Titel: | Zur Erinnerung an die elektrische Kraftübertragung Lauffen-Frankfurt a. M. |
Autor: | G. Soberski |
Fundstelle: | Band 331, Jahrgang 1916, S. 248 |
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Zur Erinnerung an die elektrische
Kraftübertragung Lauffen-Frankfurt a. M.
Von G. Soberski,
Königl. Baurat in Berlin-Wilmersdorf.
SOBERSKI: Zur Erinnerung an die elektrische Kraftübertragung
Lauffen-Frankfurt a. M.
Dem Ernst der Zeit entsprechend ist in aller Stille ein Tag vorübergegangen, der
einen bedeutsamen Markstein und Wendepunkt fast der gesamten deutschen Industrie,
insbesondere ihres jüngsten Zweiges, der Elektroindustrie, bildet; es ist der
25-jährige Gedenktag der internationalen elektrotechnischen Ausstellung zu Frankfurt
a. M. im Jahre 1891, die nicht nur ein umfassendes Bild von dem bis dahin auf dem
Gebiet der Elektrotechnik Erreichten gab und dadurch das Interesse für dieselbe in
den breitesten Schichten wach rief, sondern vor allem auch die praktische
Anwendung eines neuen Stromsystems, des Drehstroms, in der elektrischen
Kraftübertragung Lauffen-Frankfurt a. M. der Oeffentlichkeit vorführte und in
geradezu glänzend gelungener Durchführung den Beweis erbrachte, daß dieses System in
Verbindung mit hohen Spannungen bequeme und sicher funktionierende
Kraftübertragungen auf sehr große Entfernungen ermöglicht.
Der Verband deutscher Elektrotechniker konnte naturgemäß den wichtigen Gedenktag
nicht völlig unbeachtet vorübergehen lassen; er hielt seine diesjährige Hauptversammlung in Frankfurt
a. M. ab, und Prof. Epstein (Frankfurt a. M.) gab in
einem Rückblick ein anschauliches Bild von dem Umfang und der Bedeutung der
internationalen elektrotechnischen Ausstellung vom Jahre 1891. Auch er bezeichnete
die Kraftübertragung Lauffen-Frankfurt a. M. als das bedeutsamste Objekt der
Ausstellung, und zu dessen voller geschichtlichen Würdigung hat Prof. Ruppel von der Frankfurter elektrotechnischen
Gesellschaft über das Entstehen des ganzen Planes, seine Durchführung und seine
Einwirkung auf die Entwicklung der Elektrotechnik eine Zusammenstellung der
seinerzeit in der elektrotechnischen Zeitschrift erschienenen Sitzungsberichte,
Aeußerungen einzelner Fachleute usw. veröffentlicht, die ein klares Bild liefert für
die außerordentliche Tatkraft und Verstandesschärfe, mit welcher die bei dem
Unternehmen führenden Männer den einmal gefaßten Gedanken verwirklichten, und mit
welchem geradezu prophetischem Blick sie die Bedeutung seines Gelingens für die
weitere Entwicklung der gesamten Elektrotechnik erkannten.
Als gegen Ende des Jahres 1889 der bekannte Herausgeber der Frankfurter Zeitung, Leopold Sonnemann, zum ersten Male den Plan einer
elektrotechnischen Ausstellung zu Frankfurt a. M. in einer Sitzung der dortigen
Elektrotechnischen Gesellschaft entwickelte, standen eine große Anzahl von Städten,
darunter auch Frankfurt a. M. selbst, vor der Entscheidung in der wichtigen Frage
der Aufnahme der elektrischen Beleuchtung und ihrer Verbindung mit einer zentralen
Kraftverteilung: gerade für den letzteren Zweck war kurz vorher in der Frankfurt a.
M. benachbarten Stadt Offenbach eine Druckluftanlage nach dem System Popp errichtet und für dessen Anwendung auch in Frankfurt
a. M. agitiert worden. Für das Poppsche System trat
insbesondere Prof. Riedler in Aufsätzen und Vorträgen
ein, während dessen technische Durchbildung und wirtschaftlichen Vorzüge von anderen
Seiten angezweifelt wurden. Neben dem pneumatischen Kraftverteilungssystem hatte
gerade Frankfurt a. M. selbst auch Gelegenheit, in der sogenannten Ferntriebanlage
des neuen Hauptbahnhofs das hydraulische Kraftverteilungssystem von nicht gerade
vorteilhafter Seite kennen zu lernen. Diese Ferntriebanlage, die mittels
Druckwassers von 80 at Aufzüge, Schiebebühnen, Drehscheiben, Spills und auch die
Dynamomaschinen für die elektrische Beleuchtung der gesamten Bahnhofsanlagen
antrieb, führte namentlich bei der letzteren zu so vielen Störungen, daß an den
wichtigsten Stellen für längere Zeit eine weitgehende Notbeleuchtung mit
Petroleumlampen eingerichtet werden mußte, was der ganzen Anlage den Spottnamen der
„elektrischen Petroleumbeleuchtung“ eintrug.
