Titel: | Knickerscheinungen bei Zylindern und Ringen. |
Autor: | Paul Usinger |
Fundstelle: | Band 332, Jahrgang 1917, S. 85 |
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Knickerscheinungen bei Zylindern und
Ringen.
Von Paul Usinger,
Darmstadt.
USINGER: Knickerscheinungen bei Zylindern und Ringen.
Einleitung. Ein Hohlzylinder, der eine über die
Kreisränder der Endquerschnitte gleichmäßig verteilte Last trägt oder durch einen
gleichmäßigen Außendruck beansprucht ist, erfährt unter dem Einflüsse der Last eine
Längsverkürzung bzw. eine radiale Zusammendrückung. Bei wachsender Last wird,
ähnlich dem Knicken eines geraden Stabes, bei einer gewissen Größe der Last die Wand
nicht mehr gerade bleiben, sondern einknicken. Die ursprünglich kreisförmige
Mittellinie der Wand geht dann in eine ovale Form über. Wir setzen voraus, daß sie
in bezug auf zwei zueinander senkrechte Richtungen symmetrisch sei und legen in den
folgenden Betrachtungen für die Abweichungen von der ursprünglichen Kreisform das
Gesetz:
η = f .
sin 2 φ . . . . . . (1)
zugrunde, wobei f den größten
Wert dieser Abweichung und φ den Winkel eines
Fahrstrahles gegen eine angenommene Achse bedeuten (vgl. Abb. 1 S. 87). Die Enden des Zylinders seien so festgehalten, daß die
Endquerschnitte kreisförmig bleiben müssen. Die vor der Formänderung geraden
Mantellinien bilden dann nachher eine Kurve, deren größte Ordinat η in der Mitte liegt. Wir nehmen für diese Kurve eine
Sinuslinie an; dann ist bei gelenkiger Befestigung der Enden
y=\eta\,.\,\sin\,\frac{\pi}{l}\,.\,x . . . . . (2)
bei eingespannten Enden:
y=\frac{\eta}{2}\,\left(1-\cos\,\frac{2\,\pi}{l}\,x\right) . . . . (3)
Verbindet man (2) bzw. (3) mit (1), so erkennt man, daß die
gesamte Formänderung sich durch
y=f\,.\,\sin\,2\,\varphi\,.\,\sin\,\frac{\pi}{l}\,.\,x . . . (4)
bzw.
y=\frac{1}{2}\,f\,.\,\sin\,2\,\varphi\,\left(1-\cos\,\frac{2\,\pi}{l}\,x\right) . (5)
beschreiben läßt, je nachdem die Enden gelenkig befestigt
oder eingespannt sind.
Läßt man nun den Zylinder willkürlich eine den soeben aufgestellten Gesetzen folgende
Formänderung erfahren, so wird einerseits die Belastung eine gewisse Arbeit leisten, andererseits durch die Biegung eine gewisse
Arbeit aufgezehrt werden. Die
Knickkraft ergibt sich dann aus der Bedingung, daß im Augenblick des Knickens
die geleistete Arbeit genau gleich der aufgezehrten Arbeit sein muß. Mit
Hilfe dieser Bedingung sollen im Folgenden für einige Fälle die kritischen
Belastungen ermittelt werden.
I. Knicken eines stehenden Hohlzylinders
unter senkrechter Last.
Die Formänderung des Zylinders läßt sich zusammensetzen aus einer Biegung der
lotrechten Fasern und einer Biegung der wagerechten Ringe. Demgemäß zerfällt auch
die bei der Biegung aufgewandte Arbeit in zwei Teile. Der Symmetrie wegen genügt es
dabei, nur die Hälfte des Zylinderumfanges zu betrachten.
Für den geraden Stab, dessen Trägheitsmoment J' ist,
bestehen zwischen Moment und Krümmung einerseits und Moment und Formänderungsarbeit
andererseits die beiden Beziehungen
E\,J'\,.\,\frac{d^2\,y}{d\,x^2}=M,\ A=\int\,\frac{M^2}{2\,E\,J'}\,.\,d\,x.
