Titel: | Werner v. Siemens' Arbeiten auf dem Gebiete der elektrischen Telegraphie. |
Autor: | Georg Schmidt |
Fundstelle: | Band 331, Jahrgang 1916, S. 408 |
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Werner v. Siemens' Arbeiten auf dem Gebiete der
elektrischen Telegraphie.
Von Oberingenieur Georg
Schmidt, Berlin-Wilmersdorf.
SCHMIDT: Werner v. Siemens' Arbeiten auf dem Gebiete der
elektrischen Telegraphie.
Werner Siemens zeigte schon früh eine ausgesprochene
technische Begabung. Mit regem Interesse verfolgte er die Arbeiten auf
elektrotechnischem Gebiete und stellte bereits während seiner aktiven Militärzeit
als Artillerie-Offizier Versuche an, deren Erfolge ihn später veranlaßten, sich ganz
der Elektrotechnik zu widmen.
So gelang es ihm während eines unfreiwilligen Aufenthalts in der Zitadelle von
Magdeburg, ein Verfahren zur galvanischen Vergoldung und Versilberung zu finden. Der
glückliche Verkauf des diesbezüglichen englischen Patentes für 1500 Pfund Sterling
durch seinen Bruder Wilhelm setzte ihn in den Stand,
weiterhin seinen technischen Neigungen nachgehen zu können.
Werner Siemens lernte in Berlin den Mechaniker Leonhardt kennen, der im Auftrag der
Artillerie-Prüfungskommission eine Uhr für Geschoß-Geschwindigkeitsmessung gebaut
hatte, bei welcher der Meßzeiger auf elektrischem Wege mit der sich mit großer
Geschwindigkeit drehenden Zeigerachse gekuppelt bzw. von ihr entkuppelt wurde. Das
brachte Werner Siemens auf die Idee, die Geschwindigkeitsmessung unter Anwendung des elektrischen
Funkensvorzunehmen. Gleichzeitig tauchte in ihm der Gedanke auf, die Geschwindigkeit
der Elektrizität selbst in ihren Leitern nach der gleichen Methode zu messen.
Von nun an beteiligte sich Werner Siemens mit großem Eifer
an den Arbeiten Leonhardts, der unter anderem auf
Veranlassung des Generalstabes der Armee Versuche anstellte, die über die
Ersetzbarkeit des optischen Telegraphen durch einen elektrischen Aufschluß geben
sollten.
Bei dem Hofrat Soltmann hatte er im Jahre 1846
Gelegenheit, einen Wheatstoneschen Zeigerapparat zu
sehen, dessen Betrieb trotz aller Bemühungen nicht gelingen wollte. Werner Siemens erkannte die Ursache, und es gelang ihm
die Konstruktion eines Zeigertelegraphen, bei dem die
Einstellung mit Hilfe der Selbstunterbrechung des Stromes bewirkt wurde.
Die Ausführung übertrug er dem ihm aus der Polytechnischen Gesellschaft bekannten
jungen Mechaniker Halske, der damals in Berlin eine
kleine mechanische Werkstatt unter der Firma Böttcher
& Halske betrieb. Halske's
anfängliche Zweifel an der Ausführbarkeit der Idee behob Werner Siemens durch ein paar mit primitivsten Mitteln selbstgefertigter
Probeapparate.
Halske, von diesem Erfolge enthusiasmiert, war bereit, aus
seiner Firma auszutreten und sich mit Werner Siemens
gänzlich der Telegraphie zu widmen.
Werner Siemens sandte darauf dem General O'Etzel, dem Chef der unter dem Generalstab der Armee
stehenden optischen Telegraphen, einen Aufsatz über den damaligen Stand der
Telegraphie und ihre zu erwartenden Verbesserungen, was seine Kommandierung zur
Kommission des Generalstabes, welcher die Einführung des elektrischen Telegraphen
statt des optischen oblag, zur Folge hatte.
Die damals allgemein geltende Ansicht, daß eine an Pfosten befestigte, leicht
zugängliche Telegraphenleitung einen sicheren Betrieb überhaupt nicht zulassen
würde, führte zu zahlreichen Versuchen mit unterirdischen Leitungen. Da erhielt Werner Siemens von seinem Bruder Wilhelm aus London als Kuriosum ein kleines Probestück der soeben auf dem
englischen Markt erschienenen Guttapercha und er erkannte
sofort deren vorzügliche Eigenschaft als Isolationsmittel für unterirdische
Telegraphendrähte. Doch mißlangen die ersten Versuche, die auf dem Planum der
Anhalter Bahn angestellt wurden, weil der blanke Draht aus der nur einfach
herumgewalzten Guttaperchahülle heraussprang. Infolgedessen entschloß sich Werner Siemens, den Draht mit einer nahtlosen
Guttaperchahülle zu versehen, zu welchem Zwecke er eine Schraubenpresse
konstruierte, welche er von Halske ausführen ließ. Die
Guttapercha wurde in der Schraubenpresse erwärmt und dann durch starken Druck
nahtlos um den Kupferdraht gepreßt. Im Jahre 1847 verlegte Werner Siemens die erste längere unterirdische Telegraphenleitung von
Berlin nach Großbeeren. Sie bewährte sich vollkommen, so daß die Verwendung von
Guttapercha allgemein zur Einführung gelangte, nicht nur bei unterirdisch geführten
Landlinien, sondern auch auf den Kabeladern, welche später in den submarinen Kabeln
Verwendung fanden. Auch heute noch werden letztere Kabel ausschließlich mit
Guttapercha-Adern ausgerüstet.
Nachdem die genannte Kommission des Generalstabes in Aussicht genommen hatte, sowohl
die mit Guttapercha umpreßten Leitungen wie auch das Siemens-Zeigersystem den in Preußen zu erbauenden Telegraphenlinien
zugrunde zu legen, stand für Werner Siemens der Entschluß
fest, sich ganz der Entwicklung des Telegraphenwesens zu widmen. Er gründete im
Herbst des Jahres 1847 in Gemeinschaft mit J. G. Halske
die Telegraphen-Bauanstalt Siemens & Halske, in die er sich den persönlichen Eintritt nach
seiner Verabschiedung vom Militär vorbehielt.
