Titel: | Vermeintliche und wirkliche Ueberspannungswirkungen in Hochspannungsanlagen. |
Autor: | Felix Finckh |
Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 18 |
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Vermeintliche und wirkliche
Ueberspannungswirkungen in Hochspannungsanlagen.Wegen der
Wichtigkeit des Gegenstandes für die weitesten technischen Kreise bringen wir
hier einen Abdruck aus „ETZ“ Heft 51 (1913) mit Zustimmung
von Verfasser und Schriftleitung der „ETZ“.Redaktion.
Von Felix Finckh,
Halensee.
FINCKH: Vermeintliche und wirkliche Ueberspannungswirkungen in
Hochspannungsanlagen
Wer die Entstehung und die Entwicklung der Hochspannungsanlagen von den Anfängen
der Wechselstrombetriebe an bis in die neueste Zeit verfolgt hat und in
betriebstechnischer Hinsicht diese Anlagen näher kennen zu lernen Gelegenheit hatte,
dem dürfte es aufgefallen sein, daß seit den letzten Jahren, und besonders in der
allerneuesten Zeit den Ueberspannungen und den Einflüssen atmosphärischer Vorgänge
ein größere Bedeutung zugeschrieben wird, als in früheren Jahren. In den Kreisen der
Betriebsleiter neuerer Anlagen hat sogar im Gegensatz zu früher mitunter eine
offensichtliche Beunruhigung angesichts der drohenden Ueberspannungen und ihrer
angeblichen Folgen Platz gegriffen. Nicht selten herrscht Besorgnis wegen
Ueberspannungen, die angeblich in einer solchen Größe aufgetreten sind, daß
beispielsweise zwischen Sammelschienen oder Decken- und Wanddurchführungen, oder von
diesen aus nach benachbarten in erheblichem Abstand von ihnen befindlichen geerdeten
Metallteilen „Ueberschläge“ stattgefunden
haben.
Wenn man zunächst von den neuerdings angewandten sehr hohen Betriebsspannungen
absieht und nur mittelhohe Betriebsspannungen, etwa bis
zu 20 KV, berücksichtigt, so müßten, um derartige Ueberschläge zu erklären,
die Ueberspannungen im Verhältnis zu der Betriebsspannung allerdings sehr
beträchtlich gewesen sein. Man bedenke, daß zum Ueberschlag eines jeden Zentimeters
Luftlänge angenähert 20 KV erforderlich sind, und daß die in solchen Anlagen
gebräuchlichen, in einwandfreiem Zustand befindlichen Isolatoren,
Leitungsdurchführungen usw. erst bei etwa dem fünf- bis sechsfachen Wert der
Betriebsspannung überschlagen werden.
Nun ist es auffallend, daß denjenigen Betriebsleitern, die in früheren Jahren, etwa am Ende des vorletzten Dezenniums, den damaligen
Hochspannungsanlagen vorgestanden haben, die geschilderten Erscheinungen unbekannt
waren, sofern nicht direkte Blitzschläge in Betracht kamen. Ich kann aus eigener
Erfahrung sagen, daß während meiner damaligen mehrjährigen Bau- und
Betriebstätigkeit in sehr ausgedehnten Anlagen des In- und Auslandes Ueberspannungen
sich niemals in bedenklicher Weise fühlbar gemacht haben, selbst bei solchen Anlagen
nicht, deren Netze über gebirgige, gewitterreiche Gegenden führten. Es sei dazu
bemerkt, daß diese Anlagen bezüglich ihrer Ausdehnung und der Höhe ihrer
Betriebsspannung hinter vielen neuzeitlichen Anlagen nicht zurückstanden; nur die
Zentralenleistungen waren damals im allgemeinem kleiner, und meistens waren zur
Erzeugung der Hochspannung „Primärtransformatoren“
angewendet. Betriebsstörungen sind naturgemäß ebenfalls vorgekommen, aber sie
gehörten selbst während der Gewitterperioden zu den großen Ausnahmen. Ueberschläge
aber, wie sie oben geschildert sind, waren meiner Erinnerung nach nie zu
verzeichnen, und auch Transformatorenbeschädigungen kamen beinahe gar nicht vor,
obgleich regelrechte Ueberspannungsschutzapparate, mit
Ausnahme von sehr unempfindlich eingestellten, auf Masten montierten Blitzableitern,
überhaupt nicht vorhanden waren. Die luftgekühlten
Transformatoren waren noch obendrein in ziemlich primitiver Weise mit Preßspan- und
Holzisolation ausgeführt.