Durch Verbindung beider läßt sich daher bei geradem Stab die
Formänderungsarbeit durch die Gleichung
A=\frac{E\,J'}{2}\,\int\,\left(\frac{d^2\,y}{d\,x^2}\right)^2\,d\,x . . . . . (6)
darstellen. Da in dem vorliegenden Falle das Trägheitsmoment
eines Streifens von der Breite r . d φ und einer Dicke
δ gleich \frac{1\,.\,\delta^3}{12}\,.\,r\,d\,\varphi, oder wenn man das
Trägheitsmoment für
die Einheit der Breite \frac{1\,.\,\delta^3}{12} mit J bezeichnet,
gleich Jrdφ ist, erhält man mit Benutzung von (4) bei
gelenkiger Befestigung die Arbeit, die bei der Biegung der lotrechten Streifen
aufgewandt wird, zu A_{s}=\frac{\pi^4}{2}\,\frac{E\,J\,r}{l^4}\,f^2\,\int_{\varphi=0}^{\pi}\,\int_{x=0}^l\,\sin^2\,2\,\varphi\,\sin^2\,\frac{\pi}{l}\,x\,.\,d\,\varphi\,d\,x. Da \int_0^\pi\,\sin^2\,2\,\varphi\,d\,\varphi=\frac{\pi}{2}, \int_0^l\,\sin^2\,\frac{\pi}{l}\,x\,d\,x=\frac{l}{3} ist, ergibt sich
A_s=\frac{\pi^5}{8}\,\frac{E\,J\,r}{l^3}\,.\,f^2 . . . . . (7)
Bei der Biegung von Ringen besteht zwischen den Abweichungen der Biegelinie von dem
ursprünglichen Kreis und dem wirkenden Moment der ZusammenhangDie Ableitung dieser Beziehung findet man z.B.
bei Föppl, Techn. Mechanik III S. 189 der 4.
Auflage.
M=\frac{E\,J'}{r^2}\,\left(\eta+\frac{d^2\,\eta}{d\,\varphi^2}\right).
Für die Arbeit, die bei der Biegung eines Kreisringes geleistet wird, erhält man
somit:
A_R=\frac{E\,J'}{2\,r^3}\,\int\,\left(\eta+\frac{d^2\,\eta}{d\,\varphi^2}\right)^2\,d\,\varphi.
Das Trägheitsmoment für den Querschnitt eines Ringes von der
Dicke δ und der Höhe dx
ist \frac{1\,.\,\delta^3}{12}\,.\,d\,x oder Jdx, wenn \frac{1\,.\,\delta^3}{12} wie vorher mit
J bezeichnet wird. Die Abweichung von der
ursprünglichen Kreisform in der Höhe x beträgt f\,.\,\sin\,2\,\varphi\,.\,\sin\,\frac{\pi}{l}\,.\,x. Wird dies, sowie der zweite
Differentialquotient eingesetzt, so nimmt die Klammer den einfachen Wert 9\,f^2\,.\,\sin^2\,2\,\varphi\,.\,\sin^2\,\frac{\pi}{l}\,.\,x
an. Um die Arbeit sämtlicher Ringe zu erhalten, muß noch über die Höhe integriert
werden. Daher beträgt die bei der Biegung der Ringe aufgewandte Arbeit
A_R=\frac{9}{2}\,\frac{E\,J}{r^3}\,f^2\,\int_{\varphi=0}^x\,\int_{x=0}^l\,\sin^2\,2\,\varphi\,.\,\sin^2\,\frac{\pi}{l}\,x\,d\,\varphi\,d\,x
oder nach Auswertung der Integrale
A_R=\frac{9\,\pi}{8}\,\frac{E\,J\,l}{r^3}\,f^2 . . . . . (8)
Schließlich ist noch die Arbeit der Last zu berechnen. Beträgt
die Belastung P kg für die Längeneinheit des Endringes,
und ist Δl der Weg, um den sich das obere Ende nach
unten bewegt, so leistet die Last die Arbeit:
A_a=\int\,P\,r\,d\,\varphi\,.\,\Delta\,l.
