Titel: | Die Entwicklung der technischen Physik in den letzten 20 Jahren. |
Autor: | W. Hort |
Fundstelle: | Band 332, Jahrgang 1917, S. 102 |
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Die Entwicklung der technischen Physik in den
letzten 20 Jahren.
Von Ingenieur Dr. W. Hort, Berlin-Siemensstadt.
(Fortsetzung von S. 334 Bd. 331)
HORT: Die Entwicklung der technischen Physik in den letzten 20
Jahren.
IV. Technische
Festigkeitslehre.
1. Die Festigkeitslehre hat ihre Entwicklung, zeitlich betrachtet, neben der
Elastizitätslehre und in einem gewissen Zusammenhang mit ihr durchlaufen. Von diesem
Gesichtspunkt aus war es früher und ist es zum Teil auch heute noch in den
Vorlesungen über technische Mechanik üblich, Festigkeitslehre und Elastizität im
gleichen Rahmen zu betrachten. Hiernach ist zum Beispiel das weitverbreitete
Lehrbuch von Föppl über technische Mechanik angelegt,
dessen Bände III und V unsere beiden Wissenszweige in Verknüpfung miteinander
vortragen. Neben der eigentlichen Elastizitätslehre behandelt Föppl in diesen beiden Bänden an Fragen, die zur Festigkeitslehre gehören,
die experimentelle Prüfung der Elastizitätsgesetze einschließlich der Abweichungen
vom Hookeschen Ansatz, die Materialanstrengung, die
Wiederholungsbeanspruchung, die elastische Nachwirkung, die Mohrsche Theorie der Bruchgefahr.
Im Gegensatz hierzu beschränkt sich Lorenz im IV. Bande
seiner technischen Physik auf eine kurze einleitende Betrachtung über den Zug- und
Druckversuch zur Gewinnung der beiden Konstanten der klassischen Elastizität,
nämlich des Zugmoduls E und des Schubmoduls G, um sich im Hauptteile des Werkes ausschließlich der
Ermittlung der Spannungs- und Formänderungszustände innerhalb des
Elastizitätsgebietes zuzuwenden.
Ueberblickt man die neuere Literatur zur Festigkeitslehre, so ist unverkennbar, daß
sich vermöge einer außerordentlich entwickelten Versuchs- und Spekulationstätigkeit
der Stoff zu einem nach Umfang und Methoden mehr und mehr selbständig werdenden
Wissenszweig angesammelt hat, dessen erstmalige Sichtung sich der Bericht von Th. v. KármánTh. v. Kármán. Physikalische Grundlagen der
Festigkeitslehre. Enzykl. Bd. IV, 31. (Abgeschlossen im Sept.
1913.) in der Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften
angelegen sein läßt.
2. Die Aufgabe der Festigkeitslehre ist eine zweifache.
Einmal hat sie die Eigenschaften der Konstruktionsstoffe außerhalb des
Elastizitätsgebietes bis zur Bruchgrenze zu erforschen und dabei die Bedingungen des
Bruches zu ermitteln, die für die Formeln für die Festigkeitsberechnung der Bauteile
maßgebend sind, andererseits wird sie bis auf weiteres den Rahmen bilden können für
die Entwicklung der mathematischen Ansätze, nach denen die Formänderungen der Körper
vor sich gehen, die nicht dem Hookeschen Gesetz folgen.
Wir wissen heute, daß ein Elastizitätsgebiet, in welchem das Hookesche Gesetz gilt, nur für eine beschränkte Anzahl von Stoffen
existiert und daß selbst für diese Stoffe das Hookesche
Gesetz an Gültigkeit verliert, sobald die Zeit in Rücksicht gezogen wird. Einsicht
in diese Fragen kann nur das Experiment verschaffen. So gibt es zum Beispiel für
ausgeglühtes Kupfer und Weichblei keine Elastizität (selbst kleinste Formänderungen
lassen Dehnungsreste zurück), bei Gußeisen und Steinen kann man die Ergebnisse der
Zug- und Druck- oder Biegungsversuche nur durch Interpolationsformeln in Gestalt von
PotenzgesetzenC. Bach. Z. d. V. d. I. 1888, 1895, 1896, 1897. W.
Schüle. D. p. J. 1902.Grüneisen. Verh. phys. Ges. 1906 S. 469.Kohlrausch u. Grüneisen. Berl. Ber. 1901 S. 1086. wiedergeben.
3. Besonders verwickelte Verhältnisse ergeben sich beim Zugversuch an flußeisernen
Stäben. In der Abb. 1 (S. 103) ist das Aussehen des
gewöhnlichen Zugdehnungsschaubildes dargestellt.
