Titel: | Produktionsform und Fertigungsweise. |
Autor: | O. Kienzle |
Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 104 |
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Produktionsform und Fertigungsweise.
Von Dipl.-Ing. O. Kienzle, Berlin-Südende.
KIENZLE: Produktionsform und Fertigungsweise.
Das durch die gesamte volkswirtschaftliche Entwicklung erkennbare Prinzip der
Arbeitsteilung hat seiner Auswirkung nach in den letzten Jahrzehnten größere
Fortschritte gemacht als in irgend einem gleichen Zeitraum zuvor. Da eine solche
Entwicklung stets auf dem günstigeren Boden mit rascheren Schritten voraneilt, so
ist es nicht zu verwundern, daß, wenn man heute einen Querschnitt durch das
Wirtschaftsleben legt, man Produktionsformen findet, die entwicklungstechnisch um
viele Jahre auseinander sind.
Als die Anfangsstufe der betrachteten Entwicklung sei die noch keineswegs
ausgestorbene Universalwerkstatt angesehen, in der gefeilt, gedreht, gehobelt,
gebohrt, womöglich auch noch geschmiedet wurde. Wenn man auch bald davon abkam,
durch einen Arbeiter alle Arbeitsgänge an einem Werkstück vornehmen zu lassen, so
blieb doch das Typische eines solchen Betriebes, daß ohne viele Zeichnungen
probiert, gepaßt, gebaut wurde. „Fabriziert“ wurden Maschinen aber noch
nicht. Dies war erst möglich, als man die einzelnen Arbeitsgänge und damit auch die
einzelnen Werkstücke in der Fertigung voneinander loslöste. Die Möglichkeit,
zusammenpassende Stücke gleichzeitig und unabhängig voneinander zu bearbeiten,
bietet so viele Vorteile, daß man die nicht billige Schaffung des Bindeglieds in
Gestalt von Grenzlehren, Prüflehren und Urlehren gerne mit in Kauf nimmt. (Abb. 1) Man braucht ein schweres Stück nicht während
der Bearbeitung zum Gegenstück hinzutransportieren, an den Kran zu hängen,
aufzuheben, in seiner Lage zum anderen auszurichten, bloß um dieses bei der
Bearbeitung anpassen zu können, man braucht nicht mit einer Welle zu warten, bis das
inzwischen mißratene Gußstück neu gegossen ist, und damit die Werkstatt zu belasten;
man beschleunigt also den Durchgang eines Werkstückes durch die Werkstatt.
Dieses raschere Passieren durch die Werkstätten bedeutet einen nicht zu
unterschätzenden Minderaufwand an Zinsen, denn von zwei Stücken, die zu einer
bestimmten Zeit in Fabrikation gegeben werden, kann das, das infolge besserer
Fertigungsweise rascher seinen Fertigzustand erreicht, früher abgeliefert und
bezahlt werden. Während das andere noch in der Fabrikation läuft, kann
vergleichsweise der Gegenwert des ersteren bereits wieder Zinsen tragen, die den
Selbstkosten des anderen zugerechnet werden müssen. Daß zu einer solchen
Arbeitsteilung eine Reihen- und Massenherstellung unbedingt zwingt, ist heute eine
so allgemeine bewußte Erfahrung, daß es kaum nötig ist, darauf hinzuweisen.
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Abb. 1.
Also die Veränderung der Produktionsform von der universellen Mechanikerwerkstatt zur
isolierten Maschinengruppe bedingte bei der Fertigung die Einführung der
Grenzlehren. Waren diese für den betreffenden Betrieb richtig gewählt, so war es
bedeutunglos, wie sie sich zu denen anderer Betriebe verhielten.
