Titel: | Ledertreibriemen und Riementriebe. |
Autor: | P. Stephan |
Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 358 |
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Ledertreibriemen und Riementriebe.
Von Regierungsbaumeister P. Stephan in
Dortmund.
(Fortsetzung von S. 345 d. Bd.)
STEPHAN: Ledertreibriemen und Riementriebe.
IV. Der Riementrieb.
Es werde ein Riemen von der Breite b cm und der Stärke
s cm betrachtet, der mit verhältnismäßig geringer
Geschwindigkeit v cm/Sek. über die Riemenscheibe vom
Halbmesser R = ½ D cm
läuft und die vorläufig ziemlich niedrig angenommene Nutzspannkraft
S_n=\frac{71620\,N}{R\,.\,n}\mbox{ kg} von einer treibenden
Scheibe I auf die getriebene II überträgt. N bezeichnet hier die Leistung
in PS und n die Anzahl der Umdrehungen in der Min.
Textabbildung Bd. 328, S. 358
Abb. 24.
Bezeichnet noch μ die Reibungsziffer zwischen dem Leder
und dem Material der Scheibe, so gilt unter den obigen Voraussetzungen für die
beiden an den Endflächen eines kleinen zum Zentriwinkel dω gehörigen Riementeilchens (Abb. 24)
angreifenden Spannkräfte S2
– S1 = dS = μ ∙ K, worin K den Druck in kg
bedeutet, mit dem sich das Riemenstückchen gegen die Scheibe legt. Aus ähnlichen
Dreiecken erhält man sofort \frac{K}{S}=\frac{R\,.\,d\,\omega}{R}
und damit wird \frac{d\,S}{S}=d\,\omega. Die Integration dieser
Gleichung liefert bekanntlich das Verhältnis der Spannkraft im treibenden Trum zu
der im losen Trum
\frac{S_1}{S_1}=e^{\mu\omega} . . . . . .
(1)
worin e = 2,71828 ... die Basis
der natürlichen Logarithmen ist.
Zwischen den beiden Riemenspannkräften besteht ferner noch die Beziehung
St –
S1= Sn . . . . . . .
(2)
Sie folgt direkt aus der Gleichgewichtsbedingung, daß die
Summe der Drehmomente der äußeren, an dem Umfang der Scheibe angreifenden Kräfte Sn, St und S1 den Wert 0 ergeben muß.
Für die Reibungsziffer μ ist von Morin mit Belastungen, die bis zum Eintreten des Gleitens
allmählich erhöht wurden, der übliche Mittelwert 0,28 gewonnen worden, und für
einmal gegebene Verhältnisse ist μ jedenfalls von
vornherein als wenigstens nahezu konstant anzusehen. Wird also durch Vergrößerung
der Nutzspannkraft Sn
das Verhältnis der beiden Trumspannkräfte \frac{S_t}{S_l}
vergrößert, so kann sich nur ω wesentlich ändern, und
zwar ebenfalls vergrößern, d.h. die Reibungskräfte, die die Kraftübertragung
bewirken, verteilen sich je nach der Belastung des Riementriebes über einen
kleineren oder größeren Winkel, eine Bemerkung, die schon von Grashof gemacht worden ist.Grashof, Theoretische Maschinenlehre, Bd. II, §
84; Z. d. V. d. I. 1863, S. 67–70. Hierzu machte Grashof die folgende Schlußbemerkung: „Obige Bemerkungen sind
den Vorträgen entnommen, die seit mehreren Jahren an der
Werkmeisterschule in Chemnitz gehalten wurden. Da sie ziemlich
selbstverständliche Dinge behandeln, so würden sie schwerlich in diese
Zeitschrift aufgenommen worden sein, wenn nicht ähnliche
Auseinandersetzungen kürzlich im „Zivilingenieur“ als aus
Frankreich stammend vorgebracht worden wären.“ Die Kenntnis dieser
„selbstverständlichen Dinge“ ist aber anscheinend inzwischen
völlig verloren gegangen; zum ersten Male wird darauf wieder hingewiesen von
Brauer, Z. d. V. d. I. 1908, S.
965. Das auf die Scheibe auflaufende Trum behält auf dem ersten Teil
des Scheibenumfanges die Spannung, die es bisher besaß, noch bei und ändert sie erst
auf dem letzten Teil, dessen Winkel ω' sich bei
bekanntem St , S1 und μ aus Gleichung 1
berechnen läßt.
