Titel: GRAPHISCHE ERMITTLUNG DER TANGENTIALKRÄFTE BEIM KURBELTRIEB.
Autor: Josef Kuhn
Fundstelle: Band 327, Jahrgang 1912, S. 756
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GRAPHISCHE ERMITTLUNG DER TANGENTIALKRÄFTE BEIM KURBELTRIEB. Von Dr. techn. Josef Kuhn, Bielitz. KUHN: Graphische Ermittlung der Tangentialkräfte beim Kurbeltrieb. Inhaltsübersicht. Es wird ein einfaches Verfahren zur graphischen Ermittlung der Tangentialdrücke bei endlich langer Kurbelstange abgeleitet und seine Anwendung zur Verzeichnung des Tangentialdruckdiagramms unter Rücksichtnahme auf die Massendrücke an einem Beispiel gezeigt. –––––––––– 1. In Heft 14 D. p. J. 1911 gibt KrollM. Kroll, Beitrag zur graphischen Berechnung des Kurbelgetriebes. D. p. J. 1911 Bd. 326 S. 219. ein Verfahren zur zeichnerischen Bestimmung der Tangentialkraft an, welches den bisher üblichen dadurch überlegen ist, daß es die Verzeichnung der Kurbelstange umgeht und daher nur geringen Raum beansprucht. Den gleichen Vorteil bietet das nachstehend mitgeteilte Verfahren, welches überdies genauer und einfacher ist und eine elementare Begründung gestattet. Textabbildung Bd. 327, S. 756 Fig. 1. Bezeichnet p = KP in Fig. 1 den zum Kurbelwinkel ω gehörigen resultierenden Horizontaldruck, der auf 1 qcm der Kolbenfläche entfällt, β den Winkel, welchen die Pleuelstange bei dieser Kurbelstellung mit ihrer Totlage bildet, so ist die in der Richtung der Pleuelstange wirkende Kraft K\,Z=M\,Q=\frac{p}{\mbox{cos}\,\beta} und die den Kurbelzapfen drehende Komponente M T derselben, die Tangentialkraft t = MQ sin (ω + β) = p (sin ω + cos ω tg β) . . . . . . . . . . (1) Um aus dieser Formel β zu eliminieren, beachten wir, daß \mbox{sin}\,\beta=\frac{r}{l}\,\mbox{sin}\,\omega=\lambda\,\mbox{sin}\,\omega ist, wobei r den Kurbelradius, l die Länge der Pleuelstange bedeutet. Damit wird \mbox{tg}\,\beta=\frac{\lambda\,\mbox{sin}\,\omega}{\sqrt{1-\lambda^2\,\mbox{sin}^2\,\omega}} und t=p\,\left[\mbox{sin}\,\omega+\frac{1}{2}\,\lambda\,\mbox{sin}\,2\,\omega\,\frac{1}{\sqrt{1-\lambda^2\,\mbox{sin}^2\,\omega}}\right] . . . . . . . . . . (2) Entwickeln wir den Faktor [1 – λ2sin2ω]– ½ nach dem binomischen Lehrsatz, so wird t=p\,\left[\mbox{sin}\,\omega+\frac{1}{2}\,\lambda\,\mbox{sin}\,2\,\omega+\frac{1}{4}\,\lambda^3\,\mbox{sin}^2\,\omega\,\mbox{sin}\,2\,\omega+\frac{3}{16}\,\lambda^5\,\mbox{sin}^4\,\omega\,\mbox{sin}\,2\,\omega+...\right] Für normale Verhältnisse ist \lambda=\frac{r}{l}=\frac{1}{5} also \frac{1}{4}\,\lambda^3=0,002; da sin2 ω sin 2 ω als ein Produkt zweier Faktoren, die ihren Größtwert 1 nicht gleichzeitig erreichen können, stets kleiner als 1 sein muß, so wird das dritte Glied des Klammerausdrucks bereits kleiner als 0,002 und kann daher ebenso wie die folgenden Glieder gegenüber den beiden ersten vernachlässigt werden. Wir erhalten dann den bekannten Näherungswert t=p\,\left(\mbox{sin}\,\omega+\frac{1}{2}\,\lambda\,\mbox{sin}\,2\,\omega\right) . . . . . . . . . . (3) den wir der graphischen Berechnung zugrunde legen. Um den Fehler, den wir dann begehen, noch genauer abschätzen zu können, ermitteln wir den Höchstwert des maßgebenden dritten Gliedes. Dazu müssen wir den Winkel kennen, für welchen sin2 ω sin 2ω = 2 sin3 ω cos ω ein Maximum wird. Er bestimmt sich aus der Gleichung 3 sin2 ω cos2 ω – sin4 ω = 0 mit ω = 60°. Für diesen Winkel und \lambda=\frac{1}{5} wird das dritte Glied 0,00130, das