Titel: | Die Maschine Mensch, ihr Wirtschaftswert und ihre Leistungsfähigkeit. |
Autor: | W. Speiser |
Fundstelle: | Band 331, Jahrgang 1916, S. 379 |
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Die Maschine Mensch, ihr Wirtschaftswert und ihre
Leistungsfähigkeit.
Von Dipl.-Ing. W. Speiser.
(Schluß von S. 371 d. Bd.)
SPEISER: Die Maschine Mensch, ihr Wirtschaftswert und ihre
Leistungsfähigkeit.
III. Steigerung des
Wirtschaftswertes
(Steigerung des wirtschaftlichen Wirkungsgrades).
Es liegt im Interesse der Volkswirtschaft, die Verhältniszahl des erreichten
Wirtschaftswertes zu den aufgewendeten Kosten möglichst hoch zu gestalten. Das kann
geschehen durch Herabsetzung des Kostenaufwandes oder durch Erzielung eines höheren
Wirtschaftswertes. Beides muß angestrebt werden und kann um so eher geschehen, als
die Verfolgung beider Ziele zum großen Teil auf dem gleichen Wege liegt. Zur
bewußten Voranarbeit in diesem Sinne finden sich erst Ansätze; aus dem, was
nächstliegende, selbstverständliche Ueberlegung gebietet, rankt sich heute erst eine
ihrer selbst bewußte, werdende Wissenschaft empor, die an hundert Zweigen tausend
Knospen zeigt und eine schöne Blüte und reiche Frucht zum Wohle der Menschheit
verspricht.
1. Auswahl der Geeigneten. Der schwerste Hemmschuh für
alle gedeihliche Entwicklung ist es, wenn eine Arbeit von Menschen geleistet werden
soll, die keine Veranlagung, keine Neigung, kurz keine 'Eignung für sie haben. Es
scheint kaum zu viel gesagt, daß heute der größte Teil aller Menschen sich mit
Arbeiten abmüht, für die er nicht geeignet ist, die ihm „nicht liegen“. Das
trifft für die geistigen Berufe in erschreckender Weise zu, aber auch für die rein
handwerksmäßige Tätigkeit, die heute so viel von ihrer früheren Vielseitigkeit und
dadurch bedingten Lebensfülle, von ihrem Charakter eingebüßt hat.
Somit drängt sich die Auswahl der Geeigneten geradezu auf
als eine der ersten, wichtigsten Aufgaben in unserem Sinne. Was bis vor kurzem in
dieser Hinsicht geschehen ist, war nur wenig, und die planlose Durchführung konnte
einen vollen Erfolg nicht in Aussicht stellen. Berufswahlberatung in den Schulen, in
neuerer Zeit namentlich auf den höheren Schulen einigermaßen ausgebaut, kann selbst
in der Form von Einzelvorträgen durch Vertreter verschiedener Berufe über ihr
eigenes Fachgebiet immer nur ein schwaches Bild von den bestehenden Möglichkeiten
geben, wird aber gerade dem jungen Menschen sehr selten ein Urteil darüber geben
können, ob er für einen zu wählenden Beruf nach seinen persönlichen Eigenschaften
tauglich ist oder nicht. Wohl noch weniger klar werden häufig dem jungen Handwerker
oder Arbeiter die Anforderungen sein, die ein bestimmter Berufszweig an ihn
stellt.Sehr zu begrüßen
sind in diesem Sinne die von der „Zentrale für wissenschaftliche und
Unterrichts-Kinematographie“ ins Leben gerufenen Vorführungen von
Kino-Films aus dem Wesen und Betrieb des Handwerks in Schulen, mit denen
bezweckt wird, das Interesse der schulentlassenen Jugend für das Handwerk zu
heben. (Zentralstelle für Lehrstellenvermittlung in Berlin.) S.
„Prometheus“ Nr. 1338 vom 19. Juni 1915, Beiblatt S.
151. Ueberdies ist es bei der heutigen Spezialisierung gerade für den
Fabrikarbeiter meistens dem baren Zufall überlassen, in welchem Gebiet dem Anfänger
eine Arbeit zufällt. Nicht zum Segen der Berufsausbildung oder der Arbeit selbst
wird die Beschäftigung dann ebenso unter dem Einfluß von Zufälligkeiten häufig
gewechselt; ein Interesse für den Beruf wird seltener und seltener. Das mangelhafte
Zusammenpassen des Arbeiters mit der Arbeit ist hierführ wohl viel mehr und viel
öfter ausschlaggebend als die so oft verantwortlich gemachte Eintönigkeit der Arbeit
selbst. Es sei übrigens betont, daß ein solcher Zwang zu einer Arbeit, für die der
Arbeiter nicht geeignet ist, nicht nur häufig durch das Vorurteil geschaffen wird,
das die Kinder eines auf geistigem Gebiet Arbeitenden stets nur wieder geistiger
Arbeit zugeführt wissen will, sondern daß auch ein gewisser Berufsstolz in einzelnen
Handwerken es dem Angehörigen oft zu seinem eigenen Nachteil verwehrt, eine Arbeit
zu suchen, die ihm besser liegt und in der er mehr leisten könnte, nur weil es sich
nicht ziemt, das erlernte Handwerk zu verlassen. Zunft- und Innungsgebräuche spielen
hier wohl noch in bewußtem oder atavistischem Sinne mit.
Dieser Zustand ist für beide Beteiligte, die Arbeit wie den Arbeiter
unerfreulich und unzweckmäßig; er ruft eine ungeheure Vergeudung von Energie und
Lebensglück hervor und setzt die an sich mögliche wirtschaftliche Ausnutzung der
verfügbaren Kraft herab. Er ist überdies eine ständige Quelle für eine große Zahl
von Unfällen im Betriebe und damit eine stets gegenwärtige, unmittelbare Gefahr für
Leib und Leben des Arbeiters.S. z.B. R.
