Titel: | Schmierölgewinnung aus Steinkohle. |
Autor: | A. Sander |
Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 150 |
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Schmierölgewinnung aus Steinkohle.
Von Dr.-Ing. A. Sander,
Darmstadt.
SANDER: Schmierölgewinnung aus Steinkohle.
Für die Beschaffung von Schmiermitteln war unsere Industrie vor dem Kriege in
hohem Maße auf Zufuhr aus dem Auslande angewiesen und sie hatte bekanntlich während
des Krieges in dieser Hinsicht mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Im Jahre 1913
wurden 248035 t Schmieröl im Werte von fast 46 Mill. Mark in Deutschland eingeführt,
und zwar vorwiegend aus Nordamerika (102467 t) und Rußland (90573 t), ferner aus
Galizien (38651 t) und Rumänien (13379 t). Von allen diesen Bezugquellen wurden wir
im Laufe des Krieges abgeschnitten, und wenn auch nach der Vertreibung der Russen
aus Galizien sowie nach der Besetzung Rumäniens durch die Zentralmächte unsere
Schmierölversorgung eine erhebliche Erleichterung erfuhr, so wurde doch nur durch
größte Sparsamkeit im Verbrauche und durch weitgehende Heranziehung von
Ersatzstoffen das Durchhalten ermöglicht. An einheimischen Quellen für die Gewinnung
von Schmierölen kamen neben unseren spärlichen Erdölquellen in der Lüneburger Heide
und im Elsaß (Pechelbronn) namentlich die aus dem Teer der thüringischen Braunkohle
und des bituminösen Schiefers (Grube Messel bei Darmstadt) gewonnenen Oele in
Betracht, daneben haben wir aber auch gelernt, aus dem Steinkohlenteer Schmieröle
herzustellen. Diese „Teerfettöle“ sind jedoch nur als Notbehelf zu
betrachten, da ihre Anwendung in der Hauptsache auf Lagerschmierung beschränkt ist,
und da sie außerdem vielfach bei den Arbeitern, die damit umzugehen hatten, einen
unangenehmen Hautausschlag verursachten.
Eine neue Quelle für die Gewinnung von vollwertigen Schmierölen ist jedoch in der
letzten Zeit in der Steinkohle erschlossen worden, die uns bei ihrer Verkokung schon
so viele wertvolle Rohstoffe wie Ammoniak, Schwefel, Benzol, Karbolsäure,
Naphthalin, Anthrazen, Heiz- und Treiböle und andere, liefert. Während in den
Kokereien und Gaswerken die Kohle bei einer Temperatur von 1000° und darüber
verarbeitet wird, hat sich gezeigt, daß bei niedrigerer Temperatur (300 bis 500°)
aus der Kohle Stoffe von wesentlich anderer Zusammensetzung und grundverschiedenen
Eigenschaften gewonnen werden können. An sich ist diese Erkenntnis nicht neu, denn
schon im Jahre 1906 hat E. BornsteinJournal für Gasbeleuchtung, 49. Jahrg., S. 667
(1906). über die Zersetzung von Kohle und anderen festen
Heizstoffen bei langsam gesteigerter Temperatur interessante Versuche angestellt und
gefunden, daß hierbei braune Oele erhalten werden, die ein spezifisches Gewicht von
weniger als 1 besitzen, keinen freien Kohlenstoff enthalten und infolge ihres
Paraffingehalts ziemlich dickflüssig sind.
Die Vorgänge bei der Verkokung der Steinkohle bei einer Temperatur von 300 bis 500°
sind neuerdings in dem kurz vor Ausbruch des Krieges eröffneten Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohlenforschung in Mülheim (Ruhr) eingehend untersucht worden und haben in
wissenschaftlicher und technischer Hinsieht gleich wichtige Ergebnisse gezeitigt,
die uns zu der Hoffnung berechtigen, daß wir uns künftig auch bezüglich der
Beschaffung von Schmierölen vom Ausland unabhängig werden machen können.
Durch Behandlung von Kohle mit verschiedenen Lösungsmitteln (Pyridin, Chloroform,
Benzol u.a.) hatte man schon früher festgestellt, daß die in der Kohle ursprünglich
enthaltenen Stoffe wesentlich verschieden sind von denjenigen, die wir als
Bestandteile des gewöhnlichen Steinkohlenteers kennen. Dies hat seinen Grund
offenbar darin, daß bei den hohen Temperaturen, wie sie in den Koksöfen und
Gasretorten herrschen, eine weitgehende Zersetzung der Kohlensubstanz stattfindet.
