Titel: | August Thyssen. |
Autor: | Lange |
Fundstelle: | Band 332, Jahrgang 1917, S. 151 |
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August Thyssen.
Von Dipl.-Ing. des Bergfachs Dr.-Ing. Lange, Ruda.
LANGE, August Thyssen.
Am 17. Mai 1917 jährte sich der Geburtstag August
Thyssens zum 75. Male, und gleichzeitig sind es fünfzig Jahre her, daß er
in die Industrie eingetreten ist. Wo auch immer die hervorragendsten unter den
deutschen Großindustriellen genannt werden, da steht sein Name unter den
Allerersten.
Textabbildung Bd. 332, S. 151
Schon der 70. Geburtstag gab Anlaß zu besonderer Huldigung. Die Städte Hamborn und
Mülheim ernannten ihn zum Ehrenbürger, die Technische Hochschule zu Braunschweig
promovierte ihn zum Dr.-Ing. e. h. und Papst Pius X. verlieh ihm das Großkreuz des
Silvester-Ordens. Das waren aber auch die ersten und einzigen Auszeichnungen, die
August Thyssen zuteil wurden nach langer, harter und
von seltenen Erfolgen gekrönter Arbeit. Doch er hat nie nach äußerer Anerkennung
gestrebt. Schlicht und einfach im Leben hat er all sein Können in zäher Ausdauer auf
die Pflege seiner Werke verwandt, an deren Spitze er noch heute als
Fünfundsiebzigjähriger in voller Rüstigkeit steht, arbeitsfreudig und
arbeitstüchtig, die Zügel in nerviger Faust.
August Thyssen ist im Jahre 1842 in Eschweiler in
Aachen geboren, wo sein Vater Friedrich Thyssen Leiter
des damals wohl einzigen deutschen Drahtwalzwerkes war und später ebendort ein
Bankgeschäft kleineren Umfanges betrieb. Auch seine Mutter Katharina entstammte der Thyssenschen Familie.
Die ersten Schuljahre verbrachte August Thyssen auf der
Rektoratsschule in Eschweiler, an welche sich der Besuch der höheren Bürgerschule in
Aachen anschloß. Nach der Reifeprüfung bezog er die Technische Hochschule zu
Karlsruhe, wo er in der Zeit von 1859 bis 1861 technische Studien betrieb und diese
bis 1862 auf der Handelsschule in Antwerpen durch eine kaufmännische Ausbildung
ergänzte. Nach Erledigung des Militärdienstjahres in Aachen betätigte er sich im
väterlichen Geschäft. Im Jahre 1866 folgte er dem Rufe des Königs zu den Waffen,
doch wurde sein Regiment an den Kämpfen selbst nicht beteiligt. Nach Friedensschluß
gründete er 1867 mit Herrn Fossoul und den Herren Bicheraux Söhne das Bandeisenwalzwerk Thyssen, Fossoul & Co. in Duisburg, dessen
kaufmännischer Leiter er wurde.
Die freie Hand, die ihm sein Vater schon damals ließ, gab dem jungen Geschäftsmann
frühzeitig Gelegenheit zur Erlangung zielbewußter Selbständigkeit und Sicherheit im
Entschluß. Rasch zeigte sich der Erfolg, denn als sich die Firma nach wenigen Jahren
ihres Bestehens auflöste, verblieb den Gründern das Fünffache der ursprünglichen
Einlage. Mittlerweile kündigte sich der wirtschaftliche Aufschwung an, den der
siegreiche deutschfranzösische Feldzug im Gefolge hatte. Das war der gegebene
Zeitpunkt, den der weitschauende Thyssen sofort erfaßte,
um durch die Gründung eines eigenen Eisenwerkes in Mülheim am 1. April 1871 sich den
Platz beim beginnenden Wettlauf der deutschen Industrie zu sichern. Die Firma
erhielt den Namen Kommandit-Gesellschaft Thyssen &
Co., in welcher August
Thyssen persönlich haftender Gesellschafter und sein Vater Kommanditär war,
der bis zu seinem Hinscheiden am 25. Mai 187 7 mit der Fülle seiner
geschäftsmännischen Erfahrung dem Sohne als gediegener Berater zur Seite stand. Das
junge Unternehmen beschäftigte 70 Arbeiter und stellte in einem Puddel- und einem
Walzwerk Band- und Stabeisen her, zu denen sich später die Fabrikate eines
Röhrenwalzwerkes hinzugesellten. Das Röhrenwalzwerk, 1878 errichtet, war das
spezielle Gebiet des jüngeren Bruders Josef Thyssen, der
knapp ein Jahr nach dem Tode des Vaters Friedrich Thyssen
am 23. März 1878 in das Unternehmen eintrat und nach der am 23. Dezember 1883
erfolgten Umwandlung der Kommanditgesellschaft in eine offene Handelsgesellschaft
neben dem älteren Bruder der einzige Mitinhaber der Firma war. Ein tragischer Unfall
ließ den schlichten Mann am 15. Juni 1915 auf dem Werke, dem er sein ganzes
arbeitsreiches Leben gewidmet hatte, einen gewaltsamen Tod finden.