Apt, Taylorsystem und Unfallverhütung,
„Werkstattstechnik“ 1914 S. 359. Es liegt daher nicht
nur im Interesse der Volkswirtschaft, sondern auch der Arbeiter selbst, wenn sie
sich gegen die Verwendung ungeeigneter Elemente wehrt und durch neue
wissenschaftlich ausgebaute Methoden die Feststellung der Eignung und den Ausschluß
der Nichtgeeigneten versucht.
Zu einer solchen Feststellung, wer für eine bestimmte Arbeit geeignet ist und wer
nicht, sind der Natur der Sache entsprechend in jedem einzelnen Falle drei
Untersuchungsreihen anzustellen: Das Studium der Arbeit, das des Arbeiters und
endlich der Wechselbeziehungen zwischen beiden.
Das Studium der Arbeit selbst, d.h. der einzelnen
Arbeitsvorgänge und ihrer Eigentümlichkeiten, ist in einzigartiger, bis dahin nicht
gekannter Weise ausgebaut worden durch F. W. Taylor und
seine Schule. Sein Name und das Wesen seines Vorgehens sind der heutigen Industrie
bekannt. Andere Gebiete des Arbeitslebens fangen an, mit Staunen einzusehen, daß
seine Maßnahmen fast auf alle Zweige menschlicher Arbeitsverrichtungen, körperliche
wie geistige Tätigkeit anwendbar sind und überall, wo sie zur bewußten Anwendung
gelangen, ungeahnte, zum Teil ans Märchenhafte grenzende Erfolge aufweisen. Taylors Vorgehen ist im wesentlichen gekennzeichnet durch
eine planmäßige Zergliederung jedes Arbeitsvorganges in seine kleinsten
Einzelverrichtungen, so daß für diese einzelnen Arbeitselemente die
Ausführungsbedingungen unabhängig von den benachbarten untersucht werden können. Für
diese werden dann in weiterer planmäßiger Untersuchung die erforderlichen Bewegungen
und ihr Zeitbedarf festgestellt, um gleichzeitig zu finden, welches der
zweckdienlichste Vorgang bei der Ausführung ist. Werden dann die auf ihre
zweckentsprechendste Form gebrachten einzelnen Arbeitselemente zu einer ebenfalls
wieder planmäßig untersuchten zweckmäßigsten Reihenfolge zusammengestellt, so ist
für einen Arbeitsvorgang das geleistet, was Taylor die
„Uebertragung der Geschicklichkeit“ nennt: Das geistige Schaffen des
wissenschaftlichen Untersuchers hat für den Handarbeiter den Weg zu bester, arbeit-
und zeitsparender Ausführung ausgemittelt. Dieses, von Taylor hauptsächlich für Industriearbeit, also vorwiegend körperliche
Arbeit angewandte Verfahren läßt sich mit geeigneter Ueberlegung sehr wohl auch auf
geistige Arbeit ausdehnen. Beispiele dafür bieten unsere verschiedenen
Rechenverfahren, man denke an das Wurzelziehen oder an die verschiedenen
Schnellrechenmethoden, an Ferrol u.a.
Für den vorliegenden Zweck, die Auswahl der für eine bestimmte Arbeit
Geeigneten, ist von besonderer Wichtigkeit die Zerlegung der Arbeit in ihre
Elemente, da sie das beste Mittel in die Hand gibt, Wesentliches von Unwesentlichem
zu scheiden und die Erfüllbarkeit der wesentlichen Bestandteile durch den zu
Prüfenden festzustellen. So bewegen sich wohl alle Bestrebungen auf diesem Gebiet in
diesem Sinne. Taylors Vorgehen fand eine begeisterte
Anhängerschaft, um so- mehr, als seine Erfolge auf industriellem Gebiet überraschend
groß waren. Die Namen Sinclair, Gannt, Gilbreth sind
jedem Betriebstechniker bekannt; viele arbeiten daran, das System weiter auszubauen
und es für andere Gebiete nutzbar zu machen.
Das Studium des Arbeiters in bezug auf seine Arbeit ist
mit der Feststellung der bloßen mechanischen Leistungsfähigkeit bei weitem nicht
erschöpft. Die heutige, aufs höchste spezialisierte Arbeit verlangt, (und
ermöglicht!) die Heranstellung von ebenfalls aufs höchste spezialisierten Arbeitern;
dadurch ist aber unmittelbar gesagt, daß bestimmte Sondereigenschaften in jedem
einzelnen Falle ausschlaggebend sein werden für die Eignung, während die Bedeutung
anderer mehr oder weniger, vielleicht ganz zurücktreten kann. Diejenigen
Eigenschaften herauszufinden, die beim Einzelnen hervorstechen, die ihn also für
bestimmte Berufsarbeiten besonders geeignet oder ungeeignet erscheinen lassen, und
ihre wissenschaftlich einwandfreie Feststellung, gewissermaßen also eine allgemeine
Inventuraufnahme der Fähigkeiten des Menschen, ist daher die vornehmste Aufgabe,
wenn jeder Arbeit der geeignete Arbeiter zugeführt werden soll. Auch dies ist noch
wissenschaftliches Neuland.