Man ist daher unwillkürlich vor die Frage gestellt, womit es eigentlich zu begründen
ist, daß in dieser Hinsicht gegen früher eine solche auffallende Aenderung eingetreten ist.
Sind etwa die atmosphärischen Vorgänge und die betriebsmäßigen Ueberspannungen
heftiger geworden als in früheren Zeiten?
Diese beiden Fragen lassen sich ohne weiteres verneinend
beantworten, denn es wird einleuchtend sein, daß der Charakter der Gewitter heute
wohl noch genau derselbe ist, wie damals, und wie er wohl durchschnittlich zu allen
Zeiten gewesen sein wird. Auch für die Entstehung der betriebsmäßigen Ueberspannungen war damals der Boden genau so geebnet, wie
heute, denn an den elektrischen Eigenschaften (Netzkapazität. Frequenz und
Selbstinduktion der Leitungen), die für das Zustandekommen der betriebsmäßigen
Ueberspannungen maßgebend sind, hat sich in der Zwischenzeit nichts Wesentliches
geändert.
Es liegt also kein Grund zu der Annahme vor, daß etwa die Heftigkeit und Häufigkeit
der Ueberspannungen im Vergleich zu den früheren Zeiten zugenommen haben könnte.
Umgekehrt, man kann füglich das Gegenteil behaupten, denn einesteils wurde infolge
des klareren Einblicks in das Wesen und die Natur der Ueberspannungen durch eine
sinngemäßere Betriebsführung ihrer Entstehung nach Möglichkeit vorgebeugt, und
andernteils ist seit der allgemeinen Einführung der Oelschalter, Oelschutzschalter,
Ueberspannungsschutzapparate und dergleichen eine Verminderung, sowohl der
Häufigkeit als auch der Heftigkeit der Ueberspannungen, fraglos herbeigeführt
worden.
Mit der Mehrung der angeblich auf Ueberspannungen beruhenden Störungen und
Beschädigungen gegenüber früherer Jahre muß es also eine andere Bewandtnis
haben.
Vermeintliche
Ueberspannungen.
Um dem wirklichen Sachverhalt näher zu kommen, möchte ich auf Grund meiner
zahlreichen und langjährigen Untersuchungen auf diesem Gebiete gleich von vornherein
erklären, daß ein sehr erheblicher Teil der gegenwärtigen vermeintlichen
Ueberspannungsfälle mit Ueberspannungen entweder garnichts oder nur indirekt zu tun hat, und daß
es bei ihnen nur den Anschein hat, als ob Ueberspannungen im Spiele wären. Die
eigentlichen Ursachen sind häufig in unliebsamen Nebeneigenschaften solcher Apparate
begründet, die man in den damaligen Jahren noch nicht verwendet hat, wie
Oeltransformatoren, Oelschalter, Hochspannungsmaschinen und dergleichen. Ich möchte
in dieser Hinsicht von den sehr vielen darauf bezüglichen Fällen einige
charakteristische Beispiele anführen und einige Erörterungen daran knüpfen.
