Titel: | Rechts-Schau. |
Autor: | Werneburg |
Fundstelle: | Band 332, Jahrgang 1917, S. 342 |
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Rechts-Schau.
Rechts-Schau.
Zur Unfallversicherung. Die allgemeinen
Versicherungsbedingungen der Unfallversicherungsgesellschaften bestimmen den Begriff
des Unfalles dahin, daß als solcher anzusehen ist: „Eine ärztlicherseits
erkennbare Körperbeschädigung, von welcher der Versicherte unfreiwillig durch
ein plötzliches, von außen mechanisch auf seinen Körper wirkendes Ereignis
betroffen wird.“ Von dieser Begriffsbestimmung weichen die
Versicherungsbedingungen der einzelnen Unfallversicherungsgesellschaften meist nur
dem Wortlaut, nicht auch dem Sinn nach ab. So wird als Unfall bisweilen ein Ereignis
bezeichnet, das mit plötzlicher mechanischer Gewalt auf den Versicherten einwirkt
und eine körperliche Beschädigung zur Folge hat, bisweilen ist nach den Bedingungen
als Unfall eine Körperverletzung anzusehen, die der Versicherte durch eine
unabhängig von seinem Willen eintretende plötzliche und gewaltsame äußere
mechanische Einwirkung erleidet.
Wie ersichtlich stimmen alle diese Definitionen darin überein, daß ein Ereignis
vorliegen muß, das mit plötzlicher mechanischer Kraft auf den Versicherten einwirkt.
Mit der Frage, was im konkreten Fall als eine solche gewaltsame Einwirkung anzusehen
ist, hatte sich das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Urteile vom 19. April
1912 zu beschäftigen. Der Unfall des versicherten Klägers – Verletzung innerer
Organe – war hier darauf zurückzuführen, daß der Versicherte sich bei Hebung von
Planen übermäßig anstrengte. Das Oberlandesgericht bejahte zwar bei dieser Sachlage
das Vorliegen einer gewaltsamen äußeren mechanischen Einwirkung, verneinte jedoch
das Merkmal der nach den Versicherungsbedingungen erforderlichen Plötzlichkeit des
Unfalles. Unerwartet, überraschend und plötzlich war nach den Gründen dieses
Urteiles nur die Wirkung der Anstrengung, nicht auch die Ursache der inneren
Verletzung. Eine Gleichstellung von Plötzlichkeit der Wirkung und Plötzlichkeit der
Ursache könne jedoch nicht stattfinden. Im Gegensatz hierzu und in Uebereinstimmung
mit dem Reichsgericht nimmt jedoch das Oberlandesgericht Nürnberg in seinem Urteil
vom 23. Juni 1911 an, daß die Möglichkeit eines entschädigungspflichtigen Unfalles
auch bei einer solchen freiwillig gewollten körperlichen Anstrengung des
Versicherten besteht. Bei dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war
der gegen Unfall versicherte Schmiedemeister entweder infolge einer plötzlichen
Bewegung des Pferdes oder seiner auf Herausziehung des Nagels gerichteten
Kraftanstrengung zu Boden gestürzt und hatte sich durch den Sturz eine mit tödlichem
Erfolge endende Verletzung seiner inneren Organe zugezogen. In den
Versicherungsbedingungen des abgeschlossenen Vertrages war in § 3 als Unfall
„jede unfreiwillige und unabhängig von dem Willen des Verletzten erlittene,
durch eine plötzliche äußere gewaltsame mechanische Einwirkung hervorgerufene
Körperverletzung, die nachgewiesenermaßen den Tod des Verletzten verursacht
hat“ bezeichnet. Das Oberlandesgericht Nürnberg nahm in dem Urteil meines
Erachtens zutreffend an, daß in beiden Fällen ein entschädigungspflichtiger Unfall
im Sinne der Bedingungen bei diesem Sachverhalt vorlag. Falls nämlich die Verletzung
des Versicherten durch die Bewegung des Pferdes verursacht sei, stelle sich diese
offenbar als eine der Willkür des Versicherten entrückte plötzliche äußere
gewaltsame und mechanische Einwirkung dar. Aber auch für den zweiten Fall, falls
nämlich der Schmiedemeister infolge seiner auf Herausziehung des Nagels gerichteten
vermehrten Kraftanstrengung zu Boden gefallen sein sollte, liege ein Unfall vor.
