Titel: | Theodor Scheimpflugs Aerophotogrammetrie. |
Autor: | G. Goldberg |
Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 385 |
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Theodor Scheimpflugs Aerophotogrammetrie.
Von Ingenieur G. Goldberg in
Berlin-Lichterfelde.
GOLDBERG: Scheimpflugs Aerophotogrammetrie.
Am 6. Dezember v. J. wurde in Wien ein Denkmal enthüllt, welches dem Andenken
des genialen, im besten Mannesalter mitten aus seinen Arbeiten und Entwürfen
abgerufenen Erfinder Theodor Scheimpflug gewidmet ist. Es
ist dies ein äußeres Zeichen der späten Anerkennung, das von allen Freunden und
Verehrern Scheimpflugs mit wehmütiger Freude begrüßt
wurde, denn leider hat auch dieser Mann das Schicksal vieler Erfinder geteilt, daß
sein Werk zur Zeit seines Lebens wenig Anerkennung und Verständnis fand. Stehen doch
noch heute weite Kreise der Aerophotogrammetrie interesse- und verständnislos
gegenüber, obgleich mit Sicherheit anzunehmen ist, daß die Zukunft in ihr ein sehr
vielseitiges Hilfsmittel besitzen wird, und trotzdem schon heute fast alle
Vorbedingungen erfüllt sind, um sie praktisch in den Dienst der Landesvermessung,
Ländererforschung usw. zu stellen.
Theodor Scheimpflug, geboren 1865 zu Wien, empfing seine
Ausbildung zunächst auf dem Gymnasium und der Marineakademie in Fiume, von wo er als
Seekadett in die österreichische Kriegsmarine eintrat. 13 Jahre später, als Kapitän,
verließ er, getrieben durch seine Wißbegierde, den Dienst an Bord und bezog noch
einmal als Schüler die technische Hochschule zu Wien, um schon ein Jahr später
praktische Studien im Militärgeographischen Institut zu treiben. Doch immer mehr
fesselten ihn seine eigenen, weitzügigen Pläne und Erfindungen, so daß er endlich
alle anderen Pflichten von sich streifte, um von 1900 an nur seinen eigenen Arbeiten
zu leben. Elf Jahre lang war es ihm noch vergönnt, in unermüdlicher und selbstloser
Arbeit seine Erfindung auszubauen, sein System mathemetisch zu begründen, praktisch
durchzuprüfen und immer wieder zu erweitern und zu verbessern. Aeußere Erfolge hat
er dabei wenig zu verzeichnen gehabt, jedoch um seiner selbst willen auch niemals
begehrt, denn sein ganzes Interesse galt einzig dem Werk, dem er diente. Ein
Wort kennzeichnet ihn deutlich: „Das einzige, was ich tun kann, ist, durch mein
Beispiel die Mächtigen für diese Sache zu interessieren und für andere die Wege
zu bahnen“.
Von Anfang an gingen Scheimpflugs Pläne, die Photographie
in den Dienst der Landesvermessung zu stellen, neue, schöpferische Wege.
„Aufwärts“ war seine Losung, und da um die Jahrhundertwende die
Entwicklung der Luftschiffahrt noch zu weit zurück war, so benutzte er
Fesseldrachen, Fesselballons usw. zu Trägern seiner photographischen Apparate. Von
oben herab, aus der Vogelperspektive wurde dann ein photographisches Bild der Gegend
aufgenommen, später umgearbeitet, korrigiert und endlich zur Landkarte
ausgestaltet.