Es lag also in mehrfacher Hinsicht Veranlassung vor, gerade auf der geplanten
Frankfurter Ausstellung insbesondere auch die Entwicklung und die Vorzüge der
elektrischen Kraftübertragung allen Interessenten vor Augen zu führen. Der zum
stellvertretenden Vorsitzenden des Ausstellungsvorstandes gewählte frühere Direktor
der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft zu Berlin, Zivilingenieur Oscar von Miller in München (jetzt Reichsrat der Krone
Bayerns und Vorsitzender des Vorstandes des Deutschen Museums in München) griff
diesen Gedanken mit voller Tatkraft auf und gewann für dessen Verwirklichung die
Mithilfe der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft in Berlin und der
Maschinenfabrik Oerlikon in Oerlikon bei Zürich.
Am 4. Juli 1890 gelangte die erste offizielle Mitteilung über den gefaßten Plan an
den Ausstellungsvorstand durch ein Schreiben der Allgemeinen
Elektrizitäts-Gesellschaft, in welchem dieselbe sich bereit erklärte, in
Gemeinschaft mit der Maschinenfabrik Oerlikon eine dem
Portlandzementwerk Lauffen am Neckar (Württemberg) gehörige Wasserkraft von 300 PS
nach dem etwa 175 km entfernten Frankfurt a. M. zu übertragen und in der Ausstellung
für den Betrieb von Werkstätten, für Beleuchtung, zum Laden von Akkumulatoren usw.
zur Verfügung zu halten, wenn die Erstellung der erforderderlichen 350 km
oberirdische Kupferdrahtleitung (Hin- und Rückleitung) seitens der zuständigen
Behörden erfolge und das Risiko für die Kosten der Isolatoren und Drähte auf einen
bestimmten Betrag begrenzt werde. Zur Kraftübertragung sollte ein Wechselstrom
benutzt werden, welcher durch einen Transformator auf eine Spannung von etwa 30000
Volt gebracht und in Frankfurt a. M. wieder auf die Gebrauchsspannung
herabtransformiert bzw. in Gleichstrom umgewandelt werden sollte. Im Hinblick auf
die hohe Uebertragungsspannung erschien die Verwendung von Kabeln ausgeschlossen und
deshalb die Ausführung einer Luftleitung geboten.
Schon das Bekanntwerden dieser ersten Grundzüge rief Gegner des Gedankens auf den
Plan; einer derselben führte in einem Briefe an die Elektrotechnische Zeitschrift im
August 1890 aus, daß er durch längere Versuche mit Strömen bis 20000 Volt zu dem
Ergebnis gelangt sei, daß man Ströme von mehr als 15000 Volt Spannung nur mit großen
Verlusten leiten könne, da bei diesen Spannungen nicht nur Stromübergänge von dem
einen Leiter zum anderen durch die Isolatoren und direkte Entladungen durch die Luft
entständen, sondern auch, abgesehen von sonstigen Schwierigkeiten, allein durch den
Widerstand der Leitung ein Verlust von über 4000 Volt bei Anwendung von 15000 Volt,
also mehr als 25 v. H., verursacht werde; im Uebrigen würde wohl keine Regierung
oder Behörde, über deren Grund und Boden die Leitung gehen solle, wegen der hohen
Gefahr und der Einwirkung auf Telefon und Telegraf dem Plane die Genehmigung
erteilen. Im November 1890 erschien des Weiteren in der Elektrotechnischen
Zeitschrift ein Aufsatz vom Ingenieur A. Schneller,
Köln-Ehrenfeld, über die elektrische Darstellung von Ozon und die industrielle
Verwendung desselben, in welchem ebenfalls unter anderem darauf hingewiesen wurde,
daß die seiner Zeit durch Deprez unternommenen Versuche
einer elektrischen Kraftübertragung von Creil nach Paris an der Frage der hohen
Spannung scheiterten, und aus dem Verhältnis der Funkenstrecken zu den Spannungen die
Schlußfolgerung gezogen wurde, daß Dynamomaschinen von über 10000 Volt überhaupt
nicht mehr zu bauen seien.