Die Thyssen-Werke umfassen zurzeit folgende
Erzeugungsstätten:
Thyssen & Co., Mülheim-Ruhr:
Stahlwerke, Band- und Universaleisen-, Blech- und Röhren-Walzwerke,
Rohrschweißerei, Verzinkereien und Wellblechfabriken.
Thyssen & Co., Berlin:
Eisenkonstruktions-Werkstätten.
Gewerkschaft Deutscher Kaiser,
Bruckhausen und Hamborn:
Hüttenwerke, Hochöfen, Stahlwerke, Walzwerke, Kohlenbergbau,
Kokereien, Gas- und Wasserwerke, Weichen- und Waggonbau.
Gewerkschaft Deutscher Kaiser,
Walzwerk, Dinslaken:
Walzwerke für warm- und kaltgewalztes Bandeisen, Walzwerke für
nahtlose Röhren, Draht- und Drahtstiftfabrik, Sauerstoff- und
Wasserstofflaschen.
Maschinenfabrik Thyssen & Co. A.-G., Mülheim-Ruhr:
Gasmaschinen, Turbinen, Walzwerksanlagen, sämtliche
Kraftmaschinen für Berg- und Hüttenwerksanlagen, Fördermaschinen, Kompressoren,
Dampfturbinen, Gasgeneratoren mit Nebenproduktengewinnung usw.
Aktiengesellschaft für
Hüttenbetrieb, D.-Meiderich:
Hochöfen für alle Qualitätseisensorten, Gießerei.
Stahlwerk Thyssen A.-G.,
Hagendingen:
Hochöfen, Stahlwerke, Walzwerke.
Gewerkschaft Lohberg in Hamborn:
Kohlenbergbau.
Gewerkschaft Rhein I in Hamborn:
Kohlenbergbau.
Gewerkschaft Jacobus,
Hagendingen:
Eisenerzgruben, Kalksteinbrüche, Zementwerke, sowie eine größere
Anzahl Erzgruben im lothringischen Erzgebiet.
Gewerkschaft Mosel, Ars:
Eisenerzgruben.
Gewerkschaft Justine, Schottenbach,
Weilburg:
Eisenerzgruben.
Gewerkschaft Neue Hoffnung,
Weilburg:
Eisenerzgruben.
Preß- und Walzwerk A.-G. Reisholz
bei Düsseldorf (seit acht Jahren dem Thyssen-Konzern angegliedert):
Presserei und Walzwerk für nahtlose Hohlkörper bis zu den größten
Abmessungen, Schmiede-Preßwerk, Wassergas-Schweißerei, Röhrenwalzwerk.
Simonswerk G. m. b. H., Rheda:
Baubeschlagfabrik.
Den Thyssen-Werken angegliedert sind folgende
Handelsfirmen:
Thyssen & Co., Berlin.
Thyssen sehe Handelsgesellschaft,
Hamborn, Köln, Essen, Mannheim, Halle a. S., Erfurt, Straßburg, Harnburg.
Thyssensche Eisenhandelsgesellschaft m. b. H., Duisburg-Meiderich und
Ludwigshafen.
Heinr. Reiter G. nr. b. H.,
Königsberg i. Pr.
Vulcaan Reederei, Hamborn.
N. V. Handels-en-Transport-Mij.
„Vulcaan“, Rotterdam und Antwerpen.
Deutsch-Ueberseeische Handelsgesellschaft
der Thyssenschen Werke G. m. b. H., Hamborn und
Buenos-Aires.
Vulcaan Coal Company, Rotterdam,
Newcastle, Cardiff, Algier, Port Said, Neapel.
Der Güterumschlag, soweit Wasserversand in Frage kommt, wird hauptsächlich in den
eigenen Hafenanlagen und Umschlagplätzen Alsum, Schwelgern, Mannheim, Straßburg, Vlaardingen
bewirkt.
Für die Ausführung geeigneter Transporte in Erzen und Kohlen ist eine besondere See-
und Rheinflotte organisiert.
Im Jahre 1913 dienten rund 2500 eigene Güterwagen und 70 Lokomotiven zur Beförderung
der Güter innerhalb der Betriebe und zu den Eisenbahnstationen.
Es betrug 1914 bei den Thyssen-Werken im Jahresdurchschnitt:
die Kohlenförderung
5000000 t,
die Kokserzeugung
1550000 t,
die Roheisenerzeugung
1850000 t,
die Rohstahlerzeugung
1750000 t,
der Hafenumschlag
4500000 t.
