Titel: | POLYTECHNISCHE RUNDSCHAU. |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 819 |
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POLYTECHNISCHE RUNDSCHAU.
Polytechnische Rundschau.
Die Motorschiffahrt in den Kolonien. Durch die
Neuerwerbungen Deutschlands im Kongogebiet ist die Präge einer Motorschiffahrt auf
dem Kongo und seinen Nebenflüssen Sangha und Ubangi auch für uns aktuell geworden.
Einem interessanten, vor der Technischen Kommission des Kolonial-Wirtschaftlichen
Komitees in Berlin gehaltenen Referat des Ingenieurs Dr. Ing. h. c. Diesel-München entnehmen wir auszugsweise folgendes:
Im allgemeinen erfordern die afrikanischen Flußläufe wegen ihrer ungemein wechselnden
Wassermengen, der unregelmäßigen Beschaffenheit ihres Bettes, der zahlreichen
Stromschnellen usw. ganz spezielle Bootskonstruktionen, meistens mehr oder weniger
flachgehende Boote. In dieser Beziehung bestehen für die Technik keinerlei
Schwierigkeiten, um die sich ergebenden Aufgaben zu lösen. Man ist imstande, den
Schiffen die Gestalt und den Tiefgang sowie die sonstigen Eigenschaften zu geben,
welche für die einzelnen Fälle erforderlich sind. Die Dampfschiffahrt auf dem
Nil und die schon sehr rege Dampfschiffahrt auf dem Kongo geben hierfür sehr gute
Beispiele; ein weiteres Beispiel ist ein 1300 pferdiges, gegenwärtig in Bau
befindliches Motorboot für den Kongo, welches bei 500 t Deplacement nur 1,10 m
Tiefgang hat. Es ist gelungen, durch Einbau des Propellers in einen Tunnel im
Schiffsboden auch dann noch einen befriedigenden Antrieb zu bekommen, wenn der
größte Teil des Propellers über dem Wasserniveau steht. Man kann behaupten, daß wir
imstande sind, für jedes überhaupt noch einigermaßen schiffbare Gewässer ein
geeignetes Boot herzustellen. Es ist daher auch die Möglichkeit eines
Wasserverbindungsweges zwischen dem Kongobecken und dem Tschadsee, zwischen den
Flüssen Ubangi und Schari oder zwischen dem Kamerunfluß Sanaga und dem in den Kongo
fließenden Sangha nicht ausgeschlossen. Kurz, schnelle praktische Kolonialboote mit Motorantrieb
und geringem Tiefgang könnten in den Tropen Aufgaben lösen, an welche wir heute kaum
zu denken wagen.
Weniger einfach als die Frage des Schiffes ist die des Motors. Der Gedanke, die
Kolonialgewässer zu einer ausgedehnten Motorschiffahrt auszunutzen, liegt so nahe
und ist von so ungeheurer Tragweite für die Verwertung der Kolonien überhaupt, daß
es kaum begreiflich erscheint, daß dessen Durchführung nicht schon längst in Angriff
genommen wurde. Es scheint so einfach und verhältnismäßig billig, Dampfschifflinien
auf diesen schönen, Tausende von Kilometern langen Flüssen einzurichten und mit
deren Hilfe die Schätze des Innern nach den Küsten zu bringen. Und doch ist diese
Möglichkeit bisher einzig und allein an dem Mangel eines geeigneten Motors
gescheitert; die Dampfmaschine ist für diesen Zweck allerdings probiert worden, sie
ist auch auf einigen Flüssen, namentlich auf dem Nil und auf dem Kongo, zur
Anwendung gekommen; sie ist aber für eine allgemeine großzügige Lösung der Frage
nicht brauchbar. Abgesehen von dem unerschwinglichen Preis der Kohle in den Kolonien
ist ein Maschinenbetrieb mit Kohlen undenkbar, weil es an Transportmitteln fehlt, um
die erforderlichen Mengen an die verschiedenen Stationen des Innern zu schaffen. Die
einzige bisher mögliche und vielfach angewendete Lösung war der Betrieb der
Dampfschiffe mit Holz. Bei größerer Ausdehnung des Verkehrs würden aber dadurch die
Waldbestände derart gefährdet, daß hierauf umfangreiche Schiffahrtsprojekte nicht
aufgebaut werden können.
Was die Verwendung von Explosionsmotoren anbelangt, so werden in den Kolonien im
allgemeinen schon recht viele Motorboote benutzt, aber niemals in dem Sinne einer
wirklichen Motorschiffahrt, und zwar aus dem Grunde, weil der für solche Motoren
erforderliche Brennstoff, abgesehen von seiner Gefährlichkeit und der Schwierigkeit
seines Transportes, zu teuer ist.
