Titel: | Lankenspergersche Drehachsen. |
Autor: | W. Speiser |
Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 361 |
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Lankenspergersche Drehachsen.
Eine technisch-historische Notiz von Dipl.-Ing.
W. Speiser, Berlin-Wilmersdorf.
SPEISER: Lankenspergersche Drehachsen.
Eines der wichtigsten Bauglieder des modernen Automobils bilden die schwenkbaren
Achsschenkel der Vorderräder. Die großen Beanspruchungen, denen gerade diese Teile
ausgesetzt sind, anderseits ihre vitale Wichtigkeit für die Lenkbarkeit des Wagens
und für die Sicherheit der Insassen zwingen zu ganz besonders sorgfältiger
Durchbildung der Bauart sowie zur Verwendung der vorzüglichsten Baustoffe. Erst der
Erfolg jahrelanger Erfahrungen hat diesen Gliedern die nötige Betriebsicherheit
verliehen, so daß die früher so gefürchteten Achsschenkelbrüche heute zu den ganz
ungewöhnlichen Seltenheiten gehören.
Textabbildung Bd. 328, S. 361
Abb. 1.
Es ist daher interessant, daß hier die modernste Technik nach langen Versuchen eine
alte Bauart wieder aufgenommen hat, die zu ihrer Zeit – vor etwa 100 Jahren – als
bedeutende Erfindung das Aufsehen der Fachwelt erregte und allgemein gerühmt wurde,
bald aber im Staube der Vergessenheit versank, weil die damalige Technik nicht
imstande war, die als gut und brauchbar anerkannte Idee praktisch auszuführen. Ob
man beim Automobil wissentlich auf das bereits vorhandene Vorbild zurückgriff oder
ob hier eine Neuerfindung zu Grunde liegt, ist mir nicht bekannt geworden.
Im Jahre 1818 veröffentlichte der königlich bayerische Hofwagner Georg Lankensperger in München eine in deutscher und
französischer Sprache verfaßte Broschüre über die von ihm erfundenen und
hergestellten „beweglichen Achsen“. Während man bis dahin in bekannter Weise
den Vorderwagen eines Fuhrwerks um den sogen. Reit- oder Reibnagel drehbar machte,
so daß bei einer Schwenkung des Wagens die Vorderachse mit den beiden Rädern sich um
den Reitnagel drehte, wenn die Pferde seitlich an die Deichsel drückten, ordnete Lankensperger zu beiden Seiten der feststehenden Vorderachse ganz ähnlich wie bei unsern heutigen Automobilen
bewegliche Achsschenkel an, die gemeinsam durch die Schrägstellung der Deichsel beim
Wenden gesteuert werden und eine bloße Schrägstellung der Vorderräder bewirken. Da
die Wagen jener Zeit gezogen wurden, mußte man selbstverständlich die Steuerung
dieser Lenkachsen mittelbar durch das Zugtier bewirken; die beim Automobil gegebene
direkte Steuerung wäre unzweckmäßig gewesen, weil ohnehin das Zugtier in die
gewünschte Richtung gelenkt werden mußte.
Die der genannten Broschüre entnommenen Abb. 1 und
2 veranschaulichen ohne weiteres die Art der
Anordnung. Die Räder sitzen auf geschmiedeten Achsschenkeln E, die mit einem senkrechten Zapfen im Wagengestell
drehbar gelagert sind. Ein angeschmiedeter Lenkarm (Abb.
2) wird durch eine Verbindungsstange B
angefaßt. Diese Stange ist auf einer rückwärtigen Verlängerung der Deichsel drehbar
gelagert, der Drehpunkt beschreibt einen Kreisbogen, wenn durch die Zugtiere die
Deichsel nach der Seite geschwenkt wird.
Als besondere Vorzüge dieses „im Königreiche Baiern privilegirten und in England
patentirten Wagengestelles“ führt Lankensperger
u.a. folgende an: 1. Bequemes und sicheres Umwenden auf beschränktem Raum,
Sicherheit gegen Umwerfen beim Wenden; 2. kürzere und daher leichtere und
dauerhaftere Bauart des Wagens; 3. die Vorderräder können höher werden, weil sie
nicht mehr unter den Wagenkasten treten, daher leichteres Ziehen, geringere
Abnutzung (mit Rücksicht auf die geringere Umdrehzahl) und besseres Aussehen des
Wagens, Schonung der Pferde durch annähernd wagerechte Anordnung der Zugstränge; 4.