In den Thyssen-Werken fanden nach Ausweis des
Geschäftsjahres 1913 46532 Beamte und Arbeiter, an die 84036648 M Gehälter und Löhne
bezahlt wurden, Beschäftigung.
Alle Rohprodukte, Fertigfabrikate produzieren die Thyssen-Werke selbst.
Aus kleinen Anfängen hat sich das Mülheimer Werk zu ungeahnter Größe entwickelt.
Schon 1881 erfuhr es durch eine Verzinkerei, im Jahre 1882 durch ein Stahlwerk und
ein neues Puddelwerk eine zweckmäßige Erweiterung. Die Blechfabrikation trat in
demselben Jahre hinzu.
Das war eine schwierige Zeit, in der wohl alle Eisenwerke in mühseliger Arbeit ohne
Gewinn vorwärtsstrebten. August Thyssen jedoch war es in
zähem Durchhalten gelungen, im Jahre 1884 auch noch die Mittel für den Ankauf des
Nachbarwerkes, der Eisengießerei und Maschinenfabrik von Jordan & Meyer, aufzubringen und dieses seinem Betriebe
anzugliedern.
In welcher Weise sich das Mülheimer Werk in den Folgejahren fortentwickelte, kann der
Außenstehende kaum übersehen, weil die Fülle der Ideen, scheinbar unabhängig
voneinander und doch im innersten Wesen planmäßig ineinandergreifend, derart
sprunghaft verwirklicht worden ist, wie man es in diesem Maßstabe nur bei den Thyssenschen Werken beobachtet hat. Das den Puddelbetrieb
nachhaltig verdrängende Siemens-Martinverfahren allein bedingte schon eine
Reorganisation des alten Werkes, und die zunehmende Flußeisenerzeugung führte zum
Abbruch der alten, für die Schweißeisenverarbeitung gebauten Walzwerke, die den
modernsten Schnellstraßen den Platz räumten. Jetzt sind 46 Jahre nach der Gründung
verstrichen, und das Riesenwerk von Weltruf zeigt nur noch schwache Spuren des
bescheidenen Erstlingsunternehmens. In seinen vier Abteilungen beschäftigt es weit
über 8000 Arbeiter und Angestellte und entsendet mannigfache Erzeugnisse in
ausgedehnte Absatzgebiete. Die erste Abteilung, das Eisenwerk, liefert Bandeisen und
Röhrenstreifen als Halbfabrikate an die dritte Abteilung, das Röhrenwalzwerk. Die
größte ist die zweite Abteilung, das Blechwalzwerk, dem außer den Blech- und
Universalstraßen das Wellrohrwalzwerk, der Preßbau, die Rohrschweißerei und das
Stahlwerk mit zehn Siemens-Martinöfen angegliedert ist. Die vierte Abteilung, die
Verzinkerei, ist zwar die kleinste, genießt aber unter den deutschen Verzinkereien
bedeutenden Ruf. In der Herstellung geschweißter Behälter größter Abmessungen, der
Lieferung von Nickelstahl und Panzerblechen aller Stärken, von geschweißten und
nahtlosen Röhren bis zu den größten Durchmessern sind die Thyssenschen Werke auf dem Weltmarkt bestens bekannt.
Die ursprüngliche fünfte Abteilung, die Maschinenfabrik, wurde im Jahre 1910 in die
Maschinenfabrik Thyssen & Co., A.-G., umgewandelt und
betreibt außer dem Maschinenbau eine Gelbgießerei. Wie wichtig die Gründung dieser
Abteilung durch den frühen Ankauf der Maschinenfabrik Jordan
& Meyer war, zeigte sich erst, als auch die übrigen Werke Thyssenschen Namens ihren Entwicklungsgang im
Sturmschritt liefen und durch ihren großen Bedarf an Maschinen rückwirkend das
Schwesterwerk förderten. Besonders die Verwertung der Hoch- und Koksofengase in
Großgasmaschinen gab der Fabrik Gelegenheit zu neuartiger Werkstattausrüstung, mit
Hilfe deren Maschinenaggregate von rund 400000 PS Gesamtleistung bisher dem Betriebe
übergeben worden sind.
Die Entwicklung der Maschinenfabrik, insbesondere in den Jahren 1914 bis 1917, ergibt
umstehende Abbildung. Die Fabrik, welche vor Kriegsausbruch rund 3000 Arbeiter
beschäftigte, bietet heute Arbeit für mehr als 22000 Arbeiter; darunter befinden
sich rund 7000 Arbeiterinnen, sowie etwa 700 Beamte und Beamtinnen. Die durch
Werkstätten bebaute Grundfläche betrug 1913 noch 55000 m2, heute bereits mehr als 120000 m2.
