Titel: | Rohnaphthalin als Teeröl-Ersatz. |
Autor: | Arnold Irinyi |
Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 570 |
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Rohnaphthalin als Teeröl-Ersatz.
Von Ingenieur Arnold Irinyi,
Hamburg.
IRINYI: Rohnaphthalin als Teeröl-Ersatz
Durch die Kriegszustände sind die Verbraucher von Teeröl, also die Besitzer von
Oelmotoren, Oefen mit Oelfeuerung usw. in äußerst unangenehme Lage versetzt. Teeröl
können wir garnicht soviel herstellen, wie jetzt und später während der
Kriegsvorgänge für deren Zwecke nötig sein wird, so daß sämtliche Teeröle usw.
seitens der Kriegsmarine mit Beschlag belegt sind. Die Besitzer von
Teerdestillartionsanlagen sind schon jetzt nicht mehr in der Lage, Teeröl an
gewerbetreibende Firmen zum Betrieb ihrer Dieselmotoren und Oefen abzugeben. Alle
Industrien, die während der Kriegszeit weiter arbeiten können, sind mit ihren
Oelfeuerungen um so mehr in der größten Verlegenheit, weil die Umgestaltung von
öl-gefeuerten Oefen auf die Beheizung mit festen Brennstoffen meistens ganz
undurchführbar, unter den heutigen Umstanden aber auch nur in den seltensten Fällen
möglich ist.
Ich halte es für meine Pflicht, alle Besitzer von Oelfeuerungsanlagen und alle
Interessenten der Teerölfabrikation auf einen Umstand aufmerksam zu machen, welcher
in allen Fällen die Behebung der Schwierigkeiten gestatten wird.
Teeröl kann durch ein Nebenprodukt der Teerdestillation,
nämlich Rohnaphthalin, ferner Rohantracen tadellos ersetzt werden.
Rohnaphthalin und Rohantracen sind Abfallprodukte der Teerdestillation, welche schon
in Friedenszeiten schwachen Absatz finden, jetzt in Kriegszeiten größtenteils
überhaupt nicht abzusetzen sein werden. Antracen dürfte immerhin für Heizzwecke
teuer, daher nur in Ausnahmefällen zu verwenden sein. Dieser Stoff sei nur deshalb
hier erwähnt, weil er als Beimengung zum Rohnaphthalin vorkommen kann, besonders bei
Betrieben, die selbst Destillieren und auch das Rohnaphthalin selbst verwenden
können. Durch die Verwendung von Rohnaphthalin statt Teeröl in Motor- und
Gewerbebetrieben wird daher einerseits den Gewerbetreibenden, andererseits aber auch
den Besitzern von Destillationanlagen geholfen, zudem kann der Transport von
Rohnaphthalin in Kisten, Säcken oder auch lose in Eisenbahnwagen, also ohne Fässer
stattfinden.
Rein-Naphthalin C10H8 ist ein sehr reiner
Brennstoff, welcher 9628 WE, also einen höheren Heizwert hat wie Steinkohlenteeröl,
der durchschnittlich 8600 WE beträgt. Beim Rohnaphthalin, das infolge von Oelresten
einen etwas geringeren Heizwert hat als Reinnaphthalin, kann man durchschnittlich
diesen höheren Wert doch auf nahezu 10 v. H. ersetzen. Die Fabriken sind in der
Lage, dieses Naphthalin, wie es sich aus dem Teeröl von selbst ausscheidet oder
durch Schleuderapparate aus diesem ausgeschieden wird, auch bei der heutigen Lage zu
6 bis 7 M für 100 kg abzugeben. Es ist ein fester Stoff in Form von leicht
zerdrückbaren Brocken, welcher durch seinen Gehalt an Teeröl etwas bräunlich gefärbt
und mehr oder weniger schmierig ist. Der Gehalt an Teeröl wird nie mehr als
höchstens 5 bis 6 v. H. ausmachen. Dieser Umstand bildet gar keinen Nachteil für die
Verwendung als Brennstoff, soll daher bei den Lieferungen garnicht beanstandet
werden.