Daß ihm hierbei verschiedene ernste Schwierigkeiten entgegentraten, wird jeder, der
mit der Geophotographie vertraut ist, sofort einsehen. Es können weder Stative
benutzt, noch ein bestimmter, besonders vorteilhafter Punkt gewählt werden, die
Bildwinkel müssen eine Vergrößerung erfahren, und endlich ist das gewonnene Bild in
bezug auf die Höhenmessungen einer durchgreifenden Korrektur zu unterziehen. Schritt
für Schritt ging Scheimpflug daran, diese Hindernisse zu
beseitigen, wobei er mit der Umgestaltung des photographischen Aufnahmeapparates
selbst den Anfang machte. Er schuf nach langen Versuchen als vollendetstes
Aufnahmewerkzeug den Panoramaapparat, wie er heute zu photogrammetrischen Zwecken
benutzt wird (Abb. 1). Es ist dies ein Apparat,
dessen Hauptobjektiv nicht seitlich liegt, sondern senkrecht nach unten gerichtet
ist und welcher an der Ballongondel, an den Luftschiffrand (Abb. 2) usw. montiert wird. Jedoch zeigte sich, daß
dieses einzige Objektiv noch nicht genügte, um eine entsprechend große Bildfläche
aufzunehmen, wobei noch ein anderer Umstand mitspricht. Die Landschaftsbilder müssen
später, wie schon erwähnt, stereometrisch ausgemessen werden, wozu es nötig ist, daß
jeder Punkt des
Geländes auf mindestens zwei Aufnahmen vorhanden ist. Die Bilder müssen sich also,
sozuzagen dachziegelartig decken, theoretisch zu 50 v. H., in Wirklichkeit aber, um
genaue Berechnungen aufstellen zu können, um 75 bis 80 v. H. Die Größe jedes
hinzutretenden Geländes, der sogen. Reingewinn jeder Aufnahme, wird hierdurch
ziemlich klein, und die Notwendigkeit eines vergrößerten Gesichtsfeldes doppelt
einleuchtend. Aus diesem Grunde umgab Scheimpflug das
Hauptobjektiv mit sieben gegen ersteres unter 45° geneigte Seitenobjektive, wobei
sich die Seitenplatten wechselweise mit der Mittelplatte übergreifen, so daß auf der
Gesamtheit der acht Platten ein geschlossenes lückenloses Bild entsteht (Abb. 3 und 4). Der
Gesichtswinkel des Apparates beträgt rd. 140°; die Panoramen decken eine
Kreisfläche, deren Durchmesser rd. fünf mal so groß ist, als die jeweilige
Aufnahmehöhe, welche sich nach dem gewünschten Maßstab der späteren Karte zu richten
hat. Aus 90 m Höhe wird also eine Fläche von 16 ha aufgenommen, aus 225 m 100 ha
u.s.f. Der spätere Maßstab der Karte wäre bei einer Aufnahmehöhe von 90 m = 1 :
1000, aus 225 m Höhe = 1 : 2500. Es können gut brauchbare Aufnahmen bei
entsprechendem Wetter aus 4500 m Höhe gemacht werden, deren Bildflächen 40000 ha
umfassen und Vogelperspektiven im Maßstabe von 1 : 50000 liefern. Ja, Bilder aus
7000 m Höhe ließen sich kartographisch noch gut verwerten.
Textabbildung Bd. 329, S. 386
Abb. 1. Scheimpflugs achtteilige Aerokamera für Land Vermessungen Ansicht von
unten
Da es jedoch nötig ist, diese Bilder wiederum zusammenzusetzen, damit als Produkt
endlich eine große allgemeine Karte entstehen kann, müssen diese Aufnahmen in
entsprechenden Zeitintervallen einander folgen. Auch hier müssen sich die Bilder in
gleicher Weise gegenseitig decken, die Aufnahmen haben daher um so häufiger
stattzufinden, je niedriger der Flugapparat sich über der Erde bewegt. Doch ist die
Bedienung des Apparates so eingerichtet, daß immer genug Zeit bleibt, um rechtzeitig
zur neuen Aufnahme bereit zu sein. Der Plattenwechsel geht in rd. 3 Minuten vor
sich; in einer Höhe von 225 m darf also die Fahrtgeschwindigkeit je nach der
wagerechten Gestaltung des aufzunehmenden Gebietes 15, 11 oder 4,5 km pro
Stunde betragen, wobei 12, 6 oder 1 km2
Reinerträgnis gewonnen werden. Befindet sich das Luftfahrzeug 2700 m hoch, wobei
Vogelperspektiven im Maßstabe von 1 : 30000 entstehen, so darf die
Fahrtgeschwindigkeit pro Stunde 180, 132 oder 54 km betragen, dementsprechend
schwankt das Reinerträgnis zwischen 1800, 900 oder 150 km2. Für die Fahrtgeschwindigkeit muß als Regel
gelten: je unebener ein Gebiet und je steiler die Böschungen, je langsamer hat die
Fahrt zu sein und je häufiger haben Aufnahmen stattzufinden.