a) In einem ausgedehnten mit 10 KV betriebenen Ueberlandkabelnetz, dessen in großer
Anzahl angeschlossene Oeltransformatoren mehrere Jahre hindurch ohne nennenswerte
Störungen arbeiteten, stellten sich von einem bestimmten Zeitpunkt ab
Transformatorenbeschädigungen ein, deren Zahl in rascher Aufeinanderfolge von Tag zu
Tag wuchs. Es wurde unwillkürlich vermutet, daß sich beim Betrieb des Netzes irgend
welche anormalen Verhältnisse eingeschlichen haben, welche Ueberspannungen und
dadurch die Transformatorenbeschädigungen bedingen. Die Untersuchung ergab
zunächst, daß nur solche Transformatoren betroffen wurden, die tagsüber vollbelastet in Betrieb waren und während der Nacht vom
Hochspannungsnetz abgeschaltet waren, während die dauernd
eingeschalteten Transformatoren unbeschädigt blieben. Man neigte daher zuerst der
Ansicht zu, daß die fortwährenden Schaltmanipulationen, die mehrmals täglich hochspannungsseitig vorgenommen wurden, die Ursache
seien, indem sie Wellen auslösen, was allerdings für die Schutzschalter, mit denen
die betreffenden Transformatoren geschaltet wurden, kein gutes Zeugnis gewesen wäre.
Die innere Untersuchung mehrerer solcher, zum Teil unbeschädigter
„Tagestransformatoren“ ergab indessen, daß sie im Gegensatz zu den
dauernd eingeschalteten Transformatoren große Mengen von Wasser enthielten, so daß
an der Ursache der Transformatorenbeschädigungen kein Zweifel mehr bestand.
Diese Erscheinung erklärte sich durch eine der unliebsamen Nebeneigenschaften der
Oeltransformatoren, nämlich, daß ihr Oelvolumen sich mit der Temperatur ändert. Die
Transformatoren verdrängen, da sie niemals völlig luftdicht verschlossen sind,
während der Erwärmungsperiode des Oeles einen Teil ihrer Innenluft und saugen
während der Abkühlungsperiode dieselbe Luftmenge aus der Umgebung wieder an (sogen.
Atmen der Transformatoren), wobei sich während eines jeden solchen Atmungsvorgangs
ein Teil der Feuchtigkeit der Frischluft im Transformator niederschlägt. Ich bemerke
übrigens, daß diese schädlichen Vorgänge neuerdings durch besondere, keine besondere
Bedienung erfordernde Vorrichtungen (Oelkonservatoren) vermieden werden.
b) Ein weiteres Beispiel betrifft eine neuzeitliche Großgasmaschinen – Zentrale. In
dieser liefen mehrere 1500 KVA-Generatoren, 5000 V parallel, und ihre Erwärmung war
im Dauervollbetrieb völlig belanglos. Nach mehrjährigem, anstandslosem Betrieb
stellten sich an den Generatoren wiederholt Spulenverbrennungen
(Kurzschlußwindungen) ein. Bei einem gelegentlich hinzukommenden Kurzschluß im Netz
verbrannten alsdann bei mehreren Maschinen gleichzeitig eine große Anzahl von
Spulen. Man zweifelte zunächst nicht daran, daß Ueberspannungen die Ursache seien,
daß der vorhandene Ueberspannungsschutz nicht ausreiche und vervollkommnet werden
müsse. Ich untersuchte zunächst an Hand der mir zur Verfügung gestellten
Wicklungsdaten, ob die Maschinen zu Beschädigungen durch Ueberspannungen neigen,
d.h., ob sie besonders überspannungsempfindlich seien
(auf den Begriff der „Ueberspannungsempfindlichkeit“ komme ich später
zurück). Diese Voruntersuchungen ergaben, daß als Ursache der Spulenverbrennungen
unmöglich Ueberspannungen in Betracht kommen können,
und eine daran anschließende Untersuchung an Ort und Stelle bestätigte dies auch.
Als nämlich aus den Maschinen einige noch betriebsfähige Spulen ausgebaut und an
ihnen durch Entfernung der Nutenisolation die Drähte freigelegt waren, zeigte es
sich, daß die Drahtisolationen an denjenigen Stellen, wo die Drähte aneinanderlagen,
also an den einander zugekehrten Seiten, völlig abgeschliffen und nahezu blank gescheuert
waren. Die mechanische Erschütterung der Wicklung infolge des erwähnten
Kurzschlusses hat dann vollends die Windungsschlüsse, und die dadurch bedingten
Spulenverbrennungen herbeigeführt. Das Abschleifen der Drahtisolationen rührte
daher, daß die rhythmischen Ausgleichströme des nicht sonderlich gut gehenden
Parallelbetriebs kleine Dauerbewegungen der vielleicht nicht fest genug gelagerten
Drähte zur Folge hatten.