Unbeirrt durch die gegnerischen Auslassungen brachten die eingeleiteten Verhandlungen
doch bereits am 6. Dezember 1890 eine Einigung über die Hauptpunkte des
durchzuführenden Versuches in der Weise, daß das Portlandzementwerk in Lauffen eine
300-pferdige Turbine und die Maschinenfabrik Oerlikon die
erforderliche primäre Dynamomaschine zur Verfügung stellte; die Lieferung der zur
Messung, Kontrolle und Umwandlung des elektrischen Stromes nötigen Transformatoren,
Motoren und Apparate übernahmen die Allgemeine
Elektrizitäts-Gesellschaft und die Maschinenfabrik Oerlikon gemeinsam, und beide Firmen teilten sich auch in die Kosten der
übrigen maschinellen Anlage und der Isolatoren. Die Maschinenfabrik Oerlikon übernahm ferner auch die Einrichtung einer
Versuchsanlage auf ihrem Grund und Boden, um den zuständigen Behörden Gelegenheit zu
geben, sich ein Urteil über die Zulässigkeit der Verwendung des hochgespannten
Stromes zu bilden.
Die Versuche selbst wurden an dieser Anlage in Gegenwart der behördlichen Vertreter
am 24. Januar 1891 unternommen und führten zu durchaus günstigen Ergebnissen, obwohl
sie bis auf 33000 Volt Spannung, also 10 v. H. mehr als anfänglich beabsichtigt
gewesen, ausgedehnt wurden.
Das Hauptaugenmerk war bei den Versuchen auf die Konstruktion der Transformatoren und
die Isolation der Luftleitung gerichtet. Bezüglich der Transformatoren war es von
vornherein klar, daß die gewöhnlichen Isolationsmittel bei den beabsichtigten hohen
Spannungen nicht ausreichen würden, da sie die Feuchtigkeit aus der Luft mehr oder
weniger schnell aufsaugen und in ihrer Isolierfähigkeit nachlassen. Man entschloß
sich deshalb zur Anwendung von Oeltransformatoren, für die wohl der bekannte Versuch
von Brooks vorbildlich war, der nachwies, daß eine 3 mm
starke Bespinnung, in gut isolierendes Oel getaucht, erst bei einer Spannung
durchschlägt, welche in freier Luft einen Funken von 5 cm Länge zu bilden vermag.
Für die Hochspannungsleitung gelangten von der Firma H. Schomburg & Söhne in Berlin angefertigte
Isolatoren mit einer oder mehreren Oelrinnen zur Verwendung, nachdem Vorversuche der
Maschinenfabrik Oerlikon erwiesen hatten, daß selbst bei
Spannungen von 30000 Volt und sehr feuchter Luft merkliche Ableitungen zwischen den
etwa 30 cm voneinander entfernten Hin- und Rückleitungsdrähten nicht eintraten und
die Isolationsverhältnisse nur von der Zahl und Güte der Isolatoren abhingen; die
verschiedenen Ausführungen der Isolatoren, für die die Fluid-Isolatoren von Johnson & Philips als
Vorbild dienten, zeigen die nachstehenden Abbildungen.
Die Hauptversuche erstreckten sich auf die künstliche Erzeugung von Stromübergängen
und Kurzschlüssen mit vollkommenen Erdverbindungen, auf die Wirkungen einer starken
Benässung von Leitungen, Isolatoren, Masten und Querträgern und endlich auf die
Feststellung des Einflusses der Wechselströme auf benachbarte Telefonleitungen. Die
Ergebnisse aller Versuche waren, wie bereits erwähnt, so befriedigende, daß sie bei
allen Anwesenden ein Gefühl der Beruhigung und Sicherheit hinterließen.
Nichtsdestoweniger verlauteten noch Zweifel an der Durchführbarkeit bzw. praktischen
Verwertung des ganzen Planes und führten zu lebhaften Auseinandersetzungen. Der
bereits genannte Ingenieur Schneller wiederholte, daß
nach seinen Beobachtungen und Messungen selbst bei trockener Witterung in den für
die Strecke Lauffen-Frankfurt a. M. erforderlichen 7000 Isolatoren allein etwa
100000 Watt an Ladungsverlusten entstehen würden und zu diesen noch ein weiterer
Verlust durch die sogenannten dunkelen Entladungen von
0,15 Watt/m Leitung, also etwa 26 000 Watt kämen, so daß unter Berücksichtigung der
sonstigen Nutzeffektverluste in Maschinen, Transformatoren und Leitungen von den in
Lauffen vorhandenen 300 PS in Frankfurt a. M. noch etwa 37 PS zur Verfügung stehen
würden. Dem trat der bekannte amerikanische Elektriker Chas.