Von den eingezeichneten Grenzpunkten sind Elastizitätsgrenze und
Proportionalitätsgrenze abhängig von der Schärfe der Beobachtungsmittel, d.h. von
dem Maß der Restdehnungen oder Proportionalitätsabweichungen, die man noch erkennen kann.
Neuerdings wird zum Beispiel die Elastizitätsgrenze bei der Spannung angenommen, bei
welcher sich 0,03 v. H. an bleibender Dehnung ergeben.
Die beiden Streckgrenzen sind bei vielen Eisensorten gut ausgeprägt; bei anderen
fallen sie zusammen; man nennt sie auch Fließgrenzen.
Zugfestigkeit Kl und
Bruchgrenze, wie die Bruchdehnung φl sind meistens gut beobachtbar; beide Zahlen sind
wesentliche Grundlagen der Materialbeurteilung.
Die Stoffeigenschaften innerhalb des Fließgebietes sind neuerdings Gegenstand vieler
Untersuchungen gewesen. Insbesondere hat H. HortZ. d. V. d. I. 1906 S. 1860, 2110.
die gegenseitigen Beziehungen der Teile x und y des Fließgebietes näher untersucht. Durch Verfolgung
der Wärmeentwicklung beim Zugversuch konnte nachgewiesen werden, daß der
Fließvorgang im Gebiete x sich ungleichmäßig über die
Länge des gezogenen Stabes verteilt, während im Gebiete y der ganze Stab in allen seinen Teilen gleichmäßig fließt. Die
Lastschwankungen im Gebiete x werden dabei verursacht
durch die ruckweise erstmalige Einleitung des Fließvorganges in den verschiedenen
Stabteilen, im Zusammenhang mit der Eigenelastizität der Festigkeitsmaschine;
dementsprechend werden die Gebiete x und y als labiles resp. stabiles Fließgebiet
bezeichnet.
Textabbildung Bd. 332, S. 102
Helft uns siegen! zeichnet die Kriegsanleihe.
Dafür, daß in manchen Fällen, wie in Abb. 1 gezeigt,
die obere Fließgrenze beträchtlich über der mittleren Spannung des labilen Gebietes
liegt, hat man verschiedene untereinander wenig übereinstimmende Erklärungsversuche,
die wir deshalb nicht ausführlicher erörtern.
5. Etwas mehr kann man über das stabile Fließgebiet aussagen. Entlastet man nämlich
innerhalb des stabilen Gebietes, etwa bei A oder B (Abb. 2) die
Prüfungsmaschine, so verhält sich der Stab wie ein elastischer von etwa demselben
Elastizitätsmodul wie der ursprüngliche Stab. Bei erneuter Belastung wird die
vorhergegangene Maximallast wieder erreicht, ehe sich der regelmäßige
Fließvorgang fortsetzt. Es liegt eine Erhöhung der Elastizitätsgrenze vor; die
Längung des Stabes wirkt etwa wie eine Kaltbearbeitung. Auf diese Weise kann man
ausgeglühtem Kupferdraht einen Elastizitätsmodul verleihen. Vergleiche zum Beispiel
das von H. Hort mitgeteilte Schaubild Abbildung 3.
Die Zugdehnungskurve kann man durch die Druckkurve vervollständigen. Nach einem von
E. MeyerZ. d. V. d.
I. 1908 S. 167. angegebenen Verfahren kann man aus der so
aufgenommenen Zug-Druckkurve das Verhalten eines Stabes gleichen Materials bei
reiner Biegung voraus berechnen, bei welcher bekanntlich die einzelnen Fasern zum
Teil gezogen, zum Teil gedrückt werden. E. Meyer fand,
daß bis zu recht erheblichen Belastungen (über die Fließgrenze hinaus) die
berechneten und die beobachteten Biegungserscheinungen gut übereinstimmten (Abb. 4).
6. Außer der Beanspruchung auf Zug, Druck, Biegung und Drehung benutzen wir noch die
Härteprüfung zur Untersuchung unserer Baustoffe. Dies Prüfungsverfahren ist insofern
bemerkenswert, als es im Zusammenhang mit einer der berühmtesten Untersuchungen der
mathematischen Elastizitätslehre entstanden ist, nämlich der in Fußnote 119
genannten Untersuchung von H. Hertz.Journ. f. Math. 92 (1882).
Hertz wollte ein absolutes Maß für die Härte einführen,
indem er als Härtezahl die größte zur Rißbildung führende Druckspannung auf eine
kreisförmige Druckfläche ansprach, die sich bei der Aneinanderpressung zweier Körper
aus gleichem Stoff ausbildet. Seine Untersuchung hatte nämlich ergeben, daß die eine
gegebene Druckspannung σ0 herbeiführende Kraft P unabhängig von den
Körperabmessungen ist.
