Titel: | VEREINFACHTE BERECHNUNG VON TRAGWERKEN, DIE AUF ZUSAMMENGESETZTE FESTIGKEIT BEANSPRUCHT WERDEN. |
Autor: | G. Kaufmann |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 599 |
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VEREINFACHTE BERECHNUNG VON TRAGWERKEN, DIE AUF
ZUSAMMENGESETZTE FESTIGKEIT BEANSPRUCHT WERDEN.
Von Dipl.-Ing. G. Kaufmann, Berlin.
KAUFMANN: Vereinfachte Berechnung von Tragwerken usw.
Inhaltsübersicht.
Entwicklung von Formeln, die eine direkte Profilbestimmung von
Trägern, welche auf zusammengesetzte Festigkeit beansprucht werden, ermöglichen,
indem einfache Beziehungen zwischen F, Wx und Wy aufgestellt werden. Hierdurch wird das bei der
sonst üblichen Rechnungsart erforderliche zeitraubende Probieren vermieden.
–––––
Jeder Ingenieur, der viel mit der Berechnung von auf zusammengesetzte Festigkeit
beanspruchten Tragwerken zu tun hat, wird es als recht lästig und zeitraubend
empfunden haben, daß hierbei nach der üblichen Rechnungsart nicht ohne weiteres das
erforderliche Trägerprofil bei Annahme einer bestimmten zulässigen
Materialbeanspruchung hingeschrieben werden kann, vielmehr erst durch Probieren
gefunden werden muß. Während es bei einer auf reine Biegung beanspruchten
Konstruktion die Formel
\sigma=\frac{M}{W},
desgleichen bei einem auf zentrischen Druck oder Zug
beanspruchten Stab die Formel
\sigma=\frac{P}{F}
bei Kenntnis von a und M bezw. P sofort
ermöglicht, W bezw. F zu
finden und damit das erforderliche Trägerprofil festzulegen, ist dies bei
Tragwerken, die auf zusammengesetzte Festigkeit beansprucht werden, nicht der Fall.
Denn bei der hier gültigen Formel
\sigma=\frac{P}{F}\,\pm\,\frac{M}{W}=\sigma_1\,\pm\,\sigma_2
. . . . 1)
setzt sich die zulässige Beanspruchung σ aus zwei Theilbeträgen σ1 und σ2 zusammen, deren Größe nicht von vornherein bekannt
ist. Um das benötigte Trägerprofil zu bestimmen, verfährt man hier so, daß man
zunächst schätzungsweise ein bestimmtes Profil annimmt und unter Einsetzung von
dessen Fund W in die Gleichung 1 probiert, ob die sich
aus den Theilbeträgen σ1 und σ2
ergebende Gesamtspannung σ eine zulässige Beanspruchung
liefert. Ergibt die Probe dieses Resultat nicht, so muß ein anderes Trägerprofil
gewählt und mit diesem dasselbe Verfahren vorgenommen werden. Noch komplizierter
liegt natürlich die Sache, wenn, wie dies sehr häufig bei Stützen der Fall ist,
Biegungsmomente in Richtung der beiden Hauptachsen auftreten, so daß sich hier
die Gesamtbeanspruchung des Tragwerkes ergibt zu:
\sigma=\frac{P}{F}\,\pm\,\frac{M_x}{W_x}\,\pm\,\frac{M_y}{W_y}=\sigma_1\,\pm\,\sigma_2\,\pm\,\sigma_3
. . 2)
Denn hier kann für einen bestimmten Querschnitt (die
Verwendung von zwei Trägern vorausgesetzt) der Wert Wy im Gegensatz zu den
Werten F und Wx nicht einfach aus einer Trägertabelle entnommen,
sondern muß in jedem Fall neu berechnet werden.
Es fragt sich nun, ob sich die Gleichungen 1 und 2 nicht auf eine Form bringen
lassen, die es ermöglicht, bei gegebenem P und Mx bezw. My das erforderliche
W oder F des
betreffenden Trägers ohne vorheriges Probieren festzustellen.
