Titel: | Die Bruchertalsperre. |
Autor: | Schodder |
Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 49 |
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Die Bruchertalsperre.
Von Regierungsbaumeister Schodder,
Marienheide Rhld.
SCHODDER: Die Bruchertalsperre.
Bei der schnellen Entwicklung der Stadt Barmen genügten
ihre bestehenden Wasserwerke, eine Anzahl Brunnen im Ruhrtal bei Volmarstein und
später die Herbringhäuser Talsperre, für eine einwandfreie Trinkwasserversorgung
nicht mehr. Die Wasserverhältnisse im Ruhrtal verschlechterten sich andauernd. Die
meisten Städte im Ruhrgebiet und das ganze Kohlenrevier entzogen der Ruhr jährlich
über 500 Mill. m3 Wasserleitungswasser, so daß der
Niedrigwasserstand außerordentlich gering, und der Grundwasserspiegel abgesenkt
wurde. So mußte man sich, da eine Vermehrung der Brunnen nicht mehr vollkommen
einwandfreies Trinkwasser zu liefern vermochte, nach neuen Quellen umsehen.
Durch die neuen Talsperren im Ruhrgebiet wird freilich der Niedrigwasserstand in
Zukunft gehoben, so daß der Wassermangel für diejenigen Städte, die nicht nur
Grundwasser, sondern auch Ruhrwasser verbrauchen, das in die abgesenkten
Grundwasserregionen einsinkt und dadurch natürlich filtriert, beseitigt wird.
Für das Wasserwerk der Stadt Barmen lagen die Verhältnisse aber ungünstiger. Die
Brunnen waren verschlammt und eine neue Anlage ließ das Gelände nicht zu.
Nach einem Gutachten des Baumeisters Albert Schmidt in
Lennep, dem bewährten Kenner der Niederschlagsverhältnisse im Wuppergebiet,
entschloß man sich, im Kerspetal ein Staubecken von 15 Mill. m3 Inhalt zu schaffen, wodurch der
Trinkwasserbedarf für Barmen auf viele Jahre hinaus gedeckt war.
Dieses Wasser wurde aber den Triebwerkbesitzern an der Wupper, die unterhalb der
Kerspemündung lagen, entzogen, und Barmen mußte nun mit der
Wuppertalsperren-Genossenschaft, der Vertreterin der Triebwerke, über Einrichtungen
verhandeln, die zur Beseitigung des den Triebwerkbesitzern zugefügten Schadens
getroffen werden mußten.
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Abb. 1.
Die Kerspetalsperre wurde im Frühjahr 1912 fertig.
Nach langen Kämpfen zwischen Barmen und der Wuppertalsperren-Genossenschaft einigte
man sich schließlich zu folgendem Vergleich: Der Wasserverlust der
Triebwerkbesitzer, der von der Genossenschaft auf jährlich 11 Mill. m3 nachgewiesen wurde, wird von Barmen ersetzt. 8
Mill. m3 werden aus der Kerspetalsperre zur
Verfügung gestellt, und für die fehlenden 3 Mill. m3 wird eine Ersatztalsperre gebaut, deren Kosten von der Stadt Barmen
gedeckt werden müssen.
Für eine solche Sperre eignete sich das Bruchertal im Quellgebiet der Wupper bei
Marienheide vorzüglich. Es war die Stelle, wo Geheimrat Jntze bereits vor 21 Jahren ein kleines Staubecken plante. Man konnte hier
bei einem Niederschlagsgebiet von 5,5 km2 einen
Inhalt von 3,3 Mill. m3 erhalten und für die Werke
mit Tagesbetrieb die fehlende Wassermenge liefern.
Das allgemeine Projekt wurde nach diesen Gesichtspunkten von dem Baumeister Schmidt in Lennep aufgestellt.
Nach diesem Projekt (Abb. 1) erhält die Talsperre
eine Stauhöhe von 20 m, von + 349 N. N. bis + 369 N. N., und einen Inhalt von 3,3
Mill. m3 bei 47,53 ha Wasseroberfläche.