Auf dem Winkel ω' streckt sich der elastische Riemen
unter dem Einfluß der Spannungsvergrößerung auf der getriebenen Scheibe und kriecht
auf der treibenden bei dem Spannungsrückgang wieder entsprechend zusammen. Um einen
annähernden Wert des Riemenschlupfes auf einer Scheibe zu erhalten, nimmt Grashof an, daß die Spannkräfte nicht nach dem
Exponentialgesetz der Gleichung 1 wachsen bzw. abnehmen, sondern im linearen
Verhältnis nach der in Abb. 25 gestrichelten geraden
Linie. Der mittlere Spannkraftzuwachs ist dann ½ (St – S1) = ½ Sn kg und die
zugehörige mittlere Zugspannung im Riemen
\sigma_m=\frac{1/2\,S_n}{b\,.\,s} kg/qcm. Die Verlängerung
auf der Strecke R ∙ ω' ist
λ = e ∙ R ω' worin aus
dem Hookeschen Gesetz ε = a
∙ σm einzusetzen ist.
Man erhält so
\lambda=R\,\omega'\,.\,\alpha\,.\,\frac{1/2\,S_n}{b\,s}\mbox{ cm}
und als Schlupf auf einer Scheibe
sch=\frac{\lambda}{R\,\omega'}=\alpha\,.\,\frac{S_n}{2\,b\,s}
. . . (3)
worin α die Dehnungsziffer des
Riemenmaterials in qcm/kg angibt.
Textabbildung Bd. 328, S. 359
Abb. 25.
In Wirklichkeit ist jedoch, wie Abb. 25 zeigt, der
mittlere Wert der Spannkraftänderung kleiner als ½ Sn, so daß die Grashofsche Gleichung durch einen später noch festzustellenden
Korrektionsfaktor ξ mit den tatsächlichen Verhältnissen
in Uebereinstimmung gebracht werden muß:
sch=\frac{\alpha\,S_n\,\xi}{2\,b\,s} . . . . .
(4)
Textabbildung Bd. 328, S. 359
Abb. 26.
Infolge dieses Schlupfes hat der Riemen auf dem Wege R ∙
ω' eine von der Scheibengeschwindigkeit abweichende
Geschwindigkeit, die von Fieber an einem langsamlaufenden
Gummiriemen, der einen besonders hohen Wert von a
aufwies, gemessen wurdeFiebe r, Z. d. V. d. I. 1909, S.
1642.. Seine Ergebnisse zeigt die Abb.
26, die die Grashofschen Angaben durchaus
bestätigt. Für zwei verschiedene Belastungen ergeben sich auch zwei verschiedene
Werte des Winkels ω', und auch im Falle der größeren
Belastung ist noch eine gewisse Reserve vorhanden. Die größte Uebertragung wird
danach erreicht, wenn ω' = ω wird. Dann berechnet sich z.B. für μ =
0,28 und gleich große Scheiben, also ω = π das
Verhältnis St : S1 = 2,41.
Aber schon lange ist bekannt, daß jenes Verhältnis der beiden Trumkräfte weit größer
werden kann, und man suchte dies dadurch zu erklären, daß bei dem verhältnismäßig
schnellen Uebergang des Riemens über die Scheibe die Zeit zur vollkommenen
Ausbildung der in Formel 4 angegebenen Formänderung fehlt, daß also einem bestimmten
Sn ein kleinerer
Schlupf als berechnet entspräche oder umgekehrt einem bestimmten gemessenen Schlupf
eine größere Nutzspannkraft Sn und damit ein größeres Verhältnis St : S1.
Tatsächlich zeigt auch die Aufnahme von Fieber eine
gewisse elastische Nachwirkung bei Gummi, indem die Geschwindigkeit des Riemens erst
etwas nach dem Verlassen der Scheibe den in der Mitte des freien Trums herrschenden
Endwert erreicht. Immerhin ist der Einfluß nicht so groß, um die sehr bedeutende
Abweichung von dem obigen Rechnungsergebnis zu erklären, die von Skutsch bei Lederriemen bis zu
\frac{S_t}{S_l}\,\sim\,17 gemessen worden ist. Außerdem hat
Skutsch durch Schwingungsversuche festgestellt, daß
sich bei Leder die Formänderungen sofort einstellen, also eine nennenswerte
elastische Nachwirkung in dem Sinne von Fieber hier nicht
besteht (vergl. Abschnitt II).
Textabbildung Bd. 328, S. 359
Abb. 27.
