Titel: | Beitrag zur Berechnung mehrfach gelagerter Wellen. |
Autor: | H. Winkel |
Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 353 |
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Beitrag zur Berechnung mehrfach gelagerter
Wellen.
Von Dipl.-Ing. H. Winkel,
Berlin.
WINKEL: Beitrag zur Berechnung mehrfach gelagerter
Wellen.
Inhaltsübersicht.
Die verallgemeinerte Clapeyronsche
Gleichung wird auf elementarem Wege mit Hilfe des Mohrschen Satzes entwickelt. Die Anwendung des Verfahrens der T-Momente führt
2u einer einfachen graphischen Lösung der Gleichung, die für eine beschränkte Anzahl
von Einzelkräften – wie sie im allgemeinen im Maschinenbau vorkommen – eine schnelle
Berechnung der n-fach gelagerten Welle gestattet. Ein Zahlenbeispiel 2eigt die
Anwendung des Verfahrens auf eine sechsfach gelagerte Welle.
––––––––––
Ist eine Welle n mal gelagert, so muß sie als (n – 2)-fach statisch unbestimmter Träger berechnet
werden, d.h. neben den drei Gleichgewichtsbedingungen müssen (n – 2) Elastizitätsbedingungen aufgestellt werden. Nun ist natürlich der
durchlaufende Träger in der einschlägigen Literatur sehr ausführlich behandelt, doch
dürfte der Maschinenkonstrukteur kaum die Zeit zum eingehenden Studium dieser
Literatur haben; auch würde ihm der Mangel an Beispielen aus dem Maschinenbau das
Studium erschweren. Er muß in den Stand gesetzt werden, die vorlegende Aufgabe mit
den Grundbegriffen der Elastizitätslehre zu lösen, die fast jedes moderne Lehrbuch
der elementaren Festigkeitslehre gibt.
Die bekannten graphischen Verfahren über das elastische Verhalten von Trägern haben
für den Maschinenkonstrukteur, der sich mit dieser Materie zu beschäftigen beginnt,
den Nachteil, daß er mit Maßstäben zu arbeiten genötigt ist, die ihm nicht geläufig
sind. Es wäre also die Aufgabe zu lösen, die Ermittlung der Momentenlinie des
durchlaufenden Trägers mit dem einen Maßstab für die Momente durchzuführen.
In den nachstehenden Ausführungen soll auf Grund des Mohrschen Satzes die Berechnung der Welle erfolgen.
Mohr sagt bekanntlich: Wir erhalten die E ∙ J-fachen Ordinaten der
Biegungslinie eines Trägers mit konstantem Querschnitt, wenn wir einen –
gedachten – Träger mit der Momentenfläche des – wirklichen – Trägers belasten und zu
dieser Belastungsfläche die zugehörige Momentenfläche entwerfen; es ist die
Biegungslinie die sogenannte zweite Momentenlinie.
Textabbildung Bd. 328, S. 353
Abb. 1.
Da dieser Satz in der Folge Anwendung finden wird, so sei er an dem Beispiel (Abb. 1) erläutert. Es sei F eine beliebige Momentenfläche, d.h. die Ordinaten stellen Momente dar;
mit dieser Fläche denken wir den Träger A B belastet.
Als Gleichung der Biegungslinie für diese Belastungsfläche erhalten wir
wobei x1 die Entfernung des Schwerpunktes der Fläche F1 bedeutet.
Das E ∙ J-fache des
Neigungswinkels erhalten wir durch Differentiation, es wird
E\,.\,J\,.\,\mbox{tg}\,\varphi=\frac{d\,y}{d\,x}=B-\frac{d\,(F_x\,.\,x_1)}{d\,x}.
Der Ausdruck
\frac{d\,(F_x\,.\,x_1)}{d\,x} wird stets eine Funktion von
x sein, d.h. den Faktor x enthalten, so daß für x = 0
E ∙ J∙ tg
φB = B.
