Titel: | Zur Dynamik synchroner Bewegungsübertragungen. |
Autor: | W. Hort |
Fundstelle: | Band 332, Jahrgang 1917, S. 297 |
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Zur Dynamik synchroner
Bewegungsübertragungen.
Von Privatdozent Dr. W. Hort, Berlin-Siemensstadt.
HORT: Zur Dynamik synchroner Bewegungsübertragungen.
I. Einleitung.
Die synchrone Uebertragung von Bewegungen spielt in der Technik eine wichtige Rolle.
Es handelt sich dabei darum, von der gegebenen Bewegung eines Körpers A an einer entfernten Stelle ein räumlich und zeitlich
möglichst ähnliches Bild herzustellen, welches in der Bewegung eines Körpers B besteht.
Der nächstliegende Weg zur Erreichung dieses Zweckes bietet sich dar, wenn man die
Bewegungen von A und B
zwangläufig kinematisch miteinander verbindet. Auf diese Weise überträgt sich auf
kleinen Schiffen die Bewegung des Steuerrades auf das Ruder (Abb. 1). Durch Rollen geeignet geführte Kettenzüge
sind hier die Uebertragungselemente. Es liegt auf der Hand, daß diese Methode
versagen wird, wenn die Ruderdrücke so groß werden, daß man zum maschinellen Antrieb
des Ruders greifen muß. Auch wenn es möglich wäre, die Maschine am Handrad angreifen
zu lassen, so würde doch das Gewicht der die Bewegung zum Ruder oft über große
Entfernungen hinleitenden Mechanismen den unmittelbaren Kraftangriff unmöglich
machen.
Textabbildung Bd. 332, S. 297
Abb. 1.
Der direkten mechanischen Verbindung der beiden Körper A
und B vom Standpunkte der Dynamik gleich zu achten sind
gewisse elektrische Methoden zur Uebertragung von Bewegungen, die bei den
Kommandoapparaten auf Schiffen weite Verbreitung gewonnen haben.
Die beiden Körper A und B sind in diesem Falle meistens Zeiger, von denen A der Geber, B der Empfänger genannt wird. Es
soll die Bewegung von A, die entweder durch
Menschenhand hergestellt wird, oder von irgend einem Element der Schiffsmaschinerie
herrührt, dessen Bewegung überwacht werden muß, zeit- und raumgetreu nach B über eine gewisse Entfernung geleitet werden.
Das Grundsätzliche solcher Uebertragungsanordnungen sei nach den Mitteilungen von Simens & Halske über die
Kommandoanlagen auf großen Dampfern im Folgenden auseinandergesetzt.
Textabbildung Bd. 332, S. 297
Abb. 2.
Geber- und Empfängerzeiger (Abb. 2) sind mit je einem
Anker a, b verbunden. Die Anker sind drehbar in je
einem konstanten Wechselstromfelde angeordnet, welches in den Polgehäusen α, β durch eine besondere Wechselstrornquelle W erzeugt wird. Die Wicklungen der Anker sind durch die
Leitungen l miteinander verbunden. Liegen die Anker so
in ihren Gehäusen, daß elektrische Symmetrie vorhanden ist, so können die
Wechselfelder auf die Anker keine Drehmomente ausüben; beide Anker bleiben in Ruhe.
Wird die Symmetrie gestört dadurch, daß der Geberanker a aus seiner Lage gedreht wird, so treten in den Leitungen l im Anker b erzeugte
Ausgleichströme auf, deren Feld durch das Feld β so lange gedreht
wird, bis der Anker b wieder zu a symmetrisch liegt, womit die gewünschte Bewegungsübertragung von A nach B abgeschlossen
ist.
Auch diese elektrische Uebertragungsweise eignet sich nur für kleine Kräfte, schon
deshalb weil der Empfängeranker in der Symmetrielage kein Drehmoment abgeben
kann.
Auf die Frage, welche Verhältnisse eintreten, wenn bei größeren Ausführungen der
Anker deren Trägheitswiderstände größenordnungsgleich mit den Feldmomenten werden,
gehen wir hier nicht ein.
II. Das Grundsätzliche synchroner
Bewegungsanordnungen, erörtert am Schiffsruderantrieb.