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Abb. 2. Ansicht und Grundriß der Sperrmauer Maßstab 1 : 1000
Das Niederschlagsgebiet des Brucherbaches ist nur 2,45 km2 groß, durch einen Stollen von 1270 m Länge wird jedoch der Wupperlauf in
das Staubecken geleitet, und so das Niederschlagsgebiet um 3,05 km2 vergrößert. Im ganzen stehen also 5,5 km2 zur Verfügung.
Nach langjährigen Beobachtungen beträgt der mittlere jährliche Abfluß 900000 m3 für 1 km2,
demnach kommen also im Mittel jährlich 5,5 ∙ 900000 = 4950000 m3 zum Abfluß. Nimmt man 450000 m3 als mittlere Verdunstung an, so bleiben für den
Wasserabfluß in der Niedrigwasserzeit 4,5 Mill. m3
zur Verfügung.
Die meisten Triebwerke im oberen Wuppertal konnten aber bisher nur 1,5 Mill. m3 Wasser jährlich gebrauchen, es entstand also
eine Nutzwassermenge von 3 Mill. m3, die zusammen
mit dem Wasserabfluß aus der Kerspetalsperre imstande war, den Nachteil der
Wasserableitung nach der Stadt Barmen zu beseitigen.
Die Mauer (Abb. 2 und 3) erhält eine Kronenlänge von rund 200 m und erhebt sich 21 m über
Gelände. Die größte Sohlenbreite beträgt 18,50 m, sie verjüngt sich nach der Krone
bis auf 4 m. Ein öffentlicher Weg über die Mauer ist nicht geplant. Die gesamten
Mauerwerksmassen betragen rund 31000 m3.
Mit den Aushubarbeiten der Baugrube wurde am 1. Juni 1912 begonnen. Durch den
andauernden Regen vom Juli bis zum Winter wurden diese Arbeiten erheblich verzögert.
Erst Ende September lagen die Felsschichten frei.
Die Felsschichten der Talsohle bestehen aus mehr oder weniger sandarmem Tonschiefer
von dickbankiger und plattiger Beschaffenheit. Sie sind fast durchweg gleichmäßig
fest, frisch und unverwittert dicht gelagert und befinden sich in der Talsohle in 3
bis 4 m und an den Hängen in 2 m Tiefe. Die Schichten streichen nahezu in der
Längsrichtung der Mauer, von WSW bis ONO und fallen in der Talsohle unter einem
Winkel von 15 bis 30° nach dem Staubecken ein. Am rechten Hang wird der Winkel
nahezu gleich 0 und am linken beinahe 90°.
Klüfte in der Querrichtung der Mauer fanden sich nirgends, in der Längsrichtung wurde
der Untergrund jedoch von zwei Verwerfungsklüften durchschnitten, die, am rechten
Hang beginnend, sich in der Mitte der Talsohle vereinigten und sich am linken Hang
verloren. Diese Klüfte waren mit verquetschtem und zertrümmertem Gestein angefüllt,
das zum Teil in toniger Umwandlung begriffen war. Ein erheblicher Wasserverkehr in
der Baugrube war nicht festzustellen.
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Abb. 3. Querschnitt der Mauer mit Schieberhaus, Rohrstollen, Schieberschacht
und Einlaufstollen. (Maßstab 1 : 400)
A = Ziegelmauerwerk, B =
Bruchsteinmauerwerk, C = Putz mit Siderosthenanstrich, D = Verblendung, E =
Eisenbeton
Im allgemeinen war also der Untergrund für die Mauer, nachdem der Gesteinschutt aus
den Klüften entfernt und durch Beton ersetzt war, sehr gut.
Die Erdarbeiten sowohl als auch die spätere Aufführung der Mauer wurden der Firma Peter Büscher & Sohn, Münster i. W., übertragen.
Vor der Aufführung der Mauer sind die losen Felsmassen sämtlich entfernt, und die
vorhandenen Felsklüfte, Risse und Spalten mit einem fetten Zementmörtel ausgegossen.