Gewissermaßen als Vorarbeiten zu betrachten sind die Untersuchungen KräpelinsE. Kräpelin, Die Arbeitskurve, Wundts philosophische Studien, Bd. XIX (Wundt-Festschrift), auch
als Sonderdruck, Leipzig 1902. über die Arbeitskurve, d.h. über
den Einfluß, den Uebung, Ermüdung, Anregung, Gewöhnung usw. auf den Verlauf der
Arbeit haben, ferner die großartige Zusammenstellung M. WebersMax Weber, Zur Psychophysik der industriellen
Arbeit. Arch. für Sozialw. und Sozialpol. Band 27 bis 29,
1908–09. über die bis dahin vorliegenden Ergebnisse der industriellen
Psychophysik. Unter der Führung MünsterbergsMünsterberg,
Psychologie und Wirtschaftsleben, Leipzig 1912; Grundzüge der Psychotechnik,
Leipzig 1914. bestehen sodann sehr bedeutsame Anfänge, aber sie
sind naturgemäß im allgemeinen erst auf einzelne Sonderfälle und Untersuchungen
beschränkt.S. z.B. Schriften
des Vereins f. Sozialpolitik, Bd. 133, 1910: Marie
Bernays, Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft in der
geschlossenen Großindustrie; Band 134, 1910: v. Bienkowski, Hinke, Heiß, Deutsch und Landé, Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft in der
Maschinenindustrie, darin besonders die Arbeit von Bienkowski: Untersuchungen über Arbeitseignung und
Leistungsfähigkeit der Arbeiterschaft einer Kabelfabrik.
Praktische
Anwendungen sind bisher selten.Ein
gegenwärtig besonders interessantes Beispiel für die Anwendung
wissenschaftlicher Verfahren zur Auswahl Geeigneter bieten die Prüfungen der
französischen Militärbehörde für Flieger, über welche der „Matin“
berichtet (nach Berl. Tageblatt Nr. 172 vom 3. April 1916):„Die
physiologischen Prüfungen, die man jetzt auf Grund der gemachten
Versuche mit den angehenden Aviatikern vornimmt, sind für den Laien so
mysteriös wie die seltsamen Riten bei der Aufnahme in einen Geheimbund.
Der Fliegerkandidat muß mit beiden Armen lange Zeit rhythmische
Bewegungen ausführen, die auf der Registriertrommel eines
Kontrollapparates bezeichnet werden und deren Resultat sich durch irgend
einen geheimnisvollen Vorgang automatisch in Kilogrammetern ausdrückt.
Dann werden die Regelmäßigkeit der Atembewegung und der Herztätigkeit
überprüft. Hierzu ist ein ganzes System von Apparaten ersonnen worden.
Dies sind aber nur Vorprüfungen. Besteht sie der Kandidat mit
zufriedenstellendem Erfolg, so beginnt die eigentliche Prüfung. Zu
diesem Zweck wird eine heftige Sensation für die Sehnerven oder das
Tastgefühl des Patienten, wenn man so sagen darf, inszeniert. Diese
Ueberrumpelung trifft völlig unerwartet ein und besteht meist im
Aufblitzen eines Magnesiumlichtes oder in einer Detonation oder in einem
Guß eiskalten Wassers. Es hängt von dem Grade der Selbstbeherrschung des
Prüflings ab, ob er diesen Ueberraschungen ohne äußerliche Kennzeichen
der Aufgeregtheit zu begegnen weiß. Jedenfalls verzeichnen die
Registriertrommeln unbarmherzig jedes Zittern der Hand, jede
Beschleunigung des Atmens und des Herzschlages. Kann man auch durch
einen starken Willen diese Erscheinung beherrschen, so verrät doch der
Organismus durch seine mehr oder weniger heftigen Reflexbewegungen den
wahren Zustand des Nervensystems. Da aber der Flieger nicht nur
moralisch, sondern auch physiologisch nicht aus der Fassung gebracht
worden darf, scheinen diese Prüfungsmethoden die einzig brauchbare
Handhabe zur Beurteilung seiner Eignung zu bieten. Der Flieger darf
keine Ermüdung kennen und muß der Gefahr stets ins Auge blicken können.
Sein Organismus muß daher der leisesten Willensregung unverzüglich
gehorchen. Die bisher gemachten Erfahrungen gestatten es, einige Normen
für den Flieger aufzustellen. Die Arbeitsleistung seiner Armmuskeln muß
150 bis 200 Kilogrammeter betragen, ohne daß sich der Rhythmus der
Bewegung verlangsamt, was den Beginn der Erschöpfung anzeigt. Die
Zeitdifferenz zwischen der Wahrnehmung einer Gleichgewichtsstörung und
der Reaktion auf diese Wahrnehmung darf nur zwischen 15 und 23 Hundertel
einer Sekunde schwanken. Ferner darf die normale organische Reaktion auf
eine Sensation, die im Zittern der Hände und im schnelleren Atem zum
Ausdruck kommt, nicht anhalten. Sie muß ihr Maximum bereits im Moment
der Wahrnehmung erreichen und darf sich nicht weiterhin
äußern.“ Es fehlt noch der weitere systematische Ausbau, die
Durchbildung eines umfassenden Verfahrens, das die erwähnte
„Inventuraufnahme“ übersichtlich und restlos gestattet. Aber auch hieran
wird gearbeitet. Sehr bedeutsam ist der Versuch Piorkowskis,Beiträge zur
psychologischen Methodologie der wirtschaftlichen Berufseignung, Leipzig
1915. (Beihefte zur Zeitschr. f. angew. Psychologie u. psychol.
Sammelforschung Nr. 11.) die einzelnen Berufsarten je nach ihren
Anforderungen an Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit, Ermüdbarkeit,
Konzentrationsfähigkeit usw. in verschiedene Gruppen einzuteilen und so auf
psychologischer Grundlage ein Berufsschema zu schaffen, in dem gänzlich
unqualifizierte, spezialisierte industrielle, „mittlere“ und „höhere“
Berufe unterschieden werden je nach den Ansprüchen, die sie an die einzelnen
psychologischen Eigenschaften und ihre Verbindungen stellen.