Wird ein gerader Stab nach einer Sinuslinie mit dem Pfeil η gebogen, so nähern sich die Enden umEntwickelt man in der Gleichung s=\int\,\sqrt{1+\left(\frac{d\,y}{d\,x}\right)^2}\,d\,x die
Wurzel in eine Reihe und berücksichtigt nur die ersten zwei Glieder, so
erhält man s-l=\frac{1}{2}\,\int_0^1\,\left(\frac{d\,y}{d\,x}\right)^2\,d\,x. Durch Einsetzen von y=\eta\,\sin\,\frac{\pi}{l}\,x ergibt sich die obige
Beziehung, deren Anwendung gerade bei Aufgaben, die sich auf die Knickung
beziehen, äußerst fruchtbar ist. In dieser Form wurde sie wohl zuerst von
Kayser verwandt, vgl. u.a. Eisenbau 1910 S.
141.
\Delta\,l=\frac{\pi^2\,\eta^2}{4\,l}.
Mit Benutzung von Gleichung (1) erhält man dann:
A_a=\frac{\pi^2}{4}\,\frac{P\,r}{l}\,f^2\,\int_0^\pi\,\sin^2\,2\,\varphi\,d\,\varphi=\frac{\pi^3}{8}\,\frac{P\,r}{l}\,f^2 . (9)
Zur Bestimmung der kritischen Last P ist nun Aa
= As
+ Ar zu setzen,
also
\frac{\pi^3}{8}\,.\,\frac{P\,r}{l}\,f^2=\frac{\pi^5}{8}\,\frac{E\,J\,r}{l^3}\,f^2+\frac{9\,\pi}{8}\,\frac{E\,J\,l}{r^3}\,f^2.
Als Knickkraft für den belasteten Zylinder mit gelenkiger
Befestigung folgt hieraus
P=\frac{\pi^2\,E\,J}{l^2}+\frac{9\,E\,J\,l^2}{\pi^2\,r^4} . . . . (10)
oder
P=\frac{\pi^2\,E\,J}{l^2}\,\left(1+\frac{9}{\pi^4}\,\frac{l^4}{r^4}\right) . . . . (10')
Für r = ∞ liefert dies die
Eulersche Formel.
In der gleichen Weise läßt sich der Zylinder mit eingespannten
Enden behandeln. Für die bei der Biegung aufgewandten Arbeiten findet
man
A_s=2\,\pi^4\,\frac{E\,J\,r}{l^4}\,f^2\,\int_{\varphi=0}^\pi\,\int_{x=0}^l\,\sin^2\,2\,\varphi\,.\,\cos^2\,\frac{2\,\pi}{l}\,x\,d\,\varphi\,d\,x
und
A_R=\frac{9}{8}\,\frac{E\,J}{r^3}\,f^2\,\int_{\varphi=0}^\pi\,\int_{x=0}^l\,\sin^2\,2\,\varphi\,\left(1-\cos\,\frac{2\,\pi}{l}\,x\right)^2\,d\,\varphi\,d\,x,
oder, wenn man außer den früher angegebenen Integralwerten
noch beachtet, daß
\int_0^l\,\cos^2\,\frac{2\,\pi}{l}\,x\,d\,x=\frac{l}{2}\mbox{ und }\int_0^l\,\left(1-\cos\,\frac{2\,\pi}{l}\,x\right)^2\,d\,x=\frac{3}{2}\,l,
A_s=\frac{\pi^5}{2}\,\frac{E\,J\,r}{l^3}\,f^2,\ A_R=\frac{27\,\pi}{32}\,\frac{E\,J\,l}{r^3}\,f^2 . (11)
Da der Ausdruck für die Arbeit der äußeren Kräfte hier der
gleiche wie vorher ist, lautet die Arbeitsgleichung
\frac{\pi^3}{8}\,\frac{P\,r}{l}\,f^2=\frac{\pi^5}{2}\,\frac{E\,J\,r}{l^3}\,f^2+\frac{27\,\pi}{32}\,\frac{E\,J\,l}{r^3}\,f^2,
und aus ihr folgt für die kritische Belastung eines Zylinders
mit eingespannten Enden
P=\frac{4\,\pi^2\,E\,J}{l^2}+\frac{27}{4\,\pi^2}=\frac{E\,J\,l^2}{r^4} .. (12)
oder
P=\frac{4\,\pi^2\,E\,J}{l^2}\,\left(1+\frac{27}{16\,\pi^4}\,\frac{l^4}{r^4}\right) .. (12')
Für r = ∞ ergibt sich auch hier
die Eulersche Formel für den eingespannten Stab.