Der Aufnahme folgt die Entwicklung und die Zusammenstellung der Einzelbilder, welche
wiederum auf photographischem Wege erfolgt. Zu diesem Zweck hat Scheimpflug einen Transformationsapparat, den
Photoperspektographen konstruiert, der neuerdings durch Ingenieur Kammerer, den treuen Mitarbeiter des Erfinders, noch
vervollkommnet ist. Nennt man mit Scheimpflug den Punkt,
in dem die Senkrechte durch den Ballonort die photographische Platte trifft, also
den Punkt, direkt unter dem photographischen Objektiv, den Nadierpunkt, so müssen
sich auf jedem entwickelten Panorama, vorausgesetzt, daß die Bilder einander
genügend übergreifen, nicht nur der eigene Nadierpunkt, sondern auch die
Nadierpunkte sämtlicher Nachbarbilder finden. Hiermit sind die Richtungen gegeben
und man kann alle einander übergreifenden Panoramen gegeneinander orientieren, indem
man sie mit ihrem Nadierpunkt in ein und dieselbe Gerade ausrichtet. Der neueste
Apparat gestattet die Umformung unter allen Winkeln und Maßstäben und leistet zwei
theoretisch ganz verschiedene Arbeiten: die Maßstab- und die Winkeltransformation.
Die Konstruktion dieses überaus interessanten Apparates näher zu besprechen, fehlt
es hier an Raum, sie ist auf sehr sinnreiche und zum Teil nicht einfache optische
und mathematische Arbeiten begründet.
Textabbildung Bd. 329, S. 386
Abb. 2. Scheimpflugs achtteilige Aerokamera während der Belichtung
Die solchergestalt umphotographierten, wagerechten Vogelperspektiven stellen schon
richtige Photokarten dar (Abb. 5 bis 7), wenn die Aufnahme im ebenen Gelände stattfand. Dagegen müssen
Vogelperspektiven unebner Gelände noch eine besondere Untersuchung auf
Höhenunterschiede durchmachen, deren letzter Schritt die sogen
„Zonentransformation“ ist. Die Geländephotographie von oben zeigt nämlich
hochgelegene, d.h. dem Aufnahmeorte nähere Gelände in größerem Maßstabe als die
tiefergelegenen, wodurch auf der Karte eine diesbezügliche besondere
Maßstabsänderung auf die richtige Kartenprojektion nötig wird. Dies geschieht in
folgender Weise: da es nicht möglich ist, das Bild in unendlich viele nur
mathematische Schichten zu zerlegen, so beschränkt man sich bei gewöhnlichen Karten
auf gewisse, dem Zweck der Karte angepaßte Stufen und für jede Zone auf eine
mittlere Maßstabsberichtigung. Auch diese Arbeit wird vom Transformator besorgt.
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Abb. 3. Originalaufnahme mit dem achtfachen Panoramenapparat
Scheimpflugs
Textabbildung Bd. 329, S. 387
Abb. 4. Die Originalaufnahme in Abb. 3 zu einem Gesamtpanorama
umphotographiert.
Dem jetzt entstandenen Geländebild fehlt allerdings noch mancherlei; das
photographische Landschaftsbild muß orthogonal werden, d.h. die perspektivische
Verkürzung und Verbreiterung der ab- und zugekehrten Böschungen usw. ist
zukorrigieren, welche am Nadierpunkt selbst fast unmerklich sind, gegen den Rand hin
sich aber mehr und mehr verschärfen. Dies erfolgt zum Teil durch die Reduktion des
Maßstabes selbsttätig, anderseits durch Retusche, wobei, entsprechend den bisherigen
topographischen Karten, als Hauptzweck verfolgt wird, die wesentlichen Punkte streng
mathematisch richtig und möglichst natürlich herauszuarbeiten. Die weitere
Vollendung der Karte, Beschreibung, Druck usw. findet nach dem rühmlich
bekannten System Dr. Karl Peuckers statt. Die so
gewonnene Karte zeichnet sich gegenüber den älteren Kartenbildern einerseits durch
große Natürlichkeit und Uebersichtlichkeit aus, besonders erfreut sie sich in
Luftschifferkreisen großer Beliebtheit. Bedeutet schon die entstandene Karte für
sich eine wesentliche Verbesserung, so muß dies noch mehr von dem Aufnahmeverfahren
selbst gelten. Insbesondere bereitet die Aufnahme unerforschter, wenig
übersichtlicher Gebiete Schwierigkeiten, die der Laie kaum vermutet. Als Beispiel
mögen Auszüge aus dem Brief eines Geometers in Ostafrika gelten, dessen Aufgabe es
war, eine Eisenbahnstudie zu machen. Es sollten dabei zwei, mehrere 100 km
voneinander entfernte Punkte verbunden und die vorteilhaftesten Täler und
Wasserscheiden gefunden werden. Er schreibt: „Das ganze Gebiet ist mit dichtem,
hohem Dornbusch bedeckt und keine Ueber-sicht möglich. Um es zu bereisen, ist
man auf die wenigen, schmalen Negerfußsteige angewiesen, die in unendlichen
Windungen sich dahinschlängeln. Seitenaussichten gibt es nicht. Der Ingenieur
hat genug zu tun, sich die Augen gegen Dornen zu schützen und muß buchstäblich
weite Strecken auf allen Vieren kriechen.“ Im Gegensatz dazu vergegenwärtige
man sich die Einfachheit einer Aufnahme nach Scheimpflugschen System.