Für eine Kugel, die nach Abb. 5 auf eine Ebene
gedrückt wird, gilt:
\sigma_0=0,388\,\sqrt[3]{P\,\frac{E^2}{r^2}}.
Nach dem Vorschlag von Hertz hätte man P so lange zu steigern, bis in
der Mitte der Druckfläche AB ein Riß auftritt; dann
würde das nach der Formel berechnete σ0 als Härte gelten.
Angestellte VersucheF. Auerbach. Ann. d. Phys. 45 (1892); 3 (1900). F.
M. Schwerd. Mitt. Lab. Münch. 25
(1897). ergaben, daß die so errechneten Härteziffern von den
absoluten Körperabmessungen abhängig waren, was FöpplTechn. Mechanik Bd. III, 2. A., S.
477. auf Oberflächenkräfte zurückführt, die er mit den bekannten
Kapillaritätseigenschaften freier Flüssigkeitsoberflächen in Parallele stellt.
Textabbildung Bd. 332, S. 103
Abb. 1.
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Abb. 2.
Wir lassen unerörtert, in wie weit diese Analogie zutrifft, jedenfalls hat die
Komplikation der ursprünglich theoretisch recht einfach erscheinenden
Prüfungsmethode durch die praktischen Umstände nicht verhindern können, daß die
Kugeldruckprobe, insbesondere im Anschluß an. die Verbreitung der BrinellschenSiehe
hierüber z.B. D. p. J. 317 (1902); 318 (1903). Kugeldruckpresse,
in lebhafte Aufnahme gekommen ist. Sie verdankt dies der technisch leicht und
schnell zu ermöglichenden Versuchsausführung, überall da, wo es auf die Anstellung
von zahlreichen Vergleichsproben ankommt. Natürlich fehlt
es auch nicht an Bestrebungen, den theoretisch der Kugeldruckprobe anhaftenden
Mangel der Abhängigkeit der Zahlenangaben von den Versuchsbedingungen zu beseitigen.
Eine Untersuchung von Eugen MeyerZ. d. V. d. I. 52 (1908) S. 167,
645. beschäftigt sich besonders eingehend in dieser Richtung und
sucht auch die Kugeldruckprobe in Zusammenhang zu bringen mit dem älteren, von der
Mineralogie ausgebildeten Ritzhärteprüfverfahren, sowie der Zylinder-Föppl u. Schenk. Mitt. Lab. München 28 (1902).
und Kegeldruckprobe.P. Ludewik. Z. d. österr. Arch.- und
Ingenieur-Vereins 59 (1907) S. 191. Diese Versuche geben
dankenswerte Aufschlüsse über das Verhalten der Baustoffe, namentlich von Stahl
und Eisen, beweisen aber im übrigen ebenso wie zwei Arbeiten von A. KürthZ. d. V. d.
I. 1908 S. 1560, 1608. die große Verwicklung der Erscheinungen
bei den Härteprüfverfahren, die wohl nur dann ihre Lösung finden werden, wenn es
gelingt, die Formänderungen oberhalb der Elastizitätsgrenze mit derselben Schärfe
rechnerisch zu erfassen, wie die elastischen Deformationen.
7. Die Frage nach der Härtedefinition führt weiter zu dem allgemeinen Problem der
Festigkeit oder anders ausgedrückt zum Problem der Zulässigkeit eines gegebenen
Beanspruchungszustandes. Eine vorläufige Festsetzung ergibt sich aus der Forderung,
daß bei einem Maschinen- oder Bauteil der Spannungs- oder Beanspruchungszustand
niemals eine bleibende Formänderung oder gar einen Bruch herbeiführen darf. Hiermit
erhalten wir schon zwei Möglichkeiten der Untersuchung, indem wir entweder die mit
der Beanspruchung verbundene Spannung oder Dehnung zugrunde legen können.
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Abb. 3.
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Abb. 4.
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Abb. 5.
Die Zug- und Druckspannungen σz und σd an
der Proportionalitäts- oder Bruchgrenze sind der Beobachtung beim Zug-Druckversuch
besonders leicht zugänglich; ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Spannungen
und dem Ueberschreiten der genannten Grenzen ist augenscheinlich. Hieraus wurde
bereits von Lamé und ClapeyronJournal f. Math. 1831
S. 150. die später auch von ClebschTheorie der
Elastizität 1862 S. 134. übernommene Anschauung gefolgert, daß
bei allen den Spannungszuständen die Proportionalitäts- oder die Bruchgrenze
überschritten wird, bei denen die größte auftretende positive oder negative Hauptspannung die beim einfachen Zug-Druckversuch an den
genannten Grenzen ermittelten Spannungswerte überschreitet. Diese Annahme erweist sich als
unrichtig, wenn man einen gewöhnlichen reinen Drehungsversuch anstellt. Bei der reinen Drehung treten zwei entgegengesetzt
gleiche Hauptspannungen auf, die mit ± σt bezeichnet seien. Im Augenblick der
Ueberschreitung der Elastizitätsgrenze müßte nach der obigen Annahme
+ σt =
σz
sein. Dies trifft nicht allgemein zu; nach Versuchen von BauschingerMitt.
mechan.-techn. Lab. München 1874. mit Bessemerstahl war
vielmehr
+ σt ≅
0,5 σz.
