exzenterkreises mitsamt der Schubrichtung \overline{(t_1)_1\,(t_2)_1} der Exzenterstange um den Winkel \frac{\varphi_1}{4}-\frac{\varphi}{4} nach rechts verdreht und die Punkte VE und V_{E_1} fallen zusammen. Das Exzenter kommt nun etwas später in seine Mittellage. Praktisch führt Frikart diese Aenderung des Voreilwinkels nicht durch ein Verdrehen des Exzenters aus, sondern durch Heben und Senken des Endpunktes F der Stange 6 in Fig. 2. Es darf hierbei nicht übersehen werden, daß durch die Uebertragung mittels der Stangen 6 und \overline{5\,5'} kleine Ungenauigkeiten in der Steuerwirkung mit in Kauf zu nehmen sind, auf die wir noch zurückkommen werden. (Schluß folgt.)