Rastlos vorwärts schreitend in ihrer riesenhaften Entwicklung nimmt die
Maschinenfabrik im deutschen Maschinenbau eine der ersten Stellen ein. Sie ist mit
ihren ausgedehnten und in allen Teilen der Neuzeit entsprechend eingerichteten
Werkstätten sowie ihren vielseitigen Anlagen eine bedeutsame Stätte moderner
deutscher Technik.
Die Mülheimer Werke auf der Höhe der heutigen Entwicklungsstufe würden schon weitaus
genügen, um August Thyssen einen Ehrenplatz unter den
deutschen Großindustriellen zu sichern, und doch sind sie nur ein Bruchteil aller
jener Unternehmungen, die er geschaffen und in weitem Rahmen zu staunenerregender
Mächtigkeit fortentwickelt hat. Die Mülheimer Werke bilden eigentlich die
Lehrwerkstatt Thyssens, in der er die Großzügigkeit
seiner Pläne und ihre Durchführbarkeit erprobte, um dann mit der Sicherheit des
erfahrenen Meisters an anderer Stelle einer neuen Gründung zum Leben zu verhelfen.
Geringfügig war manchmal der Anlaß und unscheinbar das Beginnen, bis der ruckweise
Aufstieg und die plötzliche Entfaltung unfehlbar den eisernen Griff Thyssens erkennbar machten.
So brauchte das Mülheimer Werk Betriebswasser, und zweckentsprechend wurde 1893 ein
Wasserwerk an der Ruhr gegründet. Auch dessen übliche Abtrennung als selbständiges
„Wasserwerk Thyssen & Co. G. m. b. H.“
in Styrum war noch nicht auffällig, zumal die von August und Josef Thyssen aufgebrachte Stammeinlage nur 300000 M
betragen haben soll. Da trat zur Versorgung der eigenen Werke auch die Versorgung
der nächsten, dann der weiter nach Norden gelegenen Gemeinden. Wiederholte
Vergrößerungen machten die Anlage leistungsfähiger, das Rhein Wasserwerk in
Beeckerwerth zwischen Duisburg-Ruhrort und Hamborn-Bruckhausen trat hinzu, die
Turbinenanlage der Broicher Papierfabrik wurde 1909 im Wege der Liquidation
einverleibt, erweitert, und: das Rohrnetz der Thyssenschen Wasserwerke hatte im Norden die Lippe zwischen Wesel und Dorsten
überschritten. Es versorgt jetzt ein Gebiet, das von mehr als ½ Mill. Menschen
bevölkert wird. Mittlerweile ist das Ruhr-Wasserwerk in den Besitz der Rhein.-Westf. Wasserwerks-Ges. m. b. H, übergegangen, an
der die Stadt Mülheim-Ruhr, das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk, der Kreis
Recklinghausen und die Gemeinde Gladbeck und Bottrose beteiligt sind. Ein zweites
Wasserwerk in Beeckerwerth wurde gegründet, in der Hauptsache, um die Thyssenschen Werke mit Wasser zu versehen. Dasselbe
liefert heute 50 Mill. Kubikmeter Wasser im Jahre.
Textabbildung Bd. 332, S. 154
Zahl der Arbeiter und Beamten der Maschinenfabrik Thyssen & Co. A.-G. in
den Jahren 1884 bis 1916.
Von noch größerer Bedeutung ist die Entwicklung der Gewerkschaft Deutscher Kaiser in Hamborn a. Rh. Wie schon das Vorbild der
Amerikaner an sich, Kohlenförderung und Eisenerzeugung in eine Hand zu vereinen,
westfälische und später oberschlesische Industrielle, erst recht aber August Thyssen veranlaßte, den Bedarf der für die Hütten
erforderlichen Kohlen möglichst aus eigenen Gruben zu decken, schlug Thyssen bei Entfaltung und Ausführung dieses Gedankens
derart ungewohnte Methoden ein, daß man bei Würdigung der Anlagen der G. D. K. auch
die gesamte Entwicklung und die besonderen Verhältnisse oftmals überhaupt als
„amerikanisch“ bezeichnen hört Doch trifft dieser Ausdruck höchstens auf
die Sprunghaftigkeit des Emporblühens zu, während die darin ausgedrückte
Großmannssucht und das Reklametamtam durchaus nicht zu Thyssens Eigenschaften gehören.
An der am 28. November 1871 erfolgten Gründung der Gewerkschaft Deutscher Kaiser
selbst hatte Thyssen keinen Anteil. Sie war aus der
Berechtsame der alten Geviertfelder Hamborn I bis VIII in den Gemeinden Beeck,
Hamborn und Walsum hervorgegangen, die am 3. April 1867 unter dem Namen
„Hamborn“ konsolidiert wurden. Am 4. November 1871 beschloß die
Gewerkenversammlung die Aenderung des Namens in „Gewerkschaft Deutscher
Kaiser“. Das Abteufen des ersten Schachtes wurde schon 1871 begonnen, aber
erst 1876 trat der Schacht in Förderung. Das erste Förderjahr ergab 3583 t Kohlen.