Es ist natürlich einleuchtend, daß nach Klarstellung dieser Sachlage von
Ueberspannungen nicht mehr die Rede sein konnte, und daß eine Vervollkommnung des
bestehenden Ueberspannungsschutzes sich erübrigte.
c) Eine andere Vorbedingung, die genau in derselben Weise und unter denselben
Umständen zu Kurzschlußwindungen an Hochspannungsmaschinen führt, ist dann gegeben,
wenn die Maschinen zur Nitrierung neigen, und die
Isolation der Spulendrähte infolge von Salpetersäurebildung durch die sogen, stille
Entladung der Betriebsspannung allmählich zersetzt worden ist. Das äußere Bild
derartiger Beschädigungen ist genau so, als ob diese durch Ueberspannungen
eingeleitet worden wären, und in beinahe allen derartigen Fällen wurde als Ursache
der Beschädigungen irrtümlicherweise zunächst „Ueberspannungen“ angenommen.
Auch hier gibt, wie in obigem Falle, die innere Untersuchung einiger noch
betriebsfähiger und möglichst nahe an den Ausführungsklemmen gelegener Spulen sofort
Aufschluß über den wahren Sachverhalt und zugleich die beste Widerlegung etwaiger
irrtümlicher Anschauungen.
Es sei übrigens bemerkt, daß die Gefahr der Nitrierung von Maschinenwicklungen in
neuerer Zeit dadurch vollkommen vermieden ist, daß von einer bestimmten Höhe der
Betriebsspannung ab als Isolation der Nutenleiter entweder glimmerisolierte
Stabwicklung verwendet wird oder bei Draht- und Litzenwicklung die Statorspulen
zwecks Verhinderung des Lufteintritts mittels Compoundmasse durchtränkt werden.
d) Man hört häufig von Ueberschlägen zwischen
Oelschalterklemmen infolge von Ueberspannungen, vorherrschend an solchen
Schaltern, die mit selbsttätigen Maximalauslöserrelais versehen sind. Meist werden
die Spulen dieser Relais für die Schalterüberschläge verantwortlich gemacht, weil
sie für die Ueberspannungen, die bei der Betätigung des Schalters auftreten,
drosselnd wirken.
Diese Spulen sind indessen nur für die betriebsmäßig an ihnen auftretende geringe
Spannung isoliert, es können sich daher gefährliche Spannungen an ihnen nicht
entwickeln. Gewöhnlich treten bei Schalterbetätigungen „Funken“ zwischen einzelnen Windungen dieser Spulen auf, die aber
in den meisten Fällen völlig harmloser Natur sind und keine weiteren Folgen haben.
Ich habe schon vor Jahren diesem Punkt meine Aufmerksamkeit zugewandt und in dieser
Hinsicht in Hochspannungsanlagen Versuche angestellt. Dabei ist es mir aber, selbst
bei Anlagen mit sehr hohen Betriebsspannungen, trotz vielfacher, unter sehr
ungünstigen Bedingungen ausgeführter Schalterbetätigungen nicht ein einziges
Mal gelungen, einen Schalterüberschlag künstlich herbeizuführen, oder
Ueberspannungen von gefahrbringender Größe zu erzielen. In besonders ausgeprägten
Fällen, in denen die Spulen gefährdet erschienen, half zu ihrem Schütze die
nachträgliche Anbringung einer empfindlich eingestellten Parallelfunkenstrecke
vollkommen und dauernd.
Die Ursache der Ueberschläge zwischen den Schalterklemmen
hat mit Ueberspannungen nichts zu tun, sondern beruht
beinahe ausschließlich auf einer Ueberbrückung der außenliegenden
hochspannungführenden Teile durch leitende Gase oder durch Fremdkörper.
