Titel: | Die Zurücknahme englischer Patente. |
Autor: | P. C. Roediger |
Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 101 |
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Die Zurücknahme englischer Patente.
Von Ingenieur P. C. Roediger in
Charlottenburg.
ROEDIGER: Die Zurücknahme englischer Patente.
Nach dem älteren englischen Patentgesetz vom 18. XII. 1902 konnte jedermann an
den Board of Trade ein Gesuch richten, in dem er behauptete, daß den verständigen
Anforderungen des Verkehrs bezüglich einer patentierten Erfindung nicht genügt
werde, und den Antrag stellen, ihm eine Zwanglizenz zu erteilen oder im
Weigerungsfalle das Patent zurückzunehmen.
Die Zurücknahme eines englischen Patents war also nach der älteren Gesetzgebung an
die beiden Bedingungen geknüpft, daß die patentierte Erfindung in England nicht in
genügendem Umfange ausgeübt wurde, und der Patentinhaber sich weigerte, auf Antrag
Zwanglizenzen zu erteilen.
Diese Bestimmungen wurden aufgehoben durch das englische Gesetz vom 28. VIII. 1907.
Der die Ausübung von Patenten behandelnde Artikel 27 des neuen Gesetzes lautet:
Frühestens vier Jahre nach dem Datum des Patents und mindestens ein Jahr nach der
Annahme dieses Gesetzes kann jeder bei dem Comptroller die Zurücknahme des Patents
unter der Begründung beantragen, daß der patentierte Gegenstand oder das patentierte
Verfahren ausschließlich oder hauptsächlich außerhalb
Großbritanniens hergestellt oder zur Ausführung gebracht wird.
Diese Gesetzesbestimmung rief in deutschen Industriekreisen ungewöhnliche
Beunruhigung hervor, da man – wohl nicht mit Unrecht – annahm, daß sie hauptsächlich
gegen die deutsche Exportindustrie – insbesondere die chemische Industrie –
gerichtet sei. In der Tat haben eine große Anzahl namhafter deutscher Firmen infolge
dieser Gesetzesbestimmung sich veranlaßt gesehen, in England eigene Fabriken zur
Exploitierung ihrer englischen Patente zu errichten.
An sich boten die Bestimmungen des Artikels 27 des englischen Patentgesetzes keine
Veranlassung zu erheblicher Beunruhigung, zumal zur Zeit des Inkrafttretens des
neuen englischen Gesetzes die Zurücknahmebestimmungen im deutschen Patentgesetz
nicht minder hart waren. Der diese Bestimmungen behandelnde § 11 des deutschen
Patentgesetzes lautete: „Das Patent kann nach Ablauf von drei Jahren, vom Tage
der Bekanntmachung der Erteilung des Patents im Reichsanzeiger an gerechnet,
zurückgenommen werden: 1. wenn der Patentinhaber es unterläßt, im Inlande die
Erfindung in angemessenem Umfange zur Ausführung zu bringen oder doch alles zu
tun, was erforderlich ist, um die Ausführung zu sichern; 2. wenn im öffentlichen
Interesse die Erteilung der Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung an andere
geboten erscheint, der Patentinhaber aber gleichwohl sich weigert, diese
Erlaubnis gegen angemessene Vergütung und genügende Sicherstellung zu
erteilen.“
Diese Bestimmungen wurden bekanntlich abgeändert durch das Gesetz vom 6. Juni 1911.
Der neue § 11 des deutschen Patentgesetzes, der dem Sinn nach dem Artikel 27
des englischen Gesetzes entspricht, lautet: „Verweigert der Patentinhaber
einem anderen die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung auch bei Angebot einer
angemessenen Vergütung und Sicherheitsleistung, so kann, wenn die Erteilung der
Erlaubnis im öffentlichen Interesse geboten ist, dem anderen die Berechtigung
zur Benutzung der Erfindung zugesprochen werden (Zwanglizenz). Die Berechtigung
kann eingeschränkt erteilt und von Bedingungen abhängig gemacht werden. Das
Patent kann, soweit nicht Staatsverträge entgegenstehen, zurückgenommen werden,
wenn die Erfindung ausschließlich oder hauptsächlich
außerhalb des Deutschen Reiches oder der Schutzgebiete ausgeführt wird.
Die Uebertragung des Patents auf einen anderen ist insofern wirkungslos, als sie
nur den Zweck hat, der Zurücknahme zu entgehen. Vor Ablauf von drei Jahren seit
der Bekanntmachung der Erteilung des Patents kann eine Entscheidung gegen den
Patentinhaber nicht getroffen werden.“
Ein Vergleich der Bestimmungen des Artikel 27 des englischen Patentgesetzes mit denen
des § 11 des deutschen Gesetzes (insbesondere des früheren) zeigt, daß diese
Bestimmungen zu lebhafter Beunruhigung Veranlassung nicht boten. Man nahm aber – und
nicht mit Unrecht – an, daß die Bestimmung des Artikel 27 des englischen Gesetzes
mit rigoroser Härte gehandhabt werden würde. Dies ist auch in der Tat eingetroffen,
erst neuerdings hat sich eine mildere Handhabung dieser Bestimmungen bemerkbar
gemacht.