vierte 0,00003. Die höheren Glieder ergeben für die fünfte Dezimale keine geltende Ziffer. Der Fehler, den wir jetzt begehen, wenn wir anstatt der genauen Formel den Näherungswert gebrauchen, beträgt 0,00133 p oder 0,14 v. H. Einfacher bestimmt sich die Tangentialkraft, wenn wir die Bewegung der Kurbelstange als virtuelle Drehung um den Punkt C (Fig. 1) auffassen, der sich als Schnittpunkt von KCKP mit MCMT ergibt. Dann gilt, wenn c die veränderliche Kreuzkopfgeschwindigkeit und v die konstante Drehgeschwindigkeit des Kurbelzapfens bedeutet, die Beziehung tv = pc . . . . . . . . . . (4) Aus ihr ergeben sich, da c=v\,\left(\mbox{sin}\,\omega+\frac{1}{2}\,\lambda\,\mbox{sin}\,2\,\omega\,\frac{1}{\sqrt{1-\lambda^2\,\mbox{sin}^2\,\omega}}\right) . . (5) oder angenähert c=v\,\left(\mbox{sin}\,\omega+\frac{1}{2}\,\lambda\,\mbox{sin}\,2\,\omega\right) . . . . (5a) ist, die Formeln 2 und 3 für t unmittelbar.Darf die Beziehung (4) als bekannt angenommen werden, so erhält man durch ihre Verbindung mit Gleichung (1) die Formel für die Kreuzkopfgeschwindigkeit (5), die sonst durch Differentiation gewonnen werden muß. Zählen wir für den Kolbenrückgang den Winkel ω von der äußeren Totlage an, so erhält, wie man sich leicht überzeugt, das zweite Glied in den Formeln für t und c das negative Vorzeichen. 2. Da sich der Ausdruck für die Tangentialkraft auch ergibt, wenn wir in der Formel für die Kreuzkopfgeschwindigkeit die Größe v durch den im allgemeinen mit ω veränderlichen Horizontaldruck p ersetzen, so könnte zur zeichnerischen Ermittlung von t das in Heft 35 des Jahrganges 1911 dieser Zeitschrift angegebene VerfahrenJ. Kuhn, Graphische Ermittlung der Bewegungsverhältnisse des Kurbeltriebes, D. p. J. 1911, Bd. 326, S. 553. zur Bestimmung von c Anwendung finden. Demselben haftet aber die Unbequemlichkeit an, daß zur Ermittlung eines jeden Wertes t ein anderer Kreis vom Radius \frac{p}{2} erforderlich ist und diese Kreise verschiedene Mittelpunkte haben. Um das Halbieren der Strecke p zu umgehen und denselben Kreismittelpunkt verwenden zu können, empfiehlt sich eine Abänderung der erwähnten Konstruktion. Setzen wir zu diesem Zwecke in Formel (3) \frac{1}{2}\,\lambda=\mbox{tg}\,\alpha so wird t = p sin ω + p sin 2 ωtgα . . . . . . . . . . (6) Textabbildung Bd. 327, S. 757 Fig. 2. t = M'M + mN'', s = AB' + nC', q = OB' + oC'. Um diesen Ausdruck darzustellen, machen wir in Fig. 2 ∡ DOm = α, ∡ AOB = ∡ BOC = ω und OM = ON = p; dann ist: p sin ω = MM', p sin 2 ω = ON'' und p sin 2 ωtgα = ON''tgα = mN''. Mit diesen Werten wird t = MM' + mN'' oder, wenn wir MT = mN'' machen, t = M'M + MT = M'T. Hierbei stellt M'M die Tangentialkraft vor, die sich bei unendlich langer Kurbelstange ergeben würde, und MT die Korrektur, durch welche der endlichen Stangenlänge Rechnung getragen wird. Das vorstehend erklärte Verfahren führt zu einer raschen und genauen Verzeichnung des Tangentialdruckdiagrammes der Kolbendampfmaschinen. Dieses erhält man bekanntlich, wenn man den vom Kurbelzapfen beschriebenen Weg 2 auf der Abszissenachse ausstreckt und die zu den einzelnen Kurbelstellungen gehörigen Tangentialdrücke t als Ordinaten aufträgt. Zur Bestimmung der letzteren ist wieder das Kolbenkraftdiagramm erforderlich, in welchem die Kolbenwege s die Abszissen und die aus dem Dampfüberdruck und dem Massendruck q resultierenden Horizontaldrücke p die Ordinaten bilden. Die Kolbenwege