Beispielsweise sind die Verbrennungsprodukte, die bei Vorhandensein eines
Hochspannungslichtbogens unter Oel aus dem letzteren entweichen, unter bestimmten
Umständen für Hochspannung leitend und besitzende
Fähigkeit, hochspannungführende blanke Metallteile verschiedener Phasen zu
überbrücken.
Solche Vorgänge liegen beinahe ausnahmslos den Schalterüberschlägen zugrunde, wenn
der Schalter unter schweren Bedingungen, etwa bei Netzkurzschlüssen, auslöst und
dabei den Kurzschlußstrom nicht rasch genug unterbricht.
Dieser Gefahr sind hauptsächlich solche Oelschalter ausgesetzt, deren unter Oel
befindliche Kontakte bereits infolge vorangegangener häufiger Schaltvorgänge in
Mitleidenschaft gezogen sind, und bei denen es verabsäumt wird, die Kontakte
rechtzeitig nachzuarbeiten oder zu erneuern. Die Gefahr der Ueberschläge wird noch
besonders erhöht, wenn die Oelkessel nicht genügend mit Oel gefüllt sind.
Die Oelschalter mit selbsttätiger Auslösung sind im Vergleich zu den Schaltern für
Handbetätigung in obiger Hinsicht viel ungünstiger daran, weil die Auslöserelais
stets in Bereitschaft stehen, „Netzkurzschlüsse“ sozusagen „in
flagranti“ zu unterbrechen, während dies bei Schaltern für Handbetätigung
nicht oder höchst selten vorkommt.
Eine ebensolche überbrückende Wirkung, wie leitende Gase, üben bekanntlich auch
Metalldämpfe aus, welche beispielsweise dann entstehen, wenn eine
Porzellandurchführung mechanisch beschädigt ist und aus irgend einem äußeren Anlaß
(z.B. Erdschluß) an der schadhaften Stelle ein Stromübergang stattfindet. Solche
schadhafte Stellen an Porzellandurchführungen sind nicht selten, besonders wenn mit
unzweckmäßigen, treibenden Kittmitteln gearbeitet wurde. Die Durchführungsklemmen
und Porzellanteile der Oelschalter sind in dieser Hinsicht besonders ungünstig
daran, weil bei ihnen noch die Erschütterungen bei der Betätigung der Schalter
hinzukommen.
Auch infolge von gelockerten Schraubverbindungen oder sonstigen schlechten
Kontaktstellen bilden sich beim Stromdurchgang Metalldämpfe, die ebenfalls zu
Ueberbrückungen führen können.
Bei kleinen Oelschaltertypen, bei denen die Klemmen verhältnismäßig nahe beieinander
liegen, habe ich häufig gefunden, daß die Ueberschläge vorherrschend durch zwischen
die Schalterklemmen fliegende Insekten (Nachtfalter usw.) eingeleitet wurden. Die
Ueberreste solcher Tiere konnte man in solchen Fällen meistens noch auf der Grundplatte des
Schalters oder in seiner nächsten Nähe vorfinden.
Weniger bei Oelschaltern, ala bei andern Hochspannungsapparaten, können auch „Mäuse“ solche überspannungsähnliche Erscheinungen
hervorrufen. Ich habe in dieser Hinsicht einen Stromwandler in Erinnerung, welcher
in die Fabrik zur Reparatur eingesandt worden war, mit dem Hinweis, daß er infolge
von Ueberspannungen durchgeschlagen sei. Nach Abnahme der Kappe dieses Stromwandlers
kamen alsdann diese „Ueberspannungen“ in Form von sieben verbrannten Mäusen,
die sich in seinem Innern eingenistet hatten, zum Vorschein.
e) In engem Zusammenhang mit solchen Ueberbrückungen durch leitende Gase oder
Fremdkörper stehen die eingangs angeführten Ueberschläge großer Luftabstände, also die Ueberschläge zwischen
Sammelschienen und dergleichen. Zur Beruhigung der interessierten Kreise
sei erwähnt, daß es bei den mittelhohen Betriebsspannungen solche Ueberspannungen,
die imstande wären, derartig große Abstände zu
überschlagen, meines Erachtens heutigentags ebensowenig gibt,
wie in früheren Zeiten, sofern man wieder von direkten Blitzschlägen oder
Blitzverästelungen oder von sehr unwahrscheinlichen Ausnahmefällen (vergl. nächstes
Kapitel) absieht.