Die Aussicht, sich mit Hilfe seiner überragenden Stellung in der
Telegraphen-Kommission zum Leiter des künftigen Staats-Telegraphen aufschwingen zu
können, vermochte Werner Siemens nicht zu verlocken,
seine volle persönliche Unabhängigkeit dafür aufzugeben, durch welche er hoffte, der
Welt mehr nützen zu können. Er nahm 1848 seinen Abschied vom Militär und damit auch
von seinem Kommando zur Telegraphen-Kommission, als diese ihre Aufgabe erfüllt hatte
und die Telegraphie dem neugeschaffenen Handelsministerium unterstellt wurde. Vorher
schon wurde Werner Siemens der Auftrag zuteil, in aller
Eile eine unterirdische Leitung von Berlin nach Frankfurt am Main, wo die deutsche
Nationalversammlung tagte, herzustellen. Halske traf
schleunigst alle Vorbereitungen. Die Herstellung des isolierten Leitungsdrahtes
begegnete aber insofern großen Schwierigkeiten, als die Guttapercha infolge der
großen Nachfrage nicht mehr in der erforderlichen Menge und guten Qualität zur
Verfügung stand. Dadurch wurde es unmöglich, die ganze Linie unterirdisch zu bauen,
man sah sich vielmehr gezwungen, auf der Strecke Eisenach-Frankfurt a. M. eine
oberirdische Drahtleitung zu verlegen, und zwar einen Kupferdraht, da damals
geeignete Eisendrähte nicht zu erhalten waren.
Um die in der oberirdischen Leitung auftretenden atmosphärischen Störungen, die die
Apparate und die Bedienung gefährdeten, zu beseitigen, konstruierte Werner Siemens besondere Plattenblitzableiter. Gleichzeitig war ihm Gelegenheit gegeben, die
nachteilige Wirkung der Kabelkapazität auf den Betrieb
der Apparate zu beobachten. Er versuchte, und zwar mit gutem Erfolge, dieser Wirkung
dadurch zu begegnen, daß er die Kabelader an bestimmten Stellen über
Drahtwiderstände von entsprechender Größe mit der Erde verband, die Leitungen selbst
in einzelne Teilstrecken zerlegte und diese durch selbsttätige
Translationseinrichtungen derart in Verbindung brachte, daß die Telegraphierströme
von der einen auf die andere Teilstrecke selbsttätig übertragen wurden. Diese
Translationseinrichtungen nannte Werner Siemens
„Zwischenträger“. Er hatte die Genugtuung, daß diese erste größere
Telegraphenlinie nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas, schon im Winter des Jahres 1849
in Betrieb genommen werden konnte.
Das gute Resultat brachte Werner Siemens bald darauf den
Auftrag zum Bau der unterirdischen Kabellinien Berlin–Cöln–Verviers, Berlin–Hamburg
und Berlin–Dresden.
Die Zerstörung der anfänglich ohne besonderen Schutz ins Erdreich versenkten
Guttaperchadrähte durch Zernagen von Mäusen und Ratten glaubte Werner Siemens dadurch verhindern zu können, daß er die Guttaperchahülle
durch einen Bleimantel schützte.
Derartige Guttaperchableikabel wurden im Anfang der 50 er Jahre vielfach verwendet,
unter anderem bei dem Telegraphensystem, das für die Polizei Verwaltung und den
Feuerwehrdienst der Stadt Berlin eingerichtet wurde.
Nachdem der Morse-Schreibtelegraph im Jahre 1849 in
Deutschland bekannt wurde – Mr. Robinson führte denselben
in Hamburg vor –, beschäftigte sich Werner Siemens mit
seiner Verbesserung, da er sofort erkannte, daß die Einfachheit dieses Apparates und
die verhältnismäßig leichte Erlernbarkeit des Morse-Alphabetes sehr bald zu seiner
allgemeinen Einführung beitragen würden. Werner Siemens
gab in Verbindung mit Halske den Apparaten gute Laufwerke
mit Selbstregulierung, ein zuverlässig wirkendes Elektromagnetsystem, sichere
Kontakte und Umschalter und verbesserte die Relais, die es gestatteten, den
Telegraphenapparat unabhängig von dem Zustande der Leitungen In einem gesonderten
Lokalkreis mit gleichbleibender Stromstärke zu betreiben.
Die schon bei dem Zeigertelegraphen benutzten Translationen (Uebertrager oder
Zwischenträger) gewannen erst durch ihre Anwendung auf den Morseapparat volle
Bedeutung.
Der durch die ständig zunehmende Länge der Telegraphenleitungen ebenfalls wachsende
Leitungswiderstand bedingte auf den einzelnen Telegraphenstationen die Aufstellung
umfangreicher galvanischer Batterien, deren Unterhaltung sich oft ziemlich schwierig
gestaltete. Dies brachte Werner Siemens auf die Idee, die
Stromerzeugung auf elektromagnetischem Wege zu bewirken. Er konstruierte im Jahre
1853 eine in der Wirkung dem später angewandten Gleichstrom-Einanker-Umformer
ähnliche Vorrichtung und nannte diese „Tellermaschine“. Die Anordnung war so getroffen, daß über den Polen
einer Anzahl im Kreise aufgestellter, mit zwei Wicklungen versehener
Elektromagnetkerne ein eiserner Teller sich derart bewegte, daß er mit seiner
unteren Fläche sich fortlaufend den einzelnen Polen nacheinander näherte. Diese
Bewegung wurde erzielt mit Hilfe einer Kontakteinrichtung, die durch die jeweilige
Stellung des Tellers betätigt, den Strom einer kleinen Batterie den einzelnen
Elektromagneten so zuführte, daß eine fortschreitende Anziehung des tellerförmigen
Ankers entstand. Durch diese Annäherung des Tellers trat in der zweiten Wicklung des
betreffenden Elektromagneten ein Induktions-Strom höherer Spannung auf, ebenso wie
in der Wicklung des eben verlassenen Elektromagneten, in dieser aber in
entgegengesetzter Richtung. Diese hintereinander folgenden induzierten Wechselströme
wurden durch einen Kommutator gleichgerichtet und nun zum Telegraphieren benutzt.
Die mit der Tellermaschine angestellten Versuche bewiesen ihre Brauchbarkeit,
beispielsweise konnte mit ihrer Hilfe ein tadelloser Betrieb zwischen Leipzig und
Wien über München erzielt werden. Trotzdem hat die Tellermaschine eine ausgedehnte
Anwendung nicht gefunden.
Die hohen Anlage- und Unterhaltungskosten längerer Telegraphenlinien drängten
gebieterisch dazu, Mittel zu finden, um die Wirtschaftlichkeit zu steigern, und das
schien nur möglich durch Verwendung schneller wirkender Telegraphenapparate. Der Werner Siemens im Jahre 1853 erteilte Auftrag der
russischen Regierung zur Errichtung und mehrjährigen Unterhaltung umfangreicher
Telegraphen Verbindungen gab ihm hierzu weitere Anregung, und so entstand ein automatisches Telegraphensystem, bei dem zum ersten Male
die Abgabe der telegraphischen Zeichen nicht mehr unmittelbar von Hand, sondern
mittels eines ablaufenden gelochten Papierstreifens erfolgte.