Um zunächst das Grundsätzliche von Anordnungen zu zeigen, die eine synchrone
Bewegungsübertragung bei großem Widerstand des Empfängers ermöglichen, knüpfen wir
wieder an das Beispiel des Schiffsruders an.
Es handele sich um ein Schiff, welches zur Drehung des Ruders eine besondere
Rudermaschine, und zwar zunächst eine Dampfmaschine besitzt. In der Abb. 3 ist das Ruder R in
Verbindung mit der Maschine M gezeichnet. Die
Verbindung wird vermittelt durch das Querhaupt Q,
dessen Endpunkte durch die beiden Stangen s verschoben
werden, wenn sich die Maschinenwelle dreht. Die Verschiebung wird bewirkt durch die
Rechtsund Linksschrauben r und l, die auf der Maschinenwelle sitzen.
Textabbildung Bd. 332, S. 298
Abb. 3.
Zur Einleitung der Bewegung der Maschine wird vom Handsteuerrad H aus das Dampfverteilungsorgan der Rudermaschine
verschoben. Das Organ ist hier ein Schieber S, der von
einer gewöhnlichen Kulissensteuerung angetrieben wird. Zur Einleitung der Bewegung
der Maschine wird die Kulisse K aus ihrer Nullage
verschoben.
Es ist nun eine grundsätzliche Anordnung, daß diese Verschiebung y nicht nur mit der der Handradbewegung proportionalen
Größe x, sondern auch mit der der Ruderbewegung ϑ proportionalen Bewegung z verknüpft wird, und zwar so, daß die Gleichung gilt:
y = m x – n'z . . . . . (1)
und wenn gilt:
z=\frac{n}{n'}\,\vartheta . . . . . . (2)
so findet sich:
y = mx – nϑ . . . . . . (3)
Der Kulissenverschiebung y soll nun in erster Annäherung
das von der Rudermaschine auf die Ruderwelle abgegebene Drehmoment M proportional sein:
M = ay . . . . . . . (4)
Nunmehr gewinnt man die Bewegungsgleichung des Ruders:
\Theta\,\frac{d^2\,\vartheta}{d\,t^2}=\alpha\,y-W . . . . . (5)
wo Θ das auf die Ruderpinne
reduzierte Trägheitsmoment aller bewegten Teile und W
das in der gleichen Weise reduzierte Moment aller der Maschinen- respektive der
Ruderbewegung sich entgegenstellenden Widerstände ist. In erster Linie enthält W einen von dem Ruderdruck herrührenden Anteil, den wir
vorläufig proportional dem Sinusquadrat des Ruderwinkels anzunehmen haben, einem
kleineren Anteil, der der Winkelgeschwindigkeit des Ruders proportional sei, und
einem konstanten Zuschlag, der den Reibungswiderständen der Maschine und des
Rudergeschirres Rechnung tragen soll. Wir schreiben also
W=p\,\sin^2\,\vartheta+q\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}+r . . . (6)
Das erste Glied ist übrigens bei stilliegendem Schiff nicht vorhanden, da p dem Quadrat der Fahrtgeschwindigkeit proportional
ist. Nunmehr gewinnen wir die Bewegungsgleichung des Ruders in folgender
Gestalt:
\Theta\,\frac{d^2\,\vartheta}{d\,t^2}=a\,m\,x-a\,n\,\vartheta-p\,\mbox{sin}^2\,\vartheta-q\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}-r
oder, wenn wir uns die der Handradbewegung proportionale Größe
x als eine durch die Absichten des Schiffsleiters
gegebene Zeitfunktion f(t) denken, unter Umsetzung der
einzelnen Summanden:
\Theta\,\frac{d^2\,\vartheta}{d\,t^2}+q\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}+a\,n\,\vartheta+p\,\sin^2\,\vartheta=a\,m\,f\,(t)-r.
Hier bemerken wir, daß das Glied psin2ϑ die Wirkung des
Ruderdruckes insofern nicht richtig zum Ausdruck bringt, als es den
Vorzeichenwechsel beim Durchgang des Ruders durch die Nullage nicht mitmacht. Wir
behalten uns deshalb vor, die Wirkung des Ruderdruckes gesondert zu untersuchen und
beschränken uns auf kleine Ruderbewegungen oder auch auf die Ruderbewegung bei
stilliegendem Schiff. In beiden Fällen kann psin2ϑ fortgelassen
werden.