Mit den Maurerarbeiten ist Anfangs April begonnen. Das zur Verwendung kommende
Steinmaterial besteht aus gesunder Grauwacke, als Mörtel ist im allgemeinen die
Mischung: 1 Traß, 1½ Weißkalk, 1¾ Steinsand gewählt.
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Abb. 4.
Die Grauwacke wird aus den Müllenbacher Brüchen der Basalt-A.-G., Linz, die etwa 6 bis 8 km von der Baustelle entfernt liegen, auf
einer Schleppbahn nach der Baustelle gefördert, die zum Teil neu angelegt werden
mußte. Hier in Müllenbach wurde auch der zum Mörtel verwandte Steinsand aus
Grauwackesplitt hergestellt. Im Mittel waren bei den Maurer- einschließlich
Nebenarbeiten, wie Mörtelfabrikation, Steinwäsche, Bedienung der Bremslage u.a. 90
Maurer und sonstige Handwerker und 175 Arbeiter beschäftigt. Voraussichtlich wird
die Mauer Mitte November so weit fertig sein, daß dann mit dem Einstau begonnen
werden kann (Abbildung 4 und 5).
Besonders hervorzuheben sind ferner die Stollenarbeiten.
Der etwa 1,27 km lange Stollen der Bruchertalsperre wurde mit elektrischen
Stoßbohrmaschinen der Siemens-Schuckertwerke aufgefahren,
und zwar wurde die Type G. B. S. 555 mit angebauten Drehstrommotoren von 1 PS
Leistung verwendet. Die Energiezuführung zum Ein- und Auslauf des Stollens bot nicht
unerhebliche Schwierigkeiten, da die etwa 2 km benötigte Freileitungsanlage an
verschiedenen Stellen durch dichten Wald geführt werden mußte und somit besonders im
Winter sorgfältige Ueberwachung erforderte. Trotzdem aber gelang es, den Bohrbetrieb
vor größeren Betriebsstörungen zu bewahren. Die mit dem Stollen zu durchfahrenden
Schichten waren in der Hauptsache sehr feste Grauwackenbänke, deren Material zum
Teil zur Ausbetonierung des Stollens Verwendung findet, ferner
Grauwackenschieferschichten, mit stellenweise wasserführenden Tonschichten.
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Abb. 5.
Der Querschnitt des Stollens (Abb.
6), 1,5 m breit und 2,25 m hoch, war für einen schnellen Fortschritt und
hohe Leistungen nicht sehr günstig, da der enge Querschnitt sowohl die Bohr- und
Aufräumungsarbeiten stark behinderte als auch die Sprengwirkung nicht zur vollen
Geltung kommen ließ, besonders da der Stollen in der Streichrichtung der
Gebirgsschichten aufgefahren wurde und somit der Zusammenhalt des Gebirges sehr groß war.
Infolge des Geländes gestaltete sich auch die Bergförderung von Hand sehr
umständlich und zeitraubend, der Transportweg für die Berge betrug allein etwa 1 km.
Es liegt in der Natur der Sache, daß eine derartige Bergeförderung von Hand
wesentlich die Leistung im ungünstigen Sinne beeinflussen mußte. Ungünstig wirkte
ferner außer diesen technischen Schwierigkeiten der Umstand, daß nur unerfahrene,
mit maschinellem Bohrbetrieb nicht vertraute Arbeiter zur Verfügung standen.
Aus dem oben Gesagten dürfte jedenfalls klar hervorgehen, daß beim Stollenbau der
Bruchertalsperre erhebliche technische und bergmännische Schwierigkeiten zu
überwinden waren, und an die Maschinen keine leichten Anforderungen gestellt
wurden.
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Abb. 6.
Anfang August 1912 wurde mit den Vorarbeiten des Stollenbaues begonnen. Der
eigentliche maschinelle Bohrbetrieb wurde auf der Auslaufseite Anfang September
begonnen, während auf der Einlaufseite erst Ende des Jahres der Betrieb aufgenommen
werden konnte, da eine Einigung mit den Grundbesitzern betreffs der Verlegung der
Freileitungsanlage erst um diese Zeit erzielt wurde.