Die Einrichtung einer Station umfaßte drei wesentliche Teile:
1. den Handschriftlocher mit drei Tasten,
2. den Schnellschriftgeber,
3. den Empfänger.
Mittels des Handschriftlochers wurde der Lochstreifen vorbereitet. Durch Druck auf
die rechte Taste erhielt der Streifen zwei dicht aufeinander folgende Löcher zur
Hervorbringung des Morsestriches. Mit der mittleren Taste wurde ein Loch für den
Morsepunkt eingestanzt und mittels der linken Taste der Papierstreifen um so viel
weiterbewegt, wie es der Zwischenraum zwischen den einzelnen Buchstaben bzw. ganzen
Worten erforderte.
Der so vorbereitete Streifen wurde in den durch ein Gewichtslaufwerk betriebenen
Geber eingelegt, der ihn mit größerer Geschwindigkeit durch eine Kontakteinrichtung
hindurchbewegte. Letztere bestand aus einem durch eine Feder gegen den
Papierstreifen drückenden Metallpinsel, der mit der Leitung in Verbindung stand,
während an die Metallwalze, um die der Papierstreifen herumgeführt wurde, die
andererseits geerdete Batterie angeschlossen war. Beim Ablauf des Streifens berührte
der Metallpinsel durch die Löcher des Streifens hindurch die Metallwalze und stellte
auf diese Weise den Kontakt der Batterie mit der Leitung her.
Als Empfänger diente ein Morse-Stiftschreiber, dessen Schreibhebel mittels eines
schwingenden Elektromagneten betätigt wurde. Erwähnenswert ist noch, daß der
Handschriftlocher Wheatstone später die Anregung gab zur
Konstruktion seines „Perforator“ genannten Tastenlochers.
Eine große Schwierigkeit bot die Unterhaltung der Anlagen mit Rücksicht darauf, daß
die Leitungen oft durch gering bevölkerte Gegenden führten und die Stationen, deren
Personal zur Auffindung und Beseitigung von Störungen in Frage kommen konnte, nur in recht
beträchtlichen Entfernungen voneinander lagen. Um eine einfache Kontrolle über den
Zustand der Leitungen in kurzen Zeiträumen zu ermöglichen, schuf Werner Siemens im Jahre 1855 das Kontroll-Galvanoskop, auch Tataren-Galvanoskop genannt. In einem
regensicheren Gehäuse untergebracht, enthielt das Galvanoskop drei Kontaktknöpfe,
mit deren Hilfe der Kontrollwärter, als welcher ein einigermaßen zuverlässiger
Landbewohner fungierte, sich jederzeit überzeugen konnte, ob die Leitung in Ordnung
war und ob sie arbeitet oder nicht und im letzteren Fall, nach welcher Seite hin die
Unterbrechung zu suchen war. Durch Druck auf den mittleren Knopf wurde das
Galvanoskop in die Linie eingeschaltet. Zeigte das Galvanoskop einen Fehler an, so
ließ sich durch Betätigung des rechten oder linken Druckknopfes feststellen, auf
welcher Seite der Fehler lag. Da die Bedienung des Apparates sehr einfach war, so
wurden damit gute Erfolge erzielt und der Firma Siemens
& Halske es möglich gemacht, ihrer eingegangenen
Verpflichtung, jede Beschädigung der Leitungen binnen sechs Stunden zu reparieren,
stets nachzukommen.
Textabbildung Bd. 331, S. 411
Eine der ersten Dynamomaschinen von Werner Siemens, die im Berliner Postmuseum
aufgestellt ist
Als im Jahre 1853 die von Professor Petrina in Prag und
dem damaligen österreichischen Telegraphendirektor Dr. Gintl angestellten Versuche gelungen waren, zur besseren Ausnutzung einer
Telegraphenanlage ein sogenanntes Gegensprech- oder
Duplex-Verfahren zu finden, das die gleichzeitige gegenseitige
Uebermittlung zweier Telegramme auf demselben Drahte ermöglichte, griff Werner Siemens sofort auch diesen Gedanken auf. Innerhalb
Jahresfrist schon konnte er eine wesentliche Verbesserung des von Dr. Gintl angegebenen Verfahrens vorführen. Er wandte hierfür
mit gutem Erfolge die Differentialschaltung an. Fast
gleichzeitig mit ihm kam Carl Frischen in Hannover auf
dieselbe Idee. Frischen trat später als Oberingenieur in
die Dienste der Firma Siemens & Halske.
Zum besseren Verständnis sei hier kurz erwähnt, daß der Grundgedanke des
Gegensprechverfahrens darin besteht, den vom eigenen Amte ausgehenden
Telegraphierstrom so um oder durch den eigenen Empfangsapparat zu leiten, daß dieser
dabei nicht zur Wirkung kommt, dagegen, wenn vom fernen Amt gegeben wird, seine
ungehinderte Tätigkeit möglich ist. Gintl erreichte das
durch zwei Wicklungen auf dem Elektromagneten des Empfangsapparates, wovon die eine
in der Leitung lag, während die andere von einem Lokalstrom durchflössen wurde, wenn
der eigene Taster gedrückt wurde. Die Wirkungen beider Wicklungen auf das
Elektromagnetsystem waren in diesem Falle aber entgegengesetzt, hoben sich also auf,
so daß kein Magnetismus entstehen konnte. Wurde aber gleichzeitig vom anderen Amt
aus gegeben, so kamen je nach der Stromrichtung entweder beide Wicklungen im
richtigen Sinne zur Wirkung oder nur die eine derselben, in beiden Fällen wurde also
eine Bewegung des Schreibhebels ermöglicht. Bei der von Werner
Siemens angewandten Differentialmethode besitzt der Empfänger ebenfalls
zwei Wicklungen. Statt in einen Lokalstromkreis legte Werner
Siemens die zweite Wicklung an eine künstliche Leitung, die in ihren
elektrischen Eigenschaften der wirklichen genau gleich war, und teilte den
abgehenden Strom derart, daß er in gleicher Stärke sowohl durch die Linienwicklung
als auch über die zweite Wicklung floß, welche in die künstliche Leitung
eingeschaltet war. Beide Teilströme hielten sich in ihrer Wirkung auf den Empfänger
das Gleichgewicht, und erst dann, wenn durch gleichzeitiges Geben vom fernen Amte
dieses Gleichgewicht gestört wurde, konnte der Empfänger zur Betätigung kommen. Die
Differentialschaltung wird noch heute beim Duplexbetrieb auf langen Kabelleitungen
ausschließlich verwendet.