Auch die Größe r nötigt uns zu gesonderter Behandlung,
weil sie den Vorzeichenwechsel im Nullpunkt nicht zum Ausdruck bringt, weshalb wir
sie ebenfalls unterdrücken.
Nach diesen Vereinfachungen gewinnen wir die Gestalt der gewöhnlichen
Differentialgleichung erzwungener Schwingungen:
\Theta\,\frac{d^2\,\vartheta}{d\,t^2}+q\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}+a\,n\,\vartheta=a\,m\,f\,(t) . . (9)
Zur Prüfung dieser Differentialgleichung denken wir uns f(t) in eine Fouriersche Reihe entwickelt:
f (t) = A0
+ A1 cos α0t + A2 cos 2 α0t + ...
+ B1 sin α0t + B2 sin 2 α0t + .... (10)
womit sich das allgemeine Integral der
Differentialgleichung in der Form findet:
\vartheta=a_1\,e^{\mu_1\,t}+a_2\,e^{\mu_2\,t}+\frac{m\,A_0}{n}+\Phi\,(t) . . (11)
Hier sind μ1 und μ2 die Wurzeln der
Gleichung
\mu^2+\frac{q}{\Theta}\,\mu+\frac{a\,n}{\Theta}=0 . . . (12)
und Φ(t) ist eine weiter unten zu
erörternde periodische Zeilfunktion. Die beiden ersten Glieder des Ansatzes für ϑ, welche die Eigenschwingung des Systems darstellen,
verschwinden nach genügend langer Zeit bei positivem q
unter allen Umständen, so daß nur die vom Handrad herrührende erzwungene Bewegung
des Ruders
\vartheta=\frac{m}{n}\,A_0+\Phi\,(t) . . . . . (13)
übrig bleibt.
Aus diesem Ansatz lesen wir ab, daß die Ruderlage sich tatsächlich proportional (wenn
auch erst nach Verschwinden der Eigenschwingung) der Handradbewegung einstellt, wenn
die letztere aus einer zur Zeit t = 0 eingeleiteten
rasch erfolgenden Drehung des Handrades proportional der Größe x = A0 besteht; die Koeffizienten von f(t); A1, A2, A3 . . . . B1, B2, B3, . . . ,
verschwinden in diesem Falle, die Ruderlage wird einfach
\vartheta=\frac{m}{n}\,A_0.
Aus dieser Gleichung erkennen wir sofort die Wirkung der Aufhebung der Verbindung von
y mit der Ruderbewegung, also des Verschwindens der
sogenannten Stellhemmung, die in dem Ansatz
y = mx – nϑ
sich durch n = o bemerklich macht. Diese Voraussetzung liefert ϑ = ∞, also die Unmöglichkeit einer stabilen
Ruderbewegung.
Wir erkennen also, daß die Stellhemmung das System Handrad-Rudermaschine-Ruder,
welches an sich zwei ungekoppelte Freiheitsgrade hat und unstabil ist, zu einem
gekoppelten System macht, welches stabiler Bewegungen fähig ist.
Was nun die Zeitfunktion Φ (t) anlangt, so ist dieselbe,
wie die genauere Ausrechnung (vgl. H. Lorenz, Techn.
Mechanik S. 224) zeigt, eine Fouriersche Reihe, deren
K-tes Glied lautet:
\frac{a\,m\,\sqrt{{A_k}^2+{B_k}^2}}{\sqrt{(a\,n-k^2\,\Theta\,{\alpha_0}^2)^2+k^2\,{\alpha_0}^2\,q^2}}\,\sin\,(\alpha_0\,t+\delta_k)\,k (16)
mit:
\left.{{\cos\,k\,\delta_k=\frac{(a\,n-k^2\,\Theta\,{\alpha_0}^2)\,B_k+k\,\alpha_0\,q\,A_k}{\sqrt{({A_k}^2+{B_k}^2)\,[(a\,n-k^2\,\Theta\,{\alpha_0}^2)^2+k^2\,{\alpha_0}^2\,q^2]}}}\atop{\sin\,k\,\delta_k=\frac{(a\,n-k^2\,\Theta\,{\alpha_0}^2)\,A_k-k\,\alpha_0\,q\,B_k}{\sqrt{({A_k}^2+{B_k}^2)\,[(a\,n-k^2\,\Theta\,{\alpha_0}^2)^2+k^2\,{\alpha_0}^2\,q^2]}}}}\right\}\
(17)
Diese Ansätze ergeben, daß Φ(t) niemals ein zeit-und
raumgetreues Abbild von f(t) sein kann, so lange die
Trägheit Θ und die Dämpfung q nicht verschwinden. Die Trägheit haftet aber allen mechanischen Systemen
an und die Dämpfung darf man nicht beseitigen (wenn es auch möglich wäre) weil
dann die Eigenschwingung des Systems nicht aufhören würde.
