Titel: | Der Lokomotor, eine neue Rangiermaschine. |
Autor: | J. Fried |
Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 530 |
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Der Lokomotor, eine neue
Rangiermaschine.
Von Dipl.-Ing. Doz. J. Fried.
FRIED: Der Lokomotor, eine neue Rangiermaschine
In großen Eisenbahnstationen, namentlich in Güter- und Verladebahnhöfen, dürfte
die Dampflokomotive nach wie vor das brauchbarste Rangiermittel bleiben. Wenn es
sich aber darum handelt, eine geringere Anzahl von Eisenbahnwagen rasch und bequem
zu einem Zuge zusammenzustellen, wie dies in kleineren und mittleren
Eisenbahnstationen, in Hafenanlagen, auf Industriegleisen usw. der Fall ist, dann
erweist sich die Lokomotive häufig als schwerfällig und unzweckmäßig. An ihre Stelle
soll dann das neue Rangierfahrzeug, der Lokomotor, treten. Elektrische Leitungen bei
elektrischem Rangierbetrieb, Seil- und Leitrollen, Windetrommeln usw. bei
Spillanlagen, Dampf, Lokomotivpersonal, Schuppen, Kesselreinigen usw. bei
Dampfbetrieb werden hierbei überflüssig. Zugleich kommen die durch
Stromunterbrechung, Leitungsberührung, Seilbruch, Mangel an Vorrat, Rauchentwicklung
und Funkenauswurf hervorgerufenen unliebsamen Störungen in Wegfall.
Die chemische Industrie, ebenso Kabel- und Hüttenwerke, die häufig gezwungen sind,
feuerlose Lokomotiven zu verwenden, haben dem neuen Rangierfahrzeug ihr Augenmerk
zugewendet. Nach eingehenden, wohlgelungenen Versuchsfahrten mit dem Lokomotor ist
eine Reihe von ansehnlichen Werken an die Anschaffung solcher Fahrzeuge
herangetreten. Das lebhafte Interesse, das zahlreiche Hafen- und Bahnbehörden sowie
besonders die Privatindustrie der neuen Erfindung entgegenbringen, beweist die
Notwendigkeit eines billigen und zweckmäßigen Ersatzes der Lokomotive.
Der Lokomotor ist ein kleines Treibradgestell, das an einen Eisenbahnwagen
herangefahren und mit diesem starr verbunden wird. Dies geschieht mittels einer
entsprechend ausgebildeten Winde, die einen Hauptbestandteil des Fahrzeuges bildet.
Mittels dieser Hebevorrichtung wird der zu kuppelnde Wagen soweit hochgewunden, bis
der Lokomotor die zur Erreichung der Adhäsion auf den Schienen erforderliche Last
des Eisenbahnwagens erhält. Unter Verwendung eines in das vierrädrige, normalspurige
Wagengestell eingebauten Verbrennungsmotors kann dann diese einfache Maschine eine
große Anzahl von Wagen fortziehen oder schieben. Wesentlich ist also für die
Brauchbarkeit des Lokomotors, daß er eine genügende Adhäsion erhält, was bei jedem
normalen Güterwagen zutrifft.
Textabbildung Bd. 329, S. 529
Das Wagengestell besteht aus kräftigen ⌞ und ⌴ Eisen und ruht auf zwei in Rollen
laufenden Radsätzen aus bestem Stahl. Die Anordnung dieses Gestelles ist so
getroffen, daß die innen liegenden Hauptbestandteile, wie Motor, Vergaser, Kühler,
Brennstoffbehälter, Getriebe, Lager und Schaltung nicht nur geschützt, sondern auch
leicht zugänglich sind. In der Mitte des Wagengestells befindet sich die
Kupplungswinde, die sowohl zur Aufnahme der die Adhäsion erzeugenden Last als auch
zum Kuppeln mit dem zu treibenden Wagen dient. Die Verstellbarkeit wird durch eine
Stahlspindel erreicht, die durch ein Handrad senkrecht bewegt wird.
Der Antrieb der Laufräder erfolgt durch Wechselgetriebe, Kettenräder und
Gelenkketten. Die Antriebskraft liefert ein vierzylindriger Verbrennungsmotor
stehender Anordnung. Dieser Motor, dessen Fabrikation die Maschinen- und Armaturenfabrik, vorm. H. Breuer
& Co., Höchst a. M., seit Jahren als Spezialität betreibt, hat sich
hervorragend bewährt. Von verschiedenen Militärverwaltungen werden ihre Lastwagen
subventioniert und für deutsche und ausländische Militärzwecke ausgeführt.
Das Getriebe des Motors befindet sich in einem ungeteilten Gehäuse und besteht aus
gefrästen, gehärteten und geschliffenen Rädern aus besonders widerstandsfähigem
Ghromnickelstahl, ebenso die Kurbelwelle, während Zylinder und Kurbelgehäuse aus
Spezialguß hergestellt sind. Dem Verwendungszweck des Lokomotors entsprechend, sind
drei Vorwärts- und Rückwärtsgeschwindigkeiten vorgesehen. Zur Betätigung derselben
und zur Regulierung des Vergasers dienen Hebel, zur Ausrückung des Motors Pedale.
Sämtliche Hebel und Pedale kann der Führer von seinem Stand aus, auf der Plattform
des Lokomotors, oder auch vom Erdboden neben dem Lokomotor bequem bedienen.
