Titel: | Zur Einführung des Siemens-Schnelltelegraphen. |
Autor: | Georg Schmidt |
Fundstelle: | Band 335, Jahrgang 1920, S. 41 |
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Zur Einführung des
Siemens-Schnelltelegraphen.
Von Oberingenieur Georg
Schmidt, Berlin-Siemensstadt.
SCHMIDT: Zur Einführung des Siemens-Schnelltelegraphen.
Bei den dem öffentlichen Verkehr dienenden Telegraphenanlagen spielen die Kosten
für Beschaffung und Unterhaltung der Leitung die Hauptrolle. Man sah sich deshalb,
um wirtschaftlich arbeiten zu können, genötigt, die Zahl der zwei Orte miteinander
verbindenden Leitungen auf das Aeußerste zu beschränken und dafür
Telegraphiereinrichtungen anzuwenden, die eine vollkommene Ausnutzung der einzelnen
Leitungen gestatten. Zum besseren Verständnis sei bemerkt, daß eine Leitung in der
Minute eine weit größere Zahl Telegraphierzeichen übertragen kann, als eine einzelne
Person in der üblichen Methode, beispielsweise bei der bekannten Morse-Telegraphie, mit der Hand zu geben imstande
ist.
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Abb. 1.
Hat man auch im Laufe der Zeit die Telegraphenapparate so weit vervollkommnet, daß
schon ein einziger Fingerdruck auf eine Taste genügt, ein Zeichen zu übermitteln –
hier sei nur des weit verbreiteten Hughes-Typendrucktelegraphen gedacht –, so erreicht man bei weitem nicht
diejenige Geschwindigkeit der Zeichenübermittelung, die der Uebertragungsfähigkeit
der Leitung selbst entspricht. Man benutzt auch das Duplex- oder Gegensprechverfahren, mit dessen
Hilfe gleichzeitig zwei Zeichen in entgegengesetzter Richtung gegeben werden können,
wodurch die minutliche Leistung annähernd verdoppelt wird.
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Abb. 2.
Ein weiterer Schritt führte zur Anwendung der absatzweisen
Mehrfachtelegraphie, bei der auf jeder Station mehrere Sende- und
Empfangsapparate vorhanden sind, die aber nicht mehr gleichzeitig, sondern
aufeinander folgend im gleichen Taktmaß durch sogenannte rotierende Verteiler über
die Leitung miteinander in Verbindung gebracht werden, so daß im gleichen Augenblick
ein Sender der einen Station mit einem Empfänger der Gegenstation verbunden ist.
Hierher gehört das hauptsächlich in Frankreich, dem Vaterlande des Erfinders, in
Benutzung stehende Baudot-System. Da die
Leistungsfähigkeit dieses Systems aber von der besonderen Geschicklichkeit der
Beamten abhängig ist – denn diese müssen die Telegraphierzeichen mit der Hand geben
–, so blieb man dauernd bemüht, ein System zu finden, bei dem die Absendung der
Telegraphierzeichen mittelst einer
Maschine geschieht, und zwar so schnell, wie der elektrische Zustand der
Leitung es überhaupt gestattet. Bei diesen Maschinen- oder Schnelltelegraphen
besteht die Arbeit der Beamten nur in der Vorbereitung der Telegramme, indem die
einzelnen Telegraphierzeichen in der Form von Lochgruppen in einen Papierstreifen
(Sendestreifen) eingestanzt werden.
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Abb. 3.
Der Bedienungsbeamte hat den derart vorbereiteten Streifen nur
in den Sendeapparat einzulegen, der ihn dann durch den Stromsendemechanismus
hindurchführt, welcher selbsttätig die Telegraphierzeichen, den einzelnen
Lochkombinationen entsprechend, über die Leitung1
zum empfangenden Apparat sendet, wo sie auf dem Telegrammstreifen erscheinen.
Während bei dem bekanntesten System dieser Art, nämlich dem von Wheatstone erfundenen, diese Zeichen in der bekannten
Morseschrift ankommen, also erst umgeschrieben werden müssen, um dem Adressaten ein
leserliches Telegramm aushändigen zu können, liefert der Siemens-Schnelltelegraph sofort lesbare Typenschrift.
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Abb. 4.