Wenn nunmehr in diesem Sinne die Wechselbeziehungen zwischen
Arbeit und Arbeiter festgestellt sind, nämlich was die Arbeit verlangt und
was der Arbeiter bietet, so kann mit viel größerer Wahrscheinlichkeit als bisher der
geeignete Mann der ihm passenden Arbeit zugeführt werden – zum Wohl des Arbeiters
und der Arbeit, ein Ziel, des Schweißes der Edlen wert, denn nichts ist
erstrebenswerter, als die Befriedigung an der täglichen Arbeit, eine Befriedigung,
die unbedingt unterbunden sein muß, die im Keim erstickt werden muß, wenn der
Arbeiter seiner Arbeit nicht gewachsen ist, wenn er sie fürchten oder hassen muß.
Und man sehe mit offenen Augen umher, wie unendlich häufig dieser Zustand besteht,
wie unendlich viel Elend und innerste Unzufriedenheit aus diesem Mißverhältnis
zwischen Arbeiter und Arbeit entspringt.
Freilich besteht gerade bei dem restlosen Ausnutzen der Leistungsfähigkeit des für
seine Arbeit Geeigneten eine ständige Gefahr für diesen selbst, die von den
sachlichen und politischen Gegnern des Taylorismus immer wieder betont wird:
die Ausbeutung der gesamten Kraft in der Form des Raubbaues und damit die baldige
gänzliche Erschöpfung des Arbeiters. Zwar liegt das keineswegs unmittelbar in der
Absicht des Taylorsystems, im Gegenteil soll ja die beabsichtigte Mehrleistung
gerade dadurch ermöglicht werden, daß Widerstände aus dem Wege geräumt werden,
Kräfteverluste bei der Arbeit vermindert werden. Das ist richtig; aber wenn auch
dadurch die Bewältigung des ursprünglichen Arbeitsausmaßes mit geringerer
Anstrengung möglich wird, so wird doch als selbstverständliche Folgerung der weitere
Schritt getan, die somit freiwerdende Arbeitskraft zur Bewältigung neuer Arbeit
heranzuziehen. Und dabei darf nicht vergessen werden, daß die so erzielte Mehrarbeit
häufig einen sehr erheblich vermehrten Energieumsatz im Körper, d.h. mehr Nahrung
und deren Verarbeitung verlangt, wodurch einmal der erzielte Mehrverdienst zum Teil
wieder aufgebraucht wird, außerdem aber an die Leistungsfähigkeit der
Verdauungsorgane und des Herzens Ansprüche gestellt werden können, die über das
Erfüllbare hinausgehen und damit eine Dauerabgabe der verlangten Arbeitsleistung
ohne ernsthafte Gesundheitsstörungen unmöglich machen, – ohne daß der Zustand einer
Tagesübermüdung merkbar in die Erscheinung tritt.H. Boruttau, Die
Arbeitsleistungen des Menschen, Berlin-Leipzig 1916. B. G.
Teubner.
2. Erziehung und Ausbildung. Ist für die Heranstellung an
eine bestimmte Tätigkeit zur gedeihlichen Arbeit die Auswahl des geeigneten
Arbeiters eins der wichtigsten Erfordernisse, so ist demnächst zu fragen, woher
diese Eignung erworben wird. Neben der natürlichen persönlichen Anlage trägt
natürlich die gesamte; Erziehung, häufig schon im frühesten Kindesalter, dann in der
eigentlichen Schulzeit dazu bei, Fähigkeiten zu wecken und zu entwickeln, die für
die spätere Berufswahl ausschlaggebend sind oder sein sollten. Es sollte eine
Hauptaufgabe der Schule sein, zunächst die im Schüler überhaupt vorhandenen Fähigkeiten zu
wecken und zu entwickeln, jeden Zweig der Veranlagung und des Interesses zu
möglichst hoher Blüte zu bringen. Es sollte der Abschluß der Arbeit der niederen
Schule sein, die Anlagen und Fähigkeiten des Schülers so weit herauskristallisiert
zu haben, daß mit bewußter Auswahl auf Grund der erwiesenen Eignung die Zuteilung
zur weiteren Vorbereitung für bestimmte Berufsgruppen erfolgen kann. Die weitere
Schulbildung, – Mittelschule, Fachschule, Hochschule, Fortbildungsschule,
Lehrlingsschule usw. – hat dann für Weiterbildung im Sinne der vorhandenen
Fähigkeiten und tunlichst der Neigungen zu sorgen. Damit soll nicht auf eine
Spezialisierung hingearbeitet werden, – obwohl sie bei der Art unserer heutigen
Arbeitsverteilung fast unvermeidlich ist, sie kommt von selbst – sondern es soll
auch hier bereits bewußt versucht werden, den geeigneten Menschen auf die geeignete
Stelle zu führen. Nur so kann Zufriedenheit und Befriedigung an der Berufsarbeit,
die so vielen Menschen verloren gegangen ist, für die Allgemeinheit wiedergewonnen
werden. Die Gestaltung unserer heutigen Arbeitswelt ist so vielgestaltig, daß jeder
Veranlagung ein Platz an der Sonne neigungsgemäßer Berufstätigkeit geschaffen werden
kann.
Im einzelnen arbeiten heute ja allenthalben Schulleute und Berufsvertreter in engem
Zusammenschluß, um in den verschiedenen Berufszweigen die Ausbildung des Nachwuchses
so zu gestalten, daß möglichst viele „Geeignete“ dem Beruf zugeführt werden
können. Namentlich die Industrie leistet Großes an planmäßiger Durchbildung in
Fortbildungs- und Lehrlingsschulen.Technik und
Wirtschaft 1911, 1912, 1913, Aufsätze von Frölich, von
Rieppel, Lippart, Mühlmann, Waldschmidt. Mit der
wachsenden Erkenntnis von dem erheblichen Wirtschaftswert des Menschen, mit dem
Klarwerden darüber, wie ungemein gut sich eine sorgfältig durchgeführte, wenn auch
noch so kostspielige Erziehung rentieren kann, wenn sie dem geeigneten Menschen
zuteil wird, entstehen großzügige, weitblickende Vorschläge zur bewußten Ausnutzung
dieser Tatsachen. Man lese W. RathenausW. Rathenau, Zur
Kritik der Zeit, Berlin 1912. Ausführungen „Geschäftlicher
Nachwuchs“. Am weitesten ausgesponnen hat diesen Gedanken, wenn auch nicht
in der Absicht, den Nachwuchs für bestimmte Berufstätigkeiten sicherzustellen, W.
