Titel: | Vermeintliche und wirkliche Ueberspannungswirkungen in Hochspannungsanlagen. |
Autor: | Felix Finckh |
Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 36 |
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Vermeintliche und wirkliche
Ueberspannungswirkungen in Hochspannungsanlagen.
Von Felix Finckh,
Halensee.
(Schluß von S. 20 d. Bd.)
FINCKH: Vermeintliche und wirkliche Ueberspannungswirkungen in
Hochspannungsanlagen
Wirkliche
Ueberspannungen.
Um nun auf die wahren Ueberspannungen zu kommen, möchte ich zunächst bezüglich ihrer
Größenordnung erwähnen, daß sie beinahe allgemein überschätzt werden, sofern man
wiederum solche Ueberspannungen außer Betracht läßt, die in unmittelbarster Nähe vom
Blitz getroffener Netzbestandteile, gewissermaßen als Blitzverästelungen, auftreten.
Die Anzeichen weisen darauf hin, daß die influenzierten
Ueberspannungen atmosphärischen Ursprungs höchstens 30
bis 40 KV betragen dürften, aber auch dann nur, wenn sie nicht mittels
Ueberspannungsicherungen in ihrer Größe beschnitten werden.
Die betriebsmäßigen an Sammelschienen und Leitungen oder sonstigen induktionsarmen Gebilden
auftretenden Ueberspannungen, wie sie beispielsweise durch Schaltmanipulationen und
oszillatorische Erdschlüsse auf Leitungen bedingt sind, ergeben hingegen in der
Praxis meist nur einen Gesamtanstieg auf etwa die doppelte
Größe der Amplitude der. Betriebsspannung. Es soll zugegeben werden, daß
unter bestimmten Voraussetzungen und unter der Bedingung des strikten harmonischen
Zusammenwirkens einer ganzen Reihe von Zufälligkeiten und noch außerdem des
Vorhandenseins einer ungedämpften Oszillationsfunkenstrecke eine exakte Abstimmung
und dadurch ein Resonanzzustand entstehen kann, der größere, die Betriebsspannung um
ein mehrfaches übersteigende Ueberspannungen, zur Folge haben könnte. Aus meinen
langjährigen Erfahrungen kenne ich indessen keinen einzigen solchen Fall, der mit
Sicherheit auf solche Ueberspannungen schließen ließe, und die Wahrscheinlichkeit
der Entstehung dieser Fälle ist in der Praxis so außerordentlich gering, daß hiermit
nicht gerechnet zu werden braucht, vor allem nicht, wenn die Sammelschienen und
Leitungen durch zuverlässige Ueberspannungssicherungen geschützt sind.
Dagegen will ich ausdrücklich hervorheben, daß innerhalb von Wicklungen, also von Gebilden mit hoher Selbstinduktion, erhebliche
Ueberspannungen möglich sind. Es ist mir in dieser Hinsicht eine ganze Reihe von
Fällen bekannt, in denen in Maschinen- und Transformatorenwicklungen örtliche
Ueberspannungen von sehr beachtenswerter Höhe nachgewiesen werden konnten. Ich habe
auch früher in der ETZ. 1903, S. 198, einen solchen Fall veröffentlicht, den ich
wegen seines engen Zusammenhangs mit diesem Aufsatz erwähnen möchte.
Die betreffenden Fälle beruhten alle im Wesen darauf, daß Störungen des
elektrostatischen Gleichgewichts vorlagen, und von Maschinen- oder
Transformatorenwicklungen aus „Kapazitätsströme“ nach Erde flossen, die
durch eine ungedämpfte Oszillationsfunkenstrecke beeinflußt waren, wodurch innerhalb
der Wicklung lokale Schwingungskreise entstanden.
Für die Praxis spielen aber auch diese Fälle keine große Rolle, weil sie selten sind
und meistens auf anfänglich bestehende Fehler oder vorangegangene mechanische
Beschädigungen des Apparates zurückzuführen sind, die ohnehin behoben werden müßten.
Außerdem bleiben dabei die Ueberspannungen auf die Wicklungen beschränkt und sind
nach außenhin nicht fühlbar; sie können daher auch mittels Ueberspannungssicherungen
nicht unterdrückt werden.
Oszillatorischer Charakter der
Ueberspannungen, Ueberspannungsempfindlichkeit und Immunität von Maschinen- und
Transformatoren Wicklungen.