Die bei dem Betrieb langer Telegraphenleitungen gesammelten Erfahrungen brachten im
Jahre 1855 Werner Siemens die Erkenntnis, daß die
Anwendung polarisierter Empfangsapparate einen wesentlich schnelleren Betrieb und
größere Sicherheit gewährleiste. Die Polarisierung des Empfänger-Elektromagneten
wurde durch einen kräftigen permanenten Magneten bewirkt. Die Bewegung des Ankers in
die Arbeitslage erfolgte durch einen Stromstoß in der einen Richtung, das
Zurückführen in die Ruhelage durch einen anderen in entgegengesetzter Richtung.
Zur Erzeugung der erforderlichen Telegraphierströme wechselnder Richtung benutzte Werner Siemens einen Volta-Induktor nach Art der noch
heute gebräuchlichen Funken-Induktoren. Durch Druck auf den Telegraphiertaster wurde
der Stromkreis der Primärwicklung des Volta-Induktors geschlossen, wobei der dabei
auftretende positiv gerichtete Induktionsstrom in die Leitung gelangte und den
Schreibhebelanker des Empfängers in die Arbeitslage brachte. Der beim Loslassen des
Tasters in der Sekundärwicklung entstehende Induktionsstrom negativer Richtung
bewirkte dann das Zurückbringen des Schreibhebels in die Ruhelage.
Als Empfänger diente, da der Schreibhebel des Morse-Stiftschreibers in seiner
Bewegung noch zu schwerfällig war, um den verhältnismäßig schwachen, vor allem aber
sehr kurzen Induktionsstrom-Impulsen mit Sicherheit folgen zu können, ein
sogenanntes Induktions-Relais, dessen Arbeit lediglich darin bestand, seinen
leichten Anker umzulegen und damit über einen Kontakt einen aus einigen Elementen
und dem Elektromagneten des Schreibapparates gebildeten Lokalstromkreis zu
schließen. Später gelang Werner Siemens die Konstruktion
besonders empfindlicher polarisierter Schreibapparate,
die als Direktschreiber unmittelbar durch den Linienstrom betätigt werden
konnten.
Der Wunsch der deutschen Eisenbahnen, zum Ingangsetzen der längs der Bahnstrecken
aufgestellten, für die Benachrichtigung der Schrankenwärter bestimmten Läutewerke an
Stelle der umfangreichen und einer dauernden Wartung bedürfenden galvanischen
Batterien eine geeignetere Stromquelle verwenden zu können, veranlaßte Werner Siemens im Jahre 1856 zur Erfindung des Magnetinduktors mit Doppel-T-Anker.
Der mit einer Drahtwicklung versehene Doppel-T-Anker war zwischen den Polen eines aus
einer Anzahl kräftiger Stahlmagnete gebildeten Magnetmagazins gelagert und konnte
mittels einer Kurbel unter Verwendung eines Zahnradvorgeleges in schnelle Drehung
versetzt werden, wobei in der Wicklung des Ankers kräftige Induktionsströme
wechselnder Richtung entstanden. Durch einen in der Verlängerung der Ankerachse
angebrachten Kommutator wurden diese Wechselströme in Gleichströme umgewandelt.
Dieser Magnetinduktor hat später eine ungeahnte Verbreitung gefunden, denn er dient
noch heute in Millionen von Exemplaren den verschiedensten Zwecken, seine
allergrößte Verbreitung fand er aber als Anrufinduktor in Fernsprechanlagen.
Die Zweckmäßigkeit des Magnetinduktors und eine immer noch herrschende Vorliebe für
den Zeigertelegraphen brachten noch im gleichen Jahre Werner
Siemens auf die Idee, einen Zeigerapparat für
Induktorbetrieb zu konstruieren. Er hatte damit einen großen Erfolg, denn
dieser Zeigertelegraph wurde noch bis zum Ende der 60er Jahre auf vielen Eisenbahnen
angewendet. Auch die Feuerwehren benutzten ihn in großem Umfange noch weitere
Jahrzehnte in ihren Anlagen als bequemes, auch in Laienhand brauchbares
Verständigungsmittel.
Nach dem Prinzip des Magnetinduktors entwarf Werner
Siemens 1857 einen Magnetinduktionsschlüssel für
Telegraphenanlagen mit polarisierten Empfängern, wodurch die weitere Verwendung des
Voltainduktors überflüssig wurde. Der Doppel-T-Anker war mit einem Tasterhebel starr
verbunden. Durch Druck auf den Hebel entstand ein positiver und beim Loslassen ein
negativer Induktionsstrom von kurzer Dauer.
Der Magnetschlüssel war längere Zeit auf bayrischen, hannoverischen, oldenburgischen,
vor allem aber auf den russischen Telegraphenlinien im Gebrauch und ergab einen
tadellosen Betrieb bis zu 1500 km Entfernung, allerdings nur bei Benutzung des im
Jahre 1858 konstruierten polarisierten Dosenrelais, auch
Induktions-Relais genannt, für welches Werner Siemens das
Elektromagnetsystem des dem Zeigertelegraphen beigegebenen
Anruf-Wechselstromweckers verwandte. Das polarisierte Dosenrelais dient heute noch
in fast unveränderter Form als ausgezeichnetes Hilfsmittel in der Telegraphie.
Gute Beobachtungsgabe, verbunden mit frischem Wagemut, ließen Werner Siemens Arbeiten auf Gebieten übernehmen, auf denen er noch gar
keine Erfahrungen besaß und die andere trotz ihrer Erfahrungen nicht bewältigen
konnten. Hier sei nur an die im Auftrage der englischen Firma Newall & Co. ausgeführte Legung und Prüfung des Tiefseekabels zwischen Sardinien und
der algerischen Küste erinnert. Mr. Brett hatte
bereits im September 1855 im Auftrage der Mediterranean
Extension Telegraph Company den Versuch gemacht, zwischen der Insel
Sardinien und der Stadt Bona in Algier ein schweres Kabel mit vier Leitungen durch
das Mittelländische Meer zu legen. Er benutzte dabei dieselben Legungseinrichtungen
wie in der Nordsee, hatte aber das Mißgeschick, daß seine Bremseinrichtungen bei
Eintritt tieferen Wassers nicht ausreichten und infolgedessen das ganze Kabel
unaufhaltsam in die Tiefe hinuntersank. Da auch ein zweiter Versuch im
darauffolgenden Jahre fehlschlug, so trat Mr. Brett von
dem Unternehmen zurück und überließ dieses der Firma Newall & Co. Diese schloß nun mit der Firma
Siemens & Halske einen
Vertrag über die Lieferung der erforderlichen Einrichtungen ab und forderte Werner Siemens auf, die elektrische
Prüfung bei und nach der Legung zu übernehmen. Im September 1857 begann die
Verlegung von Bona aus und ging glatt von statten, da es Werner Siemens gelungen war, eine genügende Bremseinrichtung zu finden,
die in Verbindung mit einem Dynamometer es ermöglichte, das Abrollen des Kabels
dauernd genau zu überwachen. Er hatte außerdem die Genugtuung, daß nicht mehr Kabel
verbraucht wurde, als der überschrittenen Bodenlänge entsprach, was früher nie zu
erreichen war.