OstwaldW. Ostwald, Der energetische Imperativ. 1. Reihe,
Leipzig 1912, S. 444. in seinen Vorschlägen zur „Züchtung des
Genies“. Er sucht im Verfolg einer vergleichenden Feststellung über die
Herkunft und Erziehung vieler als Genies zu betrachtender Menschen ihre
„Lebensbedingungen“ zu ermitteln und schlägt nunmehr vor, etwa jährlich
eine Anzahl junger Leute, die nach diesen aus der Erfahrung gewonnenen
Voraussetzungen eine gewisse Wahrscheinlichkeit bieten, sich bei entsprechender
Entfaltungsfreiheit zu „Genies“, zu überragenden Menschen zu entwickeln,
auszuwählen und ihre Fortentwicklung durch Ausdemwegeräumen aller Hemmnisse zum
Wohle der Gesamtheit, der Menschheit, mit allen Mitteln zu fördern.
3. Rationelle Arbeitsmethoden. Wird durch geeignete
Ausbildung und Erziehung der Mensch für eine bestimmte Art der Arbeit vorbereitet,
und geeignet gemacht, so kann durch sinnentsprechende Durchbildung der Arbeitsweise
auch auf der Seite der zu leistenden Arbeit selbst für eine Steigerung des
Wirkungsgrades der Arbeitsverrichtung außerordentlich viel getan werden.
Von den Untersuchungen Taylors über die Zusammensetzung
der einzelnen Arbeitsvorgänge aus kleinsten Weg- und Zeitelementen wurde bereits
gesprochen. Sie ermöglichen Abkürzungen und Vereinfachungen der Vorgänge durch Weg-
und Zeitersparnis. Die „Uebertragung der Geschicklichkeit“ bezweckt, die
Ergebnisse dieser theoretischen Untersuchungen, die der einzelne Arbeiter bei seiner
Arbeit natürlich selbst nicht anstellen kann, der arbeitenden Gesamtheit nutzbar zu
machen.
Auch auf die Bedeutung der Pausen in der Arbeit, ihrer Länge und Verteilung, wurde
bereits andeutungsweise hingewiesen. Damit im Zusammenhang steht nicht allein die
Verteilung der Arbeitszeit am einzelnen Tage mit ihrem Einfluß auf die körperliche
und geistige Ermüdung, sondern in hohem Maße auch die absolute Länge der Arbeitszeit
sowie die Unterbrechungen durch Sonntage, freie Samstagnachmittage und
Erholungsurlaub, ganz besonders im Sinne ihres Einwirkens auf das Gemüt, auf
Stimmung und Arbeitsinteresse. Auch hier stehen wir erst in den Anfängen bewußter,
wissenschaftlicher Klärung, nachdem zunächst diese Fragen unmittelbar praktisch
erprobt wurden der Hauptsache nach in der Form des wirtschaftlichen Kampfes des
Arbeitnehmers, der für sich günstige Arbeitsbedingungen suchte, und des
Arbeitgebers, der eine möglichst hohe Ausnutzung des Arbeiters anstrebte. Während
der Einfluß der Tagesermüdung auf die zweckmäßige Länge der täglichen Arbeitszeit
noch verhältnismäßig leicht übersehen und durch Versuche bestimmt werden kann,
werden die Verhältnisse bei der Betrachtung der WochenermüdungS. Bienkowski a. a.
O., ferner M. Bernays, Untersuchungen über die
Schwankungen der Arbeitsintensität während der Arbeitswoche und des
Arbeitstages (Schriften d. Ver. f. Sozialpol., 135 IV, Leipzig
1912. schon erheblich verwickelter und der Einfluß eines
Erholungsurlaubs im Jahr liegt zwar menschlich und individuell klar auf der Hand, es
würde aber zeitlich sehr ausgedehnte Versuchsreihen erfordern, ihn unmittelbar
zahlenmäßig in bezug auf den Arbeitsertrag nachzuweisen.
Unter den Mitteln zur Rationalisierung der Arbeitsmethoden ist von besonderer
Bedeutung die Mechanisierung der Arbeit, d.h. die Abtrennung der rein mechanischen
Tätigkeit von der mit geistiger Arbeit verbundenen. Die tägliche Erfahrung zeigt,
daß eine große Zahl von häufig vorzunehmenden Arbeiten unter dem Einfluß der Uebung
viel zweckmäßiger, d.h. schneller und mit geringerem Energieaufwand ausgeführt
werden, wenn dabei
das Denken vollständig ausgeschaltet wird bzw. durch andere Mittel ersetzt wird, die
wohl ursprünglich auch auf einem Denkvorgang beruhen, in ihrer Anwendung aber gerade
zur Ausschaltung der Denkarbeit bestimmt sind. Für die rein körperliche Arbeit
geschieht dies häufig in der Gestalt der Rhythmisierung, über die uns Karl Bücher sein bekanntes, schönes Buch geschrieben
hat.Karl Bücher, Arbeit und Rhythmus, 4. Auflage.
Leipzig 1909. Die Arbeitslieder der Handwerker, der Gleichschritt
und sonstige „Drill“ der Soldaten, das taktmäßige (und damit Pausen
vermeidende) Zuschlagen der Schmiedehämmer sind Beispiele.