In gleicher Weise erhalten wir
E ∙ J∙ tg
φA = A,
d.h., es werden die Neigungswinkel der Welle in den Lagern
durch die Auflagerreaktionen A und B eines Trägers dargestellt, der mit der Momentenfläche
des wirklichen Trägers belastet ist. Da es sich um sehr kleine Winkel handelt,
dürfen wir den Bogen für die Tangente setzen, so daß
E ∙ J∙ tg
φb
= E ∙ J ∙ φb
= B
E ∙ J∙ tg
φa
= E ∙ J ∙ φa
= A . . . (1)
In Abb. 2 seien zwei
aufeinander folgende Oeffnungen eines durchlaufenden Trägers dargestellt. Die durch
Strichelung hervorgehobene resultierende Momentenfläche ergibt sich als die Summe
zweier Flächen, sie besteht aus den positiven Momentenflächen A D E B A und B F G C B,
die die Kräfte P hervorrufen würden, wenn A B und B C Träger auf
zwei Stützen wären, und den negativen Flächen A A' B' B
A und B B' C C B, die wir erhalten, wenn wir
die Endpunkte der Stützmomente Ma
= AA, Mb = BB' und Mc = CC' durch Geraden
verbinden.
Textabbildung Bd. 328, S. 354
Die elastischen Linien (Abb.
2b) haben in B eine gemeinsame Tangente, so
daß
φ1 = –
φ2 . . . . . .
(2)
ist. Zur Bestimmung von φ1 denken wir uns den Teil A
B des durchlaufenden Trägers als Träger auf zwei Stützen und belasten ihn
mit der gestrichelten Fläche, d.h. der Momentenfläche des wirklichen Trägers; dann
ergibt sich φ1 als
Auflagerreaktion B1 aus
der Momentengleichung für A als Drehpunkt. Wir zerlegen
das negative Trapez durch die Gerade A' B in zwei
Dreiecke mit den Höhen Ma und Mb und
die positive Momentenfläche ADEBA bei F1; die Entfernung
ihres Schwerpunktes S1
vom Drehpunkt A sei x1. Beachten wir, daß das Vorzeichen der Stützmomente
in den Bezeichnungen Ma,
Mb, Mc
enthalten ist, so ergibt sich
B_1\,.\,l_1=\frac{1}{2}\,l_1\,.\,M_a\,.\,\frac{1}{3}\,l_1+\frac{1}{2}\,l_1\,.\,M_b\,.\,\frac{2}{3}\,l_1+F_1\,.\,x_1=\varphi_1\,.\,l_1,
6\,\varphi_1=M_a\,.\,l_1+2\,M_b\,.\,l_1+6\,.\,\frac{F_1\,x_1}{l_1}.
In derselben Weise erhalten wir für C als
Drehpunkt
B_2\,.\,l_2=\frac{1}{2}\,l_2\,.\,M_b\,.\,\frac{2}{3}\,l_2+\frac{1}{2}\,l_2\,.\,M_c\,.\,\frac{1}{3}\,l_2+F_2\,.\,x_2=\varphi_2\,.\,l_2,
6\,\varphi_2=2\,M_b\,.\,l_1+M_c\,.\,l_2+6\,.\,\frac{F_2\,x_2}{l_2}.
Aus φ1 = – φ2
folgt
M_a\,.\,l_1+2\,M_b\,.\,l_1+6\,\frac{F_1\,.\,x_1}{l_1}=-2\,M_b\,.\,l_2-M_c\,.\,l_2-6\,\frac{F_2\,.\,x_2}{l_2},
M_a\,.\,l_1+2\,M_b\,(l_1+l_2)+M_c\,.\,l_2=-6\,\left(\frac{F_1\,.\,x_1}{l_1}+\frac{F_2\,.\,x_2}{l_2}\right)
. . (3)
In dieser Gleichung bedeuten
F1
∙ x1 das statische
Moment der einfachen Momentenfläche – der sogen. M0-Momentenfläche – für die Oeffnung A B in Beziehung auf die linke Stützsenkrechte A und
F2
∙ x2 das statische
Moment der einfachen Momentenfläche für die anschließende Oeffnung B C in Beziehung auf die rechte Stützsenkrechte C.
Bezeichnen wir diese Werte mit \frakfamily{L} bzw.