9. Von B. de St. VenantNavier, Résumé des leçons sur l'application de
la mécanique etc. Avec des notes par B. de St.
Venant. Paris. 1864. stammt die Anschauung, daß das
Ueberschreiten der Proportionalitäts- und Bruchgrenze durch gewisse Werte der Hauptdehnungen bedingt sei, die jenen Grenzen
entsprechen. Diese Anschauung liegt den heute gebräuchlichen Festigkeitsformeln des
Materialbaues zugrunde.
Bezeichnen σx <
σy < σz die drei Hauptspannungen, m = 4 den Koeffizienten der
Querkontraktion, so wird zum Beispiel die größte Dehnung in der z-Richtung:
\varepsilon_T=\frac{1}{E}\,\left(\sigma_z-\frac{\sigma_y+\sigma_x}{m}\right)
Beim gewöhnlichen Zugversuch (σy = σx = 0) würde sein:
\varepsilon_T=\frac{\sigma_z}{E}.
Beim Druckversuch (σz = 0; σx = – σd; σy = 0) gilt
\varepsilon_d=\frac{\sigma_d}{E}.
Beim Torsionsversuch (σx = – σt; σy = 0; σz = + σt) wird:
\varepsilon_t=\frac{5\,\sigma_t}{4\,E}.
Nach der Dehnungsannahme müßte zum Beispiel an der
Elastizitätsgrenze bei den drei Versuchen sein:
εz =
εd = εt,
woraus für die zugehörigen Spannungen folgen würde:
σz :
σd : σt = 1 : 4 : 0,8.
Nach den oben genannten Versuchen von BauschingerSiehe Fußnote
155. gilt jedoch:
σz :
σd : σt = 1 : 1 : 0,5.
Also kann auch die Dehnungstheorie nicht allgemein richtig
sein.
10. Es ist nach vorstehendem klar, daß die Theorie der größten Spannung oder der
größten Dehnung nur im Falle der einfachen Zugbeanspruchung richtig sein kann. In
allen anderen Fällen ist offenbar das Eintreten des Bruches oder das Ueberschreiten
der Elastizitätsgrenze nicht von der größten Hauptspannung oder Hauptdehnung
abhängig. Hier treten die Theorien in ihr Recht, die die Schubspannung als bestimmende Größe für die genannten Grenzzustände
heranziehen.
Eine solche Anschauung haben Thomson und TaitTreatise on
natural philosophy Bd. I, 2. 1882. S. 422. in ihrer Natural
Philosophy entwickelt: Die Bruchgrenze bestimmt sich durch die größte auftretende
Schubspannung:
\tau_{\mbox{max}}=\frac{\sigma_z-\sigma_v}{2}
oder durch die Differenz der größten und kleinsten
auftretenden Hauptspannungen σz und σx, während die mittlere der drei Hauptspannungen
ohne Einfluß bleibt. Dieser Annahme liegt die physikalische Anschauung zugrunde, daß
der Bruch- oder Fließbeginn bei gewissen Körpern und Versuchsanordnungen durch ein
Gleiten in einer Ebene größter Schubspannung bedingt ist, welche Ebene durch die σy-Achse geht und gegen die σz- und σx-Achse um 45° geneigt
ist.
Die Schubspannungstheorie erweist sich als zutreffend bei allen an sich oder
wenigstens unter hohem allseitigen Druck plastischen Stoffen, dagegen ist sie
unzureichend bei den meisten Baustoffen des Maschinenbaues, insbesondere bei der
reinen Zug-, Druck- und Drehungsbeanspruchung.
11. Zur Beseitigung dieser Schwierigkeiten sind eine Reihe von Ansätzen aufgestellt
worden, die zur Schubspannungstheorie insofern eine Verwandtschaft haben, als sie
die Bruch- oder Fließgrenze abhängig machen sowohl von der Schubspannung als von der Normalspannung.
Diese Anschauungen gehen auf CoulombMèm prés. par div. savants. Paris 7 (1776) S.
343. zurück, wurden von Dugnet,Ch. Duguet. Limite
d'élasticité et résistance à la rupture. Paris 1885.