Eine andere, der Sache wohl näher kommende Erklärung ist die, daß die Reibungsziffer
μ nicht die oben angegebene Konstante ist, sondern
stark von dem Verhältnis der Riemenstärke zum Scheibendurchmesser abhängt. Boesner gibt dafür, ohne den Versuch einer physikalischen
Erklärung der Tatsache, die Beziehung
\mu=\frac{1}{800}\,.\,\frac{D}{s} anZ. d. V. d. I. 1893, S. 667 und 1912, S.
652., die z.B. für einen 7,5 mm starken Riemen auf einer Scheibe
von 2,5 m ⌀ μ = 0,416 liefert. Als Versuchsergebnisse
über die Veränderlichkeit der Reibungsziffer μ liegen
bisher nur die in Abb. 27 wiederholten Angaben von
Kammerer vorMitteilungen des V. d. I. über Forschungsarbeiten, Heft 56/57, Abb.
72.. Da der Riemen auf dem Winkel ω'
der für die Uebertragung allein in Frage kommt, immer etwas gleitet, so haben nur
die Reibungsziffern der Bewegung Wert, die innerhalb des gebräuchlichen
Belastungsgebietes der Einfachheit halber durch gerade Linien ersetzt werden mögen,
besonders da der ziemlich große Abfall bei höherer Belastung wenig wahrscheinlich
ist. Die obere Linie ist mit einem einfachen Riemen von 3,5 mm Stärke, die untere
mit einem Doppelriemen von 7,5 mm Stärke auf eisernen Scheiben von 2,5 m ⌀ erhalten
worden. Aufgetragen ist die Abhängigkeit der Reibungsziffer von der Nutzspannung
\sigma_n=\frac{S_n}{b\,.\,s}.
Physikalisch läßt sie sich vielleicht so erklären, daß durch die Biegung auf der
Scheibe und die dabei eintretende Stauchung der inneren Riemenseite, die sich, wie
jeder Augenschein lehrt, durch eine mehr oder weniger feine Wellenbildung bemerkbar
macht, nicht mehr alle Teile der Oberfläche gleichmäßig zur Anlage kommen, und daß
andererseits durch die Streckung infolge der Zugspannung σ im Riementrum die einzelnen Fasern mehr geglättet werden, so daß durch
das Zusammenwirken beider Ursachen eine Verringerung der Reibung zustande
kommt.Vgl. auch Cahen, Die Werkstatttechnik 1913, Heft
1. Man könnte demnach in erster Annäherung das lineare Gesetz
aufstellen
\mu=c_1-c_2\,.\,\frac{s}{D}-c_3\,.\,\alpha\,\sigma . . . .
(5)
worin das erste Glied den überhaupt möglichen Höchstwert bei
ungebogenem und ungespanntem Riemen darstellt, das zweite den Einfluß der Biegung
und das dritte den der Streckung enthält. Für σ = 0
liefert die Abb. 27 mit μ
= 0,45 bzw. 0,30 die Werte c1 = 0,58 und c2 = 93,5. Die Abhängigkeit von der Nutzspannung
erscheint von vornherein wenig wahrscheinlich, die obige Ueberlegung läßt vielmehr
auf eine Abhängigkeit von der tatsächlich vorhandenen Gesamtspannung schließen,
wobei die Stärke des Leders insofern noch eine gewisse Rolle spielen kann, als
natürlich nur die auf der Scheibe aufliegenden Fasern von Einfluß auf die Größe von
μ sind. Die meisten der Kraftübertragungsversuche
von Kammerer sind nun mit einer Vorspannung von etwa dem
doppelten Wert der größten Nutzspannung durchgeführt worden; wird ungefähr das
gleiche Verhältnis für die Reibungsversuche angenommen, so entspricht der Ausdruck
1,85\,\frac{\alpha\,S}{b\,s^2} dem dritten in der Gleichung 5
stehenden Glied. Betont sei, daß die Sicherheit und Genauigkeit der Formel 5 und
ihrer Zahlenwerte eine den Unterlagen entsprechende ist. Man erhält daraus z.B., daß
ein Riemen von 5,8 mm Stärke auf einer Scheibe von 93,5 cm ⌀ bereits die
Reibungsziffer 0 besitzt, ohne daß er eine Anspannung erfährt. Die Zahlenwerte sind
also höchstens für den Versuchsbedingungen entsprechende Riemenstärken und
Scheibendurchmesser verwendbar. Angestellt wurden beide Versuche mit komprimierten,
also auch auf der Innenseite ziemlich glatten Riemen. Für normales Leder dürfte c1 = 0,65 vielleicht
ein passender Wert sein. Wenigstens gibt Gehrckens an,
daß Riemen anderer Herkunft eine wesentlich höhere Reibungsziffer gezeigt hätten als
die komprimiertenMitteilungen des
Hamburger Bezirksvereines deutscher Ingenieure 1912, Nr. 7,.