Ein Nachteil der Extraktionsmethode war indessen, daß man nur sehr geringe Mengen
(0,1 bis 0,15 v. H.) auf diese Weise aus der Kohle herauslösen konnte.
Untersuchungen von Fischer und Gluud im Institut für Kohlenforschung haben nun ergeben, daß man bei
Anwendung von hohem Druck (bis zu 55 at) sowie durch Steigerung der Temperatur auf
etwa 275° wesentlich höhere Extraktionsausbeuten erhält. So wurden aus fetter
Steinkohle (Zeche Osterfeld) durch fünfmalige Extraktion mit Benzol 6,6 v. H. eines
dunklen, petroleumartig riechenden Oeles herausgelöst. Durch weitere Behandlung des
Extrakts mit Petroläther konnte neben festen Stoffen etwa 1 v. H. (auf die
angewandte Kohle berechnet) eines rotgelben, dickflüssigen Oeles erhalten werden,
das den hochviskosen Petroleumdestillaten ähnlich war. Eine thüringische Braunkohle
lieferte bei der gleichen Behandlung mit Benzol unter Druck 25 v. H. Extrakt, der
aus wachs -und harzartigen Körpern bestand. Auch durch Extraktion mit flüssigem
Schwefeldioxyd konnten aus Steinkohle goldgelbe Oele von petroleumartigem Geruch,
allerdings nur in einer Menge von ½ v. H. gewonnen werden.
Ein zweiter Weg zur Gewinnung der ursprünglich in der Kohle enthaltenen Stoffe in
unzersetztem Zustande ist die Destillation der Kohle unter vermindertem Druck oder
unter normalem Druck, jedoch bei niedriger Temperatur. Untersuchungen über die
Vakuumdestillation der Kohle wurden bereits vor einer Reihe von Jahren von Pictet in der Schweiz sowie von Wheeler in England angestellt. Beide Forscher erhielten einen Teer, der
sich von dem gewöhnlichen Steinkohlenteer erheblich unterschied und viel mehr dem
russischen Erdöl glich. Einen Teer von ähnlicher Zusammensetzung erhält man auch,
wenn man die Destillation der Kohle bei normalem Luftdruck, aber bei einer 500°
nicht übersteigenden Temperatur ausführt. Diese Methode, die auch der Durchführung
in größerem Maßstabe weniger Schwierigkeiten bietet, wurde im Institut für
KohlenforschungVgl. Fischer, Gesammelte Abhandlungen zur Kenntnis der
Kohle, Bd. I, Berlin 1917. näher untersucht und hat, wie bereits
erwähnt, zu recht bemerkenswerten Ergebnissen geführt.
Fischer und Gluud benutzten
hierzu eine drehbare eiserne Trommel, die mit feinzerkleinerter Kohle gefüllt und
von unten langsam erhitzt wurde. Durch die ständige Drehung der Trommel wurde die
Ueberhitzung der Kohle wirksam verhindert, die entwickelten Gase und Dämpfe
wurden durch Einleiten von Wasserdampf möglichst rasch aus der heißen Trommel
entfernt und durch Kühlung verdichtet. Es wurde so ein in dünner Schicht goldrotes
Oel erhalten, das je nach der verarbeiteten Kohlensorte mehr oder weniger
dickflüssig war. Zum Unterschied vom gewöhnlichen Steinkohlenteer wurde dieser Teer
„Tieftemperaturteer“ oder besser „Urteer“ genannt. Die Ausbeute an
Urteer schwankt je nach dem Alter der Kohle in ziemlich weiten Grenzen, und zwar
erhält man aus jüngeren (sauerstoffreicheren) Kohlen weit mehr Teer als aus älteren
(sauerstoffärmeren) Steinkohlen. So ergab eine Gasflammkohle (Zeche Lohberg) mit 39
v. H. flüchtigen Bestandteilen 10 v. H. Teer, eine Fettkohle (Zeche Osterfeld) mit
22 v. H. flüchtigen Bestandteilen dagegen nur 3 v. H. Teer. Ebenso wie in der Menge,
so zeigen sich auch in der chemischen Zusammensetzung des Teers deutliche
Unterschiede, denn der Urteer aus Gasflammkohle liefert erheblich mehr saure
Bestandteile (Phenole) und dafür weniger Schmieröle als der Urteer aus
Fettkohle.
