Titel: | Streuströme elektrischer Gleichstrombahnen. |
Autor: | K. Michalke |
Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 404 |
Download: | XML |
Streuströme elektrischer
Gleichstrombahnen.
Von Dr. K. Michalke.
MICHALKE: Streuströme elektrischer Gleichstrombahnen.
Um einerseits das Straßenbild nicht zu verunstalten, andererseits nicht den
Strom für die Motoren der elektrisch betriebenen Straßenbahnen durch die im
Straßenbett liegenden Gleise zu schicken, wurden anfangs verschiedene Systeme
verwandt, wie Akkumulatorenbetrieb, Betrieb mit unterirdischer Stromzuführung für
Hin- und Rückleitung u. dgl.; die Einfachheit und Wirtschaftlichkeit entschied schließlich für
Bahnen mit oberirdischer Stromzuführung und Rückleitung durch die Schienen. Die
Gleise sind hierbei in den mehr oder minder gut leitenden Erdboden eingebettet. Es
ist daher unvermeidlich, daß Ströme aus den Gleisen in die Erde entweichen. Diese
Streuströme in der Erde gaben anfangs zu großer
Besorgnis Veranlassung, zumal bei einigen Bahnen im Auslande mit mangelhaft
ausgeführter Gleisanlage nach verhältnismäßig kurzer Zeit Schäden an den Gas- und
Wasserleitungen festgestellt wurden. Wenn auch die Gefährlichkeit der Streuströme
zuweilen übertrieben wird, so sind doch andererseits große Schäden bei nicht
sachgemäß ausgeführten Bahnen nicht ausgeschlossen. Es haben sich daher die
Elektriker und die Gas- und Wasserfachmänner ernst mit Vorsichtsmaßnahmen
beschäftigt.
Textabbildung Bd. 329, S. 405
Abb. 1.
In Abb. 1 ist der Stromverlauf für eine unverzweigte
Bahnanlage dargestellt. Der positive Pol ist gewöhnlich mit der Oberleitung
verbunden, der negative an die Gleise angeschlossen. Der Strom geht durch
Oberleitung, den Bahnmotor und durch die Gleise zurück. Eine vollkommene Isolierung
der Gleise vom Erdboden ist bei Straßenbahnen nicht möglich, der Strom entweicht
daher zum Teil in die Erde, in ähnlicher Weise, wie die gesamte magnetische Strömung
nicht vollständig im Eisen bleibt, sondern teilweise in die Luft gestreut wird. Die
Streuströme der elektrischen Bahnen nehmen in der Erde zum Teil ihren Weg durch
Metallmassen insbesondere durch die ausgedehnten Gas- und Wasserröhren, zum Teil
durchdringen sie auch, wie in Abb. 1 angedeutet,
unzusammenhängende Metallteile in der Erde.
Den Faradayschen Gesetzen entsprechend wird das Metall
dort, wo der Strom aus dem Metall in den Erdboden übertritt, elektrolytisch
angegriffen. Hierin beruht hauptsächlich die Gefährdung durch die Streuströme. (Von
meist geringerer praktischer Bedeutung sind die sonstigen Störungen, das Eindringen
in Telegraphen-, Telephon- und Signalleitungen, bei denen die Erde als Rückleitung
dient, ferner der Einfluß auf das magnetische Erdfeld, durch den elektrische und
magnetische Messungen gestört werden können.) Wechselströme können zwar unter
besonderen Verhältnissen ebenso wie Gleichströme elektrolytisch wirken, nach den
bisherigen Erfahrungen sind jedoch die Eisenmassen in der Erde durch Wechselströme
nicht gefährdet.
Die Streuströme (Abb. 1) treten am Ende der
Bahnstrecke aus den Schienen aus, um in der Nähe des Schienenspeisepunktes wieder zu
den Schienen zurückzukehren. Die Schienen werden daher am Ende der Gleisstrecke
angegriffen. In Gas- und Wasserröhren treten die Streuströme am Ende der Strecke
ein, in der Nähe des Schienenspeisepunktes wieder aus. Die Röhren sind daher in
dessen Nähe gefährdet. Dort, wo der Strom in Metallmassen eintritt, wird durch
Bildung einer dünnen Wasserstoffschicht ein gewisser Schutz gewährt. Man bezeichnet
daher die Bezirke der Rohrleitungen am Ende der Strecke als Schutzbezirke, am
Schienenspeisepunkt als Gefahrbezirke. Die dazwischenliegenden Bezirke, in denen
weder Stromeinnoch Austritt erfolgt, werden als neutrale Bezirke bezeichnet. Für
Metallmassen von geringer Ausdehnung trifft diese Bezeichnung nicht streng zu, so
können ausgedehnte gut geerdete Metallmassen auch in der
Mitte der Strecke oder am Ende gefährdet sein, wenn sie von den Streuströmen
durchsetzt werden, Metallmassen sind am Ende der Gleisstrecke besonders gefährdet,
wenn sie mit den Gleisen metallisch verbunden sind (Abb.
