Titel: | DIE TECHNISCHEN UND WIRTSCHAFTLICHEN VORTEILE DES ELEKTRISCHEN ANTRIEBES FÜR DIE TEXTILINDUSTRIE. |
Autor: | Gustav W. Meyer |
Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 357 |
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DIE TECHNISCHEN UND WIRTSCHAFTLICHEN VORTEILE DES
ELEKTRISCHEN ANTRIEBES FÜR DIE TEXTILINDUSTRIE.
Von Gustav W. Meyer.
(Schluß von S. 346 d. Bd.)
MEYER: DIE TECHNISCHEN UND WIRTSCHAFTLICHEN VORTEILE DES
ELEKTRISCHEN ANTRIEBES usw.
Der elektrische Betrieb von
Selfaktoren.
Für die Verspinnung feiner Garne kommt nur der Selfaktor in Frage. Der Kraftbedarf
desselben ist ein außerordentlich variabler. Er ist am größten im Moment des
Ausfahrens des Wagens, ist während der eigentlichen Spinnperiode ziemlich
konstant, um beim Abschlagen des Garnes und Einfahren des Wagens fast auf Null zu
sinken. So werden beim Baumwollselfaktor Kraftschwankungen von 40 PS bis herab auf 2
PS beobachtet. Verwendet man nun Gruppenantrieb, so ist der Fall nur selten
vorhanden, daß die
Belastungsstöße bei allen Selfaktoren gleichzeitig erfolgen. Es tritt ferner durch
die in den Schwungmassen der Transmissionen aufgespeicherten kinetischen Energie ein
gewisser Ausgleich der Belastungsschwankungen ein. Dies wurde auch in der Tat bei
Untersuchungen eines Gruppenantriebes festgestellt (s. nachstehende Tabelle); die
Daten wurden aus den Diagrammen eines registrierenden Wattmeters gewonnen. Man
erkennt, daß der durchschnittliche Kraftbedarf per Selfaktor mit der Zahl der
eingeschalteten Maschinen stetig abnimmt. Gleichzeitig nehmen aber die Verluste in
der belasteten Transmission zu, so daß der kleinste Wert per Selfaktor hier bei
Anschluß von sechs Maschinen erreicht wird.
Energieaufnahmedes Gruppenmotors
beiAnschluß von
durchschnittl.minimale Be-lastung in
KW
durchschnittl.maximale Be-lastung in
KW
durchschnittl.mittlere Be-lastung in
KW
Ein Selfaktorbraucht somitim Mittel
durch-schnittl. in KW
Transmission allein
–
–
8
–
Transmission mit einem Selfaktor
10
27
16
16
Transmission mit drei Selfaktoren
14
56
28
9,35
Transmission mit fünf Selfaktoren
18
63
43
8,6
Transmission mit sechs Selfaktoren
28
76
51
8,5
Bei einer größeren Zahl von an die Gruppe angeschlossenen Selfaktoren würde wohl der
Belastungsausgleich in der Transmission noch deutlicher zum Ausdruck gelangen, der
Energiebedarf per Selfaktor aber wiederum infolge der vermehrten Verluste in der
Transmission zunehmen. Die hier untersuchten Selfaktoren dienten zur Verspinnung von
Baumwollgarne. Bemerkenswert ist der ziemlich hohe Energiebedarf derselben, der im
Durchschnitt etwa 13 PS beträgt. Die Uebertragung der Energie vom Motor auf die
Transmission erfolgte bei der vorliegenden Anlage mittels Riemen.
In einer anderen Anlage waren 160 PS-MotoreSystem
Brown, Boveri & Co., Baden
(Schweiz)-Mannheim. hängend an der Decke angeordnet und mit der
Transmission direkt gekuppelt. Die Tourenzahl derselben betrug 500 i. d. Min. Ein
Motor diente zum Antrieb von acht Selfaktoren und benötigte hier ein Selfaktor nur
8,4 KW. Der verminderte Energiebedarf ist hier auf den Fortfall einer
Zwischenübertragung vom Motor zurückzuführen. Der Energiebedarf wird natürlich auch
wesentlich von der Natur des versponnenen Garns beeinflußt.