In allen Fällen, in denen solche Ueberschläge auf große Entfernungen gemeldet wurden,
konnte ich nachweisen, daß es sich nicht um Ueberspannungen handelte, sondern
einfach um verschleppte Kurzschlußlichtbogen. Dieselben waren an irgend einer
Stelle, etwa an den Klemmen eines Oelschalters auf unter c) beschriebene Weise,
entstanden und wurden alsdann durch Wärmeauftrieb und magnetische Blaswirkung nach
andern Stellen der Schaltanlage getrieben. Bisweilen geschah auch die Einleitung
solcher Kurzschlüsse durch unsachgemäß oder sinnwidrig montierte Hörnerableiter in
der Weise, daß die bei ihrem Ansprechen entstehenden Lichtbogen mit geerdeten
Metallteilen oder spannungführenden Leitungen in Berührung kamen und Kurzschluß
herbeiführten. Solche Kurzschlüsse können naturgemäß dann besonders leicht
vorkommen, wenn zufälligerweise im Netz ein Erdschluß vorhanden ist, oder wenn die
Dämpfungswiderstände der Hörnerableiter unbeständig sind und dadurch für die
Raumverhältnisse zu hohe Hörnerlichtbogen aufkommen lassen.
Diese hierdurch eingeleiteten Kurzschlußlichtbogen wandern von ihrem
Entstehungsort aus mit ziemlicher Geschwindigkeit an den Leitungen entlang, meist
bis zu den obersten Stellen der Schaltanlage, wo sie alsdann hängen bleiben,
beängstigend aussehende Brandspuren hinterlassen und den Eindruck von dort
entstandenen Ueberschlägen erwecken. Auf ihrem Wege bis dorthin hinterlassen sie an
den Leitungen meist nur winzige Brandspuren in Form von kleinen spärlich gesäten
Schmelzperlen, die nur bei genauem Absuchen der zuvor spannungslos gemachten
Leitungen vorgefunden werden können und daher dem Auge der Betriebsleitung leicht
entgehen können, besonders, wenn sie, wie dies auch vorkommt, auf der dem Beschauer
abgewandten Seite der Leitungen liegen.
In ähnlicher Weise, wie diese vermeintlichen Ueberschläge an Sammelschienen, können
auch meistens Ueberschläge zwischen Wanddurchführungen und Ueberschläge an
Schalttafel- und Freileitungsisolatoren erklärt werden. Bei den letzteren spielen
die auf die Traversen sich niederlassenden Vögel eine große Rolle und besonders die
in diesem Jahre zu Millionen auftretenden Stare haben in dieser Hinsicht viel auf
dem Gewissen. Ich stehe den Befunden zufolge grundsätzlich schon seit einigen Jahren
auf dem Standpunkt, daß bei mittelhohen Betriebsspannungen, von ganz vereinzelten
Ausnahmen abgesehen, alle derartigen Ueberschläge und Durchschläge auf andere Ursachen, als auf betriebsmäßige Ueberspannungen, zurückzuführen sind. Dasselbe gilt auch
für Durchschläge von Hochspannungskabeln, sofern die Kabel nach modernen
Gesichtspunkten und für die dabei übliche sehr hohe Durchschlagsspannung konstruiert
sind.
Wenn es sich nicht um mittelhohe, sondern um die höchsten
heutigentags angewandten Betriebsspannungen handelt, so liegen in dieser Hinsicht
die Verhältnisse naturgemäß anders, weil hierbei im Gegensatz zu den mittelhohen
Betriebsspannungen die Durchschlags- und Ueberschlagsgrenze der verwendeten
Isolatoren und Isoliermaterialien näher an der normalen Betriebsspannung liegt, und
daher schon bei verhältnismäßig geringen Spannungserhöhungen Ueberschläge oder
Durchschläge möglich sind.
(Schluß folgt.)