Aber auch ohne Verwendung des Rhythmus ermöglichen besondere Vorrichtungen die denkfreie Erledigung von Arbeiten, die anders ohne sehr
zeitraubende und anstrengende Denkvorgänge nicht durchführbar wären. Man denke, um
nur einige naheliegende Beispiele aufzuzählen, an die für den Techniker ganz
unentbehrlich gewordene Benutzung des Rechenschiebers, an das Heer unserer
neuzeitlichen Büromaschinen, ja, schließlich gehört hierher die einfachste
Schablone, die sich ein Handwerker herstellt, um unbequeme Messungen und dergl. zu
ersparen. Das ganze große Gebiet der Normalisierung hat in der heutigen Technik eine
so gewaltige Bedeutung, weil durch Normalisierung das energieraubende,
kraftzerstörende Denken an Kleinigkeiten entbehrlich und damit der Kopf und die Zeit
frei wird für größere Aufgaben.
Zu dem Gebiet der rationellen Arbeitsmethoden gehören ferner auch die Erkenntnisse
der neueren Zeit, die die Umgebung der Arbeit, d.h. den Arbeitsraum und die
sonstigen Arbeitsverhältnisse zweckdienlich im weitesten Sinne auszubilden streben,
Gute Beleuchtung, Ordnung, Reinlichkeit, Unfallsicherheit bedeuten eine Förderung
der Wirtschaftlichkeit, weil sie nicht nur vom Standpunkt der Gewerbehygiene und
Unfallverhütung eine größere Sicherstellung der Arbeiterschaft gewährleisten,
sondern außerdem einfach durch ihren wohltuenden Einfluß eine läuternde Wirkung auch
auf die Arbeit und die Art ihrer Ausführung ausüben.
IV. Bewertung der
Nebenprodukte.
In der Industrie versteht man unter „Nebenprodukten“ jene Erzeugnisse, die bei
fast jedem Industriebetrieb gewissermaßen nebenher entstehen, neben dem eigentlichen
Hauptarbeitsvorgang, die früher infolgedessen wenig oder garnicht beachtet,
gewöhnlich als lästig empfunden, heute häufig mit so hohem Erfolge nutzbar gemacht
werden, daß ihre Bedeutung hier und da fast die des Haupterzeugnisses übersteigt.
Als bekanntestes Beispiel sei an die Nebenerzeugnisse der Leuchtgasherstellung
erinnert, die uns eine schillernde, segenspendende Welt von Farbstoffen und
Heilmitteln darbieten.
Wenn wir den Vergleich des Menschen mit einer Maschine bis zum Ende durchführen
wollen, so können wir nicht umhin, auch hier einen Blick auf das Gebiet der
Nebenerzeugnisse zu werfen; und wir werden sehen, daß auch dieser Blick in ein
farbenfrohes, segen- und lebensvolles Gebiet fällt – um so lebensvoller, als ja
die Arbeit nicht von Natur an als das Hauptgebiet menschlicher Entfaltung gelten
kann, sondern da das, was den Menschen eben zum Herrn der Natur macht, was ihn
befähigt, die Kräfte der Natur zur Arbeit für ihn zu zwingen, abseits liegt von
jener mechanischen und intellektuellen Arbeit im Sinne der nur kaufmännisch
wertenden Industrie.
1. Sächliches. Abgesehen werden kann in diesem
Zusammenhange von einem näheren Eingehen auf die unmittelbare Verwertung und
Bewertung der Stoffe, die der Körper ausscheidet, und die noch eine gewisse Menge
dort nicht ausgenutzter Wärmewerte mitnehmen, ebenso auf die Ausnutzung der
städtischen Abwässer und des Hausmülls, die ja letztenendes ebenfalls als
Nebenerzeugnisse der menschlichen Lebenshaltung gelten müssen.
Im Hinblick auf die Erwägungen zu Anfang dieser Arbeit erhellt ohne weiteres die
große wirtschaftliche Bedeutung der Kinder-Erzeugung und Aufzucht, die ja vom
arbeitenden Menschen gewissermaßen nur „im Nebenberuf“ betrieben wird. Die
Gründung der Familie, der Aufbau und Ausbau von Haus, Hof, Garten, von Ackerland,
Kleinviehzucht – das alles sind Wertschöpfungen, die die „Maschine Mensch“
„nebenher“ leistet. Blickt man dazu auf die unübersehbaren Werte, die gerade
der in unserem heutigen Großbetriebe arbeitende Mensch zum Beispiel allein infolge
der Befriedigung seines Wohnbedürfnisses für sich und die Allgemeinheit schafft
durch Aufschließung von Bauland, Ausbau von Wohnkolonien, Gartenstadtanlagen, usw.
und drückt alle diese Werte, so weit sie überhaupt durch Zahlen ergreifbar sind,
durch Geldwerte aus, so ergibt sich – man denke an unseren oben entwickelten Begriff
des „kaufmännischen Wirkungsgrades“ – ein Wirkungsgrad für diese menschliche
Maschine, der das Zurückbleiben ihres mechanischen Wirkungsgrades hinter dem der
mechanischen Maschine reichlich wettmachen dürfte.
2. Geistiges. Aber mehr. Und weiter. Während wir den
Menschen als Maschine betrachten, wollen und dürfen wir nicht vergessen, daß dem
Menschen als lebendem, denkenden Wesen nun einmal die Hergabe bloßer Nutzarbeit
nicht möglich ist. Wir stecken heute so in der Arbeit drinnen, daß uns bisweilen
fast das Gefühl dafür zu verschwinden droht, daß doch die Arbeit für den Menschen
nicht Selbstzweck ist, sondern nur Mittel zum Hauptzweck, zum Leben. Und da die
höchsten Güter des Menschenlebens nicht im Sattessen, sondern im Geistigen liegen,
ist es nötig, die Arbeit in den Dienst des Geistigen zu stellen. Und zwar je
unmittelbarer, desto besser, möglichst nicht erst auf dem Umwege über den Erwerb
materieller Güter, mit denen dann geistige Genüsse käuflich sind. Die Arbeit selbst,
unmittelbar, soll uns das Leben verschönen.
