Titel: | POLYTECHNISCHE RUNDSCHAU. |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 702 |
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POLYTECHNISCHE RUNDSCHAU.
Polytechnische Rundschau.
Das Schwinden des Gußeisens behandelt ein Aufsatz von
Dipl.-Ing. E. Rosenberg in „Stahl und Eisen“, dem wir das Folgende
entnehmen:
Der Vorgang des Schwindens zerfällt in drei Teile, die sich abspielen im
Temperaturbereich
a) der flüssigen,
b) der flüssigen und festen,
c) der festen Phase.
Was mit dem Metall von der Gießtemperatur bis zum Beginn der Erstarrung vor sich
geht, ist nicht von großer Wichtigkeit für den Vorgang des Schwindens; es fehlen
zudem zuverlässige Angaben über den Ausdehnungskoeffizienten des flüssigen Roheisens
sowie über das Schwinden desselben.
Das Schwinden wächst nach Ledebour mit abnehmendem
Graphit- und zunehmendem Mangangehalt. Unter der Voraussetzung, daß dies auch für
die flüssige Phase zutrifft, folgt also hieraus, daß bei einem graphitreichen,
manganarmen Roheisen am wenigsten Material in die Form nachfließen muß, um die
durch das Schwinden des flüssigen Metalls entstandene Volumenverminderung wieder
auszugleichen; daß hingegen die nachzufüllende Menge immer größer wird, je mehr das
Eisen den Charakter des weißen Roheisens annimmt. Bei Verwendung des grauen
Roheisens kann man deshalb das Schwinden in der flüssigen Phase ohne Nachteil für
die gute Ausfüllung der Form unberücksichtigt lassen.
Als eigentliches Schwinden muß man demzufolge hauptsächlich die Volumenverkleinerung
nach Eintritt der flüssig-festen und der festen Phase bezeichnen.
Zwei Hauptfaktoren sind für dieses Schwinden maßgebend:
1. Die Volumenvergrößerung während des
Erstarrungsintervalles.
2. Die Volumenverkleinerung, die nach dem Erstarren eintritt,
entsprechend dem Ausdehnungskoeffizienten für die jeweilige Temperatur.
Für den Fall, daß die beiden Werte gleichgroß sind, würde kein Schwinden des
Gußeisens eintreten, da sich Volumenvergrößerung und Volumenverminderung gegenseitig
aufheben. Die Erfahrung lehrt aber, daß der erste Faktor gewöhnlich bedeutend
kleiner ist als der zweite; daß also ein Schrumpfen des gegossenen Stückes eintritt.
Es ist in der Praxis anzustreben, daß beide Faktoren sich ihrer absoluten Größe nach
möglichst nähern, um das Schwinden klein zu halten.
Die Volumenveränderung beim Erstarren geht Hand in Hand mit einer Aenderung des
spezifischen Gewichts beim Uebergang in den festen Zustand.
Es ist \mbox{Volumen}=\frac{\mbox{absolutes Gewicht}}{\mbox{spez.
Gewicht}}
Für den festen Zustand sei
V_1=\frac{G}{s_1}
Für den festen Zustand sei
V_2=\frac{G}{s_2}
Eine Volumen Vergrößerung beim Erstarren bedingt:
V2 > V1> , d.h. s1 > s2
das Material muß also im flüssigen Zustand vor dem Erstarren
eine etwas größere Dichte haben als bei Temperaturen unmittelbar unter dem
Erstarren, wenn bei der Erstarrung eine Volumenvergrößerung auftreten soll.
Die Abnahme des spez. Gewichts bei der Erstarrung Verläuft nicht proportional der
Temperatur, sondern sprungweise, da Umbildungen der Komponenten der Eisen- und
Kohlenstofflegierungen eintreten, die Vergrößerungen bezw. Verkleinerungen des
Volumens zur Folge haben. Außerdem zeigt der Ausdehnungskoeffizient der festen Phase
ein starkes Wachsen mit der Temperatur, was eine weitere Verringerung des spez.
Gewichts zur Folge hat. Um dies klarzumachen, sei folgende Ueberlegung angestellt:
Nach Jüptner ist für nahezu reines Eisen der
Wärmeausdehnungskoeffizient bis 758°C bestimmt durch
\frac{d\,\alpha}{d\,t}=0,000011+0,000000008\mbox{ t,}
α bei 0° C
=
0,000011,
α bei 758° C
=
0,000017,
–––––––––––––––––––––––––
mittleres α
=
0,000014
demnach ist der mittlere kubische
Wärmeausdehnungskoeffizient
β = 3α =
0,000042
1 cdm reines Eisen wiegt ∾7,86 kg,
1 cdm wächst bei der Erwärmung auf 758° C um
758 × 0,000042 = 0,03184 cdm;
1,03184
cdm
wiegt
also
7,86
kg
und
1
cdm
„
„
7,62
kg
bei
758° C.