Jedenfalls sind die so für μ ermittelten Zahlen immer
noch zu gering, um Uebereinstimmung mit den vorliegenden Ergebnissen von
Kraftübertragungsversuchen zu erreichen. Eine weitere, allerdings nur sehr kleine
Vermehrung des Betrages von μ hat Skutsch gefunden: Durch die Dehnung ε des Riemenelementes von der Masse
d\,m=R\,.\,d\,\omega\,.\,b\,.\,s\,.\,\frac{\gamma}{g} an
einer beliebigen Stelle innerhalb des Winkels ω' wird
sein Schwerpunkt um den Betrag
d\,\lambda=\frac{1}{2}\,R\,.\,d\,\omega\,.\,\epsilon auf der
Riemenscheibe verschoben. Hierin ist wieder nach dem Hookeschen Gesetz einzusetzen
\epsilon=\frac{\alpha\,.\,d\,S}{b\,.\,s}. Das Teilchen setzt
nun dieser Verschiebung einen Trägheitswiderstand entgegen von der Größe dP = dm ∙ a. Für die
Stelle, wo eine bestimmte Spannkraft S im Riemen
besteht, ist aber die Beschleunigung a immer dieselbe,
solange der Riemen im Gleichgewicht bleibt, d.h. keine Belastungsschwankungen
auftreten. Sie berechnet sich dann aus dem Wege dλ und
der dazu gebrauchten Zeit d\,t=\frac{R\,.\,d\,\omega}{v} nach
einer bekannten Formel der Bewegungslehre zu
a=\frac{2\,d\,\lambda}{(dt)^2}. Hiermit wird
d\,P=\alpha\,\frac{\gamma}{g}\,v^2\,d\,S. Damit geht die zur
Herleitung der Gleichung 1 benutzte Grundbeziehung über in
d\,S=\mu\,S\,d\,\omega+\alpha\,\frac{\gamma}{g}\,v^2\,d\,S.
Die Integration dieser Gleichung liefert, wenn vorläufig μ als konstant oder wenigstens unabhängig von S angesehen wird,
\frac{S_t}{S_l}=e^{\frac{\mu\,\omega'}{1-\alpha\,\frac{\gamma}{g}\,v^2}}
. . . . (6)
Wird hierin z.B. für einen Doppelriemen eingesetzt
\alpha\,\sim\,\frac{1}{1700} qcm/kg.
\gamma\,\sim\,\frac{0,85}{1000} kg/ccm.
v = 30 ∙ 100 cm/Sek., g = 981 cm/Sek.2,
so erhält man
1-\alpha\,\frac{\gamma}{g}\,v^2=0,9954, d.h. dieser geringe
Einfluß kann für praktische Zwecke außer bei ganz außergewöhnlich hohen
Geschwindigkeiten stets vernachlässigt werden.Die
gegenteiligen Angaben von Maier, Z. d. V. d. I.
1912, beruhen auf Fehlern, die im Ansatz der Gleichungen begangen
wurden.
Das Zahlenbeispiel setzt schon im Gegensatz zu den bisherigen Darlegungen eine hohe
Geschwindigkeit voraus, für welche die obigen Berechnungen noch einer Abänderung
bedürfen. Mit steigender Geschwindigkeit gewinnt die auf jedes auf der Scheibe
befindliche Teilchen
d\,m=R\,.\,d\,\omega\,.\,b\,s\,.\,\frac{\gamma}{g} wirkende
Zentrifugal- oder Fliehkraft Z=\frac{d\,m\,.\,v^2}{R} an Einfluß.
Sie ruft in den Endflächen des auf dem Bogen R ∙ dω liegenden Stückes die Kräfte
S_f=\frac{Z}{2\,\mbox{sin}\,\frac{d\,\omega}{2}}=\frac{Z}{d\,\omega}
hervor, die sich durch Einsetzung der beiden vorstehenden Werte ermitteln zu
S_f=b\,s\,\frac{\gamma}{g}\,v^2 . . . . .
(7)
(Fortsetzung folgt.)