Weitaus wichtiger, als die absolute Größe der Ueberspannungen, ist für die
Beurteilung der Ueberspannungsfrage ihr wellensturmartiger
hochfrequenter Charakter, der beinahe allen Gattungen von Ueberspannungen
innewohnt. Wenn kein Ueberspannungsschutz vorhanden oder dieser ungenügend ist, so
äußert sich diese bösartige Eigenschaft der Ueberspannungen bekanntlich darin, daß
innerhalb von Maschinen- oder Transformatorenwicklungen an beliebig gelegenen
Stellen, vorherrschend aber an dem in der Nähe der Klemmen gelegenen Wicklungsteil,
„Spulenverbrennungen“ auftreten. Sie
entstehen dadurch, daß zwischen einzelnen Lagen der Wicklung, oder auch zwischen
einzelnen aneinander liegenden Windungen, die unter normalen Umständen nur geringe
Spannung gegeneinander haben, plötzlich Spannungssprünge von mehreren Kilovolt
auftreten. Ein Ueberschlag an solchen Stellen ist alsdann die unausbleibliche Folge.
Im günstigen Falle erlischt der hierbei auftretende
Ueberschlagsfunke beim Verschwinden der Ueberspannung wieder, ohne eine merkbare
Beschädigung der Wicklung zu hinterlassen. Im ungünstigen
Falle aber kommt es zum Kurzschluß der
überschlagenen Lagen oder Windungen. Dies trifft dann ein, wenn der an der
Ueberschlagsstelle auftretende Funke, der einen verhältnismäßig niedrigen Widerstand
besitzt, einen Ausgleich der zwischen den Lagen oder Windungen herrschenden
betriebsmäßigen Spannung herbeigeführt hat. Die betreffenden Windungen sind alsdann
kurzgeschlossen und werden durch den darin induzierten Strom so heiß, daß die Spule
allmählich verbrennt.
Fachmännisch ausgedrückt heißt es in diesem zweiten ungünstig verlaufenden Falle: „Der
Ueberspannungsfunke hat gezündet und dadurch
Kurzschlußwindungen eingeleitet“. Diese Gefahr
des „Zündens“ und der dadurch bedingten
Kurzschlußwindungen ist nun sehr verschieden groß; bei manchen Wicklungen ist sie so
minimal, daß sie gar nicht in Betracht kommt, bei andern Wicklungen kann sie dagegen
sehr groß sein. Sie hängt in erster Linie von der Größe derjenigen Spannung ab,
welche innerhalb einer Spule zwischen benachbarten Drähten oder Lagen vorhanden ist, und in
zweiter Linie von der Größe des Abstandes der blanken
Oberflächen dieser Drähte, welcher meistens durch die Drahtisolation gegeben ist,
sofern nicht noch besondere isolierende Zwischenlagen zwischen die Drähte gelegt
sind. Je größer also die Spannung zwischen benachbarten Drähten, und je kleiner der
Abstand zwischen ihren metallenen Oberflächen ist, um so größer ist die Gefahr des
„Zündens“ durch Ueberspannungsfunken oder um einen oben benutzten
Ausdruck zu gebrauchen, um so „überspannungsempfindlicher“ ist die Wicklung. Bei Wicklungen mit
großen Kupferquerschnitten übt noch die abkühlende
Wirkung der Kupfermasse einen günstigen Einfluß
auf die Löschung des Ueberspannungsfunkens aus, ähnlich wei bei Plattenlöschern.
Je nach dieser Sachlage kann man unter Berücksichtigung der durch Versuche und die
Erfahrung festgelegten Werte für die Zündgrenzen schon ziemlich sicher im voraus
beurteilen, ob eine Wicklung zu Beschädigungen durch Ueberspannungen besonders
neigt, oder nicht.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch erwähnen, daß vielfach die Ansicht besteht,
daß durch eine verstärkte Isolation der Anfangswindungen die durchbrechende Wirkung
der Ueberspannungswellen verhindert und aus diesem Grunde die Wicklung gegen
Beschädigungen wirkungsvoll geschützt werden könnte. Diese Ansicht ist indessen nur
bedingt richtig. Man kann aus konstruktiven Gründen diese Drahtisolationen nicht
immer derartig verstärken, daß sie von allen in Betracht kommenden Ueberspannungen
nicht durchbrochen werden könnten. Die gute Wirkung der, wenn auch nur mäßig
verstärkten Isolation liegt vielmehr hauptsächlich darin, daß der Abstand zwischen
den Leitern vergrößert ist, wodurch der Widerstand des Ueberspannungsfunkens infolge
seiner größeren Länge erhöht und die Gefahr des Zündens vermindert bzw. aufgehoben
ist.