Steinmetz mit dem Hinweis entgegen, daß der Ladungsverlust proportional der
Periodenzahl des Wechselstroms sei, also durch Herabsetzung der letzteren ebenfalls
vermindert werden könne, während dadurch Generatoren und Transformatoren von den
Abmessungen, wie sie bei der geplanten Kraftübertragung in Betracht kämen, in ihrer
Wirtschaftlichkeit nicht beeinträchtigt würden. In betreff der sogenannten dunkelen
Entladungen erwähnte Steinmetz, daß solche durch
Bekleidung der Leitung mit Kautschuk oder Paraffin fast vollständig zum Verschwinden
zu bringen seien, und sprach sich dann zusammenfassend dahin aus, daß er die mit
30000 Volt geplante elektrische Kraftübertragung nicht nur für durchführbar halte,
sondern lediglich für einen weiteren Schritt auf dem Wege, Kraftübertragungen für
weite Eisenbahnstrecken usw. mit Spannungen von Hunderttausenden von Volt zu
betreiben.
Textabbildung Bd. 331, S. 249
Diese Hoffnungen bezeichnete wieder Dr. Koepsel, Berlin,
schon im Hinblick auf den erforderlichen Schutz der Leitungen gegen Blitzschlag als
viel zu weitgehend und bestritt auch (wohl mit Recht) die Anwendbarkeit eines
Kautschuk- oder Paraffinüberzuges für längere, den Witterungseinflüssen ausgesetzte
Leitungen zur Beseitigung der dunkelen Entladungen, was wiederum eine Entgegnung von
Steinmetz erfuhr.
Lahmeyer erklärte in einer Sitzung der Frankfurter
Elektrotechnischen Gesellschaft am 9. Februar 1891 unter Anerkennung der Bedeutung
der von Oerlikon angestellten Versuche, daß die
elektrische Energie zwar in Form von Wechsel- bzw. Drehstrom über weite Entfernungen
bis zu den Toren der Stadt geleitet werden könne, dann aber der Gleichstrom in
Funktion treten müsse, welcher sich besser wie jeder andere, für die Licht- und
Kraftverteilung in der Stadt selbst eigne. Auch erscheine ihm das von Oerlikon versuchte System nur in wenigen Fällen
anwendbar, nämlich dort, wo es sich darum handele, große Wasserkräfte für entfernte
Gegenden nutzbar zu machen.
Demgegenüber wies schon in der gleichen Sitzung Dr. May
darauf hin, daß auch minderwertige Kohle, die keine großen Frachtspesen vertrage,
zweckmäßig auf den Zechen selbst zur Erzeugung von Elektrizität verwendet werde und
diese dann in Form von Drehstrom mit hoher Spannung zu den Gebrauchsorten weiter zu
leiten sei.
Die zuständigen Behörden erklärten sich auf Grund der in Oerlikon vorgeführten
Versuche zur Förderung des für die Ausstellung geplanten
Kraftübertragungs-Unternehmens bereit, und als erste Folge dieses Beschlusses
bewilligte Se. Majestät der Kaiser für dasselbe „in Würdigung der an die
beabsichtigten Versuche sich knüpfenden national-wirtschaftlichen
Interessen“ eine Beihilfe von 10000 M aus Reichsmitteln. Der Landgraf von
Hessen, die Frankfurter Handelskammer sowie die Frankfurter polytechnische
Gesellschaft und verschiedene Private stellten weitere Geldbeträge zur Deckung des
von der Ausstellung zu übernehmenden Kostenanteils zur Verfügung, die Kaiserliche
Reichspostverwaltung sowie die Generaldirektion der Königlich Württembergischen
Posten und Telegrafen erklärten sich gegen Zurückerstattung der Kosten für Montage
und Demontage zur Erstellung der Hochspannungsleitung für die in ihrem Bereich
liegenden Strecken bereit und die beteiligten preußischen, hessischen, badischen und
württembergischen Landes- bzw. Eisenbahnbehörden erteilten für ihre Bezirke die
Genehmigung zur Verlegung der Leitung.
Dabei war man sich durchaus klar darüber, daß bei der Hochspannung in Störungsfällen
für Personen auf der Strecke immerhin so lange eine Gefahr bestehen werde, bis die
Ausschaltapparate (Bleisicherungen, Minimalausschalter) in Wirksamkeit treten, und
Unfälle für Personen trotz aller Belehrungen und Vorsichtsmaßregeln nicht ganz zu
vermeiden sein würden. In diesem Sinne sprach sich auch Geheimrat Grawinkel vom Reichspostamt gelegentlich einer Erörterung
der Oerlikonversuche in der Elektrotechnischen Zeitschrift aus, betonte aber
zugleich, daß dieser Umstand ebensowenig Veranlassung geben könne, von der
Verwendung hochgespannter Ströme abzusehen, wie man den Eisenbahnbetrieb aufgeben
werde, weil bei ungünstigen Beleuchtungs- und Witterungsverhältnissen sowie aus
anderen Veranlassungen Unfälle nicht ausgeschlossen seien.