2). Im Gefahrbezirke mit den Röhren verbundene metallische Massen (Abb. 3) sind ebenso gefährdet wie die Rohrteile, da
sie angenähert gleiche Spannung gegen die Gleise besitzen wie die Röhren und daher
in gleichem Maße wie diese selbst Strom in die Erde ausstrahlen. In den neutralen
Bezirken werden von Metallmassen geringer räumlicher Ausdehnung, die mit den Rohren
(oder mit den Gleisen) leitend verbunden sind, Ströme weder ausgestrahlt noch
angesaugt.
Textabbildung Bd. 329, S. 405
Abb. 2.
Textabbildung Bd. 329, S. 405
Abb. 3.
Es ist hiernach schwierig, von vornherein schon zu bestimmen, ob und wieweit
Metallmassen in der Erde durch die Streuströme elektrischer Bahnen gefährdet sind.
Um das
Vorhandensein gefährdender Streuströmefestzustellen sind daher fast stets eingehende
Untersuchungen nötig.
Aus den Gleisen entweicht um so mehr Strom, je größer die Strombelastung der Gleise,
je weiter die Schienenspeisepunkte voneinander entfernt sind, und je größer der
Widerstand der Gleise, je höher demnach die Spannung in den Gleisen ist. Ferner sind
die Streuströme um so größer, je besser die Stromüberleitung zur Erde, und je besser
leitend der Erdboden mit den in ihr verlegten Metallröhren ist. Infolge der an den
Gleisen und Röhren auftretenden Polarisationsspannungen sind die Streuströme etwas
geringer als sich rechnerisch und unter Berücksichtigung der Widerstandsverhältnisse
ergibt. Es dringt nicht der gesamte aus den Gleisen austretende Strom in die Röhren
ein, zumal diese durch den Widerstand an den einzelnen Verbindungsstellen einen
gewissen Selbstschutz erlangen. Es werden daher bei richtig angelegten und
instandgehaltenen Bahnen verhältnismäßig geringe Stromdichten an den Röhren in der
Erde gemessen, Stromdichten unter 1 Milliampere Austrittsstrom aus 1 dm2 Rohroberfläche. Derartige Stromdichten bringen
so geringe Zersetzungen an den Rohren hervor, daß deren Lebensdauer, die schon durch
das Liegen in dem angriffsfähigen feuchten Erdboden auch ohne die Einwirkung der
Streuströme beschränkt ist, nicht wesentlich vermindert wird. Nur unter besonders
ungünstigen Umständen können örtlich beschränkte Anfressungen von Rohren auch bei
vorschriftsmäßig angelegten Bahnanlagen auftreten. Wenn in den Gleisen, vom
Schienenspeisepunkt aus gemessen, eine Spannung von 2,5 Volt auftritt, wie dies nach
den Vorschriften des Verbandes noch zulässig ist, beträgt rechnerisch unter Annahme,
die der Wirklichkeit entsprechen, in der Nähe der Schienenspeisepunkte die höchste
Streustromdichte an den Gleisen etwa 1,5 Milliampere für 1 dm Gleislänge. Nur wenn
dieser gesamte Streustrom z.B. an einer Kreuzungsstelle der Gleise mit sehr nahe
liegenden Röhren in ein Rohr von geringem Durchmesser eindringen würde, könnte die
vom Verband zugelassene Stromdichte am Rohr von 0,75 Milliampere für 1 dm2 Austrittsfläche überschritten werden.
Tatsächlich sind, insbesondere an Rohren von größerem Durchmesser, die weniger
gefährdet sind, als dünne Rohre, fast stets kleinere Werte gemessen worden.
Erst in den letzten Jahren hat sich allgemein die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß die
Stromdichte an den Röhren für den Grad der Gefährdung bestimmend sei. Es sind
seitdem auch einfache Meßmethoden gefunden worden, Früher wurde häufig nur die
Spannung zwischen Rohr und Gleis gemessen. Aus dem Spannungswert kann die
Stromdichte an den Röhren nur dann berechnet werden, wenn die Rohrstärke, der
Abstand der Röhren von den Schienen und die Leitfähigkeit des Erdbodens bekannt ist.
Für ein Rohr von 10 cm in 1 m Abstand von den Gleisen beträgt bei 1 Volt
Spannung zwischen Rohr und Gleis unter Annahme einer mittleren Leitfähigkeit des
Erdbodens die mittlere Stromdichte am Rohr nur 0,12 Milliampere. Die Stromdichte an
den Rohren ist auf der den Gleisen zugewandten Seite größer als auf der
abgewandten. Sie ist auf der den Gleisen zugewandten Seite in dem erwähnten Beispiel
bis zu 9 v. H. höher, auf der abgewandten Seite bis zu 12 v. H. niedriger. An einem
Rohr von 100 cm würde bei gleichem Abstand die mittlere Stromdichte nur
0,0174 Milliampere betragen, wobei gegenüber den Verhältnissen am dünnen Rohr
bedeutendere Unterschiede auf der den Gleisen zugekehrten und der entgegengesetzten
Seite auftreten. Die Stromdichten für die beiden Seiten betragen in diesem Fall
0,025 und 0,0067 Milliampere auf 1 dm2.