II. Knicken eines Ringes unter
Außendruck.
Zunächst soll nun ein Ring behandelt werden, der unter einem gleichmäßigen Außendruck
steht. Diese Aufgabe bildet die Grundlage für die Berechnung von Zylindern, die
unter Druck stehen, und deshalb möge die zunächst folgende Näherungsrechnung noch
durch ein genaueres Verfahren geprüft werden.
Der Ring möge die Höhe l besitzen und erleide eine
Verbiegung, die dem durch die Gleichung (1) ausgedrückten Gesetz folgt (vgl. Abb. 1). Der Symmetrie wegen genügt es, auch hier die
Hälfte des Ringes zu betrachten. An den Punkten A und
B kann man sich, ohne an der Aufgabe etwas zu
ändern, Gelenke vorstellen.
Textabbildung Bd. 332, S. 87
Abb. 1.
Textabbildung Bd. 332, S. 87
Abb. 2.
Die Arbeit, die zu der Biegung nötig ist, wird hier durch die Ringspannungen allein
geliefert, da die äußere Belastung keine Arbeit leistet. Die zur Biegung nötige
Arbeit liefert die Beziehung
A_R=\frac{E\,J}{2\,r^3}\,\int\,\left(\eta+\frac{d^2\,\eta}{d\,\varphi^2}\right)\,d\,\varphi
zu
A_R=\frac{9}{2}\,\frac{E\,J}{r^3}\,f^2\,\int_0^\pi\,\sin^2\,2\,\varphi\,d\,S,
oder, wenn man die Integration ausführt, zu
A_R=\frac{9\,\pi}{4}\,\frac{E\,J}{r^3}\,f^2 . (13)
Durch die Biegung hat sich der Halbkreis um
\Delta\,l=\frac{1}{2\,r}\,\int_0^\pi\,\left(\frac{d\,\eta}{d\,\varphi}\right)^2\,d\,\varphi
Diese Beziehung folgt aus der schon vorher benutzten \Delta\,l=\frac{1}{2}\,\int\,\left(\frac{d\,\eta}{d\,x}\right)^2\,d\,x, wenn darin
x durch r . φ
ersetzt wird. Sie kann auch ähnlich wie dies in der Fußnote 2 auf Seite 86
angegeben ist, aus dem Ausdruck für die Bogenlänge einer in Polarkoordinaten
gegebenen Kurve hergeleitet werden.
verlängert. Mit \frac{d\,\eta}{d\,\varphi}=2\,f\,\cos\,2\,\varphi erhält man daher für die
Vergrößerung
\Delta\,i=\frac{\pi\,f^2}{r} . . (14)
Wären die Enden A und B frei, so würde die Kraft p .