Als im gleichen Jahre Newall & Co. eine Kabellinie von Cagliari nach Malta und Korfu legten, versah
Werner Siemens die Stationen dieser Linie mit Induktionstelegraphen, die mit polarisierten Relais arbeiteten. Auf der
Insel Malta wurde eine Translationseinrichtung errichtet, welche es gestattete, auf
dem dünnen Kabel direkt zwischen Cagliari und Korfu mit genügender Geschwindigkeit
zu korrespondieren. Vorher hatten Siemens & Halske die elektrische Prüfung der
Kabeladern in den Kabelwerken von Newall & Co. in Birkenhead ausgeführt, um von vornherein die
Gewißheit über die gute Isolation des Kabels zu haben.
Im Jahre 1859 übernahm Werner Siemens eine schwierige aber
sehr interessante Aufgabe, nämlich die elektrische Ueberwachung der Kabellegung für
die Kabellinie durch das Rote und Indische Meer von Suez nach Kurrachee in Indien.
Das Kabel wurde gleichfalls von Newall & Co. geliefert, während die Herstellung und Aufstellung
der erforderlichen Apparate Siemens & Halske auszuführen hatten. Das Kabel wurde in Teilstrecken verlegt, und
zwar Suez–Kosseir 472 km, Kosseir–Suakin 878 km, Suakin–Aden 1166 km, Aden–Hallani
1330 km, Hallani–Maskat 900 km, Maskat–Kurrachee 891 km, hatte also eine Gesamtlänge
von 5637 km.
Da nach den damaligen Erfahrungen ein gesicherter Betrieb nur über etwa 700 Seemeilen
Kabel möglich war, so machte sich die Einrichtung von Zwischenstationen nötig, die
mit selbsttätigen Translationseinrichtungen versehen werden mußten, um ohne lästige
und störende Handübertragung arbeiten zu können. Die Einrichtung dieser
Translationsstationen bot damals aber insofern große Schwierigkeiten, als einfache
Mittel, die in dem Kabel zurückbleibende Ladung unschädlich zu machen, noch nicht
bekannt waren und man aus praktischen Gründen Induktionsströme wechselnder Richtung
wie bei der Korfu-Linie nicht benutzen wollte.
Werner Siemens wählte jetzt ein System, bei dem der
Betrieb durch Batterieströme wechselnder Richtung erfolgte, und nannte dieses
„Rotes-Meer-System“. Der Morsetaster wurde
mit einem Entladungskontakt versehen; er funktionierte derart, daß beim Drücken ein
positiver Batteriestrom in das Kabel gesandt wurde, beim Loslassen des Tasterhebels
ein negativer Batteriestrom folgte und darauf das Kabel durch den Entladungskontakt
vorübergehend mit Erde verbunden wurde, ehe der eigene Empfänger wieder an das Kabel
angelegt wurde. Auf diese Weise ließ sich ein Rückfließen des Entladungsstromes nach
dem eigenen Empfänger und somit eine Störung des letzteren vermeiden.
Als Empfänger diente erstmalig ein polarisierter, sogenannter Schwarzschreiber mit Filzwalze und einer Translationseinrichtung, die
durch den Schreibhebel betätigt wurde.
Das System bewährte sich gut, wenigstens war es mit ihm möglich, auf der Strecke
Suez–Aden unter Benutzung der Translationsstationen in Kosseir–Suakin einen ebenso
schnellen und sicheren Betrieb zu erreichen wie auf
einer gleich langen Landlinie. Die Telegraphiergeschwindigkeit betrug auf den
Teilstrecken etwa zehn Worte, auf der Gesamtstrecke etwa sechs Worte in der
Minute.
Da der schnelle und sichere Betrieb einer Telegraphenanlage in der Hauptsache eine
exakte Stromgebung für die Hervorbringung der einzelnen Telegraphierzeichen bedingt,
so setzte Werner Siemens seine Versuche fort, eine Einrichtung zu erfinden, bei der
die eigentliche Arbeit des Telegraphierens dem Menschen entzogen wird, um von dessen
Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit nicht mehr abhängig zu sein. Von dem gleichen
Gedanken wurde ja Werner Siemens schon geleitet, als er das auf den russischen
Linien benutzte System konstruierte. Nun aber wollte er den Zeitverlust, der durch
das Vorbereiten eines Sendestreifens entsteht, vermeiden und die Benutzung eines
besonderen Sendeapparates umgehen. Im Jahre 1862 zeigte er auf der Londoner
Ausstellung ein automatisches Telegraphensystem, bei dem zum ersten Male kurze
magnetelektrische Induktionsströme unmittelbar zur Hervorbringung der Morseschrift
mit Hilfe von polarisierten Farbschreibern benutzt wurden.
Als Stromquelle diente wiederum ein Magnetinduktor mit Doppel-T-Anker, der aber durch
einen Tretmechanismus in Bewegung gesetzt wurde und dabei gleichzeitig eine
Schraubenspindel drehte. Die Buchstaben, Zahlen und Zeichen des Morsealphabetes
waren in Gestalt von Blechtypen vorhanden, von denen eine jede durch Druck auf die
entsprechend bezeichnete Taste einer Klaviatur so mit der umlaufenden
Schraubenspindel in Verbindung gebracht werden konnte, daß sie eine Längsbewegung
vollführte und dabei eine Kontaktvorrichtung passierte, wobei die Stromstöße des
Magnetinduktors in der erforderlichen Reihenfolge und Richtung selbsttätig in die
Leitung gesandt wurden. Meines Wissens hat diese Einrichtung eine allgemeine
Anwendung nicht gefunden, auch dann nicht, als die Einrichtung umgearbeitet wurde,
um mit Batterieströmen wechselnder Richtung und genügender Dauer arbeiten zu
können.
Inzwischen war Oberst v. Chauvin Direktor der Preußischen
Staatstelegraphen geworden, der die großen Erfahrungen der Firma Siemens & Halske auf
telegraphischem Gebiete nun dazu benutzte, die Betriebseinrichtungen der
Staatstelegraphen zu verbessern.
Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen v. Chauvin und
Werner Siemens und dessen Verkehr mit seinem Freunde
und Gönner, dem Obersten v. Lüders, leitendem Direktor
der russischen Staatstelegraphen, ließen Werner Siemens Mitte der 60 er Jahre den
kühnen Plan fassen, eine telegraphische Speziallinie zwischen England und Indien
durch Preußen, Rußland und Persien, die „Indo-Europäische
Linie“ ins Leben zu rufen.