Die Aufarbeitung des Urteers erfolgte durch Destillation mit überhitztem Wasserdampf
und fraktionierte Kondensation der Destillationsprodukte, wodurch es möglich war,
die hochviskosen Oele in ihrer ursprünglichen Form zu gewinnen und Verluste durch
Pechbildung fast ganz zu vermeiden. Die Untersuchung der auf diese Weise
abgeschiedenen hochviskosen Bestandteile des Urteers ergab, daß man es hier in der
Tat mit denselben Oelen zu tun hat, die auch bei der Extraktion der Kohle mit Benzol
und flüssigem Schwefeldioxyd erhalten worden waren. Sie waren von tief goldroter
Farbe mit schwach grüner Fluoreszenz, von angenehmem fettigen Geruch und hatten ein
spezifisches Gewicht von etwas über 1,0. Auf die Menge der verarbeiteten Kohle
berechnet, wurden aus Fettkohle rund ½ v. H. und aus Gasflammkohle rund 1 v. H.
hochwertige Schmieröle erhalten, so daß also letztere Kohlensorte für den
vorliegenden Zweck den Vorzug verdient. Während die aus Fettkohle gewonnenen
Schmieröle eine Viskosität von 15,5 Englergraden bei 20° G und von 2,6 Englergraden
bei 50° C, einen Stockpunkt von – 19° und einen Flammpunkt von 120° hatten, wurden
aus der Gasflammkohle neben Oelen von ähnlicher Beschaffenheit auch noch solche von
beträchtlich höherer Viskosität, nämlich 28,3 Englergraden bei 50° C und 1,9
Englergraden bei 100° C, sowie einem Flammpunkt von 195° erhalten.
Als wesentliche Unterscheidungsmerkmale des Urteers von dem gewöhnlichen
Steinkohlenteer sind neben dem Gehalt an hochviskosen Oelen, Naphthenen und festem
Paraffin sein Geruch nach Schwefelwasserstoff, vor allem aber das Fehlen von
Naphthalin und Anthrazen zu nennen. Hierdurch ist eine einwandfreie Unterscheidung
der beiden Teerarten leicht zu ermöglichen, und der Chemiker vermag in jedem
einzelnen Falle unschwer festzustellen, ob ein Teer als wirklicher Urteer
anzusprechen ist oder nicht.
Wie bei der bisherigen Verkokung der Kohle bei hoher Temperatur, so entstehen auch
bei der Urverkokung neben dem Teer noch wässerige Kondensate, Gase und Koks. Die
Beschaffenheit und Verwertbarkeit dieser Produkte ist für die Durchführung der
Urverkokung in großem Maßstab sowie für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit des
neuen Verfahrens von großer Bedeutung. Das Gas ist reich an Kohlenwasserstoffen,
dagegen arm an Wasserstoff, infolgedessen hat es einen hohen Heizwert, jedoch ist
die Gasausbeute erheblich kleiner als bei der gewöhnlichen Verkokung, die
bekanntlich auf 1 t Kohle 300 bis 330 m3 Gas
liefert. Vermöge seines hohen Heizwertes könnte das bei der Urverkokung gewonnene
Gas vielleicht zur Aufbesserung von Wassergas und anderen Gasen von niedrigem
Heizwert Verwendung finden, ferner als Ersatz des Azetylens bei der autogenen
Metallbearbeitung. Natürlich kann man das Gas auch zur Beheizung des Apparates
selbst, in dem die Urverkokung vorgenommen wird, benutzen. Die Zusammensetzung der
wässerigen Kondensate, die bei der Urverkokung entstehen, ist noch nicht hinreichend
aufgeklärt, es steht bis jetzt nur fest, daß sie erheblich weniger Ammoniak
enthalten als das Gaswasser; als eine Quelle für die Ammoniakgewinnung dürften sie
daher schwerlich in Frage kommen. Auch der bei der Urverkokung übrigbleibende Koks
ist wesentlich anders zusammengesetzt als der normale Koks; er enthält noch
flüchtige, brennbare Bestandteile in größerer Menge und wird daher richtiger als
„Halbkoks“ bezeichnet. Er ist infolgedessen viel leichter entzündlich und
gibt eine längere Flamme als Zechen- und Gaskoks, mit denen er andererseits die
Eigenschaft teilt, rauch- und rußfrei zu verbrennen. Ein wesentlicher Unterschied
ist aber wiederum, daß der Halbkoks in der Regel eine viel geringere Festigkeit