Betrachten wir zunächst den einfacheren Fall der Gleichung 1, also etwa eine auf
exzentrischem Druck beanspruchte Stütze, bei der jedoch das Biegungsmoment nur
senkrecht zur X-Achse wirkt. Die Gleichung 1 läßt sich umformen auf:
\sigma\,.\,W=P\,.\,\frac{W}{F}+M . . . 1a)
Wenn sich nun der Ausdruck \frac{W}{F} als
Funktion von W schreiben ließe, wäre eine Gleichung
geschaffen, die als einzige Unbekannte das Widerstandsmoment des Trägers enthielte.
In den folgenden Tab. 1 und 2 sind für Normalprofil- bezw. Grey-Träger die Werte F, W und
\frac{W}{F} zusammengestellt worden. In Fig. 1 sind die aus den Tabellen entnommenen Werte
W als Abszissen und die Werte
\frac{W}{F} als Ordinaten aufgetragen worden. Die sich
hierbei ergebenden Punkte liegen auf einer Kurve, die die Beziehung von W zu \frac{W}{F} darstellt. Hierbei
sind die Normalprofile 18–30 und 30–50, die Grey-Trägerprofile 18–40 und 40–55 jeweilig in eine Gruppe zusammengefaßt
worden. Die sich ergebenden Kurven sind so schwach gekrümmt, daß sie durch
Ausgleichsgerade (in der Figur strichpunktierte Linien) ersetzt werden können.
Alsdann läßt sich die Beziehung zwischen \frac{W}{F} und W ausdrücken durch die Gleichung.
\frac{W}{F}=a+b\,.\,W . . . . . . . .
3)
Setzt man diesen Wert in Gleichung 1 a ein, so erhält man
a • W = P • (a + b • W) + M
oder
W=\frac{P\,.\,a+M}{\sigma-P\,.\,b} . . . . . .
1)
Textabbildung Bd. 326, S. 600
Fig. 1.
Darstellung der Kurve
Tabelle 1.
N.-P.
F
W
W/F
N.-P.
F
W
W/F
18
27,9
161
5,77
30
69,0
652
9,45
19
30,5
185
6,07
32
77,7
781
10,05
20
33,4
214
6,41
34
86,7
922
10,63
21
36,3
244
6,72
36
97,0
1088
11,22
22
39,5
278
7,04
38
107,0
1262
11,80
23
42,6
314
7,37
40
118,0
1459
12,36
24
46,1
353
7,66
42½
132,0
1739
13,17
25
49,7
396
7,97
45
147,0
2040
13,88
26
53,3
441
8,27
47½
163,0
2375
14,57
27
57,1
491
8,60
50
179,0
2750
15,36
28
61,0
541
8,87
29
64,8
594
9,17
Die Koeffizienten a und b erhält man, indem man in die Gleichung 3 für zwei
Kurvenpunkte die aus Fig. 1 zu entnehmenden Werte
von \frac{W}{F} und W einsetzt. So
ergibt sich:
für Normalprofil 18–30:
6,07 = a + b • 161,
9,75 = a + b • 652.
Hieraus durch Subtraktion
3,68 = 491 b
oder
b=\frac{3,68}{491}=0,0075
und hiermit
a = 9,75 – 0,0075 • 652 = 4,86.
Demnach lautet hier die Gleichung der Geraden:
Tabelle 2.
Grey
F
W
W/F
Grey
F
W
W/F
18 B
59,9
390
6,51
32 B
160,7
1882
11,71
20 B
70,4
517
7,34
34 B
167,4
2073
12,38
22 B
82,6
671
8,12
36 B
181,5
2360
13,00
24 B
96,8
855
8,83
38 B
191,2
2605
13,62
25 B
105,1
965
9,18
40 B
203,6
2892
14,20
26 B
115,6
1104
9,55
42½ B
213,9
3212
15,02
27 B
123,2
1224
9,94
45 B
229,3
3595
15,68
28 B
131,8
1361
10,33
47½ B
242,0
3992
16,50
29 B
141,1
1508
10,69
50 B
261,8
4451
17,00
30 B
152,1
1680
11,04
55 B
288,0
5308
18,43
\frac{W}{F}=4,86+0,0075\,W . . . . 3a)
Entsprechend wird
für Normalprofil 30–50:
9,68 = a + b • 652,
15,77 = a + b • 2750,
b=\frac{6,09}{2098}=0,0029,
a = 9,68 – 0,0029 • 652 = 7,79,
\frac{W}{F}=7,79+0,0029\,W
. . . . . . . . . . . . . 3b)
für Grey-Profil 18–40:
7,08 = a + b • 390,
14,82 = a + b • 2892,
b=\frac{7,74}{2505}=0,0031.