Auch in wirtschaftlicher Beziehung bedeutet die Scheimpflugsche Erfindung einen Fortschritt; heute kann der Preis der Pläne in
strenger Orthogonalprojektion pro Quadratkilometer auf 10 bis 15 M beziffert werden.
Am deutlichsten treten die Vorteile der Aerophotogrammetrie bei einem Kostenanschlag
hervor, den Scheimpflug selbst noch für eine
Kartographierung Deutsch-Südwestafrikas entworfen hat. Die Aufnahme dieses
Schutzgebietes nach alter Methode, mittels Meßtisch und Kippregel, wie sie zurzeit
wirklich in Gebrauch ist, dürfte bei einem Stab von 100 Topographen und einem
Maßstabe von 1 : 25000 = 150 bis 170 Jahre in Anspruch nehmen und sich auf 250 Mill.
M stellen.
Textabbildung Bd. 329, S. 388
Abb. 5. Ballonaufnahme von Dr. Schlein aus einer Höhe von etwa 700 m mit rd.
45° Neigung.
Textabbildung Bd. 329, S. 388
Abb. 6. Transformation in die Horizontalebene.
Wird ein Parsevalluftschiff in den Dienst der Sache gestellt,
und das Scheimpflugsche System benutzt, so würde sich die
gleiche Aufgabe bei Karten von 1 : 20000 mit einem Kostenaufwand von 13 Mill. M in 3
½ Jahren lösen lassen. Scheimpflug dachte nur an das
lenkbare Luftschiff, da die Entwicklung des Aeroplans noch in den Kinderschuhen
steckte. Bediente man sich heute eines solchen Flugapparates, für dessen Verwendung
in den Kolonien eifrig gearbeitet wird, und dessen Einführung tatsächlich schon
erfolgt ist, so verringern sich die Kosten nochmals bedeutend. Im Hinblick auf
die weiten Gebiete der Erde, welche noch immer ihrer Erforschung harren,
verdient dieses Hilfsmittel weiteste Beachtung.
Ebenso ist die Aerophotogrammetrie für militärische Zwecke nicht ohne Bedeutung. Im
englischen Heere sind bereits vollständige aerophotographische
Kundschafterausrüstungen in den Dienst gestellt worden und haben bei Manövern usw.
günstige Resultate gezeitigt. Ein einziger Aufstieg über dem eigenen Lager mit
gelungener Aufnahme kann in wenigen Minuten Photographien von der feindlichen
Stellung liefern, von denen die Entfernungen der Truppen oder Schiffe des Gegners
unmittelbar abzunehmen sind.
Textabbildung Bd. 329, S. 388
Abb. 7. Korrespondierender Ausschnitt aus dem neuesten Stadtplan.
Ein Gebiet für sich ist noch die Aufnahme von Decken- und Wandgemälden, welche sonst,
wenn nicht falsche Perspektiven und Verzerrungen sich ergeben sollten, den Aufbau
von umständlichen Gerüsten nötig machten, während jetzt der Photoperspektograph auch
die schiefste Aufnahme mit Leichtigkeit zur geraden umbildet.