\frakfamily{R}, und sind (r –
1), r, (r + 1) die drei
aufeinanderfolgenden Stützen statt A, B, C und lr bzw. lr + 1 die
Lagerentfernungen, so geht Gleichung 3 über in
M_{r-1}\,.\,l_r+2\,M_r\,(l_r+l_{r+1})+M_{r+1}\,.\,l_{r+1}=-6\,\left(\frac{\frakfamily{L}_r}{l_r}+\frac{\frakfamily{R}_{r+1}}{l_{r+1}}\right)
. . . . (4)
Diese Gleichung 4 trägt den Namen „verallgemeinerte Clapeyronsche Gleichung“; die rechte Seite heißt
„das Belastungsglied“, es wird im allgemeinen mit Nr bezeichnet.
Es sei nur die r-te Oeffnung des Trägers belastet, dann
geht Gleichung 4 für die ersten Oeffnungen über in
M0 ∙
l1 + 2 M1 ∙ (l1 + l2) + M2 ∙l2 = N1 = 0.
Mit M0 = 0 wird
\frac{M_1}{M_2}=-\frac{l_2}{2\,(l_1+l_2)}
und wenn
\frac{2\,(l_1+l_2)}{l_2}=k_2
gesetzt wird:
\frac{M_1}{M_2}=-\frac{1}{k_2} und
M_1=-\frac{1}{k_2}\,.\,M_2.
Für die nächsten Oeffnungen erhalten wir die Gleichung
M1 ∙
l2 + 2 M2 (l2 + l3) + M3 ∙ l3 = 0,
die mit
M_1=-\frac{1}{k_2}\,.\,M_2
übergeht in
-\frac{l_2}{k_2}\,M_2+2\,M_2\,(l_2+l_3)+M_3\,.\,l_3=0
M_2\,\left[-\frac{l_2}{k_2}+2\,(l_2+l_3)\right]+M_3\,.\,l_3=0
M_2\,.\,\left[-\frac{l_2}{l_3\,.\,k_2}+\frac{2\,(l_2+l_3)}{l_3}]\right]+M_3=0
. . (5)
Setzen wir den Klammerausdruck, der nur konstante Werte enthält, gleich k3, dann wird
\frac{M_2}{M_3}=-\frac{1}{k_3}.
Gehen wir bis an die (r – 1)-te
Oeffnung, so erhalten wir in gleicher Weise
Mr-2 ∙ kr-1 + Mr–1 =0
\frac{M_{r-2}}{M_{r-1}}=-\frac{1}{k_r-1},
d.h., das Verhältnis der Stützmomente für die unbelasteten
Oeffnungen ist konstant.
Textabbildung Bd. 328, S. 355
Abb. 3.
Betrachten wir den Träger vom rechten Endauflager aus, so lassen sich ähnliche
Beziehungen aufstellen, aus denen wir das Resultat entnehmen:
Ist nur eine Oeffnung eines durchlaufenden Trägers belastet und sind die durch diese
Belastung hervorgerufenen Momente über den benachbarten Stützen bekannt, so ist der
Verlauf der Stützmomentenlinie für den ganzen Träger gegeben; sie besteht aus
Geraden, die durch feste Punkte gehen. Da die Momente in den Endauflagern gleich
Null sind, so fallen die äußersten Festpunkte mit den Endauflagern zusammen.
Die Bestimmung der Festpunkte kann rechnerisch nach Gleichung 5 geschehen; es war
k_3=-\frac{l_2}{l_3\,.\,k_2}+\frac{2\,(l_2+l_3)}{l_3}
oder allgemein
k_r=-\frac{l_{r-1}}{l_r\,.\,k_{r-1}}+\frac{2\,(l_{r-1}+l_r)}{l_r}
Graphisch bestimmt man die Lage der Festpunkte zweckmäßig nach Müller-Breslau, Graphische Statik, Bd. II, wie folgt: Teile die
Stützweiten in drei gleiche Teile und ziehe die Drittelsenkrechten d und d' (Abb. 3) sowie die verschränkte Stützsenkrechte v so, daß
ce = ⅓ lr
wird. Ein beliebiger Strahl aus dem bekannten Festpunkt Lr der vorhergehenden
Oeffnung schneide die Drittelsenkrechte d in a, die Stützsenkrechte in b; ziehe acd' bis zur ersten
Drittelsenkrechten der nächsten Oeffnung, dann schneidet die Verbindungslinie
d' b die Stabachse in dem Festpunkt Lr + 1. Von Lr + 1 aus erhält man
in derselben Weise die folgenden Festpunkte L. Da das
linke Außenlager ein Festpunkt ist, so beginnt man dort die Konstruktion. Die
Festpunkte R findet man von rechts nach links auf dem
gleichen Wege, indem man vom rechten Außenlager ausgeht.
