Titel: | Technischer Rückblick auf den Prinz-Heinrich-Flug 1913. |
Autor: | Paul Béjeuhr |
Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 422 |
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Technischer Rückblick auf den Prinz-Heinrich-Flug
1913.
Von Paul Béjeuhr in
Berlin.
(Schluß von S. 403 d. Bd.)
BEJEUHR: Technischer Rückblick auf den Prinz-Heinrich-Flug
1913
Unter den Eindeckern nahm naturgemäß der Hirthsche Apparat das Hauptinteresse in Anspruch,
wenngleich er durch den bedauerlichen Unglücksfall während der Abnahmeflüge schon so
beschädigt wurde, daß er nicht mehr an der Konkurrenz teilnehmen konnte. Die
Konstruktion war insofern bemerkenswert, als die Sitze nicht hintereinander, sondern
nebeneinander angebracht waren; der Rumpf hatte runden Querschnitt von recht
eleganten Formen, die Querspantenausbildung und die Sperrholzbeplankung ohne
Spanndrähte entsprach der üblichen Albatros-Konstruktion.
Das Auseinandernehmen der Maschine ließ sich durch das Lösen einiger Querbolzen in
sehr kurzer Zeit herbeiführen. Durch die Konstruktion der Tragflächen (ähnlich
Nieuport) war der Apparat fast gänzlich unstabil, was wohl auch zum Teil den oben
erwähnten Unfall herbeigeführt hat. Der Apparat benötigte etwas langen Anlauf und
kam erst nach etwa 100 m frei. Er neigte sich rechts ziemlich scharf und da er noch
keine genügende Geschwindigkeit hatte, glitt er seitwärts ab, stieß mit dem rechten
Flügel auf, worauf sich das Flugzeug nach dem Brechen des Flügels ganz auf den
Rücken legte. Ein weiterer sehr interessanter Eindecker war der von Schlegel geführte Aviatik-Apparat, der besonders in
seinen Detailkonstruktionen einen sehr reifen durchgearbeiteten Eindruck machte,
hatte sich doch während des Gesamtfluges auch nicht die geringste
Reparaturnotwendigkeit herausgestellt. Es war allerdings an einem der ersten Tage
kurz nach dem Anwerfen des Motors ein Monteur mit dem Arm in den mit 1000 Touren
laufenden Propeller gekommen, wobei merkwürdigerweise der Arm nicht verletzt,
aus dem Propeller dagegen ein ganzes Stück herausgeschlagen war. Diese
Reparaturnotwendigkeit kann aber keineswegs dem Flugzeug zugeschrieben werden,
sondern höchstens der mangelhaften Ausführung des Propellers. Die im Laufe des
letzten Jahres am Flugzeug vorgenommenen Verbesserungen sind mehr konstruktiver Art;
so sind z.B. die Sicherungen grundsätzlich nicht mehr durch Splinte vorgenommen,
sondern durch nach Art der Sicherheitsnadeln gebogenen Stahldraht, was neben großer
Einfachheit außerordentliche Anpassungsfähigkeit und leichte Lösbarkeit
gewährleistet. Die Befestigung der Flügel mit dem Rumpf geschieht durch zwei als
Rohre ausgeführte Bolzen. Die Quersteuerung erfolgt bei feststehendem vorderen Holm
durch Auf- und Niederbewegen des hinteren Holms, wobei die hintere Spannbrücke auf
dem Rumpf drehbar angeordnet ist.
Der von Leutnant von Hiddessen gesteuerte Eindecker der Deutschen Flugzeugwerke, eine ähnliche
Konstruktion wie der von Scherff und Hauptmann Krey geführte Apparat, mit denen so schöne militärische
Erfolge in der Türkei erzielt wurden, bedarf in verschiedenen Kleinigkeiten doch
noch der konstruktiven Durchbildung, so zweckmäßig in großen Zügen die Konstruktion
durchgeführt ist. Es ist nach Möglichkeit Stahlrohr verwendet, die Luftwiderstände
sind durch einen fischförmigen Bootskörper sehr verringert. Die Formgebung der
Flügel erinnert etwas an die Taube, so daß eine erhebliche Stabilität beim Fluge
gewährleistet ist. Die Steuerung ist als Normalsteuerung ausgeführt, besonderer Wert ist auf ein
robust durchgearbeitetes Fahrgestell gelegt, das sich bei vielen Landungen auf
schlechtem Terrain bewährt hat. Das Steuerhandrad ist durch eine Friktion in jeder
Lage festzuhalten, wodurch natürlich die Tätigkeit des Führers bei ruhigem Wetter
außerordentlich vereinfacht wird.