und Massendrücke können hierbei nach der vom Verfasser in dem früher zitierten Aufsatze angegebenen Methode oder noch einfacher in der nachstehend abgeänderten Weise bestimmt werden, bei welcher nur der halbe Kurbelkreis erforderlich ist. Setzen wir in der Näherungsformel für den Kolbenweg s=r\,\left[1-\mbox{cos}\,\omega+\frac{1}{2}\,\lambda\,\mbox{sin}^2\,\omega\right] . . . . . . . . . . (7) \mbox{sin}^2\,\omega=\frac{1-\mbox{cos}\,2\,\omega}{2} und \frac{1}{4}\,\lambda=\mbox{tg}\,\alpha_1, so wird s = (r – r cos ω) + (r – r cos 2 ω) tg α1 . . . . . . . . . . (7a) Nun ist in Fig. 2 r – r cos ω = AB', r – r cos 2 ω = AC' und, wenn wir ∡ OAn = α1 machen, (r – r cos 2 ω) tgα1 = AC' tg α1 = C'n. Damit wird s = AB' + C'n oder, wenn B'S = C'n gemacht wird, s = AB' + B'S = AS. AB' ist der zu ω gehörige Kolbenweg für eine unendlich lange Kurbelstange und B'S die infolge der endlichen Länge erforderliche Ergänzung. Für die zeichnerische Bestimmung des auf 1 qcm der Kolbenfläche entfallenden Massendruckes kommt die Formel q=\frac{G}{F\,g}\,\left(\frac{\pi\,n}{30}\right)^2\,r\,[\mbox{cos}\,\omega+\lambda\,\mbox{cos}\,2,\omega] . . . . . . . . . . (8) zur Anwendung, in der G das Gewicht der hin- und hergehenden Massen in kg, F die wirksame Kolbenfläche in qcm, n die minutliche Umlaufszahl des Kurbelzapfens und g die Beschleunigung der Schwere bedeuten. Setzen wir zunächst \frac{G}{F\,g}\,\left(\frac{\pi\,n}{30}\right)^2=1,\ \lambda=\mbox{tg}\,\alpha_2, so wird q' = r cos ω + r cos 2 ω tg α2 . . . . . . . . . . (8a) Diesen Ausdruck finden wir leicht, wenn wir in Fig. 2 noch den Winkel AOo gleich α2 eintragen. Dann ist r cos ω = OB', r cos 2 ω = OC' und r cos 2 ω tg α2 = OC' tg α2 = C'o. Mit diesen Werten wird q' = OB' + C'o = SQ, wobei OB' die Größe des Massendruckes darstellt, wie er sich bei unendlich langer Pleuelstange ergeben würde und C'o die Korrektur, welche durch die endliche Stangenlänge erforderlich wird. Für einen Winkel ω1 = 180 – ω wird, da cos ω1 = – cos ω und cos 2 ω1= cos 2 ω ist, für den Hingang q'1 = – r cos ω + r cos 2 ωtgα2      = (OB' – C'o). Die zu supplementären Winkeln gehörigen Massendrücke ergeben sich also aus denselben Teilstrecken, doch muß deren Vorzeichen beachtet werden. Das Vorzeichen der Streckensumme entscheidet darüber, ob der Massendruck eine Beschleunigung oder Verzögerung des Gestänges bewirkt. Die mit Hilfe des Kurbelkreises gewonnenen Ordinaten der Massendruckkurve müssen noch im Verhältnisse r\,:\,\frac{G}{F\,g}\,\left(\frac{\pi\,n}{30}\right)^2\,r geändert und im Maßstabe der Dampfüberdrucklinie verzeichnet werden. 3. Der ganze Vorgang soll durch ein Beispiel erläutert werden. In Fig. 3 ist das maßstäblich gezeichnete Dampfüberdruckdiagramm für die Deckelseite einer Einzylindermaschine gegeben, welche bei einem Hub von 0,5 m minutlich 150 Umdrehungen macht; es soll zunächst das resultierende Horizontaldruck- und dann das Tangentialdruckdiagramm bestimmt werden. Wir beschreiben über der Basis AB des Dampfüberdruckdiagrammes einen Kreis (Kurbelkreis), teilen ihn etwa in 24 gleiche Teile und ermitteln vorerst zu den so bezeichneten Stellungen des Kurbelzapfens die Kolbenwege für den Hingang. Dazu benötigen wir die durch A gezogene Gerade Aa, welche mit AB den Winkel α1 bildet, der für \lambda=\frac{1}{5} durch \mbox{tg}\,\alpha_1=\frac{1}{20} bestimmt ist. Um jetzt z.B. den zur Kurbelstellung 4 gehörigen Kolbenweg zu finden, haben wir die Strecke A4', welche den Hinschub für eine unendlich lange Pleuelstange vorstellt, noch durch das Stück a8' zu ergänzen, welches die Schenkel des Winkels α1 von der durch den Teilpunkt 8 gezogenen Senkrechten abgrenzen. Zur Bestimmung der Ergänzung, welche für den zur Kurbelstellung 8 gehörigen Kolbenweg in Betracht kommt, hätten wir die Senkrechte durch den Teilpunkt 16 zu verwenden, die aber mit jener durch Punkt 8 zusammenfällt, also wieder den Abschnitt a8' liefert. Es läßt sich leicht einsehen, daß allgemein zu zwei Kolbenstellungen, welche Supplementwinkeln entsprechen, dieselbe Korrektur gehört, sich also immer zwei Kolbenwege zugleich ergeben. Zur Bestimmung der Massendrücke ziehen wir durch O die Gerade Oc, welche mit AB den Winkel α2 einschließt, wobei \mbox{tg}\,\alpha_2=\frac{1}{5} ist und die Senkrechte C'D'. Um nun beispielsweise die Werte q'4 und q'8 zu erhalten, projizieren wir den Punkt b, in welchem die Senkrechte durch Punkt 8 die Gerade Oc schneidet auf C'D' und tragen die Strecke O4' = O8' von b'' aus nach oben und unten auf. Dann ist O''E' = b''E' – b''O'' = O4' – 8'b = q'4 und O''F' = b''F' + b''O'' = O4' + 8'b = q'8. Die extremen Werte q'0 und q'12 ergeben sich, wenn wir von c'' aus den Kurbelradius nach C' und D' hin abtragen. Um die so gewonnenen Massendrücke im Maßstab der Dampfüberdrucklinie zeichnen zu können, berechnen wir, indem wir in Formel 8 den Winkel ω gleich Null setzen, den Wert q_0=\frac{G}{F\,g}\,\left(\frac{\pi\,n}{30}\right)^2\,r\,\left(l+\lambda\right). Textabbildung Bd. 327, S. 758 Fig. 3. Schätzen wir \frac{G}{F} mit 0,28 kg/qcm und beachten, daß \frac{\pi^2}{g}\overset{\infty}{=}1 ist, so wird mit den oben gewählten besonderen Werten q_0=0,28\,.\,\left(\frac{150}{30}\right)^2\,.\,0,25\,(1+0,2)=2,1\mbox{ kg/qcm} Machen wir O''C = q0 und verbinden C mit C' so schneiden die durch E' und F' zu CC' gezogenen Parallelen auf der verlängerten Kolbenweglinie die reduzierten Massendrücke q4 und q8 ab. Tragen wir dieselben unter Beachtung ihres Vorzeichens in das Dampfüberdruckdiagramm so ein, daß            q4 = O''E = IV E1 und     q8 = O''F = VIII F1 wird, so erhalten wir in den Strecken E1H = p4 und F1J = p8 die zu den Kurbelstellungen 4 und 8 gehörigen Ordinaten des resultierenden Horizontaldruckdiagramms. Für die Ermittlung der Tangentialkräfte t benötigen wir die Gerade Om, welche mit O6 den Winkel α bildet, für welchen \mbox{tg}\,\alpha=\frac{1}{10} gilt. Um etwa t4 zu finden, tragen wir p4 von O aus auf den Strahlen O4 und O8 bis M und N auf, bestimmen M' und N'' und machen N''T = N''m + mT = N''m + MM'; dann stellt N''T bereits die Ordinate t4 des Tangentialdruckdiagrammes dar. Zur Bestimmung der Korrektur für t8 sollte p8 auf dem Radius O16 aufgetragen werden; die Figur läßt aber leicht erkennen, daß wir zu demselben Ergebnisse gelangen, wenn wir p8 auf O4 – der Verlängerung von O16 über O – auftragen. Es ist t8 = (N''1)T1 = (m1)T1 – (m1)(N''1) = M1M''1 – (m1)(N''1). Daraus folgt, daß wir zur Gewinnung des Tangentialdruckdiagramms nur den Kurbelhalbkreis brauchen. Bei der praktischen Ausführung wird man auf die Abbildung der Tangentialdrücke im Horizontaldruckdiagramm verzichten und die mit dem Spitzenzirkel erhaltenen algebraischen Streckensummen, als die sich die Tangentialkräfte ergeben, ohne weiteres als Ordinaten in das Tangentialdruckdiagramm eintragen.