Bezeichnen wir das Belastungsglied mit Nr, so läßt sich die verallgemeinerte Clapeyronsche Gleichung auch schreiben
⅓ Mr–1
∙ lr + ⅔ ∙ Mr (lr + lr + l) + ⅓ Mr + 1 ∙ lr+1 = ⅓ Nr
lr (⅓
Mr–1 + ⅔ Mr) + lr + 1 (⅔ Mr + ⅓ Mr + 1 = ⅓ Nr.
In Abb. 4 ist
P'P'' = ⅓ Mr-1, P'' P = ⅔ Mr,
also P'P = ⅓ Mr–1 + ⅔ Mr = p;
entsprechend ist
Q'Q = ⅓ Mr + 1 + ⅔ Mr = q,
folglich
lr ∙
p + lr+1 ∙ q = ⅓ Nr
p\,.\,\frac{l_r}{l_r+l_{r+1}}+q\,.\,\frac{l{r+1}}{l_r+l{r+1}}=\frac{N_r}{3\,(l_r+l_{r+1})}.
Textabbildung Bd. 328, S. 355
Abb. 4.
Verbindet man P' Q' durch eine
Gerade, so schneide diese auf der verschränkten Stützsenkrechten die Größe VV' = Tr, die durch die
Verbindungslinie P' Q in zwei Teile p' und q' zerlegt wird,
daß sich verhält
p' : p = ⅓ lr : (⅓ lr + ⅓ lr + 1)
und q' : q = ⅓ lr+1 :
(⅓ lr + ⅓ lr+1)
und daraus
p'=p\,.\,\frac{l_r}{l_r+l_{r+1}},
q'=q\,.\,\frac{l_{r+1}}{l_r+l_{r+1}}
p'+q'=\frac{N_r}{3\,(l_r+l_{r+1})}=T_r.
Textabbildung Bd. 328, S. 355
Abb. 5.
Angenommen, Lr' sei ein
bekannter Punkt der Stützmomentenlinie A' B' der r-ten Oeffnung, so wäre die Aufgabe zu lösen, einen
Punkt L'r + 1 der
Stützmomentenlinie B' C' der (r + 1)-ten Oeffnung zu suchen. Müller-Breslau
löst diese
Aufgabe in seiner Graphischen Statik, Bd. II, auf folgende Weise: Verbinde L'r mit dem Endpunkt
V' der Größe Tr, dann erhalte ich senkrecht über dem
Festpunkt Lr+1 der
folgenden Oeffnung auf dieser Geraden L'r V' den gesuchten Punkt L'r+1 der Geraden B' C'. Sind demnach die Festpunkte und die Momente T bekannt, so ist damit der Verlauf der
Stützmomentenlinie über den ganzen Träger wie folgt bestimmt: Trage auf den
verschränkten Stützsenkrechten die Momente T ab (Abb. 5), dann schneidet die Verbindungslinie A T1 die Senkrechte
durch den Festpunkt L2
in L2'. Verbinde L2' mit T2, dann schneidet L2' T2 die Senkrechte durch
L3 in L3',..., ziehe also den
Linienzug AT1 L2' T2 L3' T3 L4' T4L5' F. Ist L5' ein Punkt der Stützmomentenlinie, im rechten
Außenfelde, dann ist FL5' E' die Stützmomentenlinie für dieses Feld,
da F ein zweiter Punkt dieser Linie ist. Jetzt sind E' und L4' zwei Punkte in der vorletzten Oeffnung, so daß
E' L4' D' die Stützmomentenlinie dieser Oeffnung ergibt,.....,
ziehe also den Linienzug FL5' E' L4' D' C' L2' B' A. Zur Kontrolle
empfiehlt sich dieses Verfahren mit Hilfe der Festpunkte R vom rechten Auflager aus.
(Schluß folgt.)