Die Deutsche Reichstelegraphenverwaltung hatte bereits mit dem älteren
Siemens-Schnelltelegraphen eingehende Versuche gemacht, dessen Zeichen aber mittelst
eines photographischen Verfahrens aufgenommen und festgehalten werden mußten. Dazu
kam, daß in langen unterirdischen Leitungen wegen deren dämpfenden Wirkung die
Leistungsfähigkeit des Systems nicht voll ausgenutzt werden konnte. Dagegen
entsprach der neue Siemens-Schnelltelegraph, bei dem die Zeichen von einem Typenrad
abgedruckt werden, den Anforderungen der Behörde vollkommen, weshalb sie ihn in der
kurzen Zeit seines Bestehens bereits auf den Hauptverkehrsleitungen zur Einführung
gebracht hat. Der neue Apparat verwendet ähnlich wie das Baudot-System für jedes
Zeichen fünf Stromimpulse, und zwar positiver und negativer Richtung in bestimmten
Kombinationen, beispielsweise + – – – – oder + + – – – oder + – + – + usw. Auf diese
Weise können 32 Kombinationen gebildet werden; diese reichen vollkommen aus zur
Hervorbringung der Buchstaben des Alphabetes und zur Betätigung des sogen. Figuren
Wechsels, mit dem statt der Buchstaben Ziffern und Interpunktionszeichen gegeben
werden. Der Siemens-Schnelltelegraph erfordert pro Station drei bis vier
Tastenlocher zur Herstellung der Sendestreifen, einen Sendeapparat und einen
Empfangsapparat.
Abb. 1 zeigt den Tastenlocher mit einer Tastatur wie
bei einer gewöhnlichen Schreibmaschine. Der links aus dem Kasten tretende
Papierstreifen läßt die Lochkombinationen gut erkennen. Bei jedem Tastendruck, Abb. 2, wird die für das Zeichen erforderliche
Lochkombination in den Streifen eingestanzt. Sende- und Empfangsapparat werden durch
einen Elektromotor angetrieben. Bedingung ist vollkommener Gleichlauf zwischen dem
Sendeapparat der einen Station und dem Empfänger der Gegenstation. Die Einstellung
des Gleichlaufes und seine dauernde Aufrechterhaltung wird mit Hilfe einer
Synchronisierungseinrichtung vollkommen selbsttätig bewirkt, siehe Stromlauf Abb. 3.
Der Anschluß der Empfangsrelais wurde der Uebersicht wegen weggelassen und auch die
Synchronisierungsvorrichtung wurde vereinfacht dargestellt. Die Segmente der
Anschlußscheibe sind, wie im Stromlauf angedeutet, noch in Segmente unterteilt,
welche in Abb. 3 mit v,
g und z benannt sind (vorausliegendes Segment,
Gleichlauf-Segment, zurückliegendes Segment).
Sind Sender und Empfänger im Gleichlauf, so ist das Steuerrelais St. R. 1 ausgeschaltet und das Steuerrelais St. R. 2 unterbricht den Ankerstrom des Hilfsmotors bei
d. Treten Schwankungen im Gleichlauf ein, wodurch
die Empfangsbürste im Augenblick der Stromsendung (wie im Stromlauf angedeutet) das
Segment z berührt, so tritt
das Steuerrelais R1 in Funktion und das Steuerrelais R2 schließt den Kontakt bei d. Die Geschwindigkeit des Antriebsmotors wird
beschleunigt und der Gleichlauf wieder hergestellt. Im anderen Falle, bei Berührung
des Segmentes v, wird die Geschwindigkeit des
Antriebsmotors verlangsamt.
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Abb. 5.
In Abb. 4 sehen wir den Sendeapparat, vorn den durch
den Elektromotor bewegten Papierstreifen. Die Kontaktvorrichtung besitzt fünf kleine
Schalthebelchen, Abb. 5; auf welche die im Streifen
vorhandenen Lochkombinationen derart einwirken, daß einem Loch entsprechend ein
negativer Stromstoß gegeben wird, während die in Ruhe befindlichen Schalthebel
positive Stromstöße aussenden. Jede aus fünf aufeinander folgenden Impulsen
gebildete Stromkombination wird im Empfangsