Titel: | DER LOKOMOTIVBAU AUF DER INTERNATIONALEN INDUSTRIE- UND GEWERBE-AUSSTELLUNG IN TURIN. |
Autor: | Schwickart |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 740 |
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DER LOKOMOTIVBAU AUF DER INTERNATIONALEN
INDUSTRIE- UND GEWERBE-AUSSTELLUNG IN TURIN.
Von Schwickart,
Ingenieur in Cöln-Kalk.
(Fortsetzung von S. 730 d. Bd.)
SCHWICKART: Der Lokomotivbau auf d. Internat. Industrie- u.
Gewerbe-Ausstellung Turin.
4. 2–B–0 Zwilling-Heißdampf-Schnellzuglokomotive mit
Ventilsteuerung, Bauart Stumpf der preußisch-hessischen Staatsbahnen. (Breslauer Actien-Gesellschaft für Eisenbahnwagenbau und
Maschinenbau-Anstalt, Breslau.)
Mehr noch als die vorher erwähnte Lokomotive ist diese 2–B–0 Maschine mit 2100
Raddurchmesser für hohe Geschwindigkeiten im Flachlande geeignet. Im allgemeinen
sind keine wesentlichen Aenderungen gegenüber der von der gleichen Firma in
Brüssel ausgestellten Schwestermaschine zu finden. Neu ist der Versuch,
Schnellzuglokomotiven mit Stumpf-Ventilsteuerung auszurüsten. Es wäre verfrüht,
schon heute ein Urteil über diesen Versuch zu fällen. Wenngleich die später
angeführten Vergleichsdaten sich günstig für die Stumpf
sehe Bauart aussprechen, so muß doch bedacht werden, daß die Werte von neuen,
tadellos funktionierenden Maschinen herrühren und vielleicht schon nach kurzer Zeit
im Dienste heruntersinken. Hierzu können sich hohe Reparaturunkosten u.a. gesellen, so daß die
Neuerung später trotz der günstigen ersten Ergebnisse sich ungünstiger gestaltet. Es
soll damit zugleich gesagt sein, daß die Ausführung noch keineswegs spruchreif genug
ist, um eine sichere Zukunft zu haben.
Textabbildung Bd. 326, S. 741
Fig. 7 und 8. Lokomotive Nr. 4.
Das Wesen des sogenannten Gleichstromsystems besteht darin, daß der Dampf an den
Zylinderenden einströmt und am Hubende des Kolbens in der Mitte des Zylinders
ausströmt, also kein Richtungswechsel desselben eintritt. Zunächst werden auf diese
Weise die Zylinderenden von dem abgekühlten Dampf nicht berührt, sondern bleiben
fast gleichmäßig heiß. Die Temperaturabnahme im Zylinder würde graphisch aufgetragen
eine Sinuskurve ergeben, deren Maxima an den Enden liegen und deren Minimum in der
Mitte sich befindet. Eine schädliche Abkühlung kann einmal der verbrauchte Dampf
nicht hervorrufen, da eine Rückleitung desselben wie bei Wechselstrom nicht
stattfindet; aber auch das Kondenswasser nicht, weil selbiges selbsttätig durch die
Ausströmöffnungen und eine unten am Kanal angebrachte Bohrung entfernt wird.
Andererseits wird die Zylinderfläche vergrößert und damit auch die gesamte
Abkühlung der Zylinder.
Die Funktion des Kolbens als Auslaßorgan bedingt für alle Füllungen gleiche
Vorausströmung und Kompression. Konstruktiv war auf diese Weise ein theoretisch
erstrebenswerter großer freier Austrittsquerschnitt möglich, der von 201,1 qcm auf
501,6 qcm erhöht werden konnte. Der kurze plötzliche Austritt ergibt allerdings eine
hohe Dampfgeschwindigkeit. Um kein schädliches Vakuum zu erhalten, wodurch das Feuer
aufgerissen und ein ungleichmäßiger Kesseldruck bedingt würde, haben die
Auspuffrohre 300 mm 1. W. Dem kurzen Dampfaustritt folgt schon bei 12,7 v. H. des
Kolbenweges die Kompression, weshalb die schädlichen Raume von 11,8 v. H. vorn und
13,65 v. H. hinten bei der Wechselstrommaschine auf 16,5 bezw. 16,25 v. H. bei der
Gleichstrommaschine vergrößert wurden. Es kann an Hand dieser Angaben kein
Rückschluß auf die Unwirthschaftlichkeit durch Abkühlungsverluste gemacht werden, da
die Abkühlungsfläche von 0,38 qm bei der Stumpf-Maschine
gegenüber 0,868 qm vorn und 0,628 qm hinten bei der Wechselstrommaschine um 55,2 v.
H. resp. 39,4 v. H. kleiner sind. Anders liegt es mit dem mittleren Dampfdruck im
Diagramm. Die früher eintretende Kompression und die durch den großen schädlichen
Raum sich ergebende, flacher verlaufende Expansionskurve mit plötzlichem Abfall am
Ende des Hubes zeigt einen um etwa 11 v. H. geringeren Arbeitsdruck, wonach eine
Vergrößerung des Zylinderquerschnitts erforderlich wäre. Hieran würde sich als
nachteilig das vergrößerte Gewicht der Zylinder und ihre größere Länge anschließen,
die zu konstruktiven Schwierigkeiten führen können und häufiger z.B. als sonst eine
Schräglage des Zylinders bei Güterzuglokomotiven erforderlich machen.
Diese Darlegungen sollen durch die abgebildeten Diagramme weiter illustriert werden
(Fig. 7 und 8). Da hier
Widersprüche zu erwarten sind, so soll schon im voraus gesagt werden, daß die
nothwendige Füllung des schädlichen Raumes mit Frischdampf Verlust ist und daß die
Vergrößerung der Zylinderabmessungen bei Gleichstromlokomotiven aus oben angeführtem
Grunde keiner Zugkrafterhöhung gleichkommt, sondern nur Ballast ist. Eine
Schnittzeichnung des Zylinders zeigt Fig. 9.
Textabbildung Bd. 326, S. 741
Fig. 9.
Ein unverkennbarer Vorteil ist der Einbau der doppelsitzigen und durch Hubkurvenstücke
betätigten Dampfeinlaßventile von 164 mm äußerem Durchmesser in die Zylinderdeckel.
Sie ergeben große Eröffnungsquerschnitte, kurze Einströmkanäle und bedürfen keiner
Schmierung, wobei ein Dichten leichter als bei Schiebern möglich ist. Außerdem
verhindern sie Wasserschlag beim Anfahren, da sie durch Federn auf ihren Sitzen
gehalten werden. Es werden also die Dampfverluste sehr gering gegenüber anderen
Steuersystemen sein. Sollte ein Undichtwerden eintreten, so würde hierdurch die
Kompressionslinie wohl höher getrieben; der Dampf würde nachher doch wieder Arbeit
verrichten.
Die Bauweise der Einlaßorgane bringt demnach wertvolle Verbesserungen gegenüber
anderen mit sich, so daß die Reparaturunkosten geringer sein werden. Eine
selbsthätige Vorrichtung, die mittels Druckluft die Ventile bei Leerfahrten von
ihren Sitzen hebt, verhindert das Ansaugen von Ruß. Der geringere Druckunterschied
in bezug auf die Wandungen ist thermisch wie baulich erwähnenswert. Der geringe
Auflagedruck des Kolbenkörpers erübrigt eine Durchführung der Kolbenstange nach
vorn, so daß eine nennenswerte Vergrößerung der hin- und hergehenden Massen nicht
eintritt. Dagegen kann die Steuerung wegen der geringen inneren Reibung der
Steuerorgane leichter konstruiert werden.
5. 1–C–2 Zwilling-Heißdampf-Personenzug-Tender-Lokomotive für
das pfälzische Netz der kgl. bayerischen Staatsbahnen. (Krauß & Comp.
Aktiengesellschaft, München und Linz a. D.)
Dieser sehr vereinzelt gebaute Typ findet sich meines Wissens nur noch in Amerika
vor, er zeigt folgende Hauptabmessungen:
Tabelle 10.
Dienstgewicht
91 t
Adhäsionsgewicht
55 „
Zylinderdurchmesser
508 mm
Hub
610 „
Treibraddurchmesser
1565 „
Anzahl der Rohre
447
Durchmesser der Rohre
44,5 mm
Länge der Rohre
2730 „
Heizfläche, total
167 qm
Rostfläche
6,75 „
Radstand, total
9368 mm
Radstand, fest
3810 „
Kohlenvorrat
3,4 t
Wasservorrat
11,4 „
Krauß & Comp. baute die ersten 12 1–C–2
Tendermaschinen im Jahre 1907/08 für das engmaschige pfälzische Bahnnetz, für
welches eine in beiden Fahrtrichtungen und für alle Züge verwendbare Maschine am
zweckmäßigsten erscheint. Als Bedingungen wurden gestellt, daß die Maschinen
Strecken bis 130 km Länge ohne Vorratserneuerung mit schweren Personenzügen
durchlaufen, anderseits Schnellzüge mit 90 km befördern sollen. Das häufige Anhalten
der Schnellzüge auf etwa 10 bis 15 km bedingte eine große Anfahrbeschleunigung, und
damit war die Anwendung von drei gekuppelten Achsen sowie kleiner Raddurchmesser
gegeben.
Hierdurch war von vornherein der Bau von Tenderlokomotiven bedingt, deren Vorräte bei
den ersten Lokomotiven mit Naßdampf mit etwa 5,2 t Kohlen und 16 cbm Speisewasser
außergewöhnlich hoch bemessen waren. Bei der späteren Anwendung von Heißdampf
konnten diese auf 4,5 t bezw. 14 cbm beschränkt werden. Bei der für Hauptlinien
zulässigen Achsbelastung von 16 t wurde das Adhäsionsgewicht auf 48 t bemessen, und
es waren sechs Achsen, also die Hinzufügung von drei Laufachsen, ausreichend.
Um bei der hier in Betracht kommenden Geschwindigkeit den Forderungen des Absatzes 2
des § 88 der technischen Vereinbarungen zu entsprechen, wurde außer dem hinteren
Drehgestell auch die vordere Laufachse mit der mittleren
Kuppelachse zu einem Kraußschen Drehgestell vereinigt.
Der Raddurchmesser ist mit 1500 mm der Personenzugmaschine für schwere Züge gut
angepaßt, gestattet aber auch bei der zulässigen Umdrehungszahl von 320 i. d. Min.
für die vorliegende Bauart in beiden Fahrtrichtungen eine Geschwindigkeit von
\frac{\pi\,.\,1,5\,.\,320\,.\,60}{1000}=90 km i. d.
Stunde.
Textabbildung Bd. 326, S. 742
Fig. 10.
Das in Fig. 10 dargestellte Drehgestell nach Bauart
1908 D. R. P. 214896 wurde bei der ersten Lieferung zunächst probeweise zur
Anwendung gebracht. Hauptzweck desselben ist die Abstellung der beobachteten Neigung
zu einseitiger Abnutzung der Laufräder bei Vorwärtsfahrt in gerader Linie.
Aus diesem Grunde wurde die Winkelstellung der Laufachse von der der Deichsel
innerhalb der Spielraume s (Fig. 10) unabhängig gemacht. Gegen die am Hauptrahmen montierten
Widerlager M wird der Achslagerkörper G durch die Feder N
angedrückt, so daß die Normalstellung der Laufachse zur Längsachse des Fahrzeugs
genau rechtwinklig ist. Ein Einstellen der Laufachse im achsialen Sinne durch die
Deichsel erfolgt erst bei größerer Verschiebung der Kuppelachse, nachdem die
Anschläge A zum Anliegen gekommen sind. Wie die Fig. 10 ferner zeigt, stützt sich die Feder N auf eine Doppelkeilfläche, wodurch eine Rückstellung
bewirkt wird.
Ein Gesamtbild der Lokomotive gibt Fig. 11. Die hieraus
ersichtliche Lage der Zylinder über der Laufachse, sowie die Vereinigung der ersten
und dritten Achse zu einem Drehgestell erscheint zunächst gesucht. Dennoch ist diese
Ausführung gerechtfertigt, weil auf diese Weise ein kurzer Radstand möglich war. Bei
einer Anordnung der Laufachse vor den Zylindern hätte der Achsstand 9 m erreicht.
Die mittlere Achse wäre Triebachse geworden und damit ein größerer Ausschlag des
Drehgestells bedingt gewesen, der diesem die gute Führung zum Teil genommen hätte.
Bei dieser Maschine konnten die Drehgestellausschläge nach jeder Seite vorn auf 15
mm, hinten auf 30 mm beschränkt werden. Die mittlere Kuppelachse hat 25 mm
Seitenspiel. Die gesamte Federaufhängung ist so durchgeführt, daß sowohl die vier
vorderen als die zwei hinteren Achsen die Maschine theoretisch in je zwei Punkten
stützen. Dabei ist bei den Endachsen freie Beweglichkeit in der Querrichtung
gestattet und die einseitige Achsenbelastung verhindert. Bei der Vorderachse stehen
deshalb die beiden Langfedern dicht nebeneinander in Maschinenmitte und belasten
mittels einer gemeinsamen Kugelpfanne. Die Hinterachse des Drehgestells ist mit
einem Querausgleichhebel versehen.
Auffallend ist der geringe lichte Abstand der 25 mm starken Rahmenbleche von nur 1040
mm, bei denen die Gleitbacken von außen aufgeschraubt sind. Hierdurch konnte der
ganze Innenraum über und teilweise zwischen den Kuppelachsen ununterbrochen als
Wasserkasten benutzt werden, so daß unter den Achsen liegende Verbindungsrohre
fortfallen. Ferner befindet sich ein Wasserbehälter unter dem Kohlenkasten hinten
sowie zwei seitlich, an die Führerhausvorderwand sich anschließend.
Letztere tragen die ziemlich lang ausgebildeten Füllöffnungen, deren Deckel sich
vom Führerstand aus öffnen lassen. Wie bereits oben erwähnt, liegen die Zylinder
über der vorderen Laufachse, was eine Neigung der Mittellinie von 1 : 10,5 bedingte.
Die Dampfverteilung erfolgt durch Kolbenschieber mit doppelten federnden
Dichtungsringen und dazwischen liegendem geschlossenen Tragring Diese von der
Französischen Nordbahn zuerst ausgeführte Bauart ist von dem Kgl. bayerischen
Ministerium als Norm angenommen worden. Die Schieber haben innere einfache
Einströmung und werden durch eine äußere Heusinger-Steuerung angetrieben. Um ein
Klappern der Steuermutter zu verhindern, wird die Steuerwelle nach Fig. 12 festgestellt.
Textabbildung Bd. 326, S. 743
Fig. 11.
Textabbildung Bd. 326, S. 743
Fig. 12.
In die Druckausgleichkanäle für den Leerlauf ist als Abschlußorgan ein Tellerventil
eingebaut, welches, auf seiner Rückseite durch den Schieberkastendruck belastet, bei
Fahrt unter Dampf die konzentrisch angeordneten Oeffnungen der Kanalhälften
abschließt. Bei Leerfahrt wirkt das Ventil ganz analog dem Flachschieber, es hebt
sich bei Vakuum im Schieberkasten von seinem Sitz ab und gibt die
Uebertrittquerschnitte frei.
Die Hauptabmessungen des Kessels sind in Tab. 11 angeführt.
Die Kesselarmatur besteht aus: Regulator nach Zara, Sicherheitsventil nach Ramsbottom-Wöhler und Rauchverzehrung System Slaby.
Die Westinghouse-Bremse wirkt mit zwei 10''
Tabelle 11.
Rostlänge
2196
mm
Rostbreite
1066
„
Anzahl der Siederohre
135
Durchmesser der Siederohre
40/45
mm
Anzahl der Rauchrohre
21
= 3 × 7
Durchmesser der Rauchrohre
124/133
mm
Anzahl der Ueberhitzerelemente
21
Durchmesser der Ueberhitzerrohre
30/38
Länge zwischen den Rohrwänden.
4000
mm.
und einem 8'' Zylinder auf die drei gekuppelten und die
beiden hinteren Drehgestellachsen. Sämtliche Achsen werden einseitig gebremst. Die
Kuppelachsen können außerdem durch eine Extersche
Handbremse gebremst werden. Als Sonderausrüstung sei hier ein Gaskocher erwähnt,
während man sich auf den preußischen Eisenbahnen bemüht, Wärmetöpfe unterzubringen,
in denen das Essen leicht sauer und damit ungenießbar wird. Obigem Beispiel zu
folgen wäre sehr empfehlenswert.
(Fortsetzung folgt.)