Zur Erzeugung des Gasgemisches dient ein selbsttätig wirkender Spritzvergaser, zur
Beseitigung der Wärme ein Spezialkühler und zur Schmierung wird eine Oeldruckpumpe
verwendet. Die Zündung besorgt ein Hochspannungszündapparat. Als Brennstoffe kommen
in Betracht: Leicht- und Schwerbenzin, Benzol, Rohbenzol und Autin.
Gegenüber der Lokomotive zeichnet sich der Lokomotor vor allem durch sein geringes
Gewicht aus. Während dieses beim Lokomotor maximal 2000 kg beträgt, ist das
Mindestgewicht einer Lokomotive zehn- bis zwölfmal so groß. Dementsprechend stellen
sich auch die Anschaffungskosten für eine Lokomotive wesentlich höher als für einen
Lokomotor. Wichtiger noch ist die einfache und vorteilhafte Art der Inbetriebsetzung
des Lokomotors. Während die Lokomotive etwa drei Stunden vorher Wasser fassen und
angeheizt werden muß, ehe sie betriebsfertig ist, kann der Lokomotor unmittelbar und
jederzeit den Dienst aufnehmen. Je nach Bedarf kann der Lokomotor vorwärts oder
rückwärts fahren. Er verwandelt jeden Eisenbahnwagen in einen Triebwagen. Sodann
fährt er mit diesem über entsprechende Drehscheiben und dreht dieselben durch sein
eigenes Spill, zieht oder drückt eine große Anzahl von Wagen, auch in Kurven und
Steigungen und wirkt im Gefälle bremsend. Dadurch, daß das Fahrzeug mit drei
Geschwindigkeiten ausgestattet ist, kann auch der Materialverbrauch äußerst
wirtschaftlich eingerichtet werden, indem für Leerlauf, Belastung, ebene Strecke,
Steigungsverhältnisse usw. die entsprechende Uebersetzung eingeschaltet wird.
Außerdem werden tote Lasten, wie das große Eigengewicht der Lokomotive und des
Tenders, der kohlenvorrat, das Wassergewicht usw. beim Dampfbetrieb, ebenso
Akkumulatoren beim elektrischen Betrieb, vermieden.
Die wirtschaftlichen Vorteile erhellen ohne weiteres aus nachstehend angeführten,
kurzen Vergleichsdaten, die als Resultat eingehender Berechnungen anzusehen sind.
Vorausgeschickt sei, daß selbst größere industrielle Betriebe häufig Menschenkraft
und animalische Kräfte zum Rangierbetrieb verwenden, in der irrtümlichen Annahme,
daß eine Verbesserung des Betriebes mit einem unrentablen, überflüssigen
Kostenaufwand verbunden sei. Ferner sei noch bemerkt, daß ein Lokomotor mit einem
Führer soviel leistet, wie fünf Pferde mif fünf Mann zur Bedienung:
Gesamter Tagesaufwand
beim Pferdebetrieb
60 M,
„ „
beim Lokomotorbetriebinkl. Reserve-Lokomotor
17 M,
„ „
beim Lokomotorbetrieb
55 M
Dies entspricht einer Jahresersparnis von 12900 M gegenüber dem Pferdebetrieb und von
11400 M gegenüber dem Lokomotivbetrieb zugunsten des Lokomotors.
Aus diesen wenigen Vergleichswerten ist leicht zu ersehen, daß der Rangierbetrieb
durch einen Lokomotor jeder anderen Rangierart vorzuziehen ist. Dazu kommt noch, daß
der Wagen nach erfolgter Dienstleistung nach der nächstgelegenen Station dirigiert
werden kann, um dort gleichfalls den Rangierdienst auszuführen, was besonders für
kleinere Stationen vorteilhaft ist.
Ein Bild von der Leistungsfähigkeit eines Lokomotors von 25 PS gibt folgende kleine
Tabelle:
Brennstoffverbrauch:
a) Ohne Steigung. Leichtbenzin; 0,2-Pf. pro t und km,
3 Pf. pro belad. Wagen (15 t) und km.
b) Bei den größten Steigungen. Leichtbenzin: 1 Pf. pro
t und km, 15 Pf. pro belad. Wagen (15 t) und km.
Nachdem der Lokomotor vor der Kgl. Eisenbahndirektion Ludwigshafen in zahlreichen
Versuchsfahrten seine Feuerprobe glänzend bestanden und inzwischen auch das
preußische Kriegsministerium wiederholt sein besonderes Interesse für dieses
Fahrzeug bekundet hat, ist das Interesse der Privatindustrie, namentlich auch der
chemischen Großindustrie, zusehends gewachsen. Da außerdem die Patentierung der
Erfindung in den meisten Kulturstaaten erfolgt ist, so kann eine rasche Verbreitung
der Erfindung erwartet werden.
Zugleistungen
Steigung
1 : 50
1 : 200
1 : 500
1 : ∞ (wagerecht)
Geschwindigkeit in km/Std.
3–15
3–15
3–15
3–15
Zugleistung in kg
56000–15000
106000–18000
128000–54000
150000–76000
Zugleistung in leeren Waggons von 7,51 Eigengew.
6–2
14–4
18–6
20–10
Erwähnenswert Ist noch, daß diese Erfindung wie manche andere von einem
Nichtfachmann, einem Architekten, gemacht wurde, ein neuer Beweis, daß der Techniker
zu gerne geneigt ist, schwierigere Probleme zu lösen, während er die einfachen
häufig übergeht. Der Grundgedanke der Nutzbarmachung der Adhäsion, so naheliegend er
ist, hat bisher eine für die Praxis brauchbare Verwertung nicht gefunden, wenn er
auch schon öfters in anderer Form aufgegriffen worden sein mag.