Um Naphthalin (also im vorliegenden Falle Rohnaphthalin) bei den Oelfeuerungen, die
ja derzeit größtenteils mit Zerstäubersystemen betätigt werden, als Brennstoff
verwenden zu können, ist nichts weiter nötig, als dieses Rohnaphthalin, dessen
Siedepunkt bei 80 ° C liegt, in entsprechenden Gefäßen durch Erwärmung auf 80 bis 90
° in flüssigen Zustand zu versetzen. Dies kann überall sehr leicht erreicht werden.
Bei Industrieöfen wird man meistens schon durch ein entsprechendes Gefäß, welches
über dem Ofen angebracht wird, das Schmelzen des Naphthalins erreichen, bei Motoren
könnte das Kühlwasser und die Auspuffgase verwendet werden. Sehr praktisch wäre es (wo dies leicht
durchgeführt werden kann), das Schmelzen des Naphthalins durch Heißwasser, also im
Wasserbad oder durch Dampfröhren durchzuführen.
Auf Grund praktischer Erfahrungen bin ich sehr gern bereit, jedermann diesbezüglich
weitere Vorschläge evtl. kleine Skizzen auf Anfragen kostenlos zur Verfügung zu
stellen, wie auch jede weitere Auskunft zu erteilen.
Auf einen Umstand möchte ich diejenigen, die meinen Ratschlag befolgen wollen, hier
schon ganz besonders aufmerksam machen. Das Rohr, welches das geschmolzene
Naphthalin zur Brennerdüse zuführen soll, darf keiner Abkühlung ausgesetzt werden.
Meine Erfahrungen haben gezeigt, daß es nicht genügt, wenn eine solche Röhre z.B.
durch Asbestschnüre oder andere Isolierung geschützt wird, da ein Abkühlen des
geschmolzenen Naphthalins immer noch stattfinden wird, wodurch dann Verstopfen der
Leitung und Versagen der ganzen Feuerung eintritt. Die Schmelzwärme des Naphthalins,
35,5 WE für 1 kg, ist nämlich so gering, daß schon eine leichte Abkühlung den
Uebergang in den festen Zustand verursacht. Man kann aber in jedem Falle tadellos
und sicher arbeiten, wenn man das Rohr selbst vom Naphthalinbehälter bis zur Düse
durch Warmwasser ständig beheizt. Das Rohr, welches den Zulauf des Naphthalins
versieht, in ein zweites Rohr hineinzulegen und in diesem zweiten Rohr Heißwasser
zirkulieren zu lassen, verursacht gar keine Schwierigkeiten. Beim Inbetriebsetzen
wird man allerdings die Brennerdüse durch leichtes Beheizen mit einer Lötlampe usw.
in Stand setzen müssen, da sich die Bohrungen des Brenners beim Erkalten des darin
noch zurückbleibenden Naphthalins durch deren Festwerden verstopfen. Das Auftauen
kann selbstredend auch durch Uebergießen mit heißem Wasser oder Eintauchen in heißes
Wasser erfolgen. Man kann auch einige Minuten vor dem Abstellen den Brenner mit
etwas flüssigem Brennstoff, evtl. Teeröl oder Petroleum usw. ausspülen, wodurch dann
das Auftauen überflüssig wird. Dort, wo ununterbrochener Betrieb vorhanden ist, wird
diese Sicherungsvorkehrung auch nicht nötig sein. Um durch evtl. Verunreinigung eine
Verstopfung der Düse zu verhindern, ist im Naphthalinschmelzgefäß ein Drahtsieb
anzuordnen.
Rohnaphthalin ist bei den Teerdestillationsfirmen, ferner bei allen
Dachpappenfabrikanten, die selbst Destillation betreiben, zu haben und wird zu einem
Preise abgegeben, der demjenigen Preis entsprechen dürfte, welchen man im Frieden
für Teeröl bezahlt hat. Diesen Preis kann man für Rohnaphthalin getrost zahlen, denn
abgesehen davon, daß der Heizwert, wie bereits erwähnt, etwas höher ist, hat man in
der stark leuchtenden Naphthalinflamme eine tadellose Beheizung, welche in vielen
Beziehungen diejenige des Teeröls übertrifft. Daß keine leeren Fässer wie beim
Teeröl zurückzusenden sind, ist auch ein Vorteil.