Der Artikel 27 des englischen Gesetzes wurde nun allgemein
dahingehend interpretiert, daß kein Zurücknahmerecht gegeben sei, wenn der
patentierte Gegenstand zwar ausschließlich im Auslande hergestellt, aber von
dort nicht in England eingeführt wird.
Dieser Interpretierung entsprachen bisher auch die Entscheidungen des englischen
Gerichtshofes, von denen im folgenden einige mitgeteilt werden sollen. Diese
Entscheidungen sind aber nicht zu verallgemeinern, müssen vielmehr an Hand der
Besonderheiten jeden Einzelfalles gewürdigt werden.
Die englischen Patente 6455 und 22139/1900 wurden zurückgenommen, da das Verfahren
ausschließlich im Auslande ausgeübt wurde. Die Entschuldigungsgründe, daß die Löhne
im Auslande billiger seien als in England, und Angebote mit ungenauen Angaben über
Lizenzvergebung wurden für stichhaltig nicht angesehen. Im vorliegenden Fall handelt
es sich um ein Verfahren zur Herstellung von Fliesen und Ziegeln. Das Verfahren
wurde ausschließlich in Deutschland, Frankreich und Belgien ausgeübt, die nach dem
Verfahren hergestellten Produkte in England in großem Umfange
eingeführt. Der höchste Gerichtshof bestätigte das Urteil mit der Begründung, daß die
Patentinhaber die Entstehung der Industrie, welche durch die Ausführung der Patente
hätte erfolgen können, in England vorsätzlich verhindert haben.
Das englische Patent 26519/1896 wurde zurückgenommen mit der Begründung, daß der
Patentinhaber vor Stellung des Rücknahmeantrages nichts getan hat, um das Patent in
England auszuführen. Eine Nachfrist zur Ausübung kann nur in solchen Fällen am
Platze sein, wo aus dem Tatbestand erhellt, daß der Patentinhaber wenigstens
ernsthafte einleitende Schritte für die Ausführung getan, z.B. Grundstücke angekauft
hat. Im vorliegenden Fall wurden an den in Amerika vollständig hergestellten
Maschinen vor dem Verkauf in England einige Teile entfernt und durch in England
hergestellte ersetzt.
Die Zurücknahme des englischen Patents 25382/1901 erfolgte mit der Begründung, daß
die sofortige Zurücknahme des Patents dadurch, daß zur Zeit der Verhandlung über den
Zurücknahmeantrag mit der Fabrikation des patentierten Gegenstandes begonnen ist,
nicht verhütet werde, wenn der Patentinhaber mit den Maßnahmen zur Durchführung der
Fabrikation in England säumig gewesen ist. Im vorliegenden Fall waren bis zum Tage
der Einleitung der Zurücknahmeklage etwa 11000 Maschinen aus Amerika in England
eingeführt worden.
Der Antrag auf Zurücknahme des englischen Patents 3677/1898 wurde zurückgewiesen,
obwohl erst drei Maschinen innerhalb Englands und zwar zum Teil mit aus dem Auslande
bezogenen Material hergestellt und zu hohem Preise angeboten waren. Der
Patentinhaber hatte nachgewiesen, daß er sich ehrlich um die Möglichkeit der
Herstellung der Maschine in England bemüht, im Ausland auch keinen wesentlich
höheren Absatz erzielt, und den Preis nicht etwa mala fide, um den Ankauf unmöglich
zu machen, so hoch gesetzt habe. Die Nachfrage ist nicht groß gewesen, und der
Patentinhaber hat ausländisches Material nur verwendet, um bei der ersten Ausführung
nichts zu versäumen. Allerdings sagt der Richter, daß diese Entscheidung nicht
ausschließt, daß später die Zurücknahme doch erfolgen könne, wenn die Tatsachen
danach angetan sein sollten. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Mühle zum
Zerstoßen und Pulverisieren von Stein, Quarz und anderen Stoffen.
Der Antrag auf Zurücknahme des Patents 22762/1900 wurde zurückgewiesen, weil Mangel
an Nachfrage in England nach dem patentierten Gegenstand und der von beiden Parteien
zugestandene Umstand, daß die Erfindung gegenwärtig in England keine praktische
Brauchbarkeit besitzt, ausreichende Gründe für die Zurückweisung des
Zurücknahmeantrages sind. Im vorliegenden Fall waren im Ausland überhaupt nur 125
Maschinen hergestellt, davon wurden in England zwölf Stück eingeführt.