Daß sie das kann, weiß, wer jemals ernsthaft gearbeitet hat.
Den Bedingungen nachzuspüren, wie sie es kann, ist heiligste Pflicht, zum Wohle
aller, die ihr Brot erarbeiten müssen.
Auf die oft erörterte Frage, wie es kommt, daß heute so viele unzufrieden mit
ihrer Arbeit sind, während früher – in der guten alten Zeit, als es noch keine
Maschinen gab – die Menschen Befriedigung an ihrer Arbeit fanden, ist eine
umfassende Antwort nicht leicht; dagegen liegt ein Teil der Ursachen klar und leicht
greifbar zutage (sofern man die Voraussetzung der Frage, die allgemein größere
Zufriedenheit mit dem Tagewerk in früherer Zeit überhaupt als gegeben hinnehmen
will).
Abgesehen davon, daß, wie oben ausgeführt, heute häufig nicht der rechte Mann an den
rechten Platz gesetzt wird (was früher, wo das ruhigere Arbeitstempo wohl ein
bedächtigeres Auswählen zuließ, wahrscheinlich leichter zu ermöglichen war), hatte
tatsächlich – das sollen auch wir Ingenieure, die Schöpfer und Verteidiger der
Maschine, uns vor Augen halten – die Arbeit des früheren Handarbeiters viel mehr
Wesenseigenes in sich als die des heutigen, der gar zu oft – noch! – gedankenlos und
ohne die Möglichkeit vielen Denkens „die Maschine bedient“. Aber unablässig
ist ja die Technik bemüht, ihm diese Bedienungspflicht – Bedientenpflicht –
abzunehmen, den Sklaven zu befreien und ihn zum Herrn der Maschine zu machen, zum
geistigen Leiter der unter seiner Führung arbeitenden
mechanischen Naturkraft. Wir sind auf dem Wege!
Ein weiterer Grund ist neuerdings, wenn auch in anderem Zusammenhange, wieder einmal
recht einleuchtend dargelegt worden von dem englischen Kunstgewerbler W. R. Lethaby.Deutscher
Werkbund: Englands Kunstindustrie und der deutsche Werkbund. 2. Aufl.
München 1916. S. 24 ff. Er weist auf den Wert der künstlerischen
Tätigkeit auch im Handwerklichen hin: „Es ist etwas Ungeheuerliches, daß während
etwa vor hundert Jahren die große Masse der Bevölkerung künstlerische Handwerke
ausübte, wie etwa Stiefelmachen, Büchereinbinden, Stühletischlern, Schmieden und
dergleichen, jetzt ein großer Keil zwischen den Handwerker und seinen Kunden
durch die Massenherstellung mittels Maschinen getrieben worden ist. Wir können
nicht zurückgehen, das ist wahr; es ist ebenso wahr, daß wir nicht stehen
bleiben können, wo wir sind.“ Und er zieht dann – für das englische
Kunstgewerbe – den Schluß, den längst vor ihm das mit seinen Zielen im deutschen
Werkbund vereinigte deutsche Kunstgewerbe gefunden hat, daß die bewußte Ausnutzung
der technischen und mechanischen Eigenheiten und Möglichkeiten der Maschinenarbeit
im Verein mit einer Neubelebung des leider zum Teil verloren gegangenen oder
verschütteten Gefühls für die Eigenheiten des Baustoffs, für Form und Farbe, sehr
wohl eine Durchgeistigung der Handwerksarbeit ermöglicht und damit den Handarbeiter
selbst auf eine ganz neue, erhabene Höhe weiteren Blickes, froherer Arbeit und
höherer Arbeits- und Lebensfreude gelangen läßt. Eine Neubelebung der Arbeitsfreude,
der Kunstfreude, des Sinnes für den Adel der Arbeit und des Werkes, der Ware.
„Nur wer vom Sinn für Qualität durchdrungen ist, kann eine Ware erzeugen, die
das Vertrauen (des Käufers) rechtfertigt. Ein Unternehmen, das Vertrauenswäre
herstellt, muß in jedem Mitarbeiter den Sinn für Qualität wecken und
vertiefen. Dazu gehört, daß alles, was die Qualitätsarbeit umgibt, ihrer würdig,
also gut und schön gestaltet sei. In edler Umgebung gedeiht edle Arbeit“ –
schrieb ein großes Industriewerk über seinen Schauraum auf der Werkbundausstellung
in Köln.Max Eisler, Oesterreichische Werkkultur. Wien
1916. S. 66. Ausstellungsraum der Tiegelgußstahlfabrik
Poldihütte.
Wie edel die Umgebung der heutigen Industriearbeit sein kann, das lehren uns die
Paläste der Arbeit, die mehr und mehr die heutige Industrie sich schafft. Mehr aber
und von dem natürlichen Adel der Geburt zeugt die Schönheit der Arbeit selber in
ihren eigenen Lebensformen, wenn wir sie mit Auge und Herz aufzufassen wissen. Die
Kunst – und die Größten der Kunst – haben oft genug gerade in den letzten
Jahrzehnten an die Stätten der Arbeit geführtArthur Fürst, Das Reich der Arbeit (in der
Sammlung „Leuchtende Stunden“ von Franz
Goerke). Berlin-Charlottenburg 1913. Vitaverlag. und
ihre Schönheit offenbart. Möchte das Empfinden für diese große Schönheit mehr und
mehr Allgemeingut werden, möchte es vor allem auch dem aufgehen, den es am meisten
angeht, dem Arbeiter selber, daß er sich einfühlen, sich heimisch fühlen möge in
seinem Reich, in dem schönen Reich der wertschaffenden Arbeit!