Da die Betriebsaufnahme in die Zeit des damals einsetzenden Niederganges fiel,
entwickelte sich die Zeche langsam und erreichte erst 1885 183000 t Förderung. Da
drang die Bergbehörde aus Gründen bergbaulicher Sicherheit auf das Niederbringen
eines zweiten Schachtes, was naturgemäß ein Fallen der Kuxe zur Folge hatte. Diesen
Augenblick versäumte Thyssen nicht, der die günstige Lage
der Grubenfelder für den Absatz auf dem Rheinstrom richtig beurteilte, um gegen
mäßigen Preis die Mehrzahl der Kuxe an sich zu bringen, gerade als das Abteufen des
zweiten Schachtes in Aldenrade beginnen sollte. Im Laufe der Zeit sind sämtliche
Kuxe in den Besitz August Thyssens und seines
verstorbenen Bruders Josef übergegangen. Am 2. Mai 1889
wurde das Steinkohlenfeld Deutscher Kaiser mit den benachbarten Steinkohlenfeldern
Rheinland und dem Soolquellenfund Walsum IV konsolidiert, wodurch die ursprünglich
rund 10 Mill. m2 betragende Berechtsame auf
34031285 m2 gleich 17 Normalfelder stieg. Durch
Tiefbohrungen wurde dieser Grubenfelderkomplex hauptsächlich in den Jahren 1898 bis
1908 auf eine Größe von 162 Normalfeldern gebracht, deren bis zu 1500 m Teufe
anstehende Kohlenmenge einen Vorrat von 8 Milliarden Tonnen Kohlen (davon 2,3
Milliarden Tonnen Kokskohlen) darstellt. Im Besitze der Familie Thyssen befindet sich somit etwa ein Zehntel des gesamten
Kohlenvorrats des rhein.-westfälischen Bezirks. Bis zum Jahre 1902 war der Besitz
noch weitaus größer und betrug etwa 500 Millionen m2. Doch
zog Thyssen es vor, die Felder „Ver. Gladbeck“,
„Bergmannsglück“ und „Ver. Hoffnung“ dem Preußischen Staate zu
überlassen und den Erlös nutzbringend zum Ausbau neuer Schachtanlagen zu verwerten.
Außer den Kohlenfeldern nennt Thyssen am Niederrhein noch
54 Normalfelder auf Stein- und Kalisalze, 16 auf Soole, 5 auf Eisenerz und 5 auf
Blei-, Kupfer- und Schwefelerze sein Eigen.
Die Sicherstellung derartiger Komplexe wirkt erdrückend und gibt von der Weitsicht
und Zähigkeit des einzigen Mannes, der sie durchführte, das beredteste Bild. Bei der
Bohrung und Aufschließung dieser großen Felder hat sich Herr Direktor Otto Kalthoff die größten Verdienste erworben.
In rascher Folge wurden 1888 und 1889 die Schächte II, III und IV in Angriff genommen
und wenige Jahre später die ersten drei Zechen zu Doppelschachtanlagen ausgebaut.
Knapp nach Fertigstellung dieser Arbeiten folgte 1909 die Errichtung zweier weiterer
Doppelschachtanlagen in Wehofen und Walsum, die durch reale Teilung des Grubenfeldes
Deutscher Kaiser die Gewerkschaften Rhein I und II bildeten. Walsum wurde später
gestundet, aber im gleichen Jahre begann der Bau der Doppelschachtanlage
„Gewerkschaft Lohberg“ in Hiesfeld. Die Anlagen entwickelten sich
erstaunlich und rissen die kleine uralte Bauerngemeinde Beeck-Hamborn gewaltig mit.
1890 zählte diese noch kaum 13000 Seelen, erreichte im Jahre 1910 eine
Bevölkerungsziffer von 53000 und war bei Beginn des Krieges zu einer Großstadt von
über 120000 Einwohnern angewachsen So gewaltig war das Wachstum, daß großstädtische
Einrichtungen nicht Schritt zu halten vermochten und die Stadt beispielsweise erst
im Jahre 1912 einen kleinen eigenen Bahnhof erhielt. Noch heute sucht man Hamborn a.
Rh., die jüngste Großstadt Deutschlands, auf den meisten Karten vergebens.
Die tägliche Förderung auf den Schächten der Gewerkschaft Deutscher Kaiser allein
betrug zur Zeit der Mobilmachung 15000 t täglich, das ist rund 4,5 Mill Tonnen f. d.