Wir erkennen also, daß synchrone Bewegungsübertragungen nur mit Annäherung möglich
sind.
III. Elektrische
Synchronübertragungen.
Beim oben erörterten Schiffsruderantrieb kann man die Rudermaschine auch durch einen
Elektromotor ersetzen.
Derartige elektrische Synchronübertragungen werden ganz allgemein benutzt bei der
Steuerung von schweren Körpern B in Abb. 4a, deren Trägheitsmoment um eine Drehachse
beträchtlich ist. In diesen Körpern, die wir kurz als Drehkörper bezeichnen wollen,
möge, wie in Abb. 4a gezeichnet, eine ausgezeichnete
Richtung ab festgelegt sein. Diese Richtung werde kurz
als Drehkörperrichtung bezeichnet.
Es entsteht nun die Aufgabe, diese Richtung parallel zur optischen Achse eines
Fernrohres so zu steuern, daß der Drehkörper mit seiner ausgezeichneten Richtung
unter Wahrung der genannten Parallelität den Bewegungen des Fernrohres automatisch
folgt.
Textabbildung Bd. 332, S. 299
Abb. 4a.
Textabbildung Bd. 332, S. 299
Abb. 4b.
Zur Lösung dieser Aufgabe ist eine große Anzahl von Konstruktionen und elektrischen
Schaltungen erdacht und ausgeführt worden.
Eine einfache Anordnung dieser Art, deren Schaltung längst bekannt ist, soll der nun
zu gebenden dynamischen Betrachtung unterzogen werden.
In der Abb. 4a soll der Drehkörper B der Bewegung des Fernrohres A parallel nachgeführt werden. Die Spuren der bezüglichen Drehachsen sind
Cβ bzw. Cα. Diese Spuren der
Drehachsen Cα und Cβ sind wieder in Abb. 4b zu sehen, und bezeichnen hier die Drehachsen
zweier Schleifhebel α1
und β1 Durch
mechanische Uebersetzungsmittel ist dafür gesorgt, daß die Winkel φ und ϑ der Schleifhebel
gegen die Gerade xx identisch sind mit den
entsprechenden Winkeln am Fernrohr resp. der Drehkörperrichtung.
Die Hebel α1 und β1 schleifen je über
einer Reihe halbkreisförmig angeordneter Kontakte α
bzw. β, welche mit den einzelnen Unterteilungen zweier
elektrischer Widerstände W1
W1 bzw. W2 W2 leitend verbunden sind, so daß zwischen
je zwei Kontakten gleiche Teile der Widerstände liegen; mit anderen Worten, die
Widerstände sollen gleichförmig über die Kontakte verteilt sein. Somit entsprechen
den Winkeln φ bzw. ϑ der
Schleifhebel proportionale Teile x bzw. y der Widerstände. Es ist
\varphi=\frac{\pi}{2\,W_1}\,x . . . . . . . (18)
und
\vartheta=\frac{\pi}{2\,W_2}\,y . . . . . . . (19)
Die Endpunkte a a bzw. b b der Widerstände sind paarweise miteinander
verbunden und so an eine konstante elektrische Spannung V gelegt, daß W1
W1 zu W2
W2 parallel geschaltet
ist.
Weiterhin sind die Drehpunkte Cα und Cβ der Schleifhebel durch eine Leitung J
J über den Anker eines Elektromotors M
miteinander leitend verbunden.
Es entsteht so die Schaltung einer Wheatstoneschen Brücke,
die in Abb. 5 nochmals vereinfacht gezeichnet
ist.
Textabbildung Bd. 332, S. 300
Abb. 5.
