Titel: | Rechts-Schau. |
Autor: | W. D. |
Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 279 |
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Rechts-Schau.
Rechts-Schau.
Zum Begriff Kostbarkeit im Sinne der
Eisenbahnverkehrsordnung. Die Klägerin kaufte im Jahre 1917 mehrere Ballen
Rohseide. Hiervon wurde am 29. Juni 1917 ein Posten im Gewicht von 98,64 kg und im
Werte von 18938,90 M verpackt in einen Juteballen von annähernd einem Kubikmeter
Umfang im Auftrag der Verkäuferin durch die Speditionsfirma U. & Cie. in L. zur
Beförderung an die Klägerin der sächsischen Staatsbahn übergeben. Die Ware war im
Frachtbrief als „Seide“ bezeichnet; der Wert, der den Höchstbetrag einer
Entschädigung bilden sollte, war in der Spalte „Inhalt“ nicht angegeben. Der
Ballen ging während des Bahntransports in Verlust. Mit der Klage verlangt Klägerin
vom Beklagten Zahlung von 18938,90 M nebst Zinsen als Ersatz für die verlorene Ware.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision führte zu keinem anderen
Ergebnis.
Aus den Gründen: Die Rechtsprechung hat unter Kostbarkeiten solche Gegenstände
erachtet, die im Vergleich zu anderen Waren einen ungewöhnlich hohen Wert gegenüber
ihrem Umfang und Gewicht haben. Die Anwendung dieses Rechtssatzes auf den
vorliegenden Fall läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Das O. L. G. ging bei
Beurteilung der Sache von den konkreten Verhältnissen am Versendungstage aus
und hat für diesen Zeitpunkt aus dem Verhältnis von Gewicht, Umfang und Wert der
Ware festgestellt, daß letzterer in hohem Maße über den Wert gewöhnlicher Sendungen
hinausging. Das ist ausreichend und nicht fehlsam. Aus dem gleichen Grunde scheidet
auch der weitere Revisionsangriff als unstichhaltig aus, daß der Vorderrichter durch
Eingehen auf die infolge des Krieges eingetretenen sprunghaften Preissteigerungen
bei Seide außergewöhnliche Preisverhältnisse als zulässigen Maßstab erachtet habe,
wobei zudem die Preirverschiebungen des Näheren nicht einmal festgestellt worden
seien. Es ist nicht einzusehen, weshalb eine in Friedenszeiten an der Grenze der
Kostbarkeit stehende Ware durch Kriegsverhältnisse und die hierdurch herbeigeführten
Veränderungen im Preise und der Seltenheit nicht die Grenze der Kostbarkeit sollte
überschreiten können. In wieweit Verkehrssitte und Versendungsüblichkeit Beachtung
bei Feststellung des Kostbarkeitsbegriffs finden können, bedarf hier keiner weiteren
Erörterung, nachdem der, Ber.-R. einwandfrei festgestellt hat, daß im gegenwärtigen
Falle für eine solche Verkehrssitte keine genügenden Anhaltspunkte vorhanden sind.
(U. v. 16. April 1919. Aus J. W. 1919, S. 681.)
W. D.