Titel: | EINE DRAHTSEILBAHNANLAGE VON UNGEWÖHNLICHEN ABMESSUNGEN. |
Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 329 |
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EINE DRAHTSEILBAHNANLAGE VON UNGEWÖHNLICHEN
ABMESSUNGEN.
Eine Drahtseilbahnanlage von ungewöhnlichen
Abmessungen.
Inhaltsübersicht.
Heutige Beschaffenheit des nordspanischen Eisenerzes.
Notwendigkeit der Waschung. Neue Wäsche der Orconera Iron Ore
Co. Verbindung derselben mit der Grube durch eine Drahtseilbahn von Adolf Bleichert & Co. in Leipzig. Diese besteht aus
einer Doppelbahn zur Verbindung der Grube mit der Wäsche und zur Rückförderung des
gewaschenen Erzes bis zu einer zweiten Station. Von hier aus zweigt eine weitere
Drahtseilbahn zur Verladestelle der Erze ab. Die Doppelbahn dürfte mit 2340 t f. d.
km in der Stunde die bei weitem größte tonnen-kilometerische Leistung
aufweisen, die bei Drahtseilbahnen bisher erzielt worden ist. Die Drahtseilbahnen
werden näher beschrieben, ebenso die Verladeanlagen. Die Schwebebahnwagen sind mit
dem Kuppelapparat-Automat ausgerüstet und sind so in der Lage, Zugseile von
verschiedenem Durchmesser mit gleicher Sicherheit zu erfassen, so daß dieselben
Laufwerke sowohl auf beiden Seiten der Doppelbahn, wie auch auf der Zweigbahn
gebraucht werden können, ohne daß irgend eine Justierung nötig wäre. Zum Schluß
werden Angaben über die Bauausführung gemacht.
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In der Provinz Biscaya im nördlichen Spanien kommt das dort in sehr großer Menge
vorhandene Eisenerz nicht nur als felsiges Gestein, sondern auch in Form von kleinen
Steinchen vor, die mit lehmigem Erdreich vermischt sind. Während man früher fast
ausschließlich die Lager der ersten Art ausbeutete, wo das Erz nur von den Felsen
abgesprengt zu werden brauchte und dann versandfähig war, ist man neuerdings dazu
übergegangen, auch die großen Lager erzhaltiger Erde zu verwerten. Dieses Material
muß natürlich zunächst einem Waschprozeß unterworfen werden. Die Wäschen (vergl.
Fig. 1) sind zumeist in ziemlich primitiver
Weise unter Benutzung der von den Gebirgen herabstürzenden Bäche angelegt worden.
Die Erde wird vor der Wäsche auf einer schiefen Ebene gelagert und der Waschtrommel
zugeführt, indem man sie durch Bespritzen mit Wasser ins Gleiten bringt. Beim
Verlassen der Trommel fallen dann die Erzstückchen auf ein langsamlaufendes
Transportband, an dessen beiden Seiten Arbeiter zum Auslesen des tauben Gesteins
aufgestellt sind.
Textabbildung Bd. 327, S. 330
Fig. 1.
Vor einer Reihe von Jahren trat eine der größten Eisenerzfirmen, die Orconera Iron Ore Co., mit dem Projekt hervor, eine
moderne Wäsche anzulegen und das dazu benötigte Wasser vom Meer nach der 400 m höher
gelegenen Grube zu pumpen. Indessen stellten sich dem Plane sehr große
Schwierigkeiten in den Weg. Man hätte Mittel finden müssen, um zu verhindern,
daß das ablaufende schmutzige Wasser die Bachläufe verunreinigte. Die Rohrleitungen
hätten eine Anzahl fremder Minengrundstücke gekreuzt, auch wären die Kosten der
Pumpanlage mit der langen Rohrleitung außerordentlich hoch geworden. Ein
Haupthindernis war endlich das sumpfige Terrain, das überschritten werden mußte.
Die Gesellschaft trat deshalb einem anderen Plane näher, nach dem das erdige Erz bis
unmittelbar an die Meeresküste nach Povena transportiert und dort die Wäsche
errichtet werden sollte, ein Projekt, das trotz mancher unerwarteter Hemmnisse nach
ungefähr drei Jahren konzessioniert wurde.
Textabbildung Bd. 327, S. 330
Fig. 2.
Die Orconera Company hat, wie aus Fig. 2 zu ersehen ist, die Wäsche auf einem Hügel
ungefähr 90 m über dem Meeresspiegel errichtet. Es sind sechs Trommeln von 3 m
größtem Durchmesser und 6 m Länge vorgesehen, die täglich 375 t Erde waschen können,
so daß die gesamte Leistungsfähigkeit der Wäsche über 2000 t am Tage beträgt. Das
Speisewasser schaffen zwei Pumpen von Gebr. Sulzer,
Winterthur, mit einer Leistung von je 9 cbm i. d. Min.