Dies zeigte sich in bemerkenswerter Weise bei der Untersuchung von
Vigogne-Selfaktoren. Der mittlere Energiebedarf betrug hier nur etwa 4 PS (gegen
etwa 13 PS beim Baumwoll-Selfaktor). Infolge der geringeren Festigkeit der
versponnenen Ware kommen viel häufiger Fadenbrüche und andere Störungen beim
Vigogne-Selfaktor vor. Dieselben verursachen sehr häufige Betriebspausen, so daß das
Verhältnis \frac{\mbox{wirkliche Arbeitszeit}}{\mbox{nominelle
Arbeitszeit}} ein sehr ungünstiges wird (etwa 0,6 gegen 0,9 beim
Baumwoll-Selfaktor).
Es muß also beim Vigogne-Selfaktor mit großen Leerlaufsverlusten in der Transmission
gerechnet werden. Ein weiterer Faktor, der hier zugunsten des elektrischen
Einzelantriebes spricht, ist der schon oben erwähnte verhältnismäßig niedere
Energiebedarf. Man kommt hier mit 4 bis 5 PS-Motoren aus, während bei
Baumwoll-Selfaktoren (um ein Abfallen der Tourenzahl bei den Belastungspitzen und
Heißwerden zu vermeiden) bei Einzelantrieb mit Motoren von etwa 15 PS normaler
Leistung gerechnet werden muß.
Anteil der Energiekosten für 1 kg
versponnenes Garn.
Ein weiterer Faktor, der ganz allgemein zugunsten des elektrischen Antriebs in der
Textilindustrie spricht, ist der verhältnismäßig kleine Anteil der Energiekosten für
1 kg verarbeitetes Material. Dieselben sind gegenüber den Kosten des Rohmaterials
gering und betragen nur etwa 3 bis 4 v. H. desselben.
Es würde also selbst dort, wo elektrische Energie etwas teuerer als Dampfkraft wäre,
der ersteren der Vorzug hier zu geben sein, da die durch den elektrischen Antrieb
erzielten Vorteile eine kleine Preisdifferenz ausgleichen würden. Wie sehr übrigens
das zur Verarbeitung gelangende Material Einfluß auf die Energiekosten hat, erkennt
man aus den folgenden Ergebnissen:
Es wurden für 1 kg Garn an elektrischer Energie (1 KW/Std. = 6 Pf.) benötigt
bei 42 er Kette
7,6 Pf.
„ 64 er Zwirn
12 „
Bei Verspinnung leichter Strichgarne ergab sich noch ein bedeutend kleinerer Betrag
für Energiekosten.
Textabbildung Bd. 327, S. 358
Fig. 7. Elektrischer Einzelantrieb.Drehstrom-Kollektormotoren mit
Wasserkühlung (s. Seite 346).
Diverse elektrische
Antriebe.
Eine eingehende Behandlung des elektrischen Antriebes der diversen Hilfsmaschinen
kann, da zu weit führend, an dieser Stelle nicht erfolgen. Von besonderem Interesse
sind aber jene Maschinen, die eine Tourenregulierung in weiten Grenzen verlangen.
Beim mechanischen Antrieb ist man hier auf die Verwendung teuerer Stufenvorgelege, Wechselräder
und Friktionsscheiben angewiesen. Der elektrische Einzelantrieb gestattet dagegen
eine Tourenregulierung innerhalb weiter Grenzen mit den einfachsten Mitteln. So
zeigt z.B. Fig. 8 den elektrischen Antrieb einer
Zeugdruckmaschine durch Gleichstrom-Nebenschlußmotor mit Hilfspolen. Die totale
Regulierung beträgt 1 : 10; davon 1 : 6 durch Feldschwächung bei Anschluß an zwei
verschiedenen Netzspannungen. Für die unteren Tourenzahlen erfolgt dann die
Regulierung im Ankerstromkreis. Fig. 9 zeigt ferner
den elektrischen Einzelantrieb einer Zeugdruckmaschine durch
Drehstromkollektormotor. Die Regulierung (innerhalb der Grenzen 1 : 7) wird hier
aber nicht (wie beim früher beschriebenen Drehstrom-Kollektormotor) durch
Verschieben von beweglichen Bürsten am Kollektorumfange erreicht, sondern durch
Zuführen variabler Spannung zu den Kollektorbürsten. Zu diesem Zwecke ist die
Statorwicklung des Motors mit Anzapfungen versehen.
Textabbildung Bd. 327, S. 359
Fig. 8. Elektrisch angetriebene Zeugdruckmaschine.
Textabbildung Bd. 327, S. 359
Fig. 9. Elektrisch angetriebene Zeugdruckmaschine; Drehstrom-Kollektormotor
(AEG).
