Titel: | Was bedeuten Pégouds Sturzflüge für die Flugtechnik? |
Autor: | Paul Béjeuhr |
Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 646 |
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Was bedeuten Pégouds Sturzflüge für die
Flugtechnik?
Von Paul Béjeuhr in
Berlin.
BEJEUHR: Was bedeuten Pégouds Sturzflüge für die
Flugtechnik?
Das Haus Louis Blériot läßt durch den Chefpiloten Pégoud nach einem systematisch aufgestelltem Programm
Experimente demonstrieren, die das Interesse der Fachwelt verdienen. Wie aus der
Tagespresse bekannt, hat Pégoud mit einem Normal-Blériot-Eindecker über dem Flugplatz Juvisy vollständige,
senkrechte S-Kurven in der Luft ausgeführt. Er stieg bis zu etwa 1000 m Höhe auf,
stellte dann den Motor ab und ging in den Gleitflug über, den er durch plötzliches
Tiefensteuer in einen Sturzflug verwandelte. Nachdem er hier genügende
Geschwindigkeit erreicht hatte, brachte er den Apparat durch abermaliges
Tiefensteuer in die umgekehrte Lage, d.h. mit den Rädern nach oben. Er erledigte
jetzt in leichter Schrägstellung einen Gleitflug auf dem Rücken der Tragfläche etwa
für die Dauer von 20 Sekunden, gab hierauf kräftig Höhensteuer und kam nach kurzem
Sturzfluge in etwa 200 m wieder in die normale Fluglage, von der aus er mit einigen
Kurvenflügen zur Landung schritt.
Diese Flüge klingen zunächst etwas unwahrscheinlich, es muß jedoch gleich betont
werden, daß ihre Möglichkeit dem Fachmann bereits seit langem bekannt war. Mit jedem
flugfähigen Modell kann man sehr leicht das Experiment machen, daß es, bei
genügender Fallhöhe in beliebiger Lage in die Luft geworfen, wieder in seine normale
Fluglage zurückkehrt, um im Gleitflug zu landen.
Textabbildung Bd. 328, S. 646
Aehnlich muß auch jedes Flugzeug, wenn es nur den genügenden freien Raum unter sich
hat, gleichgültig, in welcher Lage es sich befindet, wieder in die normale Fluglage
zurückkehren. Was die Fachwelt am meisten interessiert, das ist ja auch weniger das
Experiment, als die hieraus zu folgernden Entwicklungsmöglichkeiten für die kommende Flugtechnik; und zwar kommen
hier die beiden Fragen in Betracht, ob diese Experimente mit jedem Flugzeug bei
geeigneter Bauart auszuführen sind, und ob durch sie wirklich die „Unsinkbarkeit des Flugzeugs“ bewiesen ist, also
die Sicherheit in der Luft zugenommen hat.
Die erste Frage ist ohne weiteres mit „ja“ zu beantworten. Genügende
Konstruktionsfestigkeiten der Spannkabel, des Rumpfes und der Tragflächenholme
vorausgesetzt, kann jeder Apparat ohne Schaden derartige Sturzflüge ausführen. Es
muß jedoch streng darauf geachtet werden, daß der Motor vorher abgestellt wird,
damit die Geschwindigkeiten nicht durch den Antrieb des Propellers übermäßig
anwachsen und so zum Bruch der Schraube führen. Zur Ausführung der Flüge ist
lediglich ein genügend großes Höhen Steuer notwendig, das den Flieger ohne
allzugroße physische Anstrengung befähigt, den Apparat aus dem einen Flugstadium in
das andere zu bringen. So muß beim Gleitflug zunächst kräftig Tiefensteuer gegeben
werden, damit der Apparat auf dem Rücken zu liegen kommt. Diese Funktion wird sich
bei der jetzt vorgesehenen Größe der Höhensteuer ohne weiteres ermöglichen lassen.
Aus der Rückenlage in die Normallage geht der Apparat nur über durch kräftiges
Höhensteuergeben. (Die Funktionen sind alle so benannt, wie sie der Flugzeugführer
bei normalen Flügen bezeichnet.) Für dieses kräftige Höhensteuergeben wird das
Steuer bei vielen Apparaten nicht ausreichen, so daß es hierfür einer Vergrößerung
bedarf. Betreffs des zu verwendenden Motors ist zu sagen, daß sich diese Experimente
wohl vorläufig nur mit Rotationsmotoren anstellen lassen, weil anderenfalls bei
stehendem Motor aus der Oelmulde sofort Oel in die Zylinder fließen würde; diesem
Uebelstand wäre übrigens leicht dadurch abzuhelfen, daß statt der als Reserve
vorgesehenen Tauchschmierung zwei voneinander unabhängige Druckschmierungen
angewendet werden und daß das verbrauchte Oel zwangläufig abgesaugt wird.
Auch die Vergaser in ihrer jetzt für Standmotoren verwendeten Form sind nicht ohne
weiteres für das „Auf dem Rücken fliegen“ geeignet, da sofort Benzin
überfließen würde. Uebrigens muß auch beim Kreiselmotor die Zündung und das Benzin
sofort abgestellt werden, um Flammenrückschläge in den Vergaser zu vermeiden.
Weit wichtiger ist für die Entwicklung der Flugtechnik die zweite Frage der
„Unsinkbarkeit“, welche bis zu einem gewissen Grade verneint werden muß.
Zweifellos wird es für viele Fälle die Sicherheit des Fluges erhöhen, wenn die Apparate so
eingerichtet werden, daß sie nach einem Sturzflug durch Betätigung des Höhensteuers
wieder in die normale Lage zurückzubringen sind. Wir müssen uns aber immer darüber
klar sein, daß zur Vornahme derartiger Hilfen große Höhe und
eine gewisse Zeit gehört. Das bestätigt erneut für Ueberlandfahrten den
schon von Anfang an betonten Grundsatz, stets möglichst große Höhen aufzusuchen.
Passiert dann irgend etwas am Apparat, so läßt sich nicht nur leicht ein geeignetes
Landungsterrain finden, sondern man kann das Flugzeug auch, falls durch irgend einen
Unfall ein Kentern erfolgt sein sollte, mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder in die
normale Fluglage bringen. Die leider recht große Zahl der Unglücksfälle zeigt
nun aber, daß diese fast stets in den geringen Höhen von 10 bis 100 m vorgekommen
sind und in diesen Höhen nützen uns die Experimente
garnichts. Beim Sturz aus einer solchen Höhe läßt sich der Apparat nicht
mehr aufrichten, der Flieger kann also zur Abwendung eines Unglücksfalles auch mit
Kenntnis der erwähnten Experimente nichts tun. So anerkennenswert daher das Vorgehen
der Firma Blériot ist, so sehr der persönliche Mut und
Schneid des Fliegers Pégoud unterstrichen werden muß, mit
eben so großer Einschränkung muß davor gewarnt werden, jetzt von einem „unsinkbaren Flugzeug im allgemeinen“ zu
reden.