Jahr. Dazu kam die Förderung der Neuanlagen Rhein I und Lohberg, die sich auch im
Kriege lebhaft entwickelten und im Jahre 1916 über 1 Mill. t erzielten. Mit diesen
Ziffern treten die Thyssenschen Gruben in die Reihe der
größten deutschen Steinkohlen-Bergwerke, deren Weiterentfaltung selbst in der
herrschenden schweren Zeit nicht gehemmt wird. Erst 1915 wurde ein ehemaliger
Wetterschacht als selbständige Förderanlage dem Betriebs übergeben und schon 1916
wieder knirschten die Bohrer im Rheinsand der Beeckerwerth zur Errichtung einer
neuen Doppelschachtanlage. Die Schachtabteufen führte die G. D. K. durch die eigene
Schachtbau-Abteilung nach dem Gefrierverfahren aus, die wie alle Thyssenschen Einrichtungen sich selbständig weiter
entwickelte und nunmehr auch Abteufen für fremde Firmen in Auftrag nimmt. Sie hat
zurzeit acht Schächte in Angriff genommen, von denen einer bei Zwartberg in Belgien,
gestützt auf die Weltrekordleistung von 415 m Gefriertiefe bei zwei Schächten von
6,3 m lichter Weite, sogar bis 560 m Teufe nach dem Gefrierverfahren abgeteuft
werden soll.
In Verbindung mit den Schachtanlagen, die Fettkohlen von hervorragender Qualität
liefern, stehen zwei Kokereien mit insgesamt 883 Oefen, die eine Kokserzeugung von 1
½ Millionen Tonnen jährlich aufweisen. Sie sind mit allen Einrichtungen für die
Gewinnung der Nebenprodukte ausgestattet, und die Kokerei in Meiderich ist die erste
Anlage, die seit 1905 direkt gebrauchsfertiges Leuchtgas in einer Menge von 200000
m3 täglich an Städte und Private abzugeben
vermag. Bis Wesel im Norden und bis Barmen im Süden reichen die Leitungsnetze, die
Licht und Kraft billiger zu spenden vermögen als die örtlichen städtischen
Gasanstalten. Noch ist die Leistungsfähigkeit nicht erschöpft, die sich nahezu auf
die doppelte Höhe steigern läßt. Die überschüssigen Koksgase dienen zum Antrieb der
Großgasmaschinen aus den Mülheimer Werkstätten, welche elektrische Energie in einer
Menge von Kilowatts liefern, die mit den allergrößten deutschen Elektrizitätswerken
wetteifert.
Und fragt man nach den Verbrauchern der Energiemengen, die den Rekordziffern an
Kohlen, Koks und elektrischem Strom des großzügigen Thyssenschen Bergbaues entstammen, – es sind die Thyssenschen Werke. In enger Nachbarschaft der Hamborner Gruben wurde fast
gleichzeitig mit dem Ausbau der Zechen das Bruckhausener Hüttenwerk errichtet. Seine
Lage unmittelbar am breiten Niederrhein in nicht allzugroßer Entfernung von den
holländischen Ueberseehäfen gewährleistete eine wohlfeile Anlieferung der benötigten
Erzmengen des Auslandes und rückte die Fertigfabrikate infolge billiger Frachtsätze
den großen Weltmärkten näher. 1890 begann der Bau mit sieben basischen
Siemens-Martinöfen und vier Walzenstraßen. 1895 folgte der Bau eines Thomaswerkes
mit 16 t-Konvertern, einer Kupolofenanlage mit drei Oefen und eines Blockwalzwerkes.
1898 vervollständigten drei Hochöfen das Hüttenwerk. Doch kaum in sich geschlossen,
schritten Vergrößerung und Modernisierung weiter. 1901 erstand das Blockwalzwerk II,
1905 zeitigte die erste elektrisch angetriebene Schnellstraße günstige Erfolge.
Mittlerweile war auch die 1900 erbaute Bruckhausener Kokerei leistungsfähig genug
geworden, um die Gaszentrale als Kraftquelle für die Schächte und die Hüttenanlagen
ausreichend mit Koksgasen zu versorgen. Die Zahl der Hochöfen stieg auf sechs,
diejenige der Walzenstraßen auf sieben. Der neueste Hochofen schlug auch den
Weltrekord und erreichte 750 t täglichen Durchsatz. 1910 wurden die 6 t-Oefen des
Elektrostahlwerkes errichtet, 1911 der Bau eines modernen Thomaswerkes begonnen.
1912 kam eine Eisenbahnwerkstatt von beträchtlichem Umfange in Betrieb. Die
Arbeiterzahl erreichte das neunte Tausend.
Die Verfeinerung der Bruckhausener Erzeugnisse erfolgt zum großen Teil in dem 1897
begründeten Walzwerk Dinslaken, das sich mit dem Walzen von Bandeisen, Drähten, nahtlosen Rohren und dem Kaltwalzen von Bandeisen und
Flachdrähten sowie Stahlflaschen befaßt und somit in Verbindung mit dem Mülheimer Werk
die Reihe der gefragten Marktartikel vervollständigt.