r, die hier als „Auflagerkraft“ zu denken wäre, die Arbeit
p\,r\,.\,\frac{\pi\,f^2}{r}=\pi\,p\,f^2 leisten. Da aber die Punkte A und B festgehalten sind, verteilt sich die gesamte
Längenänderung so auf die einzelnen Stabelemente, daß die nahe bei A und B liegenden Teile
sich nur wenig, die weiter entfernten mehr verlängern. Wollte man ein parabolisches
Gesetz für diese Längenänderungen annehmen, so wäre die Arbeit der Ringspannungen
gleich \frac{2}{3}\,\pi\,p\,f^2. In Wirklichkeit jedoch wird der Ring an den Stellen, wo er über
den ursprünglichen Kreis heraustritt, eine große, da wo er nach der Biegung
innerhalb des Kreises verläuft, eine geringe Dehnung erfahren. Jedenfalls läßt
sich also die Arbeit der Ringdruckkräfte in folgende Grenzen einschließen:
\frac{2}{3}\,\pi\,p\,f^2\,<\,A_R\,<\,\pi\,p\,f^2.
Der genaue Wert liegt näher bei der unteren Grenze und soll im
folgenden A_R=\frac{3}{4}\,\pi\,p\,f^2 gesetzt werden. Aus der Gleichheit der bei der Biegung
verbrauchten Arbeit und der von den Ringkräften geleisteten Arbeit folgt
\frac{3}{4}\,\pi\,p\,f^2=\frac{9\,\pi}{4}\,\frac{E\,J}{r^3}\,f^2.
Die kritische Pressung ist daher
p=3\,\frac{E\,J}{r^3}Der Wert πpf2 gibt
p=\frac{9}{4}\,\frac{E\,J}{r^3} und stimmt überein mit der von M. Lévy, Compt. Rend. 97 (1883) S. 694 und 979 angegebenen Näherung. Der
Wert \frac{2}{3}\,\pi\,p\,f^2 würde p=\frac{27}{8}\,\frac{E\,J}{r^3} oder p=3,38\,\frac{E\,J}{r^8} liefern. . . . .
. . (15)
Eine genauere Rechnung gewinnt man dadurch, daß man die Arbeit der Ringspannungen,
die im Vorhergehenden nur in ihren Grenzwerten angegeben werden konnte, genauer
berechnet. Bei der Formänderung des Ringes erfährt jeder Punkt eine Verschiebung in
radialer und eine Verschiebung in tangentialer Richtung. Die erste wollen wir mit
w, die andere mit v
bezeichnen; ihre als positiv geltenden Richtungen sind aus der Abb. 2 zu ersehen.
Bevor die Arbeit der tangentialen (Ring-) Spannungen berechnet werden kann, muß die
Dehnung der Stabelemente bekannt sein. Einem Punkt, der vor der Formänderung die
Koordinaten x = r . cos
φ, y = r . sin φ
hatte, entspricht nach der Verbiegung ein Punkt, dessen Koordinaten \overline{x}=(r-w)\,\cos\,\varphi-v\,\sin\,\varphi,\ \overline{y}=(r-w)\,\sin\,\varphi+v\,\cos\,\varphi sind,
Die Projektionen eines Stabelementes, die vorher dx, dy
waren, sind daher übergegangen in
d\,x=\left[-\left(r-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)\,\sin\,\varphi-\left(v+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)\,\cos\,\varphi\right]\,d\,\varphi,
d\,\overline{y}=\left[\left(r-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)\,\cos\,\varphi-\left(v+\frac{d\,w}{p\,\varphi}\right)\,\sin\,\varphi\right]\,d\,\varphi.
Für das Quadrat des vergrößerten Bogenelementes folgt
damit:
d\,\overline{s}^2=\left[\left(r-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)^2+\left(v+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)^2\right]\,d\,\varphi^2.