Materialersparnis, namentlich an Holz, z.B. braucht die Deichsel nicht krumm zu
sein.
Aber trotzdem diese Vorzüge im Prinzip durchaus anerkannt wurden, so war es nach dem
Stande der damaligen Technik doch nicht möglich, der Erfindung eine Form zu geben,
die auf die Dauer den Ansprüchen der Praxis genügte.
Textabbildung Bd. 328, S. 361
Abb. 2.
So schreibt im Jahre 1829 F. A. Bickes (Anleitung zur
Kenntnis und richtigen Beurteilung aller Arten von Equipagen, oder Darstellung der
Kunst der Kutschenfabrikation usw., Freiburg, bei Fr. Wagner):
„Und wer erinnert sich hier nicht der Lankenspergerschen sogenannten Drehachsen. Wie schön in ihrer Art ist
diese Erfindung nicht, und wie geeignet, selbst den Kenner momentan zu täuschen.
– Nun, ihr Erfinder ist ein Praktiker, der sich sehr in seinem Fache
auszeichnet, an Erfindungsgeist darin alle seine jetzt lebenden Kunstgenossen in
und außer Deutschland – es ist dies wirklich nicht zuviel gesagt – hinter sich
zurückläßt und dabei seinem Talent eine durchaus zweckmäßige Richtung zu geben
verstand, indem er es einzig nur auf Vereinfachung ausgehen ließ. Und dennoch
hatte sich seine Erfindung nach den ersten paar Jahren schon überlebt! – Der
einzige Umstand, daß die Achsen durch die Art wie sie befestigt sind, auch bei der
akkuratesten Arbeit, durch den Gebrauch los werden und die Räder dann die Spur
nicht halten, ist so wichtig, daß er die Vorteile beträchtlich überwiegt, die
von anderen Seiten dadurch erreicht werden. Uebrigens wurde der Erfindung auch
eine zu weite Ausdehnung gegeben, Man hätte sich bloß auf ganz leichte Gefährte,
z.B. Droschken und dergleichen damit beschränken sollen. Hier wäre sie passender
angebracht gewesen, und würde sich auch länger erhalten haben. Es war ein großer
Mißgriff, daß man sie bei großen Kaleschen und selbst bei Stadtwagen anbrachte.
Hier mußten ihre Mängel, wegen dem größeren Gewicht, das die Achsen zu tragen
hatten, sehr bald offenbart werden.“
Die offenbaren Hauptschwierigkeiten der Bauart sind damit gekennzeichnet. Es war eben
bei den damals zur Verfügung stehenden Baustoffen, Holz und ein recht minderwertiges
Schmiede- oder Gußeisen, ein Versuch, mit untauglichen Mitteln der Beanspruchungen
Herr zu werden, die selbst bei den geringen Fahrgeschwindigkeiten des
Pferdefuhrwerks auftreten. Auch der richtig angewendete „Sturz“ der Räder,
den man heute noch benutzt, um die auftretenden Stöße möglichst nahe an der
Zapfenlagerung aufzunehmen, konnte eine völlige Entlastung nicht erzielen und konnte
es daher nicht verhindern, daß die primitive Ausführung durch die Beanspruchungen
allmählich zerstört wurde.
Sehen wir uns zum Vergleich eine moderne Automobillagerung an (vgl. z.B. D. p. J.
1906, S. 566). Die Vorderachse des Wagens ist aus dem besten Chromnickelstahl
hergestellt und weist für die Lenkachse eine auffallend lange Lagerung auf. Auf dem
langen Drehzapfen dreht sich, durch Staufferfett sorgfältig geschmiert, mit
Bronzelagerbüchsen die Hülse, in welche der eigentliche Achsschenkel eingesetzt ist;
ein besonderes Stützkugellager nimmt die Vertikalkräfte auf. Auch das Rad selbst
läuft selbstverständlich auf Kugellagern.
Mit Ausnahme der Kugellager besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied in der Bauart
gegenüber der Lankenspergers nicht. Einzig der Besitz
besserer Baustoffe ermöglicht uns heute, die Idee auszuführen, die vor hundert
Jahren sich als noch nicht lebensfähig erweisen mußte.