Bis i. Oktober 1913 wurden rund 1142 m aufgefahren, so daß die durchschnittliche
Monatsleistung 88 m betrug. Die beiden Angriffspunkte waren mit Dreidrittel belegt,
an jedem Betriebspunkt arbeiteten drei Mann mit einer Maschine. Die höchste
Monatsleistung betrug auf beiden Seiten zusammen 106 m. In den letzten drei Monaten
wurden folgende Monatsleistungen erzielt:
Juli
August
September
103,50 m
93 m
96,50 m
Der tägliche Vortrieb betrug im Durchschnitt 3,50 bis 4 m. Die Leistung pro Mann und
Schicht beim maschinellen Bohrbetrieb war 0,241 m, während dieselbe beim Handbetrieb
0,092 m betrug.
Im Durchschnitt waren für 1 lfdm Vortrieb 9,20 Lochmeter erforderlich. Die
Anzahl Lochmeter stieg bei den festen Grauwackenbänken auf 13,12 m und auf einen
Sprengstoffverbrauch von 10 kg für 1 lfdm Vortrieb. Im Durchschnitt wurde mit einen
Sprengstoffverbrauch von 6 kg für 1 lfdm gerechnet. Als Vortrieb pro Abschlag wurde
0,60 cm im Durchschnitt erreicht. Die Bruttobohrleistung der elektrischen Maschinen
schwankte zwischen 1 bis 3 m in der Stunde je nach der Gesteinbeschaffenheit. Sie
betrug im Durchschnitt 1,50 m in der Stunde.
Hervorzuheben sind bei diesem forcierten Betriebe ferner die verhältnismäßig geringen
Reparaturkosten der elektrischen Maschinen. Sie betrugen für die Instandhaltung der
Bohrmaschinen sowie der Kabel:
Juli
August
September
1,328 M
2,277 M
0,775 M
für 1 lfdm Vortrieb.
Im Durchschnitt beliefen sich die eigentlichen Reparaturkosten zum laufenden Meter
Vortrieb auf 1,973 M. Hinzukommen noch die Löhne für den Schlosser, rechnen wir mit
5 M für den Arbeitstag, so belaufen sich die Unkosten bezüglich der Unterhaltung der
elektrischen Maschine auf etwa 3,30 M für 1 lfdm Stollen. Naturgemäß wurde dieser
Monteur auch für andere Arbeiten verwendet, so daß in Wirklichkeit die
Reparaturkosten auf 1 lfdm Vortrieb einschließlich Reparaturen der Kabel noch
geringer werden und somit keineswegs als sehr hoch bei den vorhandenen örtlichen
Verhältnissen angesprochen werden können. Es soll noch darauf hingewiesen sein, daß
zwar in der ersten Zeit kleinere Betriebsstörungen besonders an den Kabeln vorkamen,
nach einiger Zeit aber, als die Leute mit der elektrischen Bohreinrichtung mehr
vertraut waren, kam während einer Zeitdauer von mehreren Monaten nicht die geringste
Betriebsstörung vor. Ungünstig für die Instandhaltung der Maschinen wirkte der
Umstand, daß eine für einen längeren und größeren Stollenbau unbedingt erforderliche
größere Werkstatt mit Drehbank, Schleifstein usw. nicht vorhanden war, die
Reparaturkosten würden hierdurch jedenfalls noch in günstiger Weise beeinflußt
worden sein, da unter den bestehenden Verhältnissen stets neue Reserveteile
eingesetzt werden mußten. Was die Bewetterung des Stollens anbelangt, so war auf
jeder Seite ein Ventilator mit angebautem Drehstrommotor von 210 Volt, 50 Perioden
und etwa 3 PS Leistung aufgestellt, die anstandslos arbeiteten und für eine
hinreichende Wetterführung sorgten.