Am 9. Februar 1891 berichtete Direktor Brown
von der Maschinenfabrik Oerlikon in einem Vortrage
in der Elektrotechnischen Gesellschaft zu Frankfurt a. M. über die im Vorstehenden
bereits beschriebenen Einzelheiten der in Oerlikon angestellten Versuche,
insbesondere der angewendeten Oeltransformatoren, Oelisolatoren, Gestänge,
Sicherheitsapparate und Schutzvorrichtungen (Schutznetze) an den Kreuzungen der
Hochspannungsleitung mit Straßen usw. Er erklärte, daß der elektrischen
Kraftübertragung und damit der elektrischen Energie überhaupt nur unter Anwendung
hoher Spannungen zu einem vollen Siege verholfen werden könne, daß man in dieser
Hinsicht auch mit den Oerlikonversuchen bzw. dem Plane für die Kraftübertragung
Lauffen-Frankfurt a. M. noch lange nicht an der äußersten Grenze des Möglichen
stehen dürfte, und für diese Zwecke jedenfalls der Wechselstrom infolge der durch
den ruhenden Transformator gegebenen Möglichkeit einer leichten und wirtschaftlichen
Spannungsänderung dem Gleichstrom überlegen sei, selbst wenn auch von der
Erzeugungstätte bis zum Verbrauchsort eine zweimalige Abwärtstransformierung
stattfinden müsse. Brown schloß seinen damaligen Vortrag
mit folgenden prophetischen Worten, die sich voll bewahrheitet haben und seinem
technischen Scharfblick alle Ehre machen; er sagte:
„Die Uebertragung elektrischer Energie mittels Stromspannungen von z.B. 30000
Volt wird es uns ermöglichen, die Energieverteilung auf ganz große Entfernungen
auf elektrischem Wege zur Tatsache werden zu lassen, somit zur Ausnutzung so
mancher, jetzt noch schlummernden Kraftquelle führen und die Wohltaten des
elektrischen Stromes der gesamten Industrie im ausgedehntesten Maßstabe
dienstbar machen. Möge auch die elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt a. M.
dazu beitragen, neue Fortschritte auf diesem Gebiete zu erzielen und den Glauben
noch so manchen Zweiflers an der großartigen Bedeutung und Leistungsfähigkeit
der Elektrotechnik befestigen.“
Die Oerlikonversuche führten auch zu einem besonderen Erfolge hinsichtlich der
elektrischen Stromerzeugungsmaschinen und Motoren, die als Mehrphasenmaschinen unter
dem Namen „Drehstrommaschinen“ von der Allgemeinen
Elektrizitäts-Gesellschaft nach einem neuen, von ihrem Chefelektriker, von Dolivo-Dobrowolsky erdachten System ausgeführt waren.
Das Problem der Konstruktion von Dynamos bzw. Motoren mit einer größeren Anzahl von
Wechselströmen war seiner Zeit gleichzeitig auch von Bradley,
Haselwander und Wenström studiert worden,
jedenfalls gebührt aber das Verdienst der praktischen Ausarbeitung und Durchführung
des Drehstromsystems der Allgem. Elektrizitäts-Ges. Die
von von Dolivo-Dobrowolsky konstruierte
Mehrphasenmaschine (Drehstrommaschine) gab im Gegensatz zur gewöhnlichen
Wechselstrommaschine kontinuierlich elektrische Energie ab, wie eine
Gleichstrommaschine, so daß sie auch eine bessere Ausnutzung als die gewöhnliche
Wechselstrommaschine hatte. Als Motor war sie die erste, die mit voller Last anlief
und nicht synchron arbeitete, so daß bei ihrer Ueberlastung ein Stehenbleiben ausgeschlossen
war. Bei der konstruktiven Einfachheit erwies sich die neue Maschine als
außerordentlich betriebssicher und von einer Oekonomie, die die der besten
Gleichstrommaschinen noch übertraf.