Im allgemeinen wird eine bestimmte Einstellung der Winkel φ und ϑ die beiden Brückenzweige a a und b b in den
Verhältnissen \frac{W_1+x}{W_1-x} bzw. \frac{W_2+y}{W_2-y} teilen, wodurch in der Ausgleichsleitung
J J der Brücke ein Strom auftritt, wenn nicht gerade
zufällig zwischen den vier Widerständen die Beziehung gilt:
\frac{W_1+x}{W_1-x}=\frac{W_2+y}{W_2-y} . . . . . . (20)
woraus folgen würde:
x : y = W1: W2 . . . . . (21)
oder in Verbindung mit (18) und (19)
ϑ =φ . . . . . . . . (22)
d.h. Fernrohr und Drehkörperrichtung stehen einander parallel,
sobald die Ausgleichsleitung stromlos ist. Fließt aber darin ein Strom J, so herrscht an den Enden der Ausgleichsleitung eine
gewisse Spannung Ep und
in den vier Teilwiderständen W1 + x, W1 – x, W2
+ y, W2 – y fließen
vier Ströme J1 bzw. J2 bzw. J3 bzw. J4. Hiermit haben wir
folgende Reihe unbekannter Größen: J1, J2, J3, J4, J, Ep. y, ϑ: x betrachten
wir als durch die Fernrohrbewegung φ vermöge (18)
gegeben. Zwischen den Unbekannten bestehen folgende Gleichungen:
J1(W1 + x) + J2 (W1
– x) = VJ3
(W2 + y) + J4
(W2 – y) = VJ1
(W1 + x) + Ep
– J3 (W2 + y) =
0J2 (W1 – x) – Ep – J4
(W2 – y) =
0J1
= J2
+ JJ3 = J4 – J
(23)
von denen aber die vierte eine Folge der drei ersten ist.
Das erste Gleichungspaar ist der Ausdruck des Ohmschen Gesetzes für die
Spannungsverteilung in den beiden Brückenzweigen a a
bzw. b b das zweite Paar liefert die
Spannungsverteilung in den Brückenkreisen I bzw. II; das dritte folgt aus dem Kirchhoffschen Stromverzweigungsgesetz an den Endpunkten der
Ausgleichsleitung.
Wir fassen nun den Ausgleichstrom näher ins Auge und wiederholen, daß er nur fließt,
sobald die Brückengleichung nicht erfüllt ist, oder sobald das Fernrohr und die
Drehkörperrichtung nicht parallel stehen.
Diesen Umstand benutzen wir, indem wir den Ausgleichstrom J zur Drehung des Ankers eines Motors M
verwenden, welche Drehung wir durch mechanische Mittel (in der Abbildung als
Kegelrad- und Schneckenradgetriebe angedeutet) so auf den Drehkörper überleiten, daß
sie stets auf die Ueberführung des ganzen Systems in Stromlosigkeit der
Ausgleichsleitung hinwirkt. Diese Maßnahme liefert die Gleichung für die
Massenbewegung des Drehkörpers unter Einfluß des Drehmoments des Motors.
Seien alle sich drehenden Massen (einschließlich des Motorankers) auf die Drehachse
des Körpers B reduziert und im Trägheitsmoment Θ zusammengefaßt, setzen wir ferner die gesammte
Systemreibung proportional mit der Drehgeschwindigkeit, so lautet die
Bewegungsgleichung:
\Theta\,\frac{d^2\,\vartheta}{d\,t^2}+b\,\frac{d\,\vartheta}{a\,t}=k\,1,02\,\times\,10^{-9}\,J\,\frac{N\,n}{2\,\pi} . (24)
wo k der Kraftübersetzung vom
Motor auf den Drehkranz des Körpers B Rechnung trägt,
während N die Polstärke, n
die Leiterzahl auf dem Anker des Motors bedeutet. Der Motor habe Parallelschaltung
des Ankers; bei Serienschaltung müßte \frac{N\,n}{2\,\pi} durch \frac{N\,n\,p}{2\,\pi} (p = Polpaarzahl) ersetzt werden.
Zu den entwickelten Gleichungen kommt noch die Spannungsgleichung des Motors
E_p=J\,W+10^{-8}\,k\,\frac{N\,n}{2\,\pi}\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t} . . . (25)
welche aussagt, daß die Spannungsdifferenz Ep an den Enden der
Ausgleichsleitung dazu dient, den Spannungsverlust J W
im Ankerwiderstande W und die gegenelektromotorische
Kraft 10^{-8}\,k\,\frac{N\,n}{2\,\pi}\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t} zu überwinden.