Als Verbindungsglied zwischen der Grube und der Wäsche wählte man, nachdem der
spanische Ingenieur der Gesellschaft die Geländeverhältnisse genau untersucht und
eine vorläufige Vermessung ausgeführt hatte, eine Drahtseilbahn nach dem
Zweiseilsystem und übertrug die endgültige Vermessung und Ausführung der Anlage der
Firma Adolf Bleichert & Co., Leipzig. Diese
Entscheidung, die erst nach sehr sorgfältiger Prüfung durch erfahrene Fachleute
getroffen wurde, ist ein erfreuliches Zeichen für das Zutrauen, das der Seilbahn
heute entgegengebracht wird, denn es kommen hier ganz ungewöhnliche Leistungen in
Frage. Da eine einzelne Seilbahnlinie reichlich schwer geworden wäre, so entschied
man sich entgegen dem ursprünglichen Vorschlag der Firma Bleichert für die Anlage einer Doppelbahn, d.h. zweier paralleler, im
Betriebe gänzlich voneinander unabhängiger Linien. Auf diese Weise ist gleichzeitig
unter allen Umständen für eine Reserve gesorgt, so daß nach menschlichem Ermessen
niemals eine vollständige Störung eintreten kann, da die Förderung sich beim
Stillstand einer Bahn mit der anderen Linie aufrecht erhalten läßt.
Es wäre vielleicht möglich gewesen, bei Povena an der Küste eine besondere
Schiffsbeladestelle zu schaffen; da aber die Gesellschaft im Bilbaofluß eine
Anlegestelle besitzt und eine ebenfalls ihr gehörige Eisenbahn von dort in das
Grubengebiet führt, so zog man es vor, das gewaschene Erz bis zu einem ungefähr in
der Mitte der Linie bei Pucheta gelegenen Punkt zurückzufordern und von da durch
eine Drahtseilbahnzweiglinie nach der Station Gallarta der Grubeneisenbahn zu
transportieren und durch diese der vorhandenen Schiffsanlegestelle zuzuführen. Die
Gesamtlänge der Drahtseilbahnhauptlinie beträgt 8,1 km, der Rückweg bis zur
Ueberladestation Pucheta 4,3 und die Entfernung Pucheta-Gallarta 1,8 km. Der
Berechnung wurde eine Stundenförderung von 210 t Erde und 105 t gewaschenem Erz
zugrunde gelegt, so daß in Tonnenkilometern ausgedrückt, die Leistung
beträgt:
210 . 8,1 + 105 (4,3 + 1,8) = 2340 t/km i. d. Std.
Das dürfte wohl bei weitem die bedeutendste
tonnenkilometrische Leistung sein, die mit Drahtseilbahnen bisher erzielt worden
ist. Im Betrieb ist sogar zeitweise eine erheblich höhere Anzahl Wagen, als
vorgesehen, befördert worden.
Textabbildung Bd. 327, S. 331
In Fig. 3
und 4 ist
die Anlage im Längsprofil und Grundriß schematisch dargestellt. An der Grube Carmen
VII hat die Gesellschaft eine gewaltige Füllrumpfanlage errichtet, vor deren
Ausläufen ein Hängebahnstrang entlang verlegt ist, auf dem die Seilbahnwagen beider
Linien, nachdem sie sich vom Zugseil abgekuppelt haben, durch Oeffnen der
Verschlüsse beladen werden. Die Wagen kuppeln sich nun wieder an das Zugseil, mit
dem sie auf der ganzen Strecke, auch beim Passieren der Zwischenstation Pucheta, in
fester Verbindung bleiben. In der Endstation Povena angekommen, werden die Wagen von
der Absturzbrücke aus auf das Lager entleert, das mit mäßig geneigter Sohle angelegt
ist, und von dem das Material den Trommeln der Wäsche zurutscht. Ein der
Absturzbrücke parallel angeordneter Gurtförderer sammelt das gewaschene Erz und
führt es zu zwei weiteren im Zickzack verlegten Förderbändern (System Robins), die es um ungefähr 30 m heben und in einen
Ueberladerumpf werfen, aus dem ein entsprechender Prozentsatz der von der
Absturzbrücke leer zurückkehrenden Seilbahnwagen wieder beladen wird. Die zum
Rücktransport bestimmten Wagen besitzen selbsttätige Auslösevorrichtungen, durch die
sie auf der Station Pucheta gekippt werden, um dann leer ihren Weg zur Grube
fortzusetzen. Die Entleerung vollzieht sich während der Fahrt an einem Punkt, der
durch Einstellen des Anschlages jeweils festgelegt wird (Fig. 5), ein Abkuppeln der Wagen vom Seil findet also auch auf der
Rückfahrt nicht statt.
Textabbildung Bd. 327, S. 331
Fig. 5.
Textabbildung Bd. 327, S. 332
Fig. 6.
Textabbildung Bd. 327, S. 332
Fig. 7.
Aus dem großen, in Eisen konstruierten Füllrumpf der Station Pucheta wird nun das Erz
unten wieder in die Wagen der Nebenlinie abgezogen, die nach der 1,8 km entfernten
Station Gallarta führt. Beide Linien sind mit der Station Pucheta in Fig. 6 zu sehen, aus der auch zu erkennen ist, ein
wie stark besiedeltes Gelände die Bahn überschreitet, wobei an einer Stelle auch
eine freie Spannweite von 200 m Länge (vergl. Fig.
7), vorhanden ist. Aus dem Füllrumpf in Gallarta wird das Erz endlich in die Selbstentlader der
Eisenbahn nach Bilbao abgezogen (Fig. 8 und 9).
Textabbildung Bd. 327, S. 333
Fig. 8.
Textabbildung Bd. 327, S. 333
Fig. 9.
Der Antrieb für die beiden Linien der Hauptbahn ist in der Beladestation an der Grube
angeordnet und besteht aus zwei Siemens-Motoren von je
100 PS, von deren Vorgelegewelle aus die Treibscheiben der Seilbahn bewegt werden.
Die Antriebe können einzeln arbeiten, aber auch miteinander gekuppelt werden.
Für die Verbindung der Wagen mit dem Zugseil ist der Bleichertsche „Automat“ zur Anwendung gekommen, und zwar, wie bei
größeren Steigungen üblich, in der Ausführung für Unterseil. Das Gewicht des Wagens
samt Inhalt wird hier zum Festklemmen des Seiles benutzt, in der Weise, daß der
Pendelzapfen des Gehänges dem Laufwerk gegenüber beweglich gelagert ist und das
Gewicht der Last auf den langen Arm eines Hebels überträgt, dessen kurzer Arm die
Klemmbacke bildet Das Seil wird gegen eine feste Widerlage gepreßt, und es entsteht
somit ein Klemmwiderstand, der gleich ist dem Wagengewicht × Hebelübersetzung ×
Reibungskoeffizient × 2, da die Reibung auf beiden Seiten des Seiles auftritt. Es
ist gelungen, mit diesem Klemmapparat Steigungen bis zu 41° im praktischen Betriebe
dauernd mit voller Betriebssicherheit zu befahren. Zur Anwendung größerer Steigungen
hat bisher noch keine Notwendigkeit vorgelegen. Eine Lockerung der Verbindung
während der Fahrt ist völlig ausgeschlossen, da das Wagengewicht stets in gleicher
Größe nachwirkt.
Aus Fig. 10, die den Wagen in der Kuppelstelle zeigt,
geht hervor, wie der Mann lediglich den Wagen nach dem Stationsausgang zu
schieben hat, worauf das Laufwerk selbsttätig von dem Seil erfaßt und mitgenommen
wird. Das Kuppeln geht ohne Stoß oder Schlag in ruhigster Weise vor sich. Ein
besonderer Vorzug des Kuppelapparates ist der, daß er ein sehr großes
Klemmbackenspiel hat, und daß die Klemmbacken während des ganzen Weges, den sie beim
Schließen zurücklegen, jederzeit die volle Pressung auszuüben in der Lage sind.
Daher ist es innerhalb weiter Grenzen gleichgültig, welchen Durchmesser das Seil
hat, es wird immer mit derselben Sicherheit gepackt. Diese Eigenschaft ist schon bei
kleineren Bahnen wichtig, weil sie das Einspleißen neuer Stücke in ein teilweise
schadhaft gewordenes Seil sehr erleichtert oder überhaupt erst möglich macht, denn
bekanntlich geht jedes Seil im Betriebe im Durchmesser sehr zurück, und die neuen
Stücke sind also stets mehrere Millimeter dicker als das alte. Ausschlaggebend ist
die Anpassungsfähigkeit des Kuppelapparates an den Seildurchmesser aber in solchen
Fällen, wo eine Linie aus mehreren Teilstrecken besteht, deren Seile sich ungleich
strecken, die aber alle von denselben Wagen befahren werden sollen. Aehnlich liegt
ja der Fall auch hier; es ist ein sehr großer Vorteil, daß man stets, einerlei ob
das eine Seil stärker angestrengt worden ist und sich daher mehr gedehnt hat, oder
ob vielleicht auf der einen Seite das Zugseil bereits erneuert worden ist, während
auf der anderen noch das alte aufliegt, die Laufwerke auf beiden Linien benutzen
kann.
Textabbildung Bd. 327, S. 333
Fig. 10.
Der Bau der Anlage hat sich, von der Verzögerung durch den großen Streik im Gebiet
von Bilbao im Sommer 1910 abgesehen, genau nach dem von vornherein aufgestellten
Programm abgespielt. Im Mai 1909 wurde mit den Absteckungsarbeiten begonnen und dann sofort die
Errichtung der Fundamente in Angriff genommen. Im Mai 1910 waren sämtliche
Mauerarbeiten beendet. Bereits im August 1910 begann die Montage der Stützen und
Stationen. Ende August sollte die Betriebseröffnung stattfinden, die aber durch
den Streik im letzten Augenblick um drei Monate, bis zum November 1910,
hinausgeschoben wurde. Die Bahn befindet sich seitdem im vollen Betriebe.