Titel: | Rechts-Schau. |
Autor: | W. D. |
Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 291 |
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Rechts-Schau.
Rechts-Schau.
Nichtzumutbarkeit der späteren Erfüllung. Wird beim
Verkauf einer bereits im Besitz des inländischen Verkäufers befindlichen Ware
infolge der Unmöglichkeit der vereinbarten Verschiffung nach Rotterdam die Erfüllung
hinausgeschoben, so tritt durch diese Hinausschiebung Befreiung des Schuldners ein,
wenn dadurch seine wirtschaftliche Lage derart ungünstig verändert wird, daß ihm die
spätere Erfüllung nicht mehr zugemutet werden kann. B. G. B. § 242.
Februar 1914 kaufte die Klägerin von der Beklagten 600 cbm Bretter cif Rotterdam,
Abladung Juni bis September 1914. Das Holz lag auf Stapel in Königsberg. Anfang Juli
1914 machte Beklagte eine Teillieferung. Im April 1915 schlug Beklagte der Klägerin
an Stelle des durch den Krieg unmöglichen Seeweges nach Rotterdam den Seeweg nach
Hamburg, Lübeck oder Stettin vor. Klägerin lehnte dies mit Brief vom 6. Mai 1915 ab,
da sie wegen der hohen Fracht das Holz nur in Rotterdam entgegennehmen könne. Die
Beklagte schlug der Klägerin darauf, da die Verladung nach Rotterdam im laufenden
Jahre ungewiß sei, die Aufhebung des Schlusses vor. Am 14. Mai 1915 wies die
Klägerin dieses Angebot zurück und erklärte, die Angelegenheit bis zum Eintritt der
Verschiffungsmöglichkeit zurückzustellen. Nun ruhte der Verkehr der Parteien bis zum
18. November 1916. An diesem Tage fragte Klägerin an, ob der Versand jetzt möglich
sei. Beklagte verweigerte die Lieferung. Die Klage begehrt Verurteilung der
Beklagten zur Lieferung des Rückstandes, und zwar nach Wahl der Beklagten entweder
nach Eintritt der Verschiffungsmöglichkeit cif Rotterdam zum Vertragspreis oder frei
Waggon Königsberg zu einem entsprechend billigeren Preise. Das L. G. hat der Klage
entsprochen, das B. G. sie abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte keinen
Erfolg.
Aus den Gründen: Die Entbindung der Beklagten von der Lieferfrist ist gerechtfertigt.
Denn es ist durch die lange Hinausschiebung der Erfüllung die wirtschaftliche Lage
der Beklagten eine ganz andere geworden, als sie zu der im Vertrag bestimmten
Lieferzeit war. Die Beklagte mußte den Kaufpreis und dessen Verzinsung für das
von ihr zur Kauferfüllung bereitgestellte Holz entbehren. Sie war insbesondere mit
der Verpflichtung der Aufbewahrung des Holzes, die ihr wegen der drohenden Gefahr
der Verschlechterung erhebliche Mühen und Kosten verursachte, belastet; die
Belastung war um so drückender, als die Klägerin die unbedingte Einhaltung der im
Vertrag festgesetzten Menge des „blanken“ Holzes forderte. In Betracht kommt
endlich die vom B. G. festgestellte, sehr erhebliche Steigerung der Holzpreise, die
es der Klägerin ermöglichte, auf Kosten der Beklagten zu spekulieren. Bei solcher
Sachlage widersprach die über ein Jahr hinausgezogene Geltendmachung der
klägerischen Lieferungsrechte den Vertragspflichten der Klägerin. Gibt auch im
allgemeinen eine solche Verzögerung dem Schuldner keinen Befreiungsgrund, so muß
dies doch dann angenommen werden, wenn durch die Verzögerung die wirtschaftliche
Lage des Schuldners derart ungünstig verändert wird, daß ihm die fernere Erfüllung
nicht mehr zugemutet werden kann. Der Vorschrift des § 242 B. G. B., daß der
Schuldner die Leistung so zu bewirken habe, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf
die Verkehrssitte es fordern, entspricht die Pflicht des Gläubigers, den ihm
zustehenden Anspruch unter Einhaltung der gleichen Grundsätze geltend zu machen.
Hiermit steht das Verhalten der Klägerin nicht im Einklang. Obwohl durch die
Kriegsverhältnisse der Seeweg nach Rotterdam für nicht absehbare Zeit verschlossen
war, hat die Klägerin bis zur Klageerhebung auf dessen Einhaltung' trotz eines
Gegenvorschlags der Beklagten beharrt. Treu und Glauben geboten ihr aber, wenn sie
an der Lieferung festhalten wollte, der Beklagten innerhalb einer nach Maßgabe der
Verhältnisse angemessenen Frist eine andere Versendungsart anzuweisen, die weder
deren Mühewaltung steigerte noch ihre Interessen beeinträchtigte. Dies ist, wie das
B. G. zutreffend angenommen hat, nicht geschehen. Da aber die veränderte
wirtschaftliche Lage der Beklagten lediglich auf das Verhalten der Klägerin
zurückzuführen ist, so war diese nach Ablauf der langen Zeit zur Geltendmachung
ihres Kaufanspruchs nicht mehr befugt. (U. v. 2. Mai 1919. Aus J. W. 1919, S
673/74.)
W. D.