Mesnager und anderen weitergebildet und erhielten
schließlich von MohrO.
Mohr. Abh. aus dem Gebiete der techn.
Mechanik. Berlin 1906. S. 187. Civilingen. (1882) S. 113. eine
solche Fassung, daß zunächst das Verhalten unserer Maschinenbaustoffe durch sie
umfaßt wird.
Nach neueren Versuchen von v. KármánZ. d. V. d. I. 1911 S. 1749. lassen
sich aber auch die spröden Körper (Marmor) der Mohrschen
Hypothese unterordnen, sofern man Zugbeanspruchungen ausschließt.
Diese Theorie von Mohr geht von der Tatsache aus, daß bei
gewissen Festigkeitsversuchen die Trennung der beanspruchten Teile beim Bruch längs
Flächen erfolgt, deren Verlauf den Ebenen größter Schubspannung folgt. Hieraus
folgert Mohr in seiner grundlegenden Arbeit,Civiling. 1882 S. 113. daß die
Schubspannung beim Fließ- und Bruchvorgang eine Rolle spielt. Nun setzt er die
maßgebende Größe der formändernden Schubspannung als abhängig von der in der
Gleitebene wirkenden Normalspannung
σ voraus nach dem Ansatz:
τmax ≧
φ(σ),
wo die Funktion φ(σ) durch
Versuch zu ermitteln ist.
Von der Funktion φ(σ) gewinnt Mohr zunächst eine zeichnerische Vorstellung auf folgende Weise.
Die Ebenen, in denen das Gleiten beginnt, müssen auf der Ebene, welche die größte und
kleinste Hauptspannung σz und σx enthält, senkrecht
stehen. In der Abb. 6 sei OE die Spur einer Gleitebene mit der σz-σx-Ebene. In einem einzelnen Punkt der Ebene OE herrscht eine Spannung, der Normal- und
Schubkomponente σ und τ
seien. Für diese Komponenten gelten die Ansätze:
\sigma=\frac{\sigma_z+\sigma_{v}}{2}+\frac{\sigma_z-\sigma_v}{2}\,\cos\,2\,\vartheta,
\tau=\frac{\sigma_z-\sigma_v}{2}\,\sin\,2\,\vartheta.
Bei gegebenem σz und σx stellen sich hiernach σ und τ graphisch nach Abb. 7 dar. Kennzeichnen nun σz und σx einen Spannungszustand an der Elastizitäts- oder
Bruchgrenze, so kann man aus dem Spannungskreis
K1 die Normal- und
Schubspannungen in allen auf der σz-σx-Ebene senkrechten Ebenen entnehmen. Sei nun der
Kreis K2 ebenfalls
einem Grenzspannungszustand entsprechend und τ = φ(σ) die von Mohr
vorausgesetzte Beziehung zwischen der Grenzschubspannung τ und der zugehörigen Normalspannung σ, so
muß die Kurve τ = φ(σ) die
Kreise K1
K2 . . . der Grenzspannungszustände einhüllen.
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Abb. 6.
Zur Prüfung dieser Theorie von Mohr sind bereits
zahlreiche Versuche angestellt worden, die einerseits die Grundannahme der
Einflußlosigkeit der mittleren Hauptspannung σy auf den Grenzzustand dartun, andererseits die
Gestalt der Grenzkurven τ = φ(σ) ermitteln sollen.
Mit Rohren aus Flußeisen und Kupfer experimentierte J. Guest,Phil. Mag. Bd. 50
(1900) S. 690. indem er die Fließgrenze für die
Beanspruchungsarten Zug-Verdrehung, Zug-Innendruck, Verdrehung-Innendruck
bestimmte.
Textabbildung Bd. 332, S. 105
Abb. 7.
Weitere Versuche mit weichem Stahl in Stab- oder Rohrform stellten Mason,Proc. of the
Inst. of Mech. Eng. 1909 S. 1205.
Hancock,Phil. Mag.
Bd. 12 (1906) S. 418; Bd. 15 (1908) S. 214.
Scoble,Phil. Mag.
Bd. 12 (1906) S. 533.
SmithProc. of the
Inst. of Mech. Eng. 1910 S. 1237. an, durch die die
Einflußlosigkeit der mittleren Hauptspannung für die zähen Stoffe dargetan
wurde.
Für den Beweis der weiteren Mohrschen Annahme der
Abhängigkeit der Grenzschubspannung von der Normalspannung sind die Versuche mit
zähen Stoffen nicht geeignet, da bei ihnen eine Veränderlichkeit der
Grenzschubspannung nicht zu erzielen war.
Diese Veränderlichkeit kann man bei Versuchen mit spröden Körpern erzielen, die man
allseitigem Druck aussetzt.