Als Rohstofflieferant dient die A.-G. für Hüttenbetrieb in
Duisburg – Meiderich, die August Thyssen im Jahre 1902
gründete, als die zum Hochofenwerk „Ver. Gladbeck“ in Meiderich gehörige
Kohlenzeche vom preußischen Staate angekauft worden war. Die Gesellschaft betreibt
fünf Hochöfen auf Stahleisen und Gießereiroheisen, die außer der Bruckhausener Hütte
das Mülheimer Werk mit Rohmaterial versorgen.
Die Fertigfabrikate verlassen das Hüttenwerk wie erwähnt vorzugsweise zu Wasser, wo
August Thyssen durch Errichtung neuer Hafenanlagen bei Alsum und Schwelgern aus bescheidenen
Anfängen einen derart bedeutenden Umschlagplatz schuf, daß dieser unter den
bedeutendsten Häfen am Rhein, nach Duisburg-Ruhrort und Mannheim an dritter Stelle steht. Von großer Bedeutung bei Erreichung
dieses riesigen Güterumschlages ist die Zufuhr großer Mengen ausländischer Erze, die
über Rotterdam von Schweden, Frankreich, Spanien, Amerika, Indien und selbst
Australien herangeführt werden.
Von untergeordneter Bedeutung gegenüber diesen Riesenmassen bleiben naturgemäß die
Erzmengen heimischer Herkunft, wie beispielsweise die Eisen- und Manganerze des
Thyssenschen Eisenerzbergbaues an der Lahn und die lothringischen Minetten, die
immerhin während der Kriegszeit eine nicht zu unterschätzende Bedeutung erlangten.
Auch sie stammen aus eigenen Grubenfeldern, deren Besitz sich August Thyssen schon in den Jahren 1901 und 1902 zu sichern gewußt hat.
Außer einer Anzahl von Berechtsamen in Deutsch-Lothringen, deren bekannteste die
Zeche Jakobus ist, erwarb die Firma Thyssen & Co.
auch französische Erzkonzessionen und sorgte durch Beteiligung an dem Hüttenwerk
„Sambre et Moselle“ und der A.-G. „Lothringer Hüttenwerke“ in Ars
a. d. Mosel dafür, daß sie über jede Bewegung auf dem Erz- und Eisenmarkt eines
Gebietes von 60 Mill. m2 Erzkonzessionen in
Deutschund Französisch-Lothringen unterrichtet bleibt. Die eigene Erzgrube Jakobus
trat 1908 in Förderung und liefert mittels einer 10 km langen Seilbahn die Minette
zur Station Hagendingen. Nach Abschluß ausgedehnter Landankäufe, die auch auf
französisches Gebiet übergreifen, begann Thyssen auch
hier mit dem Bau industrieller Anlagen. 1906 erfolgte die Errichtung einer
Zementfabrik mit 600000 Faß Jahresleistung, die 1910 in Betrieb kam und sich mit der
gewohnten Raschheit entsprechend weiter entwickelte. Fast gleichzeitig entstand in
ihrer Nachbarschaft eine elektrische Zentrale, der das im Jahre 1912 dem Betrieb
übergebene Hüttenwerk Hagendingen folgte. Die sechs
Hochöfen von 300 t Tagesleistung entsprechen den modernsten Anforderungen und geben
ihre Produktion an ein Thomas-Stahlwerk und weiter an die Walzwerksanlagen ab.
Gerade das Hagendinger Werk, das anfangs mit beträchtlichen technischen
Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und den Aufwand erheblicher Summen erforderte,
zeigt die Zähigkeit, mit der August Thyssen sein einmal
gestecktes Ziel unaufhaltsam erzwingt. Mit der Gewerkschaft Deutscher Kaiser steht
das Hagendinger Werk durch Kokslieferungen in Beziehung, welche später die im Bau
begriffene Schachtanlage Beeckerwerth ausschließlich übernehmen soll.