Die Entwicklung geht aber weiter, die Produktion weitet sich über den Einzelbetrieb
hinaus. Die Ueberlegenheit der Maschinenarbeit läßt es da und dort ratsam
erscheinen, Sondermaschinen einzuführen; allein diese lohnen sich erst, wenn sie für
mehrere Werke arbeiten, da der Einzelbedarf eines solchen nicht groß genug ist. Die
Frachtkosten verlangen, daß Teile mit verhältnismäßig vielem Rohstoff und wenigem
Lohnaufwand in der Nähe der Rohstofflager hergestellt werden, während die Teile, bei deren
Herstellung der Lohnaufwand vorherrscht, nach den entfernteren Gegenden mit
billigerem Arbeiterangebot wandern. Solche Gründe und andere mehr sind es, die die
Herstellung eines Gesamterzeugnisses weiter zerreißen und völlig getrennten Werken
übergaben. Als Beispiele für Teilerzeugnisse, die in Sonderfabriken hergestellt und
an dritten Orten in ein Gesamterzeugnis, zum Beispiel eine Maschine eingebaut
werden, seien gezogene Wellen, Zahnräder, Kugellager, Schrauben genannt. Arbeiten
nur wenige Werke in dieser Art zusammen, so kann die Uebereinstimmung der Maße nach
Abb. 2 durch eine gemeinsame Urlehre
gewährleistet werden. Vergrößert sich aber der Kreis der Beteiligten ins Beliebige,
so bedarf diese neue „spezialisierte“ Produktionsform neuer Bindeglieder,
nämlich eines Urmaßstabes und dazu einer Norm, auf die sich die Bemessung der
zusammen zu passenden Teile beziehen kann (Abb. 3).
Sie besteht in der Festlegung einer einheitlichen Bezugstemperatur und eines
einheitlichen Passungssystems. Beide Aufgaben behandelt der Normenausschuß der
deutschen Industrie, die sich damit zur bewußten Förderin der angedeuteten
Entwicklung gemacht hat.
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Abb. 2.
Sollte man damit schön am Ziele angelangt sein? Keineswegs. Es bedeutet zwar schon
viel, daß, wenn ein Maß eines Stückes zu 120 mm vorgeschrieben wird, dieses Maß
innerhalb einer „Toleranz“ von wenigen hundertstel Millimetern gleich
ausfällt, gleichgültig ob es in Königsberg, Düsseldorf oder Nürnberg hergestellt
wird; aber mehr will es heißen, wenn gar nicht mehr jedes Maß vorgeschrieben werden
muß, sondern ein Begriff, zum Beispiel „Morsekonushülse 5/6“ oder
„Querkugellager 30 leicht“ alle Maße eines Teiles festlegt, ein Ziel, das
die Normung verfolgt.
Bestellte man bisher ein Zahnrad nach einer Zeichnung und sandte man womöglich noch
ein Stichmaß für die Bohrung mit, so genügt nach der Normung ein Drahtwort wie
„Zahnrad 5 pi 150 (Teilkreisdurchmesser) 30 Bohrung“ oder ähnlich.
Vielfach werden die Vorteile davon aber nur mit dem Vorbehalt anerkannt, daß dies
alles nur für die bereits weit entwickelte Präzisionsindustrie gut und brauchbar
sei. Vergegenwärtigt man sich aber die damit erreichte Wirtschaftlichkeit und
Raschheit der Herstellung, und bedenkt man weiter, daß die Schwierigkeiten der
unabhängigen und doch austauschbaren Herstellung um so größer sind, je genauer
gearbeitet wird, so muß man zu dem Schlusse kommen, daß diese Mittel, die sich
aus der Entwicklung auf dem Gebiete der Präzisionsindustrie ergeben haben, auf jedem
anderen Gebiet des gröberen Maschinenbaues ebenso förderlich sein können, dies um so
mehr, als die technischen Schwierigkeiten weit geringere sind.
Trifft dies zu, so wäre es in Anbetracht der in ihrer Tragweite vielfach noch gar
nicht genügend erkannten Schwächung unserer Wirtschaft unverzeihlich, wollte man
diese Mittel nicht auf Gebiete übertragen, denen sie bisher noch fremd oder doch
weniger geläufig sind, als dem Präzisionsmaschinenbau. Gedacht ist dabei besonders
an die zurzeit am meisten begehrten Industrien der landwirtschaftlichen Maschinen
und der Fahrzeuge, besonders der Eisenbahnfahrzeuge.
Bei der Prüfung der Frage, ob bei diesen Industrien eine Aenderung der
Produktionsform nötig oder von selbst schon im Gange ist, ergibt sich folgendes: Wie
bei allen Industriezweigen, so wird auch bei diesen die wirtschaftliche Produktion
durch die gesteigerten Löhne und die noch immer wachsenden Rohstoffpreise erschwert.