a = 7,08 – 0,0031 • 390 = 5,87,
\frac{W}{F}=5,87+0,0031\,W . . . . . . . .
3c)
für Grey-Profil 40–55:
14,38 = a + b • 2892,
18,62 = a + b • 5308,
b=\frac{4,24}{2416}=0,00175
a = 14,38 – 0,00175 • 2892 = 9,32,
\frac{W}{F}=9,32+0,00175\,W . . . 3d)
Tabelle 3.
N.-P.
F nachGleich. 4
F vor-handen
N.-P.
F nachGleich 4
F vor-handen
18
26,6
27,9
30
67,4
69,0
19
29,6
30,5
32
77,8
77,7
20
33,1
33,4
34
88,2
86,7
21
36,4
36,3
36
99,3
97,0
22
40,1
39,5
38
110,2
107,0
23
43,5
42,6
40
121,3
118,0
24
46,9
46,1
42½
135,5
132,0
25
50,6
49,7
45
148,8
147,0
26
54,0
53,3
47½
161,7
163,0
27
57,4
57,1
50
174,6
179,0
28
60,7
61,0
29
63,8
64,8
30
66,9
69,0
Dementsprechend ergeben sich die Formeln zur Dimensionierung
der Träger:
bei Normalprofil 18–30 zu:
W=\frac{4,86\,P+M}{\sigma-0,0075\,P} I a)
„ „ 30–50 „ W=\frac{7,79\,P+M}{\sigma-0,0029\,P}
I b)
bei Grey-Profil 18–40 zu:
W=\frac{5,87\,P+M}\,\sigma-0,0031\,P} I c)
„ „ 30–50 „
W=\frac{9,32\,P+M}{\sigma-0,00175\,P} I d)
Bevor wir die Anwendung dieser Formeln an einem Beispiel erläutern, wollen wir uns
ein Urtheil über den Genauigkeitsgrad derselben bilden. Aus der Gleichung 3 ist:
F=\frac{W}{a+b\,.\,W} . . . . 4)
Nach dieser Formel wurden unter Einsetzung der vorstehend
ermittelten Werte von a und b für die einzelnen Trägerprofile die Querschnitte F errechnet und in den Tab. 3 und 4 den wirklich vorhandenen
Querschnittsabmessungen gegenübergestellt. Wie man sieht, betragen die Differenzen
nur ganz wenig v. H. Hierbei ist noch zu beachten, daß der Unterschied auf das
Endresultat noch
Tabelle 4.
Grey
F nachGleich. 4
F vor-handen
Grey
F nachGleich. 4
F vor-handen
18 B
55,1
59,9
40 B
201,0
203,6
20 B
69,2
70,4
42½ B
214,7
213,9
22 B
84,5
82,6
45 B
230,3
229,3
24 B
100,3
96,8
47½ B
244,7
242,0
25 B
108,9
105,1
50 B
260,0
261,8
26 B
118,9
115,6
55 B
285,7
288,0
27 B
126,8
123,2
28 B
134,9
131,8
29 B
143,1
141,1
30 B
151,7
152,1
32 B
160,9
160,7
34 B
168,4
167,4
36 B
178,9
181,5
38 B
186,8
191,2
40 B
194,8
203,6
erheblich geringer sein wird, denn die Differenzen betreffen
ja nur den Querschnitt F und somit die Spannung σ1, während sich die
Werte W und σ2 (vergl. Gleichung 1) genau ergeben.
(Fortsetzung folgt.)