England hatte schon vorher eine telegraphische Verbindung mit Indien versucht; die
Linie führte durch das Mittelländische Meer über Kleinasien und Persien unter
Benutzung der von der türkischen und persischen Regierung betriebenen Leitungen nach
Indien. Aber die Linie war in ihren Teilstrecken fast immer gestört, und wenn sie
wirklich einmal in Ordnung war, so brauchten die Depeschen oft Wochen, um an ihren
Bestimmungsort zu gelangen. Das Bedürfnis nach einer geeigneten telegraphischen
Verbindung Englands mit Indien war aber so dringend, daß Werner Siemens' Plan, einen
schnellen und sicheren telegraphischen Betrieb zu ermöglichen, bald die
Unterstützung der englischen Regierung fand. Die Schwierigkeiten, die russische
Regierung zu bestimmen, einer fremden Gesellschaft die Erlaubnis zum Bau und Betrieb
einer eigenen Telegraphenlinie zu erteilen, wurden überwunden, wozu das große
Ansehen, das Siemens & Halske infolge ihrer bisherigen Leistungen in Rußland
genossen, wohl viel beigetragen hatte. Es wurde der Firma das Recht eingeräumt, eine
Doppelleitung von der preußischen Grenze über Kiew, Odessa, Kertsch, von dort zum
Teil unterseeisch nach Suchum-Kale an der kaukasischen Küste und weiter über Tiflis
bis zur persischen Grenze anzulegen und zu betreiben. Preußen verpflichtete sich, selbst eine
Doppelleitung von der polnischen Grenze über Berlin nach Emden zu erbauen und diese
Linie durch die zu bildende Gesellschaft betreiben zu lassen. Mit Persien wurden
durch Werner's Bruder Walter und einen jüngeren Verwandten, damaligen Assessor und
späteren Direktor der Deutschen Bank Georg Siemens
Verhandlungen angeknüpft, die zu einer ähnlichen Konzession, wie sie Rußland
erteilte, führten.
Werner Siemens hatte jetzt wieder Gelegenheit, sich der Konstruktion eines
Telegraphensystems zu widmen, das in bezug auf Schnelligkeit und Zuverlässigkeit die
bisherigen Systeme weit überholen sollte. Die Aufgabe war nicht einfach, denn es
handelte sich um den Betrieb einer annähernd 6900 km langen Linie. Um eine exakte
Zeichengebung zu ermöglichen, griff Werner Siemens wieder auf das Verfahren zurück,
die Depeschen durch Lochen eines Papierstreifens vorzubereiten. Die Zeichengebung
erfolgte aber nicht durch kürzere oder längere Stromimpulse gleicher Richtung zur
Erzielung des Morsepunktes bzw. -Striches, sondern durch jedesmalige Abgabe zweier
Stromimpulse wechselnder Richtung, aber in verschiedenen Zeitabständen der Länge des
Punktes oder Striches entsprechend.
Die Löcher wurden in den Sendestreifen mittels eines Handschriftlochers mit einem
Hebel eingestanzt, derart, daß durch einen Druck nach links zwei dicht aufeinander
folgende Löcher für den Punkt, nach rechts zwei Löcher in größerem Abstand für den
Strich eingestanzt und durch senkrechten Druck der Streifen selbst um so viel
vorwärts bewegt wurde, wie der Zwischenraum zur Trennung der einzelnen Buchstaben
bzw. ganzer Worte erforderte.
Um den Papierstreifen sowohl im Handschriftlocher als auch nachher im Sender
gleichmäßig vorwärtsbewegen zu können, wurde er zunächst mittels eines besonderen
Apparates mit einer fortlaufenden Reihe Führungslöcher versehen.
Später wurde der Handschriftlocher durch einen mechanischen Lochapparat
(Tastenlocher) ersetzt, der eine Klaviatur besaß. Der Apparat wurde durch Treten in
Bewegung gesetzt. Der Druck auf eine der alphabetisch angeordneten Tasten bewirkte
das gleichzeitige Einstanzen sämtlicher für den vollständigen Morsebuchstaben
erforderlichen Lochgruppen in den Papierstreifen.
Als Sender diente ein kräftiger Magnetinduktor für Handbetrieb. Mit der Kurbel wurde
gleichzeitig eine aus zwei isolierten Teilen bestehende Kontaktwalze gedreht, die
mit Führungsstiften versehen, den Papierstreifen vorwärtsbewegte. Die beiden Stücke
der Kontaktwalze standen mit der Ankerwicklung in Verbindung, während ein über den
Papierstreifen gleitender Kontaktstift an die Leitung angeschlossen war. Sobald der
Kontaktstift durch ein Loch im Papierstreifen hindurch die Kontaktwalze berührte,
gelangte ein Induktionsstrom in die Leitung, und zwar bei dem ersten Loch ein
positiver, bei den folgenden ein negativer, aber in verschiedenen Zeitabständen,
je nachdem ein Punkt oder ein Strich gegeben werden sollte.
Da die Dauer der an sich sehr kurzen Induktionsströme nicht immer ausreichte, um dem
Empfänger eine unter allen Umständen ausreichende Strommenge zuzuführen, so wurde
der Induktor bald durch eine Batterie ersetzt.
Große Sorgfalt verwandte Werner Siemens auf die Konstruktion des Empfangsapparates.
Dieser erhielt ein genaues Laufwerk für die Bewegung des Papierstreifens. Um diese
innerhalb derjenigen Grenzen leicht regeln zu können, die sich ergaben, je nachdem
der Betrieb durch den selbsttätigen Sender oder durch Geben von Hand erfolgte, wurde
das Laufwerk mit einem besonderen Regulator versehen, der von außen leicht auf die
erforderliche Geschwindigkeit eingestellt werden konnte.
Besonders erwähnenswert ist die Schreibvorrichtung, bei der ein durch das Laufwerk
angetriebenes Schreibrädchen in die in einem nach oben offenen Gefäß enthaltene
Farbflüssigkeit eintauchte. Da das Rädchen an seinem Umfange die Schreibfarbe mit
sich führte, so war es nicht nötig, das Rädchen durch den Schreibhebel direkt an das
Papier zu drücken, was viel Kraft erfordert und den Gang des Laufwerkes
beeinträchtigt hätte. Es genügte vielmehr ein leichtes Anheben des Schreibrädchens
nur so weit, bis die Farbe das Papier berührte. Diese Konstruktion ist bis auf den
heutigen Tag beibehalten worden.