Textabbildung Bd. 328, S. 423
Abb. 3.Jeannin-Stahl-Taube
Textabbildung Bd. 328, S. 423
Abb. 4.L. V. G.-Doppeldecker
Eine sehr schnittige Konstruktion war die Jeannin-Stahltaube (Abb.), bei der wohl in konsequentester Weise als
Konstruktionsmaterial Stahl Verwendung gefunden hatte. Es ist heute schon mit großer
Sicherheit vorauszusagen, daß in Bälde der Stahl wie überall in der Technik, so auch
in der Flugtechnik das Holz verdrängen wird, denn bei längerem Gebrauch und
intensiver Benutzung müssen dort stets Lockerungen vorkommen, wo durch Holz gezogene
Bolzen zur Verbindung dienen, da sich das härtere Material in dem weicheren Holz
stets schädliche Bewegungsfreiheiten verschafft. Vornehmlich das Landungsgestell,
das bei den heutigen recht steilen Gleitflügen und bei den jetzt hoch belasteten
Apparaten, ferner bei den großen Ueberlandflügen mit den vielen Zwischenlandungen
außerordentlichen Beanspruchungen ausgesetzt ist, dieser Bestandteil der
Flugmaschine muß tunlichst aus Stahl hergestellt werden, und jede Abfederung darf
lediglich durch besondere Spiralfedern oder Gummizüge aufgenommen werden, welche
Materialien sich zu dieser Arbeitsaufnahme am besten eignen. Beim Jeannin-Apparat ist z.B. ein Federweg von 21 cm Länge
lediglich durch Spiraldruckfedern gewährleistet, zu welcher Federung noch Jene der
Pneumatiks hinzukommt, während auf Gummizüge gänzlich verzichtet ist. Unter den Zweideckern waren außer dem von Leutnant Weyer gesteuerten Aviatik-Apparat, der alten Type mit
vorn liegendem Höhensteuer, bei der lediglich eine kleine Schutzkarosserie um die
Fahrer angeordnet war, nur moderne Apparate vertreten. Die Aviatik-Pfeil-Doppeldecker, die besonders bei den Aufklärungsübungen durch
die verschiedenen Fliegeroffiziere der süddeutschen Stationen gesteuert wurden,
zeigten infolge ihrer V-förmigen und nach hinten gezogenen Tragflächen ein
außerordentlich gutes Flugvermögen und lagen sehr stabil in der Luft. Außer diesen
bekannten Konstruktionen verdient als interessantester Apparat der L. V. G. Doppeldecker (Abb. 4)
hervorgehoben zu werden, der in seiner gedrungenen massiven Form eine harmonische
Linienführung zeigt. Die Querstabilität wird durch zwei an den Tragflächenenden
befindliche Hilfsklappen bewirkt, die gegeneinander versetzt sind. Das
Auseinandernehmen des Apparates läßt sich ohne Lösen von Spannkabeln lediglich durch
Herausziehen einiger Bolzen ermöglichen, weil die Vertikalstreben mittels Gelenken
mit den Tragflügeln verbunden sind. Rumpf und Schwanzflossenanordnung zeigen die
typischen Merkmale der L. V. G.-Konstruktion. Das Fahrgestell ist außerordentlich
robust, es endet vorne in einer Löffelkufe, die noch ein kleines Hilfsrad für steile
Landungen trägt und mittels durchlaufender Streben bis zum oberen Tragdeck
abgestützt ist.
Textabbildung Bd. 328, S. 423
Abb. 5.Otto-Doppeldecker
Der Otto-Doppeldecker (Abb.
5) ist gegen das Vorjahr lediglich durch Detailkonstruktionen verändert.
Er zeigt auch heute noch die typische Tragzelle und Schwanzzelle mit der einfachen
Gerüstverbindung; die Maschinenanlage ist in die Tragzelle eingebaut, die Sitze
liegen weit vor der Tragzelle und sind mit einer besonderen Karosserie umgeben. Der
Otto-Doppeldecker und der alte Aviatik-Apparat waren
somit die einzigen Flugzeuge, die noch keinen durchgehenden Flugzeugkörper
besaßen.