Nach Versuchen von FöpplMit. mech.-techn. Lab. München 27
(1900). und anderen, die wenigstens keine Gründe gegen die Mohrsche Annahme liefern, hat v. KármánSiehe Fußnote
162. ausgedehnte Festigkeitsversuche mit Marmor und Sandstein
ausgeführt.
Zylindrische Probekörper werden achsial bis zum Bruch durch Druck belastet, während
ihre Mantelfläche durch gepreßtes Glyzerin verschieden hohen allseitigen Drücken σz unterworfen
wurde.
Textabbildung Bd. 332, S. 105
Abb. 8.
Aus dem veröffentlichten Versuchsbericht gibt Abb. 8
die Festigkeitskurven für Marmor bei verschieden abgestuften σx, aus denen die Spannungskreise für die
Elastizitätsgrenze in Abb. 9 gezeichnet sind. In der
Tat existiert für die Grenzkreise eine einhüllende Grenzkurve.
Wegen weiterer wichtiger Schlüsse aus der v. Kármánschen
Untersuchung, insbesondere aus den mit ihr verbundenen Gefügebetrachtungen sei auf
die Arbeit selbst verwiesen.
Jedenfalls findet die Mohrsche Theorie an den
beschriebenen Ermittlungen eine gewichtige Stütze, demgegenüber Versuche von W. VoigtW. Voigt. Ann. d. Phys. 53 (1894) S. 43; 67 (1899)
S. 452: 4 (1901) S. 567. mit künstlichen spröden Massen keine
durchgreifende Widerlegung bieten. Bedenken gegen die Beweiskraft dieser Versuche
sind in erster Linie von MohrZ. d. V. d. I. 1901 S. 140 und 1033.
selbst erhoben worden; eine endgültige Erklärung des widersprechenden Verhaltens der
von Voigt benutzten stearinartigen Probekörper steht
allerdings noch aus. Es ist nicht unmöglich, daß die Mohrsche Theorie in erster Linie für eine bestimmte Art des Bruchvorganges
richtig ist, die PrandtlPrandtl Verhandl.
deutscher Naturforscher und Aerzte. Dresden 1907. als Gleitungsbruch zu bezeichnen vorschlägt, während andere
Brucharten (zum Beispiel der Trennungsbruch) sich ihr
nicht unterordnen; vielleicht liegt bei den Voigtschen
Versuchen ein qualitativ ganz anderer Vorgang als ein Gleitungsbruch vor. Da die
Gleitungsbrucherscheinungen bei den meisten praktisch verwendeten Baustoffen
vorherrschend sind, kann die Mohrsche Theorie bis auf
weiteres für diese Stoffe als richtig angenommen werden.
Textabbildung Bd. 332, S. 106
Abb. 9.
12. Die Festigkeitstheorien, wie sie soeben besprochen wurden, sind maßgebend für die
Formeln, nach denen die Maschinen- und Bauteile
berechnet werden. Es ist klar, daß die theoretischen Ansichten über die beim
Ueberschreiten der Fließ- oder Bruchgrenze vorliegenden physikalischen Vorgänge von
Einfluß auf den Bau der Festigkeitsformeln sein müssen. So lautet nach der St. Venantsschen Dehnungstheorie (Nr. 9), die noch heute
herrschend ist die Formel für den Durchmesser einer durch das Biegungsmoment Mb und das
Torsionsmoment Md
beanspruchten Welle, an der Zugrundelegung einer zulässigen Beanspruchung kb:
d^3=\frac{32}{\pi\,k_b}\,[0,35\,M_b+0,65\,\sqrt{{M_b}^2}+\overline{{M_d}^2}].
Nach der Mohrschen Theorie würde
dagegen die Formel zu lauten haben
d^3=\frac{32}{\pi\,k_b}\,\sqrt{{M_b}^2}+{M_d}^2
Ganz allgemein liefert die Mohrsche
Theorie stärkere Abmessungen als die von St. Venant.
Näheres hierüber bringt in ausführlicher Weise eine Arbeit von P. Roth.Z. f. Math.
u. Phys. 48 (1913) S. 285.
13. Es erübrigt noch einen kurzen Blick auf die Formänderungserscheinungen zu werfen,
die unter Berücksichtigung des Einflusses der Zeit beobachtet werden können.
Zunächst sind wichtig für die Frage der Bemessung der Maschinenteile die mit oft und
rasch wiederholtem Belastungswechsel zusammenhängende
Herabsetzung der zulässigen Beanspruchungsgrenzen. Nach den ersten grundlegenden
Versuchen von A. WöhlerZ. f. Bauwesen 8 (1858) bis 20
(1870). sind die bekannten von BachVgl. Taschenbuch Hütte Jahrg. 1908 Bd. I S.
405. angegebenen Beanspruchungszahlen für verschiedene
Belastungszustände entstanden. Im allgemeinen nimmt die zulässige Maximalbelastung
mit zunehmender Wechselzahl ab. Eine weitere Herabsetzung erfährt die Wöhlersche Grenze durch plötzliche Querschnittsänderungen
in den beanspruchten Körpern (Einkerbungen, Absätze), wie FöpplMitt. mech.-techn
Lab. München. 31 (1909). nachgewiesen hat. Das durch Nachlassen
an Festigkeit bei Wechselbeanspruchung gekennzeichnete Stoffverhalten bezeichnet man
als Ermüdung, die von Ewing
und HumphreyLond.
Rog. Soc. Proc. 70 (1902) S. 462. Vgl. auch: a) Ludwik, Ursprungsfestigkeit und statische Festigkeit, eine Studie
über Ermüdungserscheinungen. Z. d. V. d. I. 1903 S. 209. b) P. Ludwik, Ueber die Ermüdung der Metalle, Z. d.
öster. Ing.- und Arch.-Ver. 1906. c) A. Leon,
Ueber die Ermüdung von Maschinenteilen. Z. d. V. d. I. 1917 S. 192,
214. näher untersucht wurde.
Der genaueren Erforschung der mit dauernd wiederholten Belastungen zusammenhängenden
Erscheinungen sind heute ausgedehnte Versuchsanlagen in den größeren
Materialprüfungsanstalten, insbesondere im Kgl. MaterialprüfungsamtMitt. Kgl. Mat.-Pr.-Amt 1914.Ferner M. Rudeloff. Der heutige Stand der
Dauerversuche mit Metallen. Verh. d. V. z. Bef. d. Gewerbefl.
1916. Groß-Lichterfelde gewidmet.
Weiterhin hat neuerdings die Frage der Bruchgefahr bei stoß- oder schlagartigen Beanspruchungen
ausgedehnte Behandlung in Versuchen gefunden.
Diese Beanspruchungsart wird maßgebend beim AuftreffenC. Cranz und K. R.
Koch. Ann. d. Phys. (4) 3 (1900) S
247. von Geschossen auf Widerstände, beim SchmiedeprozeßFr. Kick. Das Gesetz
der proportionalen Widerstände. Leipzig 1885. usw. Bei
Beanspruchungen, die mit dem Schmieden Aehnlichheit haben, hat KickSiehe Fußnote
181. sein bekanntes Gesetz der proportionalen Widerstände ermittelt.
Baumaterialien unterwirft man Fallversuchen,Föppl Mitt. mech.-techn. Lab. München 30 (1906),
32 (1912). Metalle dagegen der sogenannten Kerbschlagbiegeprobe. Ueber letztere ist eine umfangreiche Literatur
entstanden, welche im einzelnen anzugeben hier zu weit führen würde, weshalb auf den
Bericht von EhrensbergerZ. d. V. d. I. 51 (1907) S. 1974 und 2065.
Siehe auch: E. Heyn Die Kerbwirkung und ihre
Bedeutung für den Konstrukteur. Z. d. V. d. I. 1914. über diesen
Gegenstand verwiesen sei.
Das ganze Gebiet der Stoß- und Schlagbeanspruchungen befindet sich noch völlig im
Zustande der Versuchstätigkeit; eine allgemeine Uebersicht über den Zusammenhang der
verschiedenartigen Erscheinungen ist noch nicht gewonnen.
14. Bei genauen Untersuchungen an den verschiedenen Stoffen treten noch eine Reihe
von Erscheinungen auf, die bisher weniger von technischer Bedeutung sind als
vielmehr den Anlaß zu der Vermutung geben, daß die physikalische Natur der
sogenannten festen Körper noch mancher Forschungstätigkeit bedarf, bis wir sie etwa
so genau kennen wie etwa diejenige der Gase.
Zunächst gibt es eine elastische Hysteresis: Bei Belastung
zwischen zwei absolut gleichen Extremen verlaufen die zugehörigen Dehnungen wie in
Abb. 10. Die Erscheinung hat viele Aehnlichkeit
mit der magnetischen Hysteresis. Ihr sind verschiedene Arbeiten gewidmet, durch die
eine Reihe von Regeln ihres Verlaufes gewonnen sind, so insbesondere die, daß für
jede zwischen den festen Grenzen A verlaufende
Belastungsfolge sich nach einigen Zyklen eine konstante Hysteresisschleife
ausbildet. Dieser Umstand hat auch eine gewisse technischBach. Abh. und
Berichte. Stuttgart 1877. wichtige Bedeutung, indem man bei
Elastizitätsversuchen den Probestab zweckmäßig zunächst eine Anzahl von
Wechselbeanspruchungen durchmachen läßt, um erst dann die elastischen Eigenschaften
des „akkomodierten“ Materials festzustellen.