Bei den Wicklungen der neueren Zeit tritt nun die Ueberspannungsfrage aus weiter
unten angegebenen Gründen stärker in den Vordergrund, als in früheren Zeiten. In der
ersten Zeit der Hochspannungsanlagen waren beispielsweise die Transformatoren gegen
Ueberspannungen gewissermaßen immun, und zwar einfach aus dem Grunde, weil bei ihnen
die geschilderten Verhältnisse, welche die Ueberspannungsempfindlichkeit
charakterisieren, überaus günstig lagen. Sowohl die
Windungsspannungen an sich, als auch die höchst vorhandenen Spannungen zwischen den
einzelnen Lagen der Wicklung (Lagenspannungen) waren damals so klein, daß die
Entstehung von Kurzschlußwindungen durch Ueberspannungsfunken so gut wie
ausgeschlossen war. Diese Funken traten damals in den Wicklungen naturgemäß genau so
auf wie heutigentags, sie erloschen aber wieder, ohne gezündet zu haben.
Dies ist einer der Hauptgründe, weshalb man früher trotz des
Fehlens jeglicher Ueberspannungssicherungen nicht belästigt wurde.
Die Ueberspannungen traten erst von dem Zeitpunkt ab in fühlbare Erscheinung, als man begann, mit den wachsenden
Betriebsspannungen an Stelle von Primärtransformatoren unmittelbar „Hochspannungsmaschinen“ anzuwenden. Die
Wicklungen dieser Maschinen waren damals in bezug auf die erwähnten
charakteristischen Punkte, durch die der Grad der Ueberspannungsempfindlichkeit
bedingt ist, im Gegensatz zu den damaligen Transformatorenwicklungen ungünstiger
daran. Bei der Disposition ihrer Wicklungen wurden damals häufig die Richtlinien zur
Herabsetzung der Ueberspannungsempfindlichkeit infolge Unterschätzung ihrer
Wichtigkeit nicht genügend berücksichtigt, obgleich das Durchbrechen der Windungen durch Wellenvorgänge
und die Gesichtspunkte zur Beurteilung der Ueberspannungsempfindlichkeit damals
bereits bekannt waren. Ich selbst habe innerhalb des Konzerns, dem ich angehörte,
schon im Jahre 1902 nach Erkennung dieser Sachlage auf ihre große Bedeutung
wiederholt hingewiesen.
Am 28. V. 1902 schrieb ich u.a. auf Grund der Untersuchung von
Maschinenbeschädigungen in einer elsässischen Ueberlandzentrale an die interessierte
Stelle im Auszuge: „Die Wellen, welche durch eine im Netz
bestehende oszillatorische Ladungsfunkenstrecke bedingt waren, durchbohrten
innerhalb der Maschinenspulen die Isolationen aneinander liegender Lagen und
führten einen Ausgleich der zwischen ihnen herrschenden Spannung herbei,
wodurch die Spulen verbrannten. Ich empfehle zur Herabsetzung dieser Gefahr
durch Aenderung der Wicklungsanordnung die Spannung zwischen sich
berührenden Lagen kleiner zu halten, und dadurch die Maschinen
unempfindlicher, zu machen.“
Die Folge dieser vorhin erwähnten Unterschätzung der Ueberspannungen war, daß man von
dem wiederholten Auftreten von Spulenverbrennungen in unerwartetem Maße überrascht
wurde, und es stellte sich von diesem scharf begrenztem Zeitpunkt ab plötzlich das
Bestreben ein, gegen die Ueberspannungen, deren unangenehme Nebenwirkung man bis
dahin nur vereinzelt kannte, mittels geeignet erscheinender Schutzvorrichtungen
anzukämpfen.
Dies gelang trotz der ziemlich erheblichen Ueberspannungsempfindlichkeit der
damaligen Maschinen schon bei den ersten Bemühungen überraschend gut, indem die
Spulenverbrennungen sofort und dauernd aufhörten, ohne daß an den Wicklungen selbst etwas geändert
wurde.
Dieser offensichtliche Erfolg ist auch teilweise der
Grund, weshalb viele elektrotechnische Firmen an dem damals verwendeten und
inzwischen vervollkommneten Schutzsystem heute noch vorherrschend festhalten, und
andere noch nicht genügend erprobte Systeme mißtrauisch betrachten.