Wir haben nunmehr für die acht Veränderlichen bzw. Unbekannten außer Gleichung (19)
und den fünf Gleichungen (23) noch die beiden Gleichungen (24) und (25), womit der
Ansatz zu ihrer Bestimmung vollständig ist.
Zur Aussonderung der Veränderlichen ϑ, welche die
Horizontalbewegung des Drehkörpers bestimmt, verfahren wir wie folgt.
Aus der fünften und sechsten Gleichung (23) bestimmen sich:
J2 =
J1 – J
J4 =
J3 + J
Diese Werte sind in die ersten beiden Gleichungen (23) einzuführen:
J1(W1 + x) + (J1 – J)(W1
– x) = V
J3(W2 + y) + (J3 + J)(W2 – y) = V
Aus diesen Ansätzen folgt:
J_1=\frac{V+J\,(W_1-x)}{2\,W_1}
J_3=\frac{V-J\,(W_2-y)}{2\,W_2}
Setzt man hiernach J1 und J3 in die dritte Gleichung (23) ein, so findet
sich:
V\,\left\{\frac{W_1+x}{2\,W_1}-\frac{W_2+y}{2\,W_2}\right\}+J\,\left\{\frac{{W_1}^2-x^2}{2\,W_1}+\frac{{W_2}^2-y^2}{2\,W_2}\right\}=-E_p (26)
Wiederholen wir jetzt die Gleichungen (19), (24), (25),
\vartheta=\frac{\pi}{2\,W_2}\,y . . . . . . (29)
\Theta\,\frac{d^2\,\vartheta}{d\,t^2}+b\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}=\pi\,k_1\,J\,n\,N . . . . . (30)
J\,W+k'_2\,n\,N\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}=E_p . . . (31)
wo k1 und k'2 als
Abkürzungen bedeuten:
\left.{{k_1=1,02\,.\,10^{-9}\,\frac{k}{2\,\pi^2}}\atop{\ \ \ \ \ \ \ k'_2=10^{-8}\,\frac{k}{2\,\pi}}}\right\}\ .\ .\ .\ .\
(32)
so liefert die weitere Aussonderung von Ep, J und y [durch Addition
von Gleichung (26) zu (31), dann Einsetzen von J aus
(30) und y aus (29)] folgende Differentialgleichung für
ϑ:
\frac{\Theta\,\lambda_1}{k_1\,n\,N}\,\frac{d\,\vartheta^2}{d\,t^2}+\left(\frac{b\,\lambda_1}{k_1\,n\,N}+\pi\,k'_2\,n\,N\right)\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}+V\,\vartheta=\frac{\pi\,V}{2\,W_1}\,x-\frac{2\,W_2\,\vartheta^2}{\pi^2\,k_1\,n\,N}\,\left(\Theta\,\frac{d^2\,\vartheta}{d\,t^2}+b\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}\right) . . (33)
wo zur Abkürzung
\lambda_1=\frac{x^2}{2\,W_1}+W-\frac{W_1+W_2}{2} . . (34)
gesetzt ist. Diese Differentialgleichung ist linear von der
zweiten Ordnung, mit unveränderlichen Beiwerten, bis auf das zweite Glied auf der
rechten Seite, welches vom dritten Grade ist. Den Einfluß dieses Gliedes wollen wir
wie folgt berücksichtigen. Es sei vorausgesetzt, daß die gesuchte Bewegung dadurch
eingeleitet werde, daß zur Zeit t = 0 das Fernrohr,
welches bis dahin parallel mit der Drehkörperrichtung in der Mittellage des Systems
stand, plötzlich um den endlichen Winkel y aus seiner
Lage herausgedreht werde; dieser Fernrohrbewegung entspricht eine plötzliche
Aenderung der Einstellung des Brückenzweiges a a um den
Widerstandobetrag x. Es ist klar, daß eine solche
plötzliche Aenderung der Systemeinstellung als stärkste Anforderung an die
Wirkungsweise betrachtet werden muß. Es entstehen nun die Fragen:
1. Strebt der Drehkörper überhaupt einer neuen festen
Einstellung zu?
2. Wird seine Richtung in der neuen Stellung wieder zum
Fernrohr parallel stehen?
3. In welcher Zeit wird die neue Parallellage erreicht?
Wir wollen voraussetzen, das die Frage 2 bejahend zu beantworten ist und wollen
untersuchen, ob diese Annahme mit den Aussagen der Differentialgleichung im Einklang
steht. Wir wollen auch weiter fordern, daß der Körper B
ohne Pendelung in die neue Lage übergeht. Dann gilt für den Verlauf des
Horizontalrichtungswinkels ϑ das Schaubild (Abb. 6).
Da die Bewegung mit der Winkelgeschwindigkeit \frac{d\,\vartheta}{d\,t}=0 anfängt und aufhört, so muß
die ϑ-Kurve der Zeitachse bei t = 0 genau und bei t = T angenähert parallel sein; da die Bewegung aperiodisch
sein soll, kann die Kurve nur einen Wendepunkt zwischen 0 und T haben. Nach diesem Verlauf von ϑ bestimmt sich nun angenähert die Wirkung des
Gliedes
-\frac{2\,W_2}{\pi^2\,k_1\,n\,N}\,\left(\Theta\,\frac{d^2\,\vartheta}{d\,t^2}+b\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}\right)\,\vartheta^2 . . (35)
auf der rechten Seite von (33).
Textabbildung Bd. 332, S. 301
Abb. 6.
Wir ersetzen ϑ durch seinen Mittelwert M|ϑ2|, der ein
Bruchteil vom Endwerte ϑ12 sein muß, und schreiben, unter Wahl einer Größe
0 < α < 1
\vartheta^2\,\sim\,M\mid\vartheta^2\mid=\alpha\,{\vartheta_1}^2=\alpha\,\frac{\pi^2\,x^2}{2\,{W_1}^2} . . (36)
Infolge dieser Maßnahme kann das Glied (35) auf die linke
Seite von (33) gesetzt werden, wodurch unsere Differentialgleichung übergeht in:
\frac{\Theta\,\lambda}{k_1\,n\,N}\,\frac{d^2\,\vartheta}{d\,t^2}+\left(\frac{b\,\lambda}{k_1\,n\,N}+\pi\,k'_2\,n\,N\right)\,\frac{d\,\vartheta}{d\,t}+V\,\vartheta=\frac{\pi\,V}{2\,W_1}\,x . . (37)
wo zur Abkürzung gesetzt ist:
\lambda=\lambda_1+\frac{\alpha\,x^2\,W_2}{2\,{W_1}^2}=x^2\,\frac{W_1+\alpha\,W_2}{2\,{W_1}^2}+W-\frac{W_1+W_2}{2} (38)
Die Differentialgleichung (37) hat als allgemeines
Integral
\vartheta=A\,e^{\mu_1\,t}+B\,e^{\mu_2\,t}+\pi\,\frac{x}{2\,W_1} . . (39)
wo μ1 und μ2 der
quadratischen Gleichung genügen müssen.
\frac{\Theta\,\lambda}{k_1\,n\,N}\,\mu^2+\left(\frac{b\,\lambda}{k_1\,n\,N}+\pi\,k'_2\,n\,N\right)\,\mu+V=0 (40)
Damit die Bewegung (39) stabil ist, muß zunächst in (40) λ positiv sein, d.h. es muß gelten:
W\,>\,\frac{W_1+W_2}{2} . . . . . . (41)
wodurch eine untere Grenze für den Ankerwiderstand des
Elektromotors festgesetzt wird.
Damit ferner der Voraussetzung der Aperiodizität genügt wird, muß unter den Bei
werten von (21) die Beziehung bestehen:
\left(\frac{b\,\lambda}{k_1\,n\,N}+\pi\,k'_2\,n\,N\right)=2\,\sqrt{\frac{\Theta\,\lambda\,V}{k_1\,n\,N}}
oder mit k2 = π k'2:
(b\,\lambda+k_1\,k_2\,n^2\,N^2)=2\,\sqrt{k_1\,n\,N\,\Theta\,\lambda\,V} . . (42)
entsprechend der Bedingung zweier gleicher negativer
Wurzeln
b^2=2\,\sqrt{m\,c}
der quadratischen Gleichung:
mμ2
+ bμ + c = 0.
Sind also die Bedingungen (41) und (42) erfullt, so sind die obigen Fragen 1. und 2.
zu bejahen; der neue Horizontalwinkel des Körpers B
wird dann nach (39), weil A\,e^{\mu_1\,t}+B\,e^{\mu_2\,t} nach Verlauf einer gewissen Zeit
verschwindet,
\vartheta_1=\frac{\pi\,x}{2\,W_1} . . . . . . (43)
wie oben unter (36) vorausgesetzt. Unsere Annahme steht
demnach nicht im Widerspruch mit der abgeleiteten Differentialgleichung.
Die Zeit, die nötig ist, um ϑ1 zu erreichen, ist theoretisch unendlich. Man wird deshalb (42) nicht
genau erfüllen, sondern 2\,\sqrt{k_1\,n\,N\,\Theta\,\lambda\,V} etwas größer als b (λ +
k2
n N) machen; dann sieht der Verlauf von ϑ wie folgt aus (Abb.
7):
Textabbildung Bd. 332, S. 302
Abb. 7.
Der Betrag Δϑ, um den das System dann
„überreguliert“, ist so zu bemessen, daß er innerhalb der zulässigen
Abweichung vom Parallelismus bleibt. Jedenfalls kann man aus der Gleichung (42)
einen Anhaltspunkt für die Bemessung der Größe
\lambda=x^2\,\frac{W_1+\alpha\,W_2}{2\,{W_1}^2}+W-\frac{W_1+W_2}{2}
gewinnen.
Es ist nun bemerkenswert, daß hier die Stabilitätskriterien die Größe der Störung x selbst enthalten, was daher rührt, daß wir den
Einfluß des Gliedes (35) nur mit Hilfe der Größe der Störung x abschätzen konnten. Wir müssen also die
Stabilitätskriterien so berücksichtigen, daß sie für alle möglichen Größen der
Störung x erfüllt sind. Der größte Wert, den x annehmen kann, ist offenbar
x = 2 W1
wenn wir nämlich das Fernrohr und damit den Drehkörper aus
einer Endlage in die andere überführen sollen. Dann wird
\lambda=W+\frac{3\,W_1}{2}+\frac{(\alpha-1)\,W_2}{2}
oder mit α ~ 1:
\lambda=W+\frac{3\,W_1}{2}.
Löst man nun (42) nach λ auf, so
ergibt sich:
W+\frac{3\,W_1}{2}=\frac{k_1\,n\,N}{b^2}\,\{2\,\Theta\,V-b\,k_2\,n\,N\,\pm\,2\,\sqrt{\Theta^2\,V^2-b\,k_2\,n\,N\,\Theta\,V}\} (45)
Dieser Ansatz liefert, da λ nicht
komplex werden darf, die weitere Bedingung:
ΘV > b k2 n
N . . . . . (46)
womit zugleich der Inhalt der geschweiften Klammer positiv
wird, was nötig ist, damit nicht λ negativ wird.
Schließlich kann man noch die Bemerkung machen, daß der Ansatz (45) bei
verschwindendem b (nicht vorhandener Dämpfung) nach
zweimaliger Differentiation des Nenners und Zählers liefert:
W+\frac{3\,W_1}{2}=\frac{k_1\,{k_2}^2}{4}\,\frac{n^3\,N^3}{\Theta\,V} . . . (47)
was darauf hinweist, daß in diesem Falle die notwendige
Dämpfung durch den Energieverlust in den Widerständen ersetzt wird.
Die oben benutzte, schon länger bekannte Konstruktion und Schaltung, die der
vorstehenden Ableitung zugrunde gelegt ist, wurde, um die theoretische Entwicklung
nicht zu unübersichtlich zu machen, so einfach als möglich gewählt; in Wirklichkeit
liegt der Zwang vor, mit Relais und sonstigen Hilfsschaltungen (Leonardschaltung) zu
arbeiten,Vgl. hierzu A.
Stauch, Ueber den elektrischen Antrieb des Schiffssteuers. Schiffbau
1908. infolgedessen die mathematischen Ansätze durch die Häufung
von Maschinenkonstanten verwickelter erscheinen; auch kommt man dann nicht mehr mit
Differentialgleichungen zweiter Ordnung aus. Immerhin dürfte es nützlich sein, das
Grundsätzliche der Anwendung der linearen Differentialgleichungen zur Untersuchung
von Synchronübertragungen gezeigt zu haben.