Der beschriebene Motor besitzt die Charakteristik des Gleichstrom-Nebenschlußmotors,
arbeitet also auf den verschiedenen Geschwindigkeitsstufen mit von der Belastung
wenig abhängigen konstanten Tourenzahlen, was gerade für den vorliegenden Betrieb
erwünscht ist.
Erwähnt sei hier nur noch der elektrische Antrieb von Batteuren (Schlägern) und
Zerreißmaschinen. Diese Hilfsmaschinen, welche einen recht erheblichen Energiebedarf
besitzen, ordnet man gern in isolierten Gebäuden an. Ist z.B. in der zu zerreißenden
Wolle ein kleiner Metallgegenstand (z.B. ein eiserner Nagel) enthalten, so kann dies
sehr leicht zu einer Entzündung der Wolle führen. Das hierdurch entstehende
Feuer kann man dann leicht auf seinen Herd beschränken. Derartige Maschinen erhalten
am zweckmäßigsten elektrischen Einzelantrieb; die Anordnung langer und teurer über
den Fabrikhof reichenden Transmissionen fällt dann fort.
Kraftantrieb durch Dampf oder
Elektrizität?
Die Vorteile, die der elektrische Antrieb mit sich bringt, können auf Grund der
obigen Darlegungen als bekannt und erwiesen vorausgesetzt werden. Es fragt sich nur,
ob es vorteilhafter ist, die elektrische Energie in eigenem Kraftwerk zu erzeugen
oder die Fabrikanlage an das Netz eines Elektrizitätswerkes anzuschließen.
Die Beantwortung dieser Frage wird naturgemäß von den jeweiligen Verhältnissen
abhängen, z.B. von dem Preis der Kohle und den Kosten der vom Elektrizitätswerk
bezogenen KW/Std.
Für den Anschluß an das Netz einer Zentrale sprechen allerdings gewisse Vorteile. So
z.B. ist der ganze Betrieb ein rein produktiver; das zur Einrichtung eines eigenen
Kraftwerkes nötige Kapital kann in Maschinen investiert werden, welche an der
Fabrikation aktiv teilnehmen. Die Untersuchungen haben auch gezeigt, daß in an
größeren Elektrizitätswerken angeschlossenen Anlagen Belastungsschwankungen viel
weniger leicht bemerkbar sind als bei eigener kleiner Zentrale. Das machte sich
dadurch auch bemerkbar, daß Akkordarbeiter in letzteren Anlagen infolge der
geringeren Konstanz der Tourenzahl weniger hohe Löhne als in ersteren Anlagen bei
sonst gleichartigen Verhältnissen erzielten.
Die gleiche Erscheinung wurde auch in Anlagen beobachtet, bei denen ein gemischter
Betrieb vorlag. Vielfach wird der alte Teil einer Fabrikanlage noch mit Dampfkraft angetrieben,
während bei späteren Fabrikerweiterungen Anschluß ans Netz des Elektrizitätswerkes
erfolgt. In einer derartigen Anlage diente z.B. zum Antrieb des alten Teiles eine
Dampfmaschine von 190 PSe Leistung. Die Indizierung
der Maschine, die schon seit 22 Jahren in Betrieb war, ergab als Kosten für die
PSi/Std.
Kohle
2,4 Pf.
Wartung
0,178 „
Schmierung
0,064 „
Verzinsung und Amortisation (rund 10 v. H. des
Anlagekapitals
1,53 „
––––––––
Zusammen
4,172 Pf.
Anlagekapital:
2 Kessel
30000 M
1 Maschine komplett
30000 „
Transmission
20000 „
Maschinen- und Kesselhaus mit Schornstein
18000 „
––––––––
Zusammen
98000 M
Der mechanische Wirkungsgrad der Dampfmaschine wurde zu 80 v. H. ermittelt, so daß
die Kosten einer PSe/Std. 4,342 : 0,8 = 5,4 Pf.
betrugen.
Der elektrisch angetriebene Teil der Anlage bestand aus der
Ringspinnerei mit einem mittleren
Energie- gebrauch von
107 KW
Vorbereitung mit einem mittleren
Energie- gebrauch von
43 „
Selfaktorensaal mit einem mittleren
Energie- gebrauch von
58 „
Zwirnerei mit einem mittleren
Energiegebrauch von
33 „
Kompressor für die Luftbefeuchtung mit
einem mittleren Energiegebrauch von
23,8 „
––––––––––––––––
Gesamter Energiegebrauch des
elektrischen Teiles im Mittel
264,8 KW.
Die Anlagekosten der elektrischen Anlage betrugen:
Schaltanlagen, Leitungen, Motore mit Anlasser
M 40000,–
Transmission
„ 10000,–
–––––––––
Zusammen
M 50000,–.
Für Verzinsung und Amortisation der Anlage (rund 10 v. H.) wären hier jährlich also
nur M 5000,– (gegen M 9800,– beim Dampfbetrieb) aufzuwenden. Für die PS/Std. haben
wir also beim elektrischen Betrieb 0,51 Pf. für Verzinsung und Amortisation zu
rechnen (sonst gleiche Verhältnisse wie beim Dampfbetrieb vorausgesetzt). Nehmen wir
wieder als Preis der KW/Std. 6 Pf. an, so erhält man als Kosten der PSe/Std.
beim elektrischen Teil 4,416 + 0,51 = 4,926 Pf.,
beim Dampfkraftbetrieb 5,4 Pf.
Auf Grund dieser Werte erhält man dann die folgenden Betriebskosten für die
Maschinenstunde:
Maschine
Kosten derBetriebsstundebeim
DampfPf.
Kosten derBetriebsstundebei
ElektrizitätPf.
Ringspinnmaschine
37,8
36
Strecke
19
17,8
Selfaktor
65
60
Zwirnmaschine
18,6
17,2
Kompressor
174
161
Noch günstiger werden natürlich die Verhältnisse für den Anschluß an eine Zentrale
liegen, wenn der Strompreis ein noch niederer als 6 Pf. f. d. KW/Std. ist. Man hat
nun allerdings nicht außer acht zu lassen, daß es sich im vorliegenden Fall um eine
veraltete Dampfmaschine handelteEs sei
erwähnt, daß in der vorliegenden Arbeit nicht beabsichtigt ist, auf die
Frage ob Dampf oder Elektrizität wirtschaftlicher ist, näher einzugehen.
Eine Entscheidung über diese Frage kann hier grundsätzlich nicht getroffen
werden, da die Beantwortung derselben ganz von den jeweilig herrschenden
Verhältnissen abhängig sein wird. Von einschneidender Bedeutung sind z.B.
die folgenden Faktoren: Strompreis f. d. KW-Stunde; Preis der Kohle frei
Kesselhaus; kommt eine moderne oder veraltete Dampfkraftanlage in Betracht;
welche Mengen Heizdampf werden benötigt usw.. Dieselbe ist seit
22 Jahren in Betrieb. Noch ungünstiger gestalteten sich die Verhältnisse für den
Dampfbetrieb in anderen Anlagen; in einer Anlage wurden z.B. die Kosten f. d. PSe/Std, sogar zu 6,02 Pf. ermittelt. Man hat auch
nicht außer acht zu lassen, daß bereits ein erheblicher Teil der Energie hier
zwischen Dampfmaschine und Transmission (im Vorgelege) verloren geht. In den
untersuchten Anlagen konnte noch mit einem verhältnismäßig niederen Preis der Kohle
(M 165,– für 10 t frei Kesselhaus) gerechnet werden. Viele Gegenden sind in dieser
Hinsicht jedoch sehr ungünstig gestellt; so z.B. kostete der Wagen Ruhrkohle im
badischen Oberwiesenthal im Jahre 1908 laut der Eingabe der badischen
Textilindustriellen gegen die geplant gewesene Elektrizitätssteuer M 246,–, wovon
allein auf die Fracht M 118,50 entfielen.
Eine Konkurrenz der Dampfkraft gegenüber der elektrischen Energieübertragung ist
unter solchen Umständen (besonders dort, wo billige Wasserkräfte ausgenutzt werden
können), ausgeschlossen. Die Industrie wird dann gerade erst durch die elektrische
Kraftübertragung befähigt, mit günstiger gelegenen industriellen Anlagen den
Wettbewerb aufnehmen zu können, Daher verdient die Errichtung von
Ueberlandzentralen, da im Interesse des Gesamtwohles liegend, die weitgehendste
Unterstützung aller Kreise, insbesondere auch seitens der Behörden.Diese Anschauung findet in neuerer Zeit bei den
maßgebenden Stellen auch immer mehr Eingang, wie dies die häufigen Fälle der
Gründung von großen Kraftzentralen mit finanzieller Beteiligung des Staates
und der Gemeinden erkennen lassen.