Eine Herabsetzung der kritischen für die Ueberspannungsempfindlichkeit maßgebenden
Spannungen innerhalb von Hochspannungswicklungen läßt sich bis zu einem gewissen
Grade durch geeignete Wicklungsanordnungen (Querwicklung, Spiralwicklung usw.) und
durch möglichst weitgehende Spulenunterteilung erreichen. Trotz dieser bekannten
Maßnahmen und trotz der Anordnung möglichst großer Isolationsabstände zwischen den
Drähten an den kritischen Stellen der Wicklungen läßt es sich indessen bei vielen
neuzeitlichen Typen von Hochspannungsmaschinen und Transformatoren nicht immer
ermöglichen, daß die Wicklung unter allen Umständen gegen die Einwirkung von
Ueberspannungen immun wird, wie es aus geschildertem Grunde einst bei den alten
Transformatoren der Fall war. Man muß vielmehr, zuweilen aus wirtschaftlichen
Gründen, einen mäßigen Grad von Ueberspannungsempfindlichkeit in Kauf nehmen,
weshalb es heutigentags unerläßlich ist, etwaigen Beschädigungen durch
Ueberspannungen mittels geeigneter Schalt- und Ueberspannungsschutzapparate
vorzubeugen und die Betriebsführung sinngemäß zu regeln.
Diese Sachlage ist im Entwicklungsgang der Elektrotechnik
begründet. Einesteils sind die Einheiten von Transformatoren und Maschinen
in bezug auf ihre nominelle Leistung in ungeahnter Weise gestiegen und andernteils
ist es durch die Einführung der legierten Bleche ermöglicht worden, die
Kraftliniendichte ohne zu große Verluste im Eisenkörper nahezu auf das Vierfache zu
steigern und dadurch zugleich in Gemeinschaft mit besseren Wärmeabführungsmethoden,
die Ausnutzung des Materials, gegenüber früher, zu vervielfachen. Dies bedingt aber
höhere Windungs- und Lagenspannungen.
Während beispielsweise in der ersten Zeit der Hochspannungsanlagen ein Transformator
für eine nominelle Leistung von 300 KVA schon als groß galt, ist heute ein solcher
für 20000 KVA keine Seltenheit mehr. Den Unterschied in den die Ueberspannungsfrage
berührenden Eigenschaften ersieht man daraus, daß der erstere Transformator einst
mit einer Windungsspannung von vielleicht 3 V arbeitete, während es sich beim Bau
des letzteren Transformators schwerlich ermöglichen ließe, die Spannung jeder
Windung kleiner als 100 V zu halten.
Dasselbe gilt auch von großen Turbomaschinen, deren Windungsspannungen ebenfalls
nicht selten 150 V und darüber hinaus betragen, ohne daß daran etwas geändert werden
könnte.
Wie die Erfahrung gezeigt hat, ist jedoch mit solchen Apparaten trotz ihrer relativ
hohen Windungsspannungen ein vollkommen sicherer Betrieb möglich, wenn für geeignete
und zweckentsprechend angeordnete Schutzvorrichtungen Sorge getragen wird.
Freilich ist dabei vorausgesetzt, daß die Ueberspannungsempfindlichkeit eine
bestimmte zulässige Höhe nicht überschreitet, denn sonst helfen unter Umständen die
besten Ueberspannungssicherungen nichts.
Den treffendsten Beweis hierfür geben diejenigen Anlagen, welche mit den höchsten heute angewandten Betriebsspannungen arbeiten,
und welche schon seit Jahren ohne jegliche Störungen durch Ueberspannungen im
Betriebe sind, sofern bei ihnen die Anordnung des Ueberspannungsschutzes sinngemäß
getroffen und der Betrieb fachmännisch geführt wurde.
Gerade diese Anlagen mit sehr hohen Betriebsspannungen
sind zu einer kritischen Betrachtung aller Ueberspannungsfragen und
Ueberspannungsschutzfragen ganz besonders geeignet und am maßgebendsten, weil bei
ihnen Ueberspannungswirkungen eine weitaus größere Rolle spielen, als bei Anlagen
mit niedrigeren Betriebsspannungen. Es steht dies zwar in schroffem Gegensatz zu
einer vielverbreiteten Meinung, daß die Anlagen mit sehr hohen Betriebsspannungen
sich gewissermaßen selbst schützen und daher überhaupt
keinen Ueberspannungsschutz nötig hätten. Diese Ansicht wäre indessen höchstens dann
richtig, wenn es sich nur um Ueberschläge an Isolatoren
oder Isolationsoberflächen infolge von influenzierten atmosphärischen Vorgängen
handeln würde. In diesem Falle könnte vielleicht mit Recht angenommen werden, daß
die Höhe dieser verhältnismäßig niedrigen atmosphärischen Ueberspannungen im
Vergleich zu der Höhe der Betriebsspannung nicht wesentlich in Betracht kommt.