Die Anforderung an diese Betriebe hinsichtlich des Umfanges der für die nächste Zeit
in Betracht kommenden Lieferungen übersteigt vielfach ihre bisherige
Leistungsfähigkeit.
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Abb. 3.
Dabei sind die großen Posten, die uns gerade von den genannten Zweigen das Ausland
abnehmen würde, noch gar nicht eingerechnet. Die Allgemeinheit muß aber erwarten,
daß, wo immer eine solche Möglichkeit besteht, ausländische Guthaben zu schaffen
oder mit anderen Worten, statt der Rohstoffe, an denen wir arm sind, deutsche
Arbeitskraft, an der wir reich sind, auszuführen, dies auch in möglichst großem
Umfange geschieht. Auf der anderen Seite stehen Hunderte schwachbeschäftigte
Betriebe und Tausende erwerbsloser Arbeiter, die durchaus befähigt sind, hier
tatkräftig in die Bresche zu treten und nützliche Arbeit zu leisten. Die Lage
erheischt also offenbar eine ähnliche Umwandlung der Produktionsform, wie sie vor
zweieinhalb Jahren unter dem Namen „Hindenburg-Programm“ zum Zwecke der
Ausnutzung der Gesamtindustrie zu einem gemeinsamen Ziel vorgenommen wurde. Es
handelte sich damals nicht um eine natürliche Entwicklung, sondern um eine durch
äußere Notwendigkeiten erzwungene.
Auch jetzt kann man nicht darauf warten, bis sich die Ausweitung der Produktion in
der Eisenbahnfahrzeug- und landwirtschaftlichen Maschinen-Industrie dem Bedarf
angepaßt hat; größte Eile tut not; denn jede Lokomotive und jeder Eisenbahnwagen,
der eine Woche früher fährt, schafft neue Rohstoffe heran und jede
landwirtschaftliche Maschine, die vor der Sommerernte bzw. der Herbstbestellung fertig wird,
fördert die Erzeugung von Nahrungsmitteln aus heimischem Boden oder führt sie uns im
Tausch mit dem Auslande zu.
Was hierzu an organisatorischen und finanziellen Maßnahmen zu geschehen hätte, geht
über den Rahmen dieses Aufsatzes hinaus. Immerhin ist gezeigt worden, daß eine
rasche Ausweitung der Produktion, also eine plötzliche Entwicklung der
Produktionsform eintreten muß; es bleibt also nur noch übrig, auf die damit
verbundenen Maßnahmen in der Fertigung einzugehen.
Der Einfachheit halber und weil der Bau von Eisenbahnfahrzeugen im Vordergrunde des
allgemeinen Interesses steht, werde eine Beschränkung auf diesen vorgenommen.
Bevor man daran geht, neue Betriebe hinzuzuziehen, bleibt es das natürliche
Bestreben, die alten in ihrer Produktivität zu heben. Als Mittel lernten wir oben
die Normung und die austauschbare Fertigung kennen.
Die Normung ist bereits in Angriff genommen, aber sie ist
noch nicht so weit vorgedrungen, daß ein entscheidender Einfluß auf die
Produktivität zu verspüren wäre. Wenn es auch richtig ist, daß eine Normung nie so
weit gehen darf, der technischen Entwicklung Fesseln anzulegen, so erscheint im
Augenblick doch ein radikales Vorgehen durchaus gerechtfertigt, ähnlich wie es im
Verband deutscher Motorfahrzeug-Industrieller durch die Verkehrstechnische
Prüfungskommission geschah, als die Not dazu drängte.
Die Frage der austauschbaren Fertigung ist in drei Abschnitten zu erledigen: zuerst
ist aus dem vom Normenausschuß aufgestellten generellen Passungssystem das
Teilsystem auszusuchen, das sich für die Lokomotiven und Eisenbahnwagen bauenden
Werke am besten eignet, d.h. es ist die Entscheidung zwischen Einheitsbohrung und
Einheitswelle zu treffen. Sodann sind für die einzelnen Teilgruppen die Gütegrade –
Feinpassung, Schlichtpassung, Grobpassung – auszusuchen und unter diesen womöglich
eine Auswahl der einzelnen Sitze zu treffen. Darnach sind für alle anderen nicht
runden Paßmaße, die beim Zusammenbau von getrennt hergestellten Stücken eine Rolle
spielen und für Maße, die aus anderen Gründen innerhalb gewisser Grenzen einzuhalten
sind, Toleranzen aufzustellen.