Bezeichnet man nun die Dehnung mit ε, so ist \varepsilon=\frac{d\,\overline{s}-d\,s}{d\,s}
und
\frac{d\,\overline{s}^2-d\,s^2}{d\,s^2}=\frac{d\,\overline{s}+d\,s}{d\,s}\,.\,\frac{d\,\overline{s}-d\,s}{d\,s}=\varepsilon\,(\varepsilon+2)
oder, wenn man nur die Glieder vom ersten Grad in ε beibehält:
\varepsilon=\frac{1}{2}\,\frac{d\,\overline{s}^2-d\,s^2}{d\,s^2}.
Indem man noch die entsprechenden Werte einträgt, findet
man
\varepsilon=\frac{1}{2\,r^2}\,\left[-2\,r\,\left(w-\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)+\left(-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)^2+\left(v+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)^2\right] (16)
Bei einer kleinen willkürlichen Verschiebung müssen die Formänderungen vom zweiten
Grad klein sein. Daher muß zwischen v und w die Beziehung bestehen
w-\frac{d\,v}{d\,\varphi} . . . . . (17)
Diese Beziehung wird, wenn auch die Bedingung, daß bei A und B die Größen w und v verschwinden
müssen, erfüllt ist, befriedigt durch den Ansatz:
v=\frac{1}{2}\,f\,(1-\cos\,2\,\varphi),\ w=\frac{d\,v}{d\,\varphi}-f\,\sin\,2\,\varphi (18)
Berücksichtigt man nun, daß hier infolge der Beziehung (17)
zwischen w und v
\varepsilon=\frac{1}{2\,r^2}\,\left(v+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)^2
ist, so folgt für die Arbeit der Ringspannungen:
A_R=-\frac{p\,f^2}{8}\,\int_0^\pi\,(1+3\,\cos\,2\,\varphi)^2\,d\,\varphi,
oder ausgewertet
A_R=-\frac{11}{16}\,\pi\,p\,f^2 . . . (19)
Dies ist rund 0,69 πpf2, während die Näherungsrechnung diese Arbeit als
zwischen 0,66 πpf2
und 1,0 πpf2 liegend
ergab.
Bei der Berechnung der Arbeit, die von den äußeren Kräften geleistet wird, ist zu
beachten, daß sich die Größe der Belastung eines Bogenelementes während der
Verschiebung ändert. Wir zerlegen die Last prdφ in eine
wagerechte Komponente ph
= pdy und in eine senkrechte pv
= pdx und verfolgen getrennt die Aenderungen. Die
Strecke dy = r cos φdφ ist
nach der Verschiebung übergegangen in
\left[\left(r-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)\,\cos\,\varphi-\left(v+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)\,\sin\,\varphi\right]\,d\,\varphi.
Die entsprechende Größe der Belastung wird daraus durch
Multiplikation mit p gefunden. Ihr Mittelwert während
der Bewegung beträgt daher
p_{n\,m}=p\,d\,\varphi\,\left[r\,\cos\,\varphi+\frac{1}{2}\,\left(-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)\,\cos\,\varphi-\frac{1}{2}\,\left(v+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)\,\sin\,\varphi\right]
Der Angriffspunkt dieser Kraft legt bei der Verschiebung die
Strecke w cos φ + v sin
φ + (Glieder höherer Ordnung) zurück, so daß die
Arbeit der wagerechten Komponente
d\,A_h=p\,d\,\varphi\,\left[w\,r\,\cos^2\,\varphi+\frac{1}{2}\,w\,\left(-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)\,\cos^2\,\varphi-\frac{1}{2}\,w\,\left(v+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)\,\sin\,\varphi\,\cos\,\varphi+v\,r\,\sin\,\varphi\,\cos\,\varphi+\frac{1}{2}\,v\,\left(-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)\,\sin\,\varphi\,\cos\,\varphi-\frac{1}{2}\,v\,\left(v+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)\,\sin^2\,\varphi\right]
beträgt. Auf die gleiche Weise findet man für die Arbeit der
lotrechten Komponente:
d\,A_v=p\,d\,\varphi\,\left[w\,r\,\sin^2\,\varphi+\frac{1}{2}\,w\,\left(-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)\,\sin^2\,\varphi+\frac{1}{2}\,w\,\left(v+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)\,\sin\,\varphi\,\cos\,\varphi-v\,r\,\sin\,\varphi\,\cos\,\varphi-\frac{1}{2}\,v\,\left(-w+\frac{d\,v}{d\,\varphi}\right)\,\sin\,\varphi\,\cos\,\varphi-\frac{1}{2}\,v\,\left(v+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)\,\sin^2\,\varphi\right].