Wenn man die Zusammenziehung innerhalb des kritischen Gebietes unberücksichtigt läßt,
so ergibt sich das spez. Gewicht bei 1500° C aus
β = 3α =
0,000045 über 850° C
(nach Jüptner), woraus in gleicher Weise wie oben folgt:
spez. Gewicht bei 1500° C = 7,37.
In der folgenden Tabelle ist das Ergebnis obiger Berechnung für reines Eisen
zusammengestellt. Zuverlässige Angaben über das spez. Gewicht flüssigen reinen
Eisens existieren nicht.
Temperatur° C
Spez. Gewicht
Abnahmein v. H.
0
7,86
–
758
7,62
3,05
1500
7,37
6,28
Es wird daher in folgendem die Voraussetzung gemacht, daß die Zunahme des spez.
Gewichts beim Abkühlen der Größe nach übereinstimmt mit der Abnahme des spezifischen
Gewichts bei der Erwärmung.
Bei den verschiedenen Roheisensorten tritt aber die Abnahme des spez. Gewichts in
ganz anderer Weise auf wie beim reinen Eisen.
Es ist
das
spez.
Gewicht
von
grauem
Eisen
∾ 7,1,
„
„
„
„
weißem
„
∾ 7,6.
Die Roheisenarten haben auch einen größeren
Ausdehnungskoeffizienten als das reine Eisen, es ist nämlich:
α bei grauem Gußeisen bis 1000° C =
0,0000175,
daraus ergibt sich:
β = 3α =
0,0000525;
danach würde sich für graues Eisen bei 1000° C ein spez.
Gewicht ergeben von:
7,1 : (1 + 1000 • 0,0000525) = 6,75.
Weißes Eisen hätte unter der Annahme, daß a in beiden
Fällen denselben Wert hat, bei 1000° C ein spez. Gewicht von:
7,6 : (1 + 1000 • 0,0000525) = 7,22.
Man begegnet aber auch bedeutend höheren Angaben über den Ausdehnungskoeffizienten,
z.B. α = 0,0000333 zwischen 720° und 950° C.
Mit diesem Wert gerechnet würde sich ergeben:
β = 3 α = 0,0000999,
Graues
Eisen
= 7,1 : (1 + 1000 • 0,0000999) = 6,46,
Weißes
„
= 7,6 : (1 + 1000 • 0,0000999) = 6,91.
Die Uebergangsstufen von grauem zu weißem Eisen würden also bei 1000° C ein spez.
Gewicht von 6,75 bis 7,22 oder von 6,46 bis 6,91 haben.
Für flüssiges Eisen finden sich folgende Angaben, die annähernd für beide
Roheisensorten gelten können:
6,6 – 6,7; 6,88; 7,0; 6,9 – 6,88.
Für die weiteren Untersuchungen sei der Mittelwert von 6,89
zugrunde gelegt.
Die folgende Tabelle gibt eine Zusammenstellung der spez. Gewichte bei verschiedenen
Temperaturen; einmal unter Zugrundelegung des spez. Gewichts von 7,6 (weißes
Roheisen), dann unter Zugrundelegung des spez. Gewichts von 7,1 (graues
Roheisen).
Spez. Gewicht von grauem und weißem Roheisen:
Material
Temperat.in °C
I
II
Verminderungin v. H.
in I
in II
GrauesRoheisen
01000flüssing
7,16,756,89
7,16,466,89
– 4,93Zunahme
–9,01Zunahme
WeißesRoheisen
01000flüssig
7,67,226,89
7,66,916,89
–5,0 9,34
–9,089,34
Die Tabelle lehrt folgendes: Das spez. Gewicht des grauen Eisens ist schon bei
1000° C kleiner als der Wert für flüssiges Eisen in beiden Fällen. Weißes Eisen
zeigt aber, mit beiden Werten gerechnet, ein spez. Gewicht, das über dem
Durchschnitt liegt. Graues Eisen hat in der flüssigen Phase ein höheres spez.
Gewicht als kurz nach beendigter Erstarrung, während bei weißem Eisen das Umgekehrte
der Fall ist. Bei der Erstarrung von grauem Eisen tritt also eine
Volumenvergrößerung ein, die mit der Abnahme des spez. Gewichts der Roheisensorte
wächst. Bei weißem Eisen kann indessen diese Volumenvergrößerung nicht
auftreten.
Die Volumenvergrößerung des grauen Eisens läßt sich mit den oben erhaltenen Werten in
beiden Fällen berechnen:
Spez.
Gewicht
flüssig
=
6,89
„
„
fest
=
6,75,
1 cdm flüssigen Materials liefert
\frac{6,89}{6,75}=1,0207 cdm festen Materials.
Volumenvergrößerung
im
ersten
Fall
2,1
v. H.,
„
„
zweiten
„
6,7
„
Ebenso kann die Volumenverminderung des weißen Eisens ermittelt werden.
Versuche von Turner und Hague
haben bestätigt, daß siliciumfreies, weißes Eisen sich nicht beim Erstarren
ausdehnt, während graues Eisen eine deutliche Volumenvergrößerung zeigt. Die Abnahme
des spez. Gewichts innerhalb der festen Phase ist nicht gut kontrollierbar, da man
es mit keinem homogenen Körper zu tun hat.
Bei der Erstarrung entstandene Hohlraume und eingeschlossene Gase geben Anlaß zu
Fehlerquellen. Wenn die Gase beim Erwärmen entweichen, kann eine gewisse Ausdehnung
des Materials auf Kosten der Hohlraume erfolgen, ohne daß das äußere Gesamtvolumen
geändert wird. Behält das Material seine äußeren Abmessungen, und dehnt es sich nur
auf Kosten der Hohlraume nach innen aus, so bleibt das spez. Gewicht innerhalb der
festen Phase gleich. Es können bei der Erwärmung drei Fälle eintreten:
1.
das
spez.
Gewicht
nimmt
ab,
2.
„
„
„
„
zu,
3.
„
„
„
bleibt
gleich.
Es hängt von der Homogenität des Materials ab, ob einer dieser drei Fälle rein zur
Erscheinung gelangt oder ob alle drei Fälle ohne Stetigkeit abwechseln.
Laufen noch chemische Veränderungen des Materials, die mit Volumenänderungen
verbunden sind, parallel nebenher, so wird der ganze Vorgang noch verwickelter. Ein
typisches Beispiel hierfür ist das graue Roheisen mit der innerhalb des durch das
Eisen-Kohlenstoff-Diagramm gegebenen Temperaturintervalles stattfindenden
Graphitausscheidung, der man die Volumenvergrößerung zuschreibt.
Folgende Betrachtung gewährt einen ungefähren Ueberblick über diese Erscheinung. Das
spez. Gewicht des Graphits schwankt nach verschiedenen Angaben zwischen 2,1–2,3;
2,3; 2,17–2,32.
Für die weitere Rechnung soll ein Durchschnittswert von 2,25 angenommen werden.
Das spez. Gewicht des Eisenkarbids, aus dessen Kohlenstoff der Graphit entsteht, ist
nach Moissan = 7,07.
In der Verbindung Fe3C ist der Kohlenstoff spez.
schwerer als der auskristallisierte Graphit, wie sich aus folgendem ergibt:
3 Fe
=
168
C
=
12
––––––––––––
Fe3C
=
180
180 kg Fe3C enthalten 12 kg C und 168 kg Fe.
7,07 kg Fe3C
=
1 cdm
180 kg Fe3C
180:7,07
=
25,46 cdm
168 kg Fe
168:7,86
=
21,37 „
(spez. Gewicht von reinem Eisen)
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
12 kg C
=
4,09 cdm
Spez. Gewicht des Kohlenstoffs im Eisenkarbid = 12 : 4,09 =
2,93.
Die theoretische Volumenvergrößerung des Kohlenstoffs beim Uebergang aus dem
gebundenen Zustand in Graphit würde sich also ergeben aus
\frac{2,93}{2,25}=1,30 zu 30 v. H. In Wirklichkeit aber fällt
die Volumenvergrößerung etwas anders aus, da sich den auskristallisierenden
Graphitteilchen ein bedeutender Druck entgegensetzt, der sie an der
Volumenvergrößerung hindert. Auch gelten die in der Rechnung benutzten Konstanten
nur für gewöhnliche Temperatur, was ebenfalls Anlaß zu Ungenauigkeiten gibt. Um die
letzte Fehlerquelle teilweise zu eliminieren, sei folgende Betrachtung angestellt:
Zwei Roheisensorten A und B sollen bei gewöhnlichen Temperaturen folgende
Zusammensetzung haben:
A
B
3 v. H. Graphit
1 v. H. Graphit
1 „ geb. Kohlenstoff
2 „ geb. Kohlenstoff
100 kg festes Material bestehen aus:
A
B
3 kg Graphit
1 kg Graphit
15 „ Eisenkarbid
30 „ Eisenkarbid
82 „ reines Eisen
69 „ reines Eisen
Unter der Annahme, daß das spez. Gewicht für alle Temperaturen = 2,25, das des
Eisenkarbids bei allen Temperaturen = 7,07, das des festen Eisens = 7,86, das des
flüssigen Eisens = 7,2, das des Eisens bei 1000° C ∾ 7,45 sei, verlaufen damit die
Volumen- und Schwindungsverhältnisse in folgender Weise:
A1
bei gewöhnlicher Temperatur
3
kg
Graphit
3 : 2,25
=
1,33 cdm
15
„
Eisenkarbid
15 : 7,07
=
2,12 „
82
„
Eisen
82 : 7,86
=
10,46 „
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
100
kg
Roheisen
=
13,91 cdm
A2
bei 1000° C unter der Annahme, daß noch kein Graphit gelöst
ist.
3
kg
Graphit
=
1,33 cdm
15
„
Eisenkarbid
=
2,12 „
82
„
Eisen
82 : 7,45
=
11,00 „
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
100
kg
Roheisen
=
14,45 cdm
A3
flüssig, so daß aller Graphit gelöst ist
3
kg
Graphit
=
45 kg
Eisenkarbid
60
„
Eisenkarbid
60 : 7,07
=
8,49
cdm
40
„
Eisen
40 : 7,2
=
5,56
„
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
100
kg
Roheisan
=
14,05
cdm
B1
bei gewöhnlicher Temperatur
1
kg
Graphit
1 : 2,25
=
0,44
cdm
30
„
Eisenkarbid
30 : 7,07
=
4,24
„
69
„
Eisen
69 : 7,86
=
8,77
„
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
100
kg
Roheisen
=
13,45
cdm
B2
bei 1000°
1
kg
Graphit
1 : 2,25
=
0,44
cdm
30
„
Eisenkarbid
30 : 7,07
=
4,24
„
69
„
Eisen
69 : 7,45
=
9,26
„
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
100
kg
Roheisen
=
13,94
cdm
B3
flüssig
45
kg
Eisenkarbid
45 : 7,07
=
6,36
cdm
55
„
Eisen
55 : 7,2
=
7,64
„
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
100
kg
Roheisen
=
14,00
cdm.
Material A
Temperatur°C
Volumencdm
Aenderung
v. H.
Spez.Gewicht
flüssig
14,00
–
–
7,1
1000
14,45
+ 0,40
+ 2,85
6,9
0
13,91
– 0,14
– 1,0
7,2
Material B
Temperature° C
Volumencdm
Aenderung
v.H.
Spez.Gewicht
flüssig
14,00
–
–
7,1
1000
13,94
– 0,06
– 0,43
7,2
0
13,45
– 0,55
– 3,93
7,4
Im Fall A erhält man beim Uebergang vom flüssigen Zustand in das Gebiet der
Grapitausscheidung eine Volumenzunahme von 2,83 v. H. und darauffolgend eine
Volumenabnahme von 1 v. H. Die gesamte Volumenschwankung beträgt also 1,85 v. H. Der
Unterschied zwischen Volumenvergrößerung während des Erstarrens und der
Volumenverminderung im erstarrten Zustand ist gering, das Material zeigt geringe
Schwindung. Wenn man die Zahl 2,85 v. H. mit den früher festgestellten
Volumenvergrößerungen 2,1–6,7 v. H. vergleicht, so ergibt sich hinreichende
Uebereinstimmung.
Im Fall B hat man es mit einem Material zu tun, das in bezug auf Schwinden nicht
dieselben günstigen Eigenschaften zeigt. Die anfängliche Volumenvergrößerung fehlt
ganz, und der Unterschied zwischen dem flüssigen Volumen und dem des erstarrten
Eisens ist viel höher als bei A, und wird um so größer, je mehr das Eisen sich in
seiner Zusammensetzung dem weißen Roheisen nähert. Ein Roheisen, das 3½ v. H.
Graphit bei 1 v. H. gebundenem Kohlenstoff enthält, würde gleiche
Volumenvergrößerung und -Verkleinerung ergeben, so daß das Material seine
Abmessungen behält.
Wenn auch die vorstehend erhaltenen Resultate auf verschiedenen Voraussetzungen
basieren, so geben sie doch ein ungefähres Bild von dem wirklichen Verlauf der
Schwindungsvorgänge. [Stahl und Eisen, 31. August 1911.]