Das Elektromagnetsystem der Schreibvorrichtung war, wie schon erwähnt, polarisiert,
um den Apparat als Direktschreiber, d.h. unmittelbar durch den Linienstrom betreiben
zu können. Außerdem erhielt der Schreibhebel eine Einrichtung zur Translation, da
die Leitung in eine Anzahl in sich abgeschlossener Teilstrecken zerlegt werden
mußte, um das Aufsuchen und Beseitigen von Störungen zu erleichtern. Mit Hilfe der
auf den Zwischenstationen vorhandenen Translationseinrichtungen konnte ein schneller
und zuverlässiger Betrieb erzielt werden.
Die Indolinie ist vom Jahre 1870 an bis zum Ausbruch des gegenwärtigen Krieges
dauernd in Benutzung gewesen, jedoch wurde das von Werner Siemens konstruierte
System bedauerlicherweise später durch das von Wheatstone angegebene ersetzt, was
wohl hauptsächlich darin seinen Grund hatte, daß dieses System in England bald nach
seinem Erscheinen große Verbreitung fand, infolgedessen der Wunsch auftrat, es auch
auf der hauptsächlich nur englischen Interessen dienenden Indolinie in Verwendung zu
sehen. Trotzdem gebührt Werner Siemens das Verdienst, mit der Errichtung der
Indolinie die Ausführbarkeit eines schnellen und gesicherten Betriebes auf derart
langen oberirdischen Leitungen vollkommen bewiesen zu haben.
Inzwischen hatte Werner Siemens die Vervollkommnung des einfachen Morseapparates
dauernd im Auge behalten, dessen allgemeine Anwendung durch seine große Einfachheit
und Betriebssicherheit sich von Jahr zu Jahr steigerte. So entstand eine Reihe sehr
brauchbarer Konstruktionen von Relief- (Stift-) und Farbschreibern. Als es infolge Mangels
geschulter Kräfte nicht mehr möglich war, den steigenden Bedarf an Morseapparaten
rechtzeitig zu decken, faßte Werner Siemens den Entschluß, deren Herstellung auf
maschinellem Wege unter Hinzuziehung ungelernter Arbeitskräfte zu versuchen. Der
Ausführung dieser Absicht stellten sich aber insofern Schwierigkeiten entgegen, als
die bisherigen Konstruktionen auf eine maschinelle Herstellung in großem Umfange
nicht zugeschnitten waren. Die Notwendigkeit einer Verbesserung der Arbeitsmethode
war aber so dringend, daß die Konstruktion eines geeigneten Morseapparates
unverzüglich in die Hand genommen wurde. So entstand im Jahre 1870 der Normalfarbschreiber, der noch im gleichen Jahre von der
deutschen Reichs-Telegraphenverwaltung als Einheitsapparat eingeführt wurde, wo er
heute noch in unveränderter Konstruktion im Betrieb ist. Gleichzeitig wurde ein für
den Betrieb auf den Telegraphenlinien der preußischen Staatsbahnen geeignetes Morsewerk für Ruhestrombetrieb entworfen. Dasselbe
vereinigte auf einem hölzernen Grundbrett einen Normalfarbschreiber, einen Taster,
ein Galvanoskop, ein Dosenrelais und einen Plattenblitzableiter, der zugleich als
Stöpselumschalter ausgebildet war. Das Grundbrett enthielt an einem Unterrahmen eine
Kontaktanordnung, die mit einer gleichen, in dem Ausschnitt der Tischplatte
untergebrachten, beim Einsetzen des Morsewerkes in den Tischausschnitt in Verbindung
gebracht, sofort die Einschaltung des Morsewerkes in die Linie unter gleichzeitigem
Anschluß der Lokalbatterie für den Relaisstromkreis bewirkte. Bei den vereinigten
preußischhessischen Staatseisenbahnen wird dieses Morsewerk noch heute
ausschließlich benutzt, ebenso auch während des gegenwärtigen Krieges auf den von
der Militäreisenbahn in den besetzten Gebieten betriebenen Bahnlinien, wo nicht nur
der durchgehende Telegraphenverkehr, sondern auch die Zugmeldungen mit ihm bewirkt
werden.
Dem Drängen seiner die Londoner Firma leitenden Brüder Carl und Wilhelm folgend,
beschäftigte sich Werner Siemens weiter mit Versuchen, die Sprechgeschwindigkeit des
Morsebetriebes auf Kabelleitungen zu erhöhen. Sein Ergeiz war durch die Erfolge
Wheatstones, vor allem aber Thomson's sehr angeregt. Wieder griff er auf das im
Jahre 1862 entworfene automatische System zurück, und so entstand im Jahre 1873 ein
automatischer Sendeapparat, den er Kettenschriftgeber
nannte. Er benutzte eine endlose Gelenkkette, deren Gelenke als Hülsen ausgebildet
waren, in welchen verschiebbare Stahlstifte sich befanden. Mit Hilfe einer Klaviatur
mit alphabetisch angeordneten Tasten konnten die Stahlstifte aus ihrer Ruhelage nach
hinten rechtwinklig zur Kettenrichtung verschoben werden, wo sie, da die Kette durch
ein Uhrwerk vorwärts bewegt wurde, eine Kontakteinrichtung passierten und diese
durch Anheben eines Hebels betätigten. Die Kette lief mit geregelter Geschwindigkeit
ab, so daß die Abgabe der Telegraphierströme mit großer Genauigkeit erfolgte. Werner
Siemens' Mitarbeiter, von Hefner-Alteneck, griff diese
Idee auf und verbesserte den Apparat insofern, als er an Stelle der Kette eine durch
ein Laufwerk angetriebene zylindrische Dose anwandte, die dicht am Umfange,
parallel zur Achse im Kreise angeordnete, verschiebbare Stifte enthielt. Aber auch
dieser, unter dem Namen „Dosenschriftgeber“ in
Fachkreisen bekannt gewordenen Einrichtung gelang es nicht, Eingang in die
Telegraphenpraxis zu finden. Dieses lag jedenfalls daran, daß das Wheatstonesystem
inzwischen größere Verbreitung gefunden hatte, auf den langen Submarineleitungen
Thomson's Heberschreiber mit gutem Erfolge zur Anwendung gekommen war und der
Hughes-apparat, den auch Siemens & Halske herstellten, infolge seines Vorzuges,
sofort lesbare Typenschrift wiederzugeben, für den Telegraphenverkehr immer mehr
benutzt wurde.
Die Nachfrage des englischen Hauses nach einem vereinfachten Drucktelegraphensystem,
mit dem es ermöglicht werden sollte, Kurstelegramme von einer einzigen Zentralstelle
aus gleichzeitig an eine beliebige Anzahl Empfangsstellen geben zu können,
veranlaßte Werner Siemens, noch im Jahre 1873 die Versuche mit einem
Drucktelegraphen für Batteriebetrieb wieder aufzunehmen. Sie führten zur
Konstruktion des Börsendruckers, der allerdings zunächst
keine Anwendung fand, da sich das Geschäft, das die Anregung zur Konstruktion
gegeben, inzwischen wieder zerschlagen hatte. Erst etwa 20 Jahre später wurden die
Börsendrucker, jedoch in modifizierter Gestalt zur Anwendung gebracht, und zwar von
der deutschen Reichs-Telegraphenverwaltung in einer etwa 100 Empfangsstellen
umfassenden Anlage in Bremerhaven.