Weiter aber müssen wir das Auge schulen, um recht das Edle und Veredelte unserer
heutigen Arbeit zu sehen. Wie ganz anders als früher wirkt doch die heutige Arbeit
auf den Arbeitenden selbst zurück. Welches starke Bild von Verantwortungsbewußtsein,
gespanntester Aufmerksamkeit und Geistesgegenwart zeigt uns heute der Führer einer
Schnellzuglokomotive, der im Beobachten der Strecke, der Signale, der Maschine mit
seinem Steuerhebel Leben und Gesundheit Hunderter in der Hand hält, die seinem
Pflichtbewußtsein blind vertrauen. Welcher Unterschied zwischen dem heutigen
Kraftwagenführer, der eine Fülle von Kenntnissen über seine Maschine und die
Naturgesetze ihres Wirkens mit einer regen Aufmerksamkeit und körperlichen
Widerstandsfähigkeit verbinden muß, gegenüber dem schwerfälligen Rosselenker, der
der Vergangenheit anzugehören beginnt. Gewiß, wir bewundern die künstlerische
Geschicklichkeit des mittelalterlichen Kunstschmiedes, der in. mühsamer Handarbeit
Blätter und Blüten zum kunstvollen Eisengitter schuf – aber ist nicht auch zum
Beispiel die unter der Schmiedepresse entstehende gewaltige Kurbelwelle einer
neuzeitlichen Dampfmaschine ein Schmiedestück, das voll und ganz auf den Namen eines
Kunstwerkes Anspruch machen kann, wenn auch an die Stelle der kunstsinnig erfaßten
Schönheitsform die reine nackte Zweckform getreten ist mit ihrer herben, im
Verstandesmäßigen wurzelnden Schönheit? Und was will die arbeitsame Beschaulichkeit
jenes ehrwürdigen Kunstschmiedes besagen gegenüber der Verantwortung des heutigen
Werkmanns, der mit einem falschen Hebeldruck, mit einem unglücklichen Schlage des Dampfhammers Stücke von
vielen Tausend Mark
Wert wertlos machen kann. Ein neues Geschlecht der Arbeit ist erwachsen, die Hand
voll Ruß, aber den Geist voll Licht.S. auch W.
Ostwald, „Der fliegende Mensch“ in
„Die Forderung des Tages“. 2. Auflage. Leipzig 1911 und Kammerer, Entwicklungslinien der Technik,
„Technik und Wirtschaft“ 1910, S. 1 ff.
Ohne eine Einbeziehung der letzten Betrachtungen durfte der Kreis der Gedanken um den
Menschen als arbeitende Maschine nicht geschlossen werden. Denn sie enthalten ein
gut Teil der Antwort auf eine Frage, die für die arbeitende Menschheit von
unermeßlicher Bedeutung ist: Seit die Menschen aus dein Paradiese gewiesen und zur
Arbeit verurteilt wurden, das heißt also seit dem Verlassen des ursprünglichsten,
bedürfnislosen Naturzustandes hat die Arbeit, zu der sie gezwungen, immer mehr
zugenommen mit dem Steigen ihrer Bedürfnisse. Sie hat heute einen Grad von Menge und
Anspannung erreicht, der kaum noch einer Steigerung fähig scheint. Wie wirkt nun
diese Arbeit mit ihrem Drängen zu immer weiterer Steigerung auf den inneren
Lebenswert, auf Glück und Zufriedenheit der Menschen ein?
Durch das Vorstehende ist wie gesagt ein Teil der Antwort vorweggenommen. Es hat sich
gezeigt, daß einer menschenwerten Arbeit Lebens- und Schönheitswerte innewohnen
können, die dem Arbeiter die Freude an seiner Tätigkeit geben. Wenn wir heute von
diesem Ideal noch vielfach recht weit entfernt sind und im Ganzen vielleicht weiter
denn je, so liegt die Schuld an der beispiellosen Geschwindigkeit, mit der seit
der Einführung der Maschinenarbeit die Industrialisierung um sich gegriffen hat,
eine Schnelligkeit in der Entwicklung, die zu einer einseitigen Ausbildung der
Gesichtspunkte materiellen Erwerbs führte und höhere Ziele zunächst außer acht
lassen mußte. Aber wir erkennen allmählich die Mittel, uns ihm zu nähern und wenden
diese Mittel mehr und mehr bewußt an. In der bewußten Voranarbeit in diesem Sinne,
an der jedermann teilnehmen kann und soll, liegt der Schlüssel zur Lösung einer der
wichtigsten Aufgaben der Menschheit, sich selber nämlich die Freude am Leben und an
der Arbeit zu erhalten oder wiederzugeben und dem Gespenst entgegenzutreten, das da
murrt, die Welt der Arbeit werde immer häßlicher, die Arbeit freudloser.
Das eben soll den Menschen vom Tier, von der gedankenlosen Naturkraft scheiden, daß
er seiner Arbeit einen geistigen Inhalt gibt, daß er für seine Arbeit das in sich
nutzbar macht, was eben ihm als denkenden Wesen eigentümlich ist. Die Maschine
Mensch wird in der Hergabe rein mechanischer Nutzarbeit von den durch den Menschen
erdachten Maschinen übertroffen, sein Geist befähigt ihn so, auf die Erzielung
größter Körperleistung zu verzichten. Das aber, was er an die Stelle der entbehrlich
werdenden Körperarbeit setzt und ausbaut, das freie Reich der Gedanken, bietet ihm
ein unbeschränktes Gefilde der freien Fortentwicklung, die ihm den Weg frei macht zu
immer weiterem, zu immer höherem, zu immer größerem Menschenglück.