Nach den günstigen Ergebnissen der Oerlikonversuche und der Erledigung sonstiger
Vorfragen wurden in einer Verhandlung am 25. März 1891 in Berlin die wechselseitigen
Verpflichtungen aller Beteiligten festgestellt; die für die Leitungsanlage
benötigten 3200 Mäste wurden von den Telegrafenverwaltungen und 60000 kg Kupferdraht
von 4 mm ∅ von der Firma F. A. Hesse Söhne in Heddernheim
bei Frankfurt a. M. leihweise überlassen. Die Lieferung der Oelisolatoren, die – wie
bereits erwähnt – die Firma H. Schomburg Söhne in Berlin
übernahm, bedingte längere Zeit, so daß für die Inbetriebsetzung der
Kraftübertragung der 15. August 1891 bestimmt wurde; auch bis zu diesem Zeitpunkte
konnten nur für ein Drittel der Strecke (Lauffen-Eberbach) große Oelisolatoren
geliefert werden, für die restlichen zwei Drittel derselben mußten kleinere
Oelisolatoren Verwendung finden; aus diesem Grunde wurde auch im Interesse der
Betriebssicherheit, obwohl sämtliche Isolatoren vor ihrer Verwendung mit einer
Spannung von über 30000 Volt geprüft wurden, während der Dauer der Ausstellung die
ursprünglich für die Energieübertragung in Aussicht genommene Spannung von 25000
Volt auf 15000 Volt herabgesetzt; nach Schluß der Ausstellung sind jedoch auch
eingehende Versuche mit 25000 Volt Spannung gemacht worden. Der unermüdlichen
Tatkraft der Behörden und Privatfirmen gelang es, die einmal bestimmten Termine fast
auf den Tag einzuhalten, und am Abend des 24. August 1891 wurde zum ersten Male
Strom durch die Leitung geschickt, wobei alles, insbesondere auch die
Sicherheitsvorrichtungen auf der Strecke, tadellos funktionierte. Am 25. Aug. 1891
wurden zum ersten Male elektrische Lampen in der Ausstellung von Lauffen aus
gespeist und vom 12. September 1891 ab waren, von dieser Kraftquelle unterhalten,
auf der Ausstellung 1000 Glühlampen, in einem großen Schilde mit der Aufschrift
„Lauffener Kraftübertragung“ vereinigt, sowie ein durch einen
100-pferdigen Elektromotor mit entsprechender Zentrifugalpumpe betätigter Wasserfall
von 10 m Höhe in täglichem Betrieb.
Die Primärstation in Lauffen erzeugte drei Wechselströme (Drehstrom), deren Phasen um
120° gegeneinander verschohen waren; die Spannung eines jeden derselben betrug 50
Volt, die Stromstärke je 1400 Ampere. Zur Spannungserhöhung in Lauffen bzw.
Spannungsherabsetzung in Frankfurt a. M. hatte die Maschinenfabrik Oerlikon je einen, die Allg.
Elektrizitäts-Ges. je zwei Oeltransformatoren von je 100000 bzw. 200000
Watt Leistungsfähigkeit für die beiden Endstationen geliefert; das
Uebersetzungsverhältnis derselben in Lauffen betrug 1 : 160, derjenigen in Frankfurt
a. M. 123 : 1.
Die die Hochspannungsleitung tragenden Mäste von 3,5 und 10 m Höhe standen in
Abständen von etwa 60 m, die Leitungstraze lief von Frankfurt a. M. bis Hanau
entlang der Eisenbahn auf der rechten Mainseite, alsdann über Babenhausen und Erbach
bis Eberbach, den Neckar aufwärts bis Jagstfeld und von da über Heilbronn nach
Lauffen. Die größten Schwierigkeiten in der Leitungsausführung lagen zum Teil in
Frankfurt selbst, wo ein sehr belebter Stadtteil zu durchqueren war, zum Teil auf
der Strecke, wo eine große Anzahl von Bahnhöfen überschritten werden mußte und fünf
lange Tunnels zu umgehen waren. Als Sicherheitsvorrichtungen waren zunächst der
Primärstation in Lauffen in jedem der drei Leitungsdrähte im Freien
Schmelzsicherungen (Kupferdrähte von 0,15 mm ∅ und 2,5 m Länge) eingebaut, die beim
Kurzschließen der Linie sofort schmolzen; zu diesem Zwecke waren in der Ausstellung
und auf allen zwischenliegenden Eisenbahnstationen winkelförmige eiserne
Kurzschließer aufgehängt, die mittels einer Schnur heruntergelassen werden konnten,
um metallische Verbindung zwischen den Leitungsdrähten herzustellen. An den Wegen
und Uebergängen wurden die Leitungsdrähte an doppeltem Stahldraht aufgehängt und bei
Kreuzungen mit Telegrafen- bzw. Telefonleitungen mit isolierenden Hüllen versehen.
Diese Schutzmaßregeln bewährten sich im Verein mit den in der Primärstation
angeordneten Minimalausschaltern sowohl bei besonders angestellten Versuchen wie
auch während der ganzen Dauer des Betriebes der Kraftübertragungsanlage.