Die vielseitige Ausgestaltung der Thyssenschen Werke auf
verschiedenen Gebieten in der bestgeeigneten Gegend, ihre Ausdehnungsmöglichkeit in
jeder Richtung, ihr planvolles Zusammenarbeiten und die gegenseitige, peinlich
erwogene Ergänzung, dazu die sorgsam gewahrte Verbindung auf billigem Wasserwege für
den ungeheuren Frachtenverkehr von Rhein und Ruhr über die umfangreichen eigenen
Stapelplätze in Mannheim und Straßburg nach dem lothringischen Kanalnetz und
umgekehrt verleihen dem Gesamtwerk eine so vorzügliche Anpassungsfähigkeit, daß
selbst die bisher stärkste Belastungsprobe, der große Krieg, auch nicht einen
Augenblick das schnelllaufende Getriebe steten Fortschritts aufhalten oder auch nur
um ein Geringes zu verlangsamen vermochte. Auch der Umstand, daß das mit einem
größeren Hüttenwerk verbundene aufblühende Eisenerzbergwerk in Caen in der Normandie
und die gewaltigen Transportanlagen am Schwarzen Meer, welche zur Verladung von
Eisen- und Manganerzen aus Südrußland und dem Kaukasus dienen sollten, sich in
Feindeshand befinden und August Thyssen zurzeit um seine
Beteiligung bringen, wurde nicht weiter störend empfunden. Gewaltige Umänderungen
haben die Werke seit der Mobilmachung erfahren, vervielfacht ist die Zahl der
Erzeugnisse, doch ist eine eingehende Würdigung dieser Erfolge zur Stunde noch nicht
geboten.
Wie schon bei der Angabe des Lothringer Besitzes die geschickt gewonnene Einsicht Thyssens in ferner liegende Verhältnisse durch
Beteiligung an fremden Unternehmungen hervorgehoben wurde, so läßt sich für diese
Klugheit des wachsamen Großindustriellen noch mancher Beleg hinzufügen. Schon zu
Beginn der achtziger Jahre, als Thyssen noch im Mülheimer
Werk sein praktisches Können der Reife entgegenführte, verfehlte er nicht, durch
Beteiligungen hie und da, sei es bei Kohlenzechen, sei es bei Eisenwerken den
Anschluß an die miteifernden Industriellen aufrecht zu erhalten. War doch gerade
nach Aufhebung der Freihandelspolitik, diese Zeit, die ein allmähliches Erstarken
der deutschen Industrie und ein Aufblühen des gesamten Wirtschaftslebens brachte, so
recht geeignet, um einem aufmerksamen Beobachter von der Willensstärke Thyssens so manchen Fingerzeig für die einzuschlagenden
Wege zu geben. So finden wir August Thyssen als
Vorsitzenden des Aufsichtsrates der „Gesellschaft für Stahlindustrie,
Bochum“, die 1889 in den Besitz des Bochumer Vereins überging. Im selben Jahre
wußte Thyssen die Mehrzahl der Anteile des „Schalker
Gruben- und Hütten Vereins“ an sich zu bringen, erlangte auch hier den
Vorsitz im Aufsichtsrat und war an der Vereinigung der A.-G. Vulkan bei Duisburg und
dem Ankauf der Zeche „Pluto“ durch den Schalker Verein beteiligt. Infolge einer
Interessengemeinschaft der genannten Firma mit der Gelsenkirchener Bergwerks-A.-G.
war Thyssen auch Mitglied des Aufsichtsrates dieser
Gesellschaft. Später wirkte er als Vorsitzender des Grubenvorstandes der
„Gewerkschaft Graf Moltke“, war Mitbegründer der „Rheinischen
Bank“ und seit der Gründung deren Aufsichtsratvorsitzender. Vornehmlich dem
eigenen Interesse dienten seine neuesten Gründungen, die „Thyssensche
Handelsgesellschaft“ und das Transportkontor Vulkan.
Welche Uebertülle von Arbeit, welche Riesenleistung eines Einzelnen! Nur ein
unbeugsamer Wille und die beharrliche Aufopferung einer großzügigen Persönlichkeit
sind dazu befähigt, wie eben beide nur August Thyssen
eigentümlich sind. Er denkt nicht an Ruhe. Bis auf den heutigen Tag leitet er alle
Geschäfte selbst und ist bald in Hamborn, bald in Mülheim, bald in Hagendingen, bald
in Berlin. Als 70-jähriger fuhr er noch in die Grube und scheute sich nicht,
auf allen Vieren im niedrigen Flöz die Schüttelrutschenstreben entlang zu kriechen.
Auf den einzelnen Werken taucht er noch heute oft auf, zu Fuß, unbegleitet. „Der
alte Herr“, raunt es von Mund zu Mund, sie kennen ihn alle, Arbeiter und
Angestellte. Sie kennen seine Güte und seine Hilfsbereitschaft, sie wissen aber
auch, daß er Leistungen verlangt. Er fährt ebenso gern mit dem Einspänner wie mit
der Straßenbahn. Da, wo die Ruhr noch ungetrübt durch industrielle Einwirkungen an
der stolzen Villa Hügel vorbei hinter Kettwig vor der Brücke auf die weiten Wiesen
hinaustritt, liegt in einem stillen, dicht bewaldeten Quertal die alte bergische
Burg „Schloß Landsberg“, die Wohnung August
Thyssens. Ruhig und halbversteckt lugt sie aus dem Geäst und nimmt meistens
erst nach recht langem Tagewerk den Bewohner in ihre stille Abgeschiedenheit
auf.