Anders liegen aber die Verhältnisse, wenn man die Gefahr der Entstehung von „Kurzschlußwindungen“ ins Auge faßt. Es ist klar,
daß in dieser Beziehung die Sachlage um so ungünstiger wird, je höher die
Betriebsspannung ist. Die Windungs- und Lagenspannungen in Transformatoren sind bei
hohen Betriebsspannungen zwar nicht größer als bei kleineren Betriebsspannungen, es
kommt aber als ungünstiges Moment hinzu, daß bei hohen Betriebsspannungen die Energie der betriebsmäßigen Ueberspannungen,
beispielsweise bei oszillatorischen Erdschlüssen, mit der Höhe der Betriebsspannung
wächst, weil sie von dem Produkt aus Betriebsspannung und Netzausdehnung abhängt,
und die Höhe der Betriebsspannung in der Regel nach der Netzausdehnung gewählt
wird.
Indirekte Beeinflussung von
Transformatorenwicklungen und Herauftransformierung von
Ueberspannungen.
Ich möchte nun noch zwei Möglichkeiten von Transformatorenbeschädigungen durch
Ueberspannungen erwähnen. Es sind solche, bei denen weniger die Oberspannungsseiten,
als die Unterspannungsseiten von atmosphärischen Stößen
getroffen und auf indirekte Weise Beschädigungen der
Wicklungen herbeigeführt werden.
Diese Fälle beschränken sich auf solche Transformatoren, deren
Unterspannungsseiten auf oberirdisch verlegte und in der Regel mit geerdetem
Neutralleiter ausgebildete Ortsnetze arbeiten. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die
oberirdischen Ortsnetze, auch wenn sie noch so geringe Ausdehnung besitzen, bei
Gewittern sehr häufig von influenzierten atmosphärischen Stößen getroffen werden,
was u.a. aus den allbekannten unliebsamen Beschädigungen von Zählern, Glühlampen und
Installationssicherungen, ferner aus dem Ansprechen der Blitzableiter, in den
betreffenden Ortsinstallationen zur Genüge hervorgeht.
Die eine Beschädigungsmöglichkeit ist nun dadurch gegeben, daß häufig unmittelbar an
die Unterspannungssammelschienen der Ortstransformatoren „Blitzableiter“
angeschlossen sind, denen unvorsichtigerweise keine
Dämpfungswiderstände vorgeschaltet sind. Ein atmosphärischer Stoß des
Ortsnetzes bringt alsdann diese Blitzableiter zum Ansprechen und führt dadurch einen
zwar kurz andauernden aber kräftigen Kurzschluß des betreffenden Transformators
herbei, dessen Kurzschlußstromstärke, sofern es sich um neuzeitliche und demgemäß
auf möglichst kleinen Spannungsabfall hinzielende Bauart
handelt, so groß werden kann, daß die Wicklung in vielen Fällen deformiert wird und
auf mechanische Weise „Kurzschlußwindungen“ erhält. Diese Art von
Beschädigungen konnte in vielen Fällen einwandfrei festgestellt werden.
Die andere Möglichkeit von Transformatorenbeschädigungen bezieht sich darauf, daß die
erwähnten atmosphärischen Stöße der Ortsnetze in den Ortstransformatoren auf die Oberspannungsseiten transformiert werden. Ich konnte dies
bei mehreren hochgelegenen und atmosphärisch besonders exponierten Ortsnetzen des
Schwarzwaldes und der Vogesen mittels besonderer Versuchsanordnungen einwandfrei
nachweisen. Die atmospärischen Stöße der Ortsnetze spiegeln sich in
hochtransformierter Form im Innern der Oberspannungswicklungen der
Ortstransformatoren wieder und können diese beschädigen, wobei anzunehmen ist, daß
die Anfangsspulen der Unterspannungswicklung und die mit diesen magnetisch am
nächsten verketteten Spulen der Oberspannungswicklung in erster Linie diesem
Vorgange ausgesetzt sind. Diese Oberspannungsspulen sind in der Regel ebenfalls
Anfangsspulen, weshalb es im Falle von Beschädigungen solcher Anfangsspulen bei
Gewittern nicht ohne weiteres festzustellen ist, von
welcher Transformatorseite aus hauptsächlich die Beschädigung verursacht wurde.