Angesichts des vollständigen Gelingens und des Erfolges von der ersten
Inbetriebsetzung an wurde dem Kraftübertragungsversuch Lauffen-Frankfurt a. M.
ungeteiltes Lob von allen Seiten gespendet, nur die Pariser Zeitung Petit Journal
fand den Mut, seine Bedeutung in Frage zu stellen, wogegen aber die französischen
Fachzeitschriften mit anerkennenswerter Unparteilichkeit sofort Einspruch erhoben;
so schrieb das Bulletin international de l'électricité: „Wir kennen die Gründe
nicht, denen dieses voreilige Urteil entspringt; was auch das Petit Journal
denken möge, die Versuche der elektrischen Kraftübertragung von Lauffen nach
Frankfurt a. M. beweisen – unsere Unparteilichkeit macht es uns zur Pflicht,
dies anzuerkennen –, daß man in Deutschland Resultate erhalten hat, die man in
Frankreich bisher vergebens suchte.“
Auch der hervorragende französische Gelehrte Marcel
Deprez, der zuerst die Notwendigkeit der Anwendung hochgespannter Ströme für
die Uebertragung elektrischer Energie auf sehr große Entfernungen bewiesen hatte,
ohne daß es ihm jedoch gelungen war, praktische Erfolge zu erzielen, da er die hohe
Spannung nicht durch Transformation, sondern in der primären Maschine selbst zu
erzeugen versuchte, äußerte Zweifel über den wirtschaftlichen Wert der jetzt
angewandten mehrfachen Transformation, obwohl schon bei Beginn des Betriebes und
nicht voller Ausnutzung der 300-pferdigen Lauffener Turbine in Frankfurt a. M. 80
bis 100 PS zur Verfügung standen. Diesem Bedenken wurde aber sofort
entgegengehalten, daß auf die Größe des erzielten Nutzeffektes bei einem erstmaligen
Versuch dieser Art gar nicht so hoher Wert zu legen sei, da bei demselben nicht
sofort genau die richtigen Größenmaße und Verhältniszahlen für Uebertragungs- und
Uebersetzungsapparate getroffen werden könnten, und mit vollem Recht sagte der
damalige Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und Ehrenvorsitzende
der Prüfungskommission der Ausstellung, Exzellenz von
Helmholtz, der bereits in einem Bericht vom 24. Februar 1891 an den
derzeitigen Staatsminister v. Bötticher unter voller
Würdigung der mit dem Kraftübertragungsversuch verbundenen Bedenken und Gefahren
seine Bedeutung betont und die Gewährung einer staatlichen Beihilfe zu demselben
empfohlen hatte, in seiner Rede bei dem offiziellen Schluß der Ausstellung, daß die
zur Ausführung gekommene elektrische Kraftübertragung im Verein mit der Erfindung
der Drehstrommaschine von außerordentlich großer national-ökonomischer Wichtigkeit
sei; es erscheine nicht mehr zweifelhaft, daß der ausgeführte Versuch
außerordentlich gut gelungen und damit die Möglichkeit gegeben sei, eine ganze Menge
von Wasserkräften, die an abgelegenen Orten wirksam wären, für den Nutzen der
Menschheit zu gewinnen.
Abgesehen von den offiziellen Untersuchungen der Prüfungskommission, welche noch
besondere Erörterung erfahren werden, wurden während des regelmäßigen Betriebes der
Kraftübertragungsanlage in Lauffen und Frankfurt a. M. gleichzeitig regelmäßige
Beobachtungen zur Ermittlung des Nutzeffektes angestellt. Ohne Berücksichtigung der
Phasenverschiebung zwischen Stromstärken und Spannungen ergab sich eine mittlere
Leistung von 80500 Watt in Lauffen für den Betrieb von 1060 Glühlampen von 16 NK in
Frankfurt a. M., die zusammen 58000 Watt verbrauchten, was einem Nutzeffekt von 72
v. H. entsprach; in Wirklichkeit war derselbe jedoch um etwa 5 v. H. höher, da die
in Lauffen aufgenommene Energie infolge der Phasenverschiebung weniger als 80500
Watt betrug. Nebliges Wetter blieb ohne Einfluß auf den Betrieb, es war kein
direkter Stromverlust gegen Erde bemerkbar und auch die von mancher Seite
gefürchteten Ladungserscheinungen ergaben nur einen geringen Verlust.
Diese Feststellungen während des Betriebes fanden ihre volle Bestätigung durch die
offiziellen Untersuchungen der unter der Leitung von Prof. Dr. Weber-Zürich stehenden Prüfungskommission, die das Ergebnis ihrer Arbeiten
unter zahlenmäßiger Wiedergabe der vorgenommenen Messungen usw. in einem eingehenden
Berichte niederlegte; sie ermittelte den Nutzeffekt bei der kleinsten Leistung der
Lauffener Turbine zu 68,5 v. H. und bei ihrer größten Leistung zu 75,2 v. H.