Endlich sind noch die beiden Doppeldecker der
Albatroswerke zu erwähnen, von denen sich besonders der Thelensche Apparat außerordentlich bewährt hat. Typisch
für beide Konstruktionen ist der mit Sperrholz beplankte Bootskörper, der
außerordentliche Zähigkeit besitzt und den Fahrern großen Schutz gewährt. Der vorn
angeordnete Motor ist ganz eingekapselt, der Propeller direkt gekuppelt; beim Thelen-Apparat sitzt zwischen Motor und Propeller der
Kühler, der außerordentlich kleine Abmessungen zeigt. Die Demontage geschieht wie beim L. V.
G.-Doppeldecker; die Konstruktion der Vertikalstiele ist die gleiche. Das
Fahrgestell ist erheblich erleichtert, es besteht auf jeder Seite aus zwei
Holzstreben, die unten in einem gemeinsamen Schuh endigen, über welchen die Achse
mit Gummiringen aufgehängt ist.
Schon weiter vorn waren wir auf die Fähigkeiten der Flieger zu sprechen gekommen. Sie
sind in ganz außerordentlicher Weise gegen die Vorjahre entwickelt. Bei den
Aufklärungsübungen wurden Leistungen gezeigt, die zur Genüge bewiesen, daß die
Flieger ihre Maschine in jeder Weise beherrschen, daß sie wissen, was sie ihrem
Material bieten können, daß sie aber auch ihr Element kennen, dem sie sich mit allen
seinen Unbilden und all seinen Widrigkeiten mit großem Schneid anvertrauen. Wer die
Aufklärungsübungen in Karlsruhe, Pforzheim und Straßburg gesehen, wer das schnelle
Aufeinanderfolgen der Starts, die präzise Landung erlebt hat und wer einen Einblick
erhielt in die knappen und doch ausführlichen Meldungen mit kurzen Kartenskizzen,
der kann mit Recht behaupten, daß unser Flieger- und Beobachtermaterial in jeder
Hinsicht auf der Höhe ist. Die große Zähigkeit beleuchtete besonders ein Fall, bei
welchem ein Flieger drei- oder viermal einen Start nach einer Notlandung
herbeizuführen suchte und stets von neuem durch eine Reparaturnotwendigkeit zur
Landung gezwungen wurde. Er gab nicht etwa den Flug auf, sondern erreichte es durch
seine zähen Bemühungen, in guter Form den Ueberlandflug zu beenden. Sicher ist die
Unterbringung der Fahrer auf ihren Gemützustand von großem Einfluß. Ein unstabiler
Apparat, der verhältnismäßig große Geschwindigkeit besitzt, aber durch seine
Konstruktion steter Steuerbewegungen, also auch steter Aufmerksamkeit des
Fliegers bedarf, ein solcher Apparat ist zweifellos bei einem längeren mehrtägigen
Ueberlandflug einem stabilen und dafür etwas langsameren Apparat unterlegen. So gab
z.B. Ingenieur Schlegel in Straßburg die Teilnahme an der
letzten Aufklärungsübung deswegen auf, weil seine Nerven aus irgend welchen Gründen
erschöpft waren. Der Motor lief nach einigen Aussetzern, die man kurz nach dem
Anwerfen auch beim besten Motor einmal antrifft, absolut tadelfrei. Der Apparat war
in bester Form, denn während des ganzen Fluges war auch nicht die geringste
Reparatur vorgenommen worden; trotzdem kehrte Schlegel
nach kurzem Start zurück, weil er sich nicht die Fähigkeit zutraute, seinen Apparat
noch am letzten Tage über die Strecke zu bringen. Derartige Vorkommnisse geben der
Industrie vielleicht den beachtenswerten Fingerzeig, erhöhte Stabilität des
Apparates selbst mit einem Verlust an Eigengeschwindigkeit durchzuführen.
Alles in allem kann zum Schluß hervorgehoben werden, daß die Industrie in diesem
Jahre ein uneingeschränktes Lob verdient. Die von ihr gebrachten Erzeugnisse zeigten
eine Reihe zweckmäßiger konstruktiver Verbesserungen, sie waren erprobt und in ihrer
Neuerung den Fliegern bekannt. Eine andere Frage ist die, ob es zweckmäßig ist,
einen so großen Wettbewerb, der naturgemäß nicht nur von der Fachwelt besucht wird,
lediglich nach technischen Gesichtspunkten auszubauen, da sehr leicht die Gefahr
vorliegt, daß die Resultate die nur durch ihre Feinheiten für den Fachmann
interessant sind, von der großen Menge nicht ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt
werden und daher leicht ungünstig auf die Beurteilung der Flugtechnik im allgemeinen
zurückwirken.