Man könnte einwenden, daß bei Anwendung von Niederspannungsblitzableitern in den
Transformatorenstationen derartige atmosphärische Stöße für die Transformatoren
unschädlich gemacht werden. Bei den bisher üblichen Konstruktionen dieser
Blitzableiter ist dies indessen nicht erreichbar, da ihre Wirkungsweise fast
durchweg auf dem Prinzip des Ueberschlages von Luftstrecken beruht, und die hierfür
in Betracht kommende Ueberschlagsspannung trotz sehr enger Einstellung der
Luftstrecke immer noch eine Größe besitzt, die die normale Betriebsspannung um
mindestens das Zehnfache übersteigt.
Diese Fragen sind indessen noch nicht in ihrem vollen Umfange aufgeklärt, auch nicht
wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß durch solche Herauftransformierungen von
Ueberspannungen Beschädigungen eintreten. Es sei indessen bemerkt, daß es sich,
allen Anzeichen nach zu schließen, der hohen elektrischen Eigenschwingungszahl der
Ortsnetze entsprechend, um sehr rasch verlaufende Vorgänge handelt, die sich
wahrscheinlich mittels Niederspannungskondensatoren, oder noch einfacher und
billiger, durch Vorschaltung kleiner Drosselspulen vor die Niederspannungsklemmen
der Transformatoren unschädlich machen lassen.
Ich möchte noch beiläufig hinzufügen, daß gefährliche Herauftransformierungen
atmosphärischer wie betriebsmäßiger Ueberspannungen auch in Spannungsreglern (Zusatztransformatoren) stattfinden, sofern ihre
Wicklungen metallisch zusammenhängend und ohne Zwischentransformatoren direkt am Hochspannungsnetz liegen. Den Nachweis habe ich
bei einer württembergischen Kraftübertragungsanlage erbracht, und auch daran
anschließende Laboratoriumsversuche deckten sich vollkommen mit den dortigen
Erscheinungen. Bis zur Erstellung eines nach besonderen Gesichtspunkten angeordneten
Ueberspannungsschutzes war seiner Zeit ein regulärer Betrieb mit diesen
Zusatztransformatoren nicht möglich, während sie seither
bereits zwei Jahre lang ohne jegliche Störungen im Betriebe sind.
Zusammenfassung.
Es wird darauf hingewiesen, daß es bei überspannungsverdächtigen Vorkommnissen in
bestehenden Hochspannungsanlagen nicht immer ohne weiteres möglich ist.
„Ueberspannungen“ von andern Erscheinungen zu unterscheiden. Nur
fachmännisch vorgenommene Untersuchungen können einwandfreie Aufschlüsse darüber
geben, ob es sich wirklich um Ueberspannungen handelt oder nur um
überspannungsähnliche Erscheinungen.
Besonders dem Auftreten von Kurzschlußwindungen bei Maschinen- und
Transformatorenwicklungen können sehr verschiedene Ursachen zugrunde liegen. Bevor
Schritte zur Vorbeugung von Wiederholungsfällen unternommen werden, muß völlige
Klarheit über die wirkliche Ursache der Vorfälle herrschen.
Bei der Behandlung dieser Fälle ist es unbedingt nötig, die Eigentümlichkeiten der
Konstruktionen, insbesondere den Empfindlichkeitsgrad der Wicklungen, genau zu
kennen, um danach alle weiteren Vorkehrungen treffen und die Ausgiebigkeit der
anzuwendenden Schutzmaßregeln bestimmen zu können. Dasselbe gilt auch für die
Projektierung der Schutzvorrichtungen für Neuanlagen.
Diese Einzelheiten der Konstruktionen sind naturgemäß nur den liefernden und
projektierenden Elektrizitätsfirmen bekannt, aus welchem Grunde es im Interesse der
Besitzer und Besteller von Hochspannungsanlagen liegt, daß auf diesem sehr
schwierigen Gebiete den Elektrizitätsfirmen möglichst freie Hand gelassen wird,
zumal da sie ja auch in der Regel für das gute Funktionieren der von ihnen
erstellten Anlagen aufkommen müssen, und da sie andernfalls wahrscheinlich einen
großen Teil ihrer Verantwortung ablehnen würden.