Gleichzeitig stellte auch sie fest, „daß der Einfluß der Kapazität langer, in der
Luft geführter nakten Leitungen zur Fortleitung von Wechselströmen für
Energieübertragung auf den Wirkungsgrad der Uebertragung bei der Verwendung von
Periodenzahlen 30 bis 40 bis 50 so gering ist, daß derselbe in Planung
elektrischer Kraftübertragungen als ganz untergeordnete Größe behandelt werden
darf.“
Das praktische Ergebnis der Versuche mit 25000 Volt Spannung, die – wie bereits
erwähnt – nach Schluß der Ausstellung angestellt wurden, kennzeichneten die
Berichterstatter Dr. Kittler und W. H. Lindley nach genauen zahlenmäßigen Einzelangaben über die
vorgenommenen Messungen usw. mit folgenden kurzen Worten:
„Die mit einer Hochspannung von 25000 Volt und einer Periodenzahl von 24 in der
Sekunde betriebene Energieübertragung Lauffen-Frankfurt a. M. hat bei einer
Nutzleistung von etwa 180 PS einen Wirkungsgrad von ungefähr 75 v. H. ergeben.
Die zur Isolierung der blanken Leitungen verwendeten kleinen Oelisolatoren haben
sich hierbei auf das Beste bewährt.“
So klang der unter der erwartungsvollen Aufmerksamkeit aller Fachkreise und dem hohen
Interesse der breiten Oeffentlichkeit auf der Frankfurter Ausstellung vorgeführte
Versuch einer Kraftübertragung über eine weite Entfernung mittels hochgespannter
Elektrizität in einem vollen Erfolge aus und zwang auch die bei seiner Einleitung
noch Zweifelnden sowie gänzlich Unbeteiligte zu ungeteilter Anerkennung. Der
bekannte Physiker und Elektriker Silvanus P. Thompson schrieb in den Times: „Nach dem zur
Ermutigung der Elektriker und Hydrauliker glänzenden Ergebnis des Frankfurter
Versuches kann man erwarten, daß jetzt viele Pläne zur weiteren Entwicklung auf
eine sichere Grundlage gesetzt werden. Es wird offenbar nur eine Frage der
Mittel sein, ob, wie von den Elektrikern in Chicago vorgeschlagen wird, die
bevorstehende Ausstellung von 1893 eine Kraftübertragung von 1000 PS durch
Drähte aus den Niagara Fällen aufweisen wird“; und Lahmeyer entwickelte in einem Vortrage im Elektrotechnischen Verein zu
Berlin am 23. Februar 1892 eingehend mit zahlenmäßigen Belegen die Bedeutung
zentraler Krafterzeugung und ihrer Fernleitung auf elektrischem Wege für die
industrielle Entwicklung Deutschlands. Als unbedingte Voraussetzung für die
Nutzbarmachung der elektrischen Kraftübertragung erklärte er jedoch die Anwendung
oberirdischer Leitungen, und da gerade zu dieser Zeit dem Reichstage das
Telegrafengesetz vorlag, so behandelte er auch besonders die Beeinflussung der
Schwachstromleitungen durch den Starkstrom und berichtete über diesbezüglich
angestellte Versuche, die zu dem Ergebnis geführt hätten, daß die nachteiligen
Einflüsse in ausreichendem Maße durch Verdrillung der Starkstromleitungen und
Anordnung einer besonderen Rückleitung für die Schwachstromleitungen zu beheben
seien. Das Telegrafengesetz gehe deshalb zu weit, wenn es – wie beabsichtigt – die
im Interesse eines einwandfreien Schwachstrombetriebes notwendigen Aenderungen
lediglich an den Starkstromanlagen verlange; das würde letzten Endes die Verlegung
von Kabelleitungen bedingen, die durch ihre beträchtlichen Kosten die Ausdehnung der
elektrischen Kraftübertragung behindern würden, während besondere (gemeinsame)
Rückleitungen für die Schwachstromanlagen nur mit geringen Ausgaben herzustellen
wären.
Mit anerkennenswerter Offenheit erklärte Lahmeyer: „Das
glänzende Gelingen des Frankfurter Kraftübertragungsversuches und die allgemeine
Anerkennung seiner national-ökonomischen Bedeutung widerlegt die von dem
Staatssekretär des Reichspostamts, von Stephan, in den
Kommissionsberatungen zu dem Telegraphengesetz getanen Aeußerungen: „es sei
utopistisch, zu glauben, daß die Elektrizität im Wege der Verteilung im großen
Maßstabe dem Kleingewerbe nutzbar zu machen sei, denn dieselbe koste viel Geld
und lasse sich nicht an die Strippe legen“ sowie „die
Telegraphenverwaltung stehe nicht als Partei, sondern als die Vertretung des
öffentlichen Interesses und des Staatswohles da“ und verlangte zum
Schluß seines Vortrages freie Bahn für die Betätigung auf dem Gebiete der
elektrischen Hochspannung.
In welchem Maße diese geschaffen und in den späteren Jahren erweitert worden ist,
zeigt der Siegeslauf der Elektrotechnik, den nicht zum Mindesten deutsche Tatkraft
und deutsches Können durch die elektrotechnische Ausstellung zu Frankfurt a. M. im
Jahre 1891 eingeleitet haben.