Textabbildung Bd. 332, S. 107
Abb. 10.
Weiter haben wir die Erscheinung der inneren Reibung,W. Voigt. Abh. Gött.
Ges. der Wissensch. 36 (1890), 38 (1892). die sich in rascher
Dämpfung elastischer Schwingungen kund gibt, ferner der verzögerten Deformation,W. Weber. Ann. der Phys. und Chemie. 34 (1835) S.
247. d.h. die Formänderung bleibt hinter der Spannungsänderung
zurück, sowie die Relaxation,F. Kohlrausch. Ann.
d. Physik und Chemie. 119 (1863) S. 337. d.h. bei
gleichbleibender Deformation nimmt die Spannung ab. Die Nachwirkungserscheinungen
gewinnen eine gewisse technische Bedeutung insofern, als sie auf die Konstanz
von Maßstäben aus gehärtetem Stahl von Einfluß sein können.Bericht über die 25-jährige Tätigkeit der
Physik.-Techn. Reichsanstalt in „Die Naturwissenschaften“ 1 (1913)
Heft 8.
15. Zur theoretischen Erklärung der im vorstehenden geschilderten Erfahrungstatsachen
liegen eine Reihe Ansätze vor, die zum Ziele haben, für die nicht elastischen
Formänderungserscheinungen ähnliche Differentialgleichungssysteme zu gewinnen, wie
sie zur Berechnung der rein elastischen Formänderungen bereits bekannt sind.
Zunächst liegt für das Verhalten der plastischen Körper ein von de St. VenantJournal de math. 16
(1871) S. 308, 373. herrührender Ansatz vor, der für das
zweidimensionale Gebiet hier mitgeteilt sei.
Es bedeuten:
u, v die Komponenten der Fließgeschwindigkeit,
σx, σy die
Komponenten der Normalspannung,
τ die Schubspannung,
x, y die Koordinaten eines
Punktes des Mediums,
X, Y die Komponenten der Massenkraft,
\frac{D}{D_t} den aus den Eulerschen Gleichungen der Hydrodynamik bekannten
räumlich-zeitlichen Differentialoperator,
ρ die Dichte des Mediums.
Dann gelten für die fünf unbekannten Größen u, v, σx, σy, τ bei plastischen
Medien:
a) Die Bewegungsgleichungen:
\frac{\partial\,\sigma_x}{\partial\,x}+\frac{\partial\,\tau}{\partial\,y}=-\varrho\,\left(X-\frac{D\,u}{D\,t}\right)
\frac{\partial\,\tau}{\partial\,x}+\frac{\partial\,\sigma_y}{\partial\,y}=-\varrho\,\left(Y-\frac{D\,v}{D\,t}\right).
b) Die Bedingung der Inkompressibilität:
\frac{\partial\,u}{\partial\,x}+\frac{\partial\,v}{\partial\,y}=0.
c) Die Fließbedingung:
\tau^2+\frac{(\sigma_x-\sigma_y)^2}{4}=k^2.
(k die größte Schubspannung.)
d) Die Bedingung für das Zusammenfallen der Ebenen größter Schubspannung und größter
Gleitgeschwindigkeit:Die Bedingungen b und
c sind durch Versuche Trescas in einer Untersuchung: Memoire sur
l'écoulement des corps solides, Paris 1868 für plastische Körper
experimentell als richtig erwiesen worden.
\frac{\sigma_x-\sigma_y}{\frac{\partial\,u}{\partial\,x}+\frac{\partial\,v}{\partial\,y}}=\frac{2\,\tau}{\frac{\partial\,u}{\partial\,y}+\frac{\partial\,v}{\partial\,x}}.
Dieses Gleichungssystem ist für gewisse Kraftfelder und Randbedingungen integrierbar;
es kann auch auf den RaumM. Lévy. Journ. de math. 16 (1871) S.
369. übertragen werden. Zur Prüfung dieses und ähnlicher Ansätze
fehlen zurzeit noch die nötigen Versuche. Immerhin handelt es sich um ein Gebiet,
auf welchem die
Weiterentwicklung der Forschung auch technisch von Bedeutung werden kann. Wir
verweisen wegen weiterer Literatur auf die oben angeführte Arbeit von v. KármánSiehe Fußnote
141. und bezüglich der vorliegenden praktischen Versuche auf
eine frühere Zusammenstellung des Berichterstatters.W. Hort.
Gegenwärtiger Stand unserer Kenntnis der Formänderungsvorgänge bei
plastischen Körpern. Phys. Zeitschrift 8 (1907) S. 783.