„Da der Versuch“, so heißt es in dieser Hinsicht in den Gründen dieses
Urteiles, „durch vermehrte Kraftanstrengung das Hindernis wegzuräumen, ein rein
instinktiver war, so hatte der Versicherte die Ueberanstrengung in ihrer
Gefährlichkeit nicht erkannt und demgemäß nicht beherrscht; obwohl sie daher an
sich eine von ihm gewollte Tätigkeit darstellt, ist sie als äußere, gewaltsame
Einwirkung, als ein plötzliches Ereignis anzusehen.“
Bei dem in der Entscheidung des Reichsgerichtes vom 28. Februar 1913 entschiedenen
Fall war nach den Versicherungsbedingungen als Unfall eine Körperverletzung
anzusehen, die der Versicherte durch eine unabhängig von seinem Willen eintretende
plötzliche und gewaltsame mechanische Einwirkung erlitten hatte. Der gegen Unfall
versicherte Kläger war bei der Eisenbahn tätig. Seine Arbeit bestand darin, daß er
die ihm auf den Eisenbahnwagen heraufgereichten Plane herumhob, um ihren Verschluß
nach oben zu bringen, um sie auf diese Weise befestigen zu können. Als der Kläger
sich eines Tages nach dieser Arbeit wieder aufrichtete, empfand er heftige Schmerzen
im Leib und mußte kurze Zeit später Blut ausspeien. Das Oberlandesgericht Stuttgart
nahm in Uebereinstimmung mit dem Reichsgericht an, daß bei einer derartig freiwillig
gewollten körperlichen Anstrengung des Versicherten als Unfall im Sinne der
Versicherungsbedingungen nicht der plötzliche Eintritt einer nachteiligen Wirkung
gelten könne, vielmehr sei bei einer solchen Tätigkeit des Versicherten
erforderlich, daß die Ursache des Unfalles plötzlich, demnach also mit einer
gewissen Schnelligkeit und Ueberraschung eingetreten sei. Das Reichsgericht nimmt
jedoch hier weiter an, daß eine solche Ursache des Unfalles auch bei einer
Tätigkeit, wie der Kläger sie verrichtete, möglich und daher in Betracht zu ziehen
sei. Es führt nämlich in seinen Entscheidungsgründen aus, daß der Kläger auch bei
dem Herumheben der Plane infolge einer unerwarteten ungewöhnlichen Art des
Heraufreichens durch die Arbeiter möglicherweise zu einer plötzlichen, vorher nicht
gewollten und nicht beabsichtigten Kraftanstrengung veranlaßt worden sei, die den
Unfall und die Körperverletzung verursacht habe.
In dem Urteil des Reichsgerichtes vom 21. Januar 1912 bestimmt das Reichsgericht in
Uebereinstimmung mit der vorerwähnten Entscheidung den Begriff des plötzlichen
Ereignisses dahin, daß hierunter ein unerwarteter, nicht vorausgesehener und
unentrinnbarer Einfluß auf den Körper des Versicherten zu verstehen sei. Das
Begriffsmerkmal der mechanischen Gewalt ist dahin festgestellt, daß es sich
hierbei um eine solche Einwirkung der schädigenden Masse auf den Körper des
Versicherten handeln müsse, die sich seiner Natur nach als Kraftäußerung darstelle.
Bei dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Versicherte,
seinem Berufe nach Schachtmeister einer Bergwerksgesellschaft, in erhitztem Zustande
auf einer Strecke von 100 m eine eiskalte wassererzeugende Dauerbrause zu passieren;
er hatte sich hierdurch eine Lungenentzündung zugezogen, die tödlich verlief. Das
Reichsgericht verneinte unter diesen Umständen das Vorliegen eines mit mechanischer
Gewalt auf den Versicherten einwirkenden Ereignisses, wie dies in den
Versicherungsbedingungen vorgesehen war. „Bei der Dauerbrause“, so führt es
nämlich in seinen Entscheidungsgründen aus, „handelte es sich nicht um eine in
der Kraftäußerung der. Wasserbewegung bestehende Wirkung, sondern um den die
Körpertemperatur scharf abkühlenden Einfluß von Feuchtigkeit und Kälte“.