Es wäre sehr zu empfehlen, wenn die Fabrikanten von Rohnaphthalin ihre
bisherigen Kunden, denen sie jetzt Oel nicht abgeben dürfen, auf die oben erwähnten
Umstände aufmerksam machen und ihnen dadurch aus der Verlegenheit heraushelfen
möchten.
Das Interesse für die von mir aufgeworfene Frage ist in allen Teilen des Landes sehr
groß, was die bei mir seit einigen Tagen eingelaufenen vielen Briefe und Telegramme
beweisen. Vorräte sind überall vorhanden. Die deutsche Jahresproduktion in Teeröl
betrug jährlich ungefähr 400000 t. Die auf Lager vorhandenen Rohnaphthalinvorräte
sollen schätzungsweise etwa 60000 t sein, also immerhin eine Menge, die einen guten
Teil der für Gewerbezwecke verbrauchten Heizöle ersetzen kann.
Wenn ein Land, von Feinden umgeben, sich im Kriegszustand befindet, so ist es
jedermanns Pflicht, nach Möglichkeit durch Verwendung einheimischer Stoffe, die als
Ersatz für andere, durch den Krieg ausfallende Betriebsstoffe dienen können, der
gesamten wirtschaftlichen Lage – soweit es nur möglich ist – abzuhelfen. Der Ersatz
des Teeröls durch Rohnaphthalin gehört in dieses Gebiet und wird, was nochmals
hervorgehoben werden soll, sowohl den bisherigen Verbrauchern von Teeröl als auch
den Erzeugern des Rohnaphthalins sehr nützlich sein. Einige Interessenten haben in
den eingelaufenen Briefen bereits der Befürchtung Ausdruck gegeben, daß ev. eine
Preistreiberei in Rohnaphthalin eintreten könnte. Andere Briefe, die von
Naphthalinerzeugern stammen, versichern, daß sie dies nicht tun würden. So
beispielsweise teilt mir eine Firma mit, daß sie bis Ende d. J. 100 Waggon
Rohnaphthalin zu dem in ohigem erwähnten Preis, dem normalen Teerölpreis, abzugeben
bereit ist. Die Verbände der Erzeuger, und zwar die Wirtschaftliche Vereinigung
deutscher Gaswerke A.-G., der Verband deutscher Dachpappenfabrikanten und die
Teerprodukten-Vereinigung werden hoffentlich das ihrige dazu beitragen, daß in
dieser Frage eine gewisse sichere Grundlage geschaffen wird. Allen deutschen
Naphthalin – Erzeugern können wir jedenfalls eine solche weitgehende vaterländische
Gesinnung zumuten, daß sie keinesfalls die Notlage ausbeuten werden. Verpflichtet
sie doch schon ihre frühere Geschäftsverbindung mit den Teerölverbrauchern dazu, daß
sie diese in der Notlage jetzt auch ihrerseits nach Möglichkeit unterstützen.
Rohnaphthalin war kein besonders gesuchter Artikel, wenn er auch im Preise nicht weit
hinter dem Teeröl stand. Wenn jetzt eine entsprechende Einführung des Rohnaphthalins
stattfindet, so wird sich das für die Erzeuger sehr reichlich lohnen. Wenn durch die
vermehrte Verwendung von Rohnaphthalin es gelingen wird, diesem Brennstoff dann auch
später in Friedenszeiten viele Freunde zu erhalten, so wird das heimische Produkt
Rohnaphthalin, welches sich bisher keiner besonderen Beliebtheit erfreut hat, seinen
Platz behaupten und dadurch der Verwendung hochwertiger Brennstoffe und der besseren
Rentabilität der Teerdestillationen nützen.