Von einer ins einzelne gehenden technischen Behandlung dieser Fragen soll hier
abgesehen werden. Dafür wird das Schwergewicht darauf gelegt, daß ein großer Teil
der bisherigen Anpaßarbeit verschwindet, daß hierdurch die Produktivität der
einzelnen Werkstätten steigt und daß die Heranziehung außenstehender Industriezweige
zu Teillieferungen jederzeit möglich ist. Der Vorteil, den eine austauschbare
Fertigung der Montage bringt, spielt im Lokomotiv- und Wagenbau eine ganz besondere
und bedeutendere Rolle als wo anders. Während sich gewöhnliche Montagewerkstätten
kleiner und mittlerer Maschinen beliebig leicht vergrößern bzw. sich auf bisher
anders benutzte Räume ausdehnen lassen, ist dies hier nicht möglich, denn hier sind
ausgedehnte Geleisanlagen, Schiebebühnen, Hebezeuge und genügend hohe Hallen
nötig. Da es auch weniger schwierig ist, die Maschinenwerkstätten zu vergrößern, so
bedeutet die austauschbare Fertigung also selbst in dem Falle, daß ihre Vorteile nur
in der Beschleunigung der Montage liegen würden, eine gewaltige Steigung des
Ausbringens der jetzigen Werkstätten. Darum wird es voraussichtlich auch nicht nötig
sein, neue Lokomotiv- und Wagenfabriken im eigentlichen Sinne zu bauen, das
Förderungsmittel liegt vielmehr darin, die Montagegeschwindigkeit dadurch zu
steigern, daß anbaufertige Teile geliefert werden. Eine Montagehalle, die
hinsichtlich der Leistung mit ihrer Maschinenwerkstätte in Harmonie stand (Abb. 4), wird in Zukunft ein Vielfaches des Bisherigen
herausbringen können; das Mehr an Einzelteilen kann die eigene Werkstatt zum Teil
liefern, denn auch sie nimmt an den Vorteilen der austauschbaren Fertigung teil. Den
noch fehlenden Anteil werden willig und gern andere Werkstätten übernehmen. Nötig
ist lediglich eine Ergänzung der Montage durch die Revision der ankommenden Teile
(Abb. 5). Neben die volkswirtschaftlichen
Vorteile treten hier die privatwirtschaftlichen; denn die Produktionsmittel,
vornehmlich die Montagehalle selbst mit ihren Einrichtungen wird viel besser
ausgenutzt, so daß neben der effektiven Ersparnis an Lohnaufwand auf die produzierte
Einheit weniger Zinsaufwand entfällt. Dazu kommt schon die oben erwähnte Ersparnis
an Zinsen für die Werkstücke, die sich sonst viel länger im Fabrikationsgang
befinden würden.
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Abb. 4.
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Abb. 5.
Hat sich diese bessere Fertigungsweise durchgesetzt, und ihre Vorzüge erwiesen, so
wird sie auch dann bleiben, wenn der dringendste Bedarf gedeckt ist, die Produktion
sich wieder einengt und damit der Kreis der Beteiligten und die sie umspannende Form
zusammenschrumpft. Aber es wird nicht mehr so werden wie früher; was bleiben wird,
ist eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit und damit der Konkurrenfähigkeit
gegenüber dem Auslande, die gerade auf, dem Gebiete des Eisenbahnfahrzeugbaues
besonders zu begrüßen ist, da es sich hier stets um größere Objekte handelt.
Bei der Koppelung von Produktionsform und Fertigungsweise haben wir also auf dem
betrachteten Sondergebiet das merkwürdige Schauspiel, daß die eine die andere bei
der Vorwärtsentwicklung zwar mitnimmt, sie im umgekehrten Sinne aber nicht
beeinflußt, da die bessere Fertigungsweise inzwischen selbst lebensfähig geworden
ist.