Die Summe beider Arbeiten liefert die gesamte Arbeit, die von
den äußeren Lasten bei der Verschiebung geleistet wird, zu
A_a-p\,\int\,\left[w\,r-\frac{w^2}{2}-\frac{v^2}{2}+\frac{1}{2}\,w\,\frac{d\,v}{d\,\varphi}-\frac{1}{2}\,v\,\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right]\,d\,\varphi (20)
Im vorliegenden Falle vereinfacht sich dies, infolge der
Beziehung w=\frac{d\,v}{d\,\varphi} zu
A_a-p\,\int\,\left(w\,r-\frac{v^2}{2}-\frac{1}{2}\,v\,\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)\,d\,\varphi.
Führt man. die Werte für v und
w ein und integriert zwischen den Grenzen 0 und π, so ergibt sich für die Arbeit der äußeren Kraft im
vorliegenden Fall
A_a=-\frac{\pi}{16}\,p\,f^2 . . . . (21)
Die innere Biegungsarbeit ist schon früher bestimmt worden und
beträgt
A_B-\frac{E\,J}{2\,r^3}\,\int\,\left(w+\frac{d\,w}{d\,\varphi}\right)^2\,d\,\varphi,
oder nach Gleichung (13)
A_B-\frac{9\,\pi}{4}\,\frac{E\,J}{r^3}\,f^2 . . . . . (22)
Die Bedingung, daß die Summe der Arbeiten verschwinden muß,
ergibt
\frac{11}{16}\,\pi\,p\,f^2+\frac{1}{16}\,\pi\,p\,f^2=\frac{9}{4}\,\frac{E\,J}{r^3}\,f^2.
Aus ihr folgt, daß der Ring knickt, wenn
p=3\,\frac{E\,J}{r^3} . . . . . (23)
ist. Wir haben also das gleiche Ergebnis erhalten wie
vorher.
III. Knicken eines Zylinders unter
Außendruck.
Nun gehen wir dazu über, den kritischen Außendruck für einen Zylinder mit gelenkig
befestigten Enden zu bestimmen. Die Biegungsarbeit setzt sich wieder aus der Arbeit
der Ringe und derjenigen der lotrechten Fasern zusammen und ist schon in den
Gleichungen (7) und (8) berechnet. Es handelt sich jetzt noch um die Berechnung der
Arbeit, die von den Ringspannungen und den äußeren Lasten geleistet wird. Dafür
hatten wir vorher den Wert \frac{3}{4}\,\pi\,p\,f^2 gefunden. Um zu der entsprechenden Arbeit für
den Zylinder zu gelangen, hat man nur f durch
\frac{\pi}{l}\,x zu ersetzen und über die Länge zu integrieren. Man findet dann
A=\frac{3}{4}\,\pi\,p\,f^2\,\int_0^l\,\sin^2\,\frac{\pi}{l}\,x\,d\,x
oder
A-\frac{3}{8}\,\pi\,p\,l\,f^2 . . . . . (24)
Aus der Gleichung A = AR
+ As ergibt sich dann
der kritische Druck zu
p=\frac{3\,E\,J}{r^2}\,\left(1+\frac{\pi^4}{9}\,\frac{r^4}{l^4}\right) . . . . (25)
Sind dagegen die Enden eingespannt, so sind As und An durch die
Gleichungen (11) gegeben.