besitzt und stark bröckelt. Nur eine beschränkte Zahl von Kohlen liefert bei der
Urverkokung einen Halbkoks, der als Feuerungsmaterial tauglich ist und auch eine
Verladung verträgt. Ein derartiger Halbkoks ist vor etwa 10 Jahren bereits in
England unter dem Namen „Coalite“ als rauchloser Brennstoff auf den Markt
gebracht worden, vermochte sich aber wegen der erwähnten unangenehmen Eigenschaften
damals nicht einzuführen. Für die künftige Entwicklung der Urverkokung ist es daher
selbst bei hoher Beweitung des Teers und der daraus gewinnbaren Schmieröle von
größter Bedeutung, entweder für den Halbkoks, so wie er gewonnen wird, neue
Verwendungsmöglichkeiten zu schaffen oder aber seine Beschaffenheit so zu
verbessern, daß die Nachteile, die ihm jetzt noch anhaften, weniger stark in
Erscheinung treten. In Amerika, wo man sich während des Krieges anscheinend
ebenfalls sehr eingehend mit den hier geschilderten Fragen beschäftigt hat, hat man
versucht, den Halbkoks mit Pech zu brikettieren und hierauf nochmals in Retorten auf
1000° zu erhitzen. Auf diese Weise soll man einen rauchfreien, hochwertigen
Brennstoff erhalten, der unter dem Namen „Carbocoal“ in den Handel kommt.
Dieses Verfahren bietet zugleich den Vorteil, daß bei der nachträglichen Erhitzung
auf hohe Temperatur auch der Stickstoff, der bei der Urverkokung zum größten Teile
im Halbkoks zurückbleibt; in Form von Ammoniak gewonnen werden kann. Ueber die
Wirtschaftlichkeit dieses Verfahrens lassen sich einstweilen bestimmte Angaben nicht
machen, doch ist es nicht ausgeschlossen, daß die Halbkoksverwertung durch
Brikettierung auch für unsere Verhältnisse die einfachste Lösung dieser Frage
darstellt.
Da die Beschaffung von größeren Anlagen sowohl zur Kohlenextraktion als auch zur
Urverkokung während des Krieges große Schwierigkeiten bereitet hätte, hat man
versucht, die Gewinnung von Urteer auch auf einem anderen Wege zu ermöglichen und
hat gefunden, daß die bekanntlich recht verbreiteten Steinkohlen-Generatoren hierzu gut geeignet sind. Hierzu ist nur eine
verhältnismäßig geringfügige Aenderung im Bau und Betrieb der Generatoren notwendig,
denn man braucht nur in den Oberteil des Generatorschachtes ein Schwelrohr
einzubauen und die in diesem sich bildenden Teerdämpfe mit einem Ventilator
abzusaugen und durch Abkühlung zu verdichten. Während man bisher bei der Herstellung
von Heiz- und Kraftgas darauf bedacht war, den entstehenden Teer möglichst
vollständig im Generator zu verbrennen, um ein teerfreies Gas zu erzeugen und um
Störungen bei dem Betrieb der Motoren und Feuerungen zu verhüten, wird man künftig
gerade das Gegenteil anstreben und sich bemühen, den Teer möglichst vor Zersetzung
zu bewahren und so weit als möglich aus dem Generatorgas abzuscheiden. Der hierfür
erforderliche Umbau der Generatoren ist nicht mit allzu großen Kosten verknüpft, und
es sind während des Krieges schon über hundert derartige Anlagen (Bauart Ehrhardt
& Sehmer, Saarbrücken) ausgeführt worden. Auch andere Firmen haben sich mit
Erfolg der Urteergewinnung beim Generatorbetrieb zugewandt und eine Reihe von großen
Werken ist heute bereits in der Lage, ihren- gesamten Schmierölbedarf im eigenen
Betriebe aus Urteer zu gewinnen.
Zweifellos sind auf diesem Gebiete noch weitere große Fortschritte zu erwarten, und
wir dürfen daher hoffen, daß es uns in absehbarer Zeit gelingen wird, uns auch
bezüglich der Schmierölversorgung vom Ausland ganz unabhängig zu machen, ebenso wie
uns dies während des Krieges bereits hinsichtlich des Stickstoffs gelungen ist.
Unter den heutigen Verhältnissen ist dieser Erfolg besonders zu begrüßen.