Nun ist der vor etwa 14 Jahren als stationäre Maschine entstandene Diesel-Motor seit einigen Jahren auch zur Schiffsmaschine
ausgebildet worden und wird heute in allen Größen und Formen, welche für
Kolonialschiffahrt überhaupt in Betracht kommen, von einer Reihe deutscher Firmen
hergestellt. Wenn die älteren Motorarten wegen ihres Brennstoffs aus der
Kolonialverwertung ausscheiden, so ist beim Diesel-Motor
gerade der Brennstoff, den die Maschine im rohen Urzustand direkt im Zylinder
verbrennt, der Grund seiner Verwendbarkeit, ferner der außerordentlich geringe
Brennstoffkonsum dieser Maschine und endlich ihre Einfachheit wegen der völligen
Abwesenheit von Nebenbetrieben, wie Dampfkessel, Gaserzeuger usw.
Dieser Motor gebraucht zu seinem Betriebe beliebige Rohöle, gleichgültig welcher
Herkunft, insbesondere die rohen Erdöle in dem Zustand, wie sie in Quellen aus dem
Boden kommen. Diese Rohöle sind billig und in den Hafenstädten der ganzen Welt fast
zu dem gleichen Preis von 40–70 M f. d. Tonne zu haben. Von diesem Brennstoff
verzehrt der Diesel-Motor i. d. PSe/Std. nur etwa 200 g, so daß der Brennstoffpreis
für diese Leistung sich nur auf durchschnittlich 1 Pf. stellt. Da die Diesel-Motorschiffe an den Flußmündungen oder den
Kopfstationen beliebig viel flüssigen Brennstoff aufnehmen können, so sind sie
imstande, tatsächlich wochenlange Fahrten ohne die Notwendigkeit von
Brennstoffstationen auszuführen. Hieraus folgt, daß man auch im Innersten von Afrika
keine höheren Betriebskosten für die Kraft als an der Küste und in Europa hat.
Diese Verhältnisse wurden zuerst von dem jetzigen König der Belgier erkannt, der ein
großes Diesel-Motorpostschiff für den Kongofluß, das
erste wirkliche Tropenmotorschiff, bauen läßt. Das Schiff hat eine Länge von 60 m,
eine Breite von 8 m, einen Tiefgang von 1,10 m und ein Deplacement von 500 t; die
Geschwindigkeit beträgt 25 km i. d. Std. Mit einem solchen Schiff läßt sich die
Fahrt von Leopoldville nach Stanleyville, dem eigentlichen Zentrum Afrikas, hin und
zurück in 6–7 Tagen machen, wenn man auch die Nacht zur Fahrt mitbenutzt. Diese
Initiative des Königs der Belgier hat dann auch die Gründung der Société Anonyme des Pétroles du Congo mit einem Kapital
von 6 Millionen Franken zur Folge gehabt, welche sich der belgischen
Kolonialverwaltung gegenüber verpflichtet hat, den Kongo und seine schiffbaren
Nebenflüsse entlang Petrolenmlager anzulegen. Hiermit ist die erste Bedingung zu
einer regelmäßigen Motorschiffahrt auf dem Kongo und seinen Nebenflüssen, die
Lieferung des erforderlichen Brennstoffes, erfüllt.
In geeigneten Flußgebieten macht die Schiffahrt mit Diesel-Motoren im jetzigen Stadium die Eisenbahn überflüssig; ein großzügig
organisiertes Verkehrssystem mit Diesel-Motorschiffen
kann die Reichtümer des Landes in einfacher und billiger Weise drainieren und nach
den Küsten führen. Für unser neues, durch die Marokkoverhandlungen erworbenes
Kamerun-Hinterland ist die Frage der Schiffahrt verhältnismäßig günstig lösbar, da
es den großen schiffbaren Nebenfluß des Kongo, den Sangha, vollständig umfaßt und
dadurch die Verbindung Kameruns mit dem Kongofluß in deutschen Besitz bringt, ebenso
ist ein Zugang zum größten und wichtigsten Nebenfluß des Kongo, dem Ubangi,
geschaffen. Diese schiffbaren Verbindungen werden für die Erschließung und
wirtschaftliche Durchdringung Kameruns und seines Hinterlandes eine Hauptrolle
spielen, und es ist nicht ausgeschlossen, daß hierdurch dieses in so bösem Rufe
stehende Hinterland zu einer nützlichen und einträglichen Kolonie ausgebildet werden
kann.
Die sofortige Einstellung einiger Motor-Eilboote auf dem Sangha ist ein dringendes
Bedürfnis, schon um der Welt zu zeigen, daß wir unsere neue Kolonie nicht als eine
bloß platonische Erwerbung ansehen, sondern sofort davon faktischen Besitz ergreifen
und unverzüglich mit aller Energie diejenigen Schritte tun, die uns nach dem
heutigen Stand der Technik tatsächlich gute Erfolge versprechen.