Die Arbeit der Ringkräfte findet man genau wie vorher, indem man f durch \frac{1}{2}\,f\,\left(1-\cos\,\frac{2\,\pi}{l}\,x\right) ersetzt und über die Länge
integriert zu
A-\frac{3}{16}\,\pi\,p\,f^2\,\int\,\left(1-\cos\,\frac{2\,\pi}{l}\,x\right)^2\,d\,x
oder
A-\frac{9}{32}\,\pi\,p\,l\,f^2 . . . . (26)
Aus der Arbeitsgleichung folgt dann für den kritischen
Außendruck eines an den Enden eingespannten Zylinders
p=\frac{3\,E\,J}{r^3}\,\left(1+\frac{16\,\pi^4}{27}\,\frac{r^4}{l^4}\right) . . . . . (27)
Sind die Zylinderenden noch durch Zugkräfte parallel der Achse belastet, so wird die
Tragfähigkeit bedeutend erhöht. Dieser Fall liegt zum Beispiel bei Flammrohren vor,
wo die Befestigung an den Kesselböden einer Annäherung der Enden entgegenwirkt.
Beträgt der Zug q kg für die Längeneinheit des
Querschnittumfanges, so kommt auf der linken Seite noch die (negative) Arbeit dieser
Kräfte im Betrag von \frac{1}{2}\,q\,r\,\int\,\Delta\,l\,d\,\varphi hinzu, deren Größe gleich dem entsprechenden Wert in
Gleichung (24) ist, wenn man p durch q ersetzt.
Zu beachten ist der Faktor \frac{1}{2}, der hier hinzukommt, weil die Belastung
q allmählich von Null bis zum Endwert anwächst. Man
findet dann für den kritischen Druck
\left{{\mbox{bei gelenkigen Enden }p=\frac{3\,E\,J}{r^3}\,\left(1+\frac{\pi^4\,r^4}{9\,l^4}+\frac{\pi^2}{6}\,\frac{qr}{l^2}\right)}\atop{\overset{\mbox{und
bei eingespannten}}{\mbox{Enden}}\ p=\frac{3\,E\,J}{r^3}\,\left(1+\frac{16\,\pi^4\,r^4}{27\,l^2}\right)+\frac{\pi^2\,q\,r}{18\,l^2}}}\right\}\
(28)
Es wird mit Hilfe des Satzes, daß im Augenblick des Knickens die geleistete Arbeit
gleich der verbrauchten sein muß, für verschiedene Belastungen des Zylinders und für
den unter Außendruck stehenden Ring, die kritische Last abgeleitet. Die erhaltenen
Werte stimmen für die Fälle, die in anderer WeiseVgl. Forchheimer,
Die Berechnung ebener und gekrümmter Behälterböden, Berlin 1909. – Engesser, Ueber Knickfestigkeit von Ringen und
Rohren. Zentralblatt der Bauverwaltung 1888. bereits behandelt
sind, mit diesen überein.
Aus den Untersuchungen läßt sich insbesondere noch der Schluß ziehen, daß es bei der
Behandlung von Problemen des Knickens auf eine genaue
Kenntnis der Formänderung nicht ankommt. Dies zeigen auch die Versuche,Vgl. Kayser,
Beziehungen zwischen Druckfestigkeit und Biegungsfestigkeit. Z. d. V. d. I.
1917 Heft 5 und 6, insbesondere die lehrreiche Abb. 11 auf S. 96, die den
Unterschied zwischen der angenommenen und wirklich eingetretenen Knicklinie
zeigt. aus denen hervorgeht, daß die Formänderung im Augenblick
des Knickens von der theoretisch zugrunde gelegten zwar erheblich abweicht, trotzdem
aber die theoretisch berechnete Knicklast mit der wirklichen gut übereinstimmt.