Werner Siemens sah sich durch die Verhältnisse gezwungen, seine schöpferische
Tätigkeit anderen Gebieten zuzuwenden. Die Aussichten, auf telegraphischem Gebiet
noch erfolgreich mitwirken zu können, wurden immer geringer, beispielsweise begnügte
sich die deutsche Reichs-Telegraphenverwaltung mit den zurzeit vorhandenen
Hilfsmitteln, dem Morse- und dem Hughesapparat und auf den internationalen Leitungen
benutzte sie entgegenkommenderweise die in den angeschlossenen Ländern eingeführten
Telegraphensysteme.
Andere inzwischen von Siemens & Halske aufgenommene und rasch aufblühende
Geschäftszweige, zum Beispiel das Gebiet des elektrischen Eisenbahnsignalwesens, vor
allem aber die Arbeiten in der bedeutend günstigere geschäftliche Aussichten
bietenden Starkstromtechnik nahmen Werner Siemens' Schaffenskraft vollkommen in
Anspruch. Trotzdem wandte er sich aber immer wieder demjenigen Gebiete zu, auf dem
er die Erfolge erzielt hatte, welche den Grundstein zu der Entwicklung der Firma
Siemens & Halske legten. So sah er sich durch die von Thomson mit seinem
Heberschreiber in der Unterseetelegraphie erzielten günstigen Resultate veranlaßt,
nochmals der Konstruktion eines empfindlichen Schreibtelegraphen näher zu treten,
von dem er sich einen guten Erfolg versprach. Im Jahre 1877 waren die Versuche mit
diesem Apparat, den er Rußschreiber nannte, beendet. Die
Wirkungsweise des Rußschreibers beruhte darauf, daß ein Schreibstift im stromlosen
Zustande der Leitung, ähnlich wie beim Heberschreiber, eine fortlaufende gerade
Linie auf den Papierstreifen schreibt, während durch den Strom, je nach dessen
Richtung, der Schreibstift nach oben oder unten abgelenkt und dadurch eine
Wellenlinie erzeugt wird. Die Schreibspitze erhielt ihre Bewegung durch eine leichte
Drahtspule, die vom Linienstrom durchflössen, in ein kräftiges magnetisches Feld
eingezogen oder von diesem abgestoßen wurde. Während Thomson bei seinem
Heberschreiber die Schrift durch eine Farbflüssigkeit hervorbrachte, wurde bei dem
Rußschreiber der Papierstreifen zunächst mittels einer Flamme berußt und dann von
der Schreibspitze überstrichen, wobei sich eine von dem schwarzen Untergründe gut
abhebende helle Linie ergab; eine unmittelbar darauf folgende selbsttätige Fixierung
des Papierstreifens verhinderte ein späteres Verwischen der Zeichen. Das Verfahren
zur Berußung und seiner Fixierung wurde von Dr. O. Frölich, einem Mitgliede der Firma, ausgearbeitet. Eine Anwendung hat der
Rußschreiber trotz seiner Einfachheit und hohen Empfindlichkeit in der
Kabeltelegraphie nicht gefunden, dagegen wurde er viele Jahre hindurch als
ausgezeichnetes Hilfsmittel zur Beobachtung und Aufzeichnung von Induktionsströmen
in Kabelleitungen benutzt, die durch in der Nachbarschaft der letzteren verlaufende
Fremdströme hervorgerufen werden.
Noch im gleichen Jahre erwartete Werner Siemens eine neue Aufgabe. Graham Bell hatte das von Philipp
Reiß erfundene Telephon verbessert, indem er es
zum Magnettelephon umbildete. Siemens erkannte sofort die Bedeutung des neuen
Apparates, der ihm geeignet schien, den Traum der Menschheit zu erfüllen, auf große
Entfernung hin sich mündlich verständigen zu können, ohne dabei schwierig zu
bedienender technischer Mittel zu bedürfen.
Zunächst ließ Werner Siemens die Fabrikation des Bellschen
Telephons sofort in großem Umfange aufnehmen, begann aber gleichzeitig mit
Versuchen, die Konstruktion des Telephons noch wesentlich zu verbessern, was
ihm auch bald gelang. Er ersetzte den einfachen Stabmagneten des Bell sehen
Telephons durch einen kräftigen hufeisenförmigen Magneten, dessen beide Enden
Polschuhe aus Weicheisen erhielten, die in geringen Abständen voneinander, dicht
hinter der wesentlich vergrößerten und aus stärkerem Eisenblech hergestellten
Membran angeordnet wurden. Mit diesem Telephon wurde eine vorzügliche Wirkung
erzielt, die seine Verwendung auf längeren Leitungen möglich machte. Dadurch sah
sich die deutsche Reichs-Telegraphenverwaltung in den Stand gesetzt, der bereits von
dem Generalpostmeister von Stephan ernstlich geplanten
Einrichtung öffentlicher Fernsprechnetze näher zu treten. Gleichzeitig konnten mit
Hilfe des Fernsprechers Telegraphenämter in Orten mit schwachem Verkehr, wo ein
Betrieb mit Morseapparaten, der ein geschultes Personal erfordert, unrentabel wäre,
beispielsweise auf dem platten Lande, eingerichtet werden. Die Telegramme werden
hierbei durch den Fernsprecher der nächstgelegenen größeren Station übermittelt, die
sie dann mit dem Telegraphenapparate nach dem Bestimmungsort weitergibt.
Im Jahre 1878 waren in Deutschland bereits 287 derartige Telegraphenämter mit
Fernsprechbetrieb vorhanden. Sie fanden bald größere Verbreitung, so daß schon 1900
etwa 10500 Aemter im Betrieb waren.
Viel gewaltiger gestaltete sich freilich die Entwicklung des öffentlichen
Fernsprechverkehrs. Aber auch die Zahl der internen Fernsprechstellen bei den
Behörden, im Betriebe der Eisenbahnen, ferner bei kaufmännischen und industriellen
Unternehmungen nahm rapide zu. So wurde das Telephon bald zum populärsten
Verkehrsmittel, ohne dessen Anwendung unser gesamtes Wirtschaftsleben niemals den
glänzenden Aufschwung hätte nehmen können, um welchen uns jetzt so viele Völker der
Erde beneiden. Und dazu uns verholfen zu haben, das danken wir zu nicht geringem
Teil der Mitarbeit Werner Siemens'.