Mit Rücksicht auf die Vorgänge im belgischen Kongo sollten wir Deutsche hier sogar
den Anfang machen und uns möglichst frühzeitig an die belgischen Unternehmungen für
Rohölbeschaffung und für Motorschiffahrt angliedern, um durch gemeinsame Arbeit
Zeit, Geld und Energie zu sparen. Als Stützpunkt für die Rohölbeschaffung kämen für
uns die Einmündungen des Sangha (eventl. auch des Ubangi) in den Kongo in Betracht.
Von vornherein wäre es wichtig, dafür zu sorgen, daß der Bau der Kolonialmotoren
unter möglichster Einfachheit und Einheitlichkeit durchgeführt werde, damit die
Beschaffung von Ersatzteilen, die Wartung, Instandhaltung usw. erleichtert wird.
Noch wenig bekannt ist die Möglichkeit, die fetten pflanzlichen und tierischen Oele
ebenfalls im Diesel-Motor ohne weiteres zu verbrennen.
Schon im Jahre 1900 war in der Pariser Ausstellung ein kleiner Diesel-Motor aufgestellt, der auf Veranlassung der französischen Regierung
ständig mit Erdnußöl betrieben wurde und dabei gut arbeitete. Die französische
Regierung hatte dabei die Verwertung der in den afrikanischen Kolonien in großen
Mengen vorkommenden und leicht zu kultivierenden Erdnuß im Auge, weil auf diesem
Wege die Kolonien aus eigenen Mitteln mit Kraft und Industrie versehen werden
könnten, ohne daß sie genötigt wären, Kohle oder selbst flüssige Brennstoffe
einzuführen. In neuester Zeit sind derartige Versuche in großem Maßstab von Diesel mit vollem Erfolg wiederholt worden.
Die heute unscheinbar aussehende Tatsache der Verwertbarkeit von fetten Oelen
pflanzlichen und tierischen Ursprungs kann unter Umständen im Laufe der Zeit
dieselbe Wichtigkeit erlangen, wie sie heute die natürlichen Erdöle und
Teererzeugnisse haben. Nach einem englischen Urteil dürfte der Diesel-Motor nicht nur aus eigenen Mitteln der Kolonien betrieben werden
können, sondern dadurch selbst wieder in hohem Maße die weitere Ausbildung der
Landwirtschaft beeinflussen.
Abgesehen hiervon bestehen Aussichten, daß man auch in Afrika wie in allen anderen
Weltteilen Petroleum finden wird.
Die Wichtigkeit der Motorschiffahrt in unseren Kolonien und deren Folgen können nicht
hoch genug eingeschätzt werden. Die ganze Verkehrspolitik der Kolonien kann
dadurch auf neue Wege gelenkt werden, die ungleich rascher zum Ziele führen und
größere Ergebnissse erwarten lassen.
Dem Vortrag des Herrn Dr. Diesel folgte eine sehr
angeregte Diskussion. Regierungsrat Tecklenburg, Konsul
in Boma (Kongo), berichtete über seine Erfahrungen in den Kolonien mit den
bisherigen kleinen Motorbooten. Prof. Romberg von der
Technischen Hochschule Charlottenburg verbreitete sich über technische Fragen,
namentlich über die Frage, ob das Radschiff oder das Propellerschiff das geeignetere
sei. Geh. Legationsrat Rose vom Deutschen
Seefischerei-Verein sprach aus seinen Erfahrungen mit den deutschen Fischern heraus
den Wunsch aus, die Kolonialmaschinen möchten möglichst derb und einfach ausgeführt
werden, und es möchten Stationen mit entsprechendem Personal für Reparaturen und
Instandhaltung eingerichtet werden. Geheimrat Schmick, München, befürwortete auf das
lebhafteste die Diesel-Schiffahrtsprojekte und sprach den
Wunsch aus, man möge sie nicht auf das Kongogebiet und seine Nebenflüsse
beschränken, sondern alle deutschen Kolonien einbeziehen. Dr. Schlechter sprach über seine Erfahrungen im Sangha-Gebiet und über die
Möglichkeit des Anbaues von Erdnüssen. Er empfahl auch die Verwendung des
Kokosnußöles für den Motorbetrieb.
Die Verhandlungen führten zu folgendem Beschluß: „Einen Ausschuß zu bilden mit der
Aufgabe, die Frage der Motorschiffahrt in den Kolonien dauernd zu verfolgen und
ein Schiffahrtsprogramm aufzustellen unter Berücksichtigung der hydrographischen
Verhältnisse, der für die Verfrachtung in Betracht kommenden Güter, der
Beschaffung des Rohöles usw. Der Ausschuß soll sich ferner mit der Aufgabe
befassen, ob und inwieweit die Verwendung in den Kolonien heimischer
Pflanzenöle, z.B. Erdnußöl, Palmöl, Kokosnußöl, für den Betrieb der Motoren in
Frage kommt.“