Sind die Gleise gut gegen Erde isoliert, liegen sie z.B. auf Holzschwellen und von
Erde auf der ganzen Strecke durch einen Luftzwischenraum getrennt, wobei die
entweichenden Streuströme sehr vermindert werden, so ist auch die Stromdichte an den
Röhren ungefährlich. Umgekehrt kann bei besonders guter Ueberleitung die Stromdichte
an den Röhren an einzelnen Stellen unzulässig hoch werden, z.B. bei großer
Annäherung der Röhren an die Gleise. Begünstigt wird die Ueberleitung durch das
Streuen von Salz (zum Auftauen des Schnees). Die nach Auflösung des Salzes
entstehenden leitenden Sickerfäden im Erdboden unterhalb der Gleise können besonders
an Kreuzungsstellen von Gleisen und Röhren diesen gefährlich werden.
Wird von den an einzelnen Stellen auftretenden Gefährdungen, die sich durch örtliche
Maßnahmen beseitigen lassen, abgesehen, so kann man annehmen, daß unter gewöhnlichen
Verhältnissen bei 1 Volt Spannung zwischen Gleis und Rohr noch keine gefährliche
Stromdichte am Rohr auftritt. Nimmt man nach den Beobachtungen von Besig an, daß unter Berücksichtigung der Widerstände an
den Muffen die Spannung, die durch die eingedrungenen Streuströme an den Rohren
auftritt, etwa den 0,4 bis 0,5 ten Teil der Spannung in den Gleisen beträgt,
berücksichtigt man ferner, daß im Gefahrbezirk, also in der Nähe der
Schienenspeisepunkte die Spannung Rohr gegen Gleis etwa doppelt so hoch ist, als an
Stellen etwa in der Mitte zwischen Schienenspeisepunkten, so kommt man rechnerisch
zu einer zulässigen Spannung von 2,5 Volt in den Gleisen, wie sie nach den
Vorschriften des Verbandes Deutscher Elektrotechniker für Gleichstrom-Straßenbahnen
zugelassen ist.
Die Forderung, daß den Gleisen nur so viel Strom zugeführt werden darf, daß der
Spannungsverlust in den Gleisen den Wert von 2,5 Volt nicht übersteigen darf, kann
oft nur durch teure Leitungsanlagen erfüllt werden. Es muß der Schienenquerschnitt
reichlich gewählt werden. Große Sorgfalt ist auf eine möglichst widerstandslose
Verbindung an den Stoßstellen zu legen. Die Verbindungslaschen an den Schienenstößen
genügen keineswegs, um dauernd eine gut leitende Verbindung aufrecht zu erhalten.
Durch Querverbindungen zwischen den Schienen und zwischen den Gleisen muß gesorgt
werden, daß auch bei fehlerhaften Stoßverbindungen durch Stromausgleich gefährliche
Spannungen in den Gleisen verhindert werden.
Die Ueberleitung von den Gleisen nach der Erde oder den Röhren muß möglichst
erschwert werden, um die Streuströme, deren Verlauf in der Erde sich nicht überwachen läßt, und
die daher auch an entfernten Stellen Schaden anrichten können, zu vermindern. Es
sind daher alle Erdverbindungen an den Gleisen und deren metallische Verbindung mit
den Rohren verboten. Durch die metallische Verbindung von Gleisen und Röhren im
Gefahrbezirk können zwar diese Röhren geschützt werden, da deren Potential hierdurch
soweit erniedrigt wird, daß die Röhren stromsaugend wirken. Auf diese Weise werden
jedoch die Ströme in der Erde und in den Röhren vermehrt. Nur in vereinzelten Fällen
ist es möglich, daß die metallische Verbindung von Gleisen und Röhren unschädlich
sein kann, wenn z.B. bei unverzweigten Rohrleitungen ein Ansaugen der
Streuströme durch unverbundene Rohrleitungen oder getrennte Metallmassen nicht
stattfinden kann. In den neutralen Bezirken, in denen zwischen Gleisen und Röhren
keine Spannung vorhanden ist, ist eine metallische Verbindung unschädlich, aber auch
unnütz. Ob in bestimmten Fällen, z.B. zum Schutz eiserner Brücken, eine metallische
Verbindung mit den Gleisen ausnahmsweise erwünscht sein sollte, kann nur nach
eingehender Untersuchung der örtlichen Verhältnisse entschieden werden.
(Schluß folgt.)