Nach einer Entscheidung des höchsten englischen Gerichtshofes ist die Herstellung des
patentierten Artikels durch englische Patentverletzer
zugunsten des Patentinhabers in Betracht zu ziehen bei Entscheidung der Frage, ob
der patentierte Artikel in angemessenem Umfange in England hergestellt wird.
Alle diese Entscheidungen, mögen sie als gerecht angesehen oder als zu hart
empfunden werden, entsprechen der bisherigen Interpretation des Artikel 27 des
englischen Gesetzes, d.h. die Zurücknahme wurde nur dann ausgesprochen, wenn
nachweislich die patentierte Einrichtung oder das patentierte Verfahren
ausschließlich oder hauptsächlich außerhalb Großbritanniens hergestellt oder zur
Ausführung gebracht wurde und die patentierten Gegenstände in
England eingeführt wurden.
Diese Interpretation, auf der sich eine jahrelange Rechtsprechung aufbaute, wurde
umgestoßen durch die Entscheidung des Comptroller General vom 8. XII. 1911.
Durch diese Entscheidung wurde das englische Patent 28475/1904 zurückgenommen, obwohl eine Einfuhr des patentierten Gegenstandes in England
nicht stattgefunden hat, und der Patentinhaber durch Annoncen in
Fachzeitschriften und direkte Lizenzangebote die einschlägige englische Industrie
für die patentierte Einrichtung zu interessieren suchte.
In der Verhandlung wurde nachgewiesen, daß der Patentinhaber in verschiedenen
Fachzeitschriften annonciert und ferner 12 Firmen der einschlägigen Industrie
direkte Lizenzangebote gemacht hatte. Außerdem wurde eine Anlage nach dem Patent in
England selbst gebaut. Weitere Anlagen waren in Aussicht genommen für den Fall, daß
Nachfrage eintreten sollte. Der Rücknahmekläger, der an einem Konkurrenzpatent
beteiligt war hatte ferner gedroht, den Patentinhaber wegen Patentverletzung zu
verklagen, wenn weitere Anlagen nach seinem Patent in England ausgeführt würden.
Alle diese Maßnahmen des Patentinhabers wurden von dem Richter für nicht genügend
erachtet, die Rücknahme des Patents abzuwenden.
Der Richter sagt: Die Annoncen hätten des öfteren wiederholt werden und auch in andre
Handels-Zeitschriften eingesetzt werden müssen, die unmittelbar mit der
Spezial-Industrie zusammenhängen. Ferner hätte der Patentinhaber nicht nur an
Fabrikanten, sondern auch an Benutzer der patentierten
Einrichtung herantreten müssen. Auch den Einwand, daß dem Patentinhaber eine
Patentverletzungsklage drohte, ließ der Richter nicht gelten, nach seiner Ansicht
hätte der Patentinhaber eine Einigung herbeiführen müssen, eventuell auf Grund des
Artikel 24 eine Zwangslizenz beantragen müssen. Wenn in England eine Nachfrage nach
der patentierten Einrichtung nicht vorhanden sei, so hätte der Patentinhaber die
Verpflichtung gehabt, eine neue Industrie ins Leben zu rufen. Der Einwand des
Patentinhabers, daß eine Einfuhr in England nicht
stattgefunden habe, wird in den Urteilsgründen nicht näher
berücksichtigt.
Sollte diese Entscheidung vom höchsten Gerichtshof bestätigt werden, so werden die
ausländischen Inhaber englischer Patente gut tun, nicht nur die Einfuhr patentierter
Gegenstände nach England ganz zu unterlassen, sondern auch für eine ausreichende
Ausübung ihrer englischen Patente in England selbst Sorge
zu tragen.
Sollte in England Bedarf und Interesse für den Gegenstand des Patents nicht
vorhanden sein, so müßte mit allen zu Gebote stehenden Mitteln versucht werden, das
fehlende Interesse zu erwecken, eventuell durch Inslebenrufen einer neuen
Industrie.
Es dürfte noch der Umstand von Interesse sein, daß der dem Artikel 27 des englischen
Patentgesetzes dem Sinne nach entsprechende § 11 des deutschen Patentgesetzes von
namhaften deutschen Kommentatoren eine verschiedene Interpretation erfährt. Während
nach der Ansicht einiger Kommentatoren kein Zurücknahmerecht gegeben ist, wenn der
patentierte Gegenstand zwar ausschließlich im Auslande hergestellt, aber von
dort nicht im Inland eingeführt wird (vgl. die oben
zuerst angegebenen Entscheidungen englischer Richter), halten andere Kommentatoren
die Zurücknahme eines Patents für zulässig, wenn der Patentinhaber die Erfindung nur
im Auslande ausführt, auch für den Fall, daß er die Produkte nicht nach Deutschland
einführt (vgl. die zuletzt angegebene Entscheidung des englischen Comptrollers
General vom 8. XII. 1911).
In Deutschland ist eine Entscheidung des Reichsgerichts, diesen Fall betreffend, noch
nicht ergangen.