Hiermit sind aber nach Ansicht des Reichsgerichtes, der meines Erachtens wohl
beizustimmen ist, die Begriffsmerkmale der mechanischen Gewalt nicht gegeben.
Bei dem der Entscheidung des Reichsgerichtes vom 10. März 1911 zugrunde liegenden
Sachverhalt hatten die §§ 2 und 8 der allgemeinen Versicherungsbedingungen folgenden
Wortlaut: Ausgeschlossen von der Versicherung sind blinde, hochgradig kurzsichtige
oder schwachsinnige, lahme, taube, erheblich schwerhörige, verkrüppelte,
geistesgestörte oder geistesgestört gewesene, an Epilepsie leidende, gebrechliche,
mit schweren Krankheiten behaftete und ferner solche Personen, welche bereits von
Schlagflüssen betroffen worden sind (§ 2). Wenn im Laufe der Versicherung in dem
Berufe des Versicherten die Unfallgefahr erhöhende Veränderungen eintreten, welche
die Forderung einer höheren Prämie rechtfertigen würden, so ist die Verbindlichkeit
der Gesellschaft aus der Versicherung erloschen, sofern dieselbe sich nicht nach
erfolgter Anzeige des Versicherten, welche innerhalb 15 Tagen erfolgen muß,
schriftlich zur Fortsetzung der Versicherung bereit erklärt und der Versicherte die
an diese Fortsetzung etwa geknüpften Bedingungen erfüllt hat. Die Versicherung wird
ohne weiteres ungültig, wenn eine Aenderung in dem körperlichen Zustand des
Versicherten eintritt, welche die Versicherung gemäß § 2 dieser Bedingungen
ausgeschlossen haben würde, oder wenn der Versicherte gewohnheitsmäßig betäubende
Mittel gebraucht, in Trunksucht verfällt oder zu Gefängnis bzw. Zuchthaus verurteilt
wird (§ 8). Erwiesen war, daß der Versicherte zur Zeit des Unfalles an verschiedenen
schweren Krankheiten gelitten hatte, von denen er der Versicherungsgesellschaft
keine Anzeige erstattet hatte. Das Berufungsgericht verneinte bei dieser Sachlage
das Erlöschen der Versicherung; es führt aus, die Gesellschaft wolle durch diese §§
2 und 8 nur erreichen, daß der Versicherungsnehmer von einer etwaigen Krankheit
Anzeige mache. Das angedrohte Erlöschen der Versicherung könne deshalb nur
eintreten, wenn trotz der Kenntnis der Krankheit die Anzeige unterbleibe. Diese
Auslegung wurde von dem Reichsgericht als unzutreffend bezeichnet. „Daß es der
Gesellschaft bloß auf eine Anzeige ankomme“, so führt es in den Gründen aus,
„geht weder aus § 2 noch aus § 8 hervor. In § 2 ist von einer Anzeige
überhaupt keine Rede. In § 8 Absatz 2 S. 1 ist zwar bestimmt, daß der
Versicherte Anzeige zu machen habe, wenn in seinem Berufe eine Aenderung
eintrete; die Versicherung erlischt aber in jedem Falle, mag er Anzeige machen
oder nicht, und es steht ganz im Belieben der Gesellschaft, ob und unter welchen
Bedingungen sie die erloschene Versicherung wieder in Kraft setzen will“.
Auf Grund dieser Erwägungen bejahte das Reichsgericht das Erlöschen der Versicherung und wies
die Klage gegen die Versicherungsgesellschaft ab.
Gemäß § 27 Absatz 2 V. V. G. hat der Versicherungsnehmer, sobald er von der Gefahr
Kenntnis erlangt, dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu machen. Unverzüglich
bedeutet hierbei nach § 121 BGB. ohne schuldhaftes Zögern. Hatte also der
Versicherungsnehmer die Anzeige an den Versicherer ohne Vorliegen von
Verschulden auf seiner Seite unterlassen, etwa weil er annahm, sie sei letzterem
bekannt, so hat dies für ihn Rechtsnachteile nicht zur Folge. Für die Beweislast ist
noch bemerkenswert, daß der Versicherungsnehmer die Unerheblichkeit der
Gefahrerhöhung zu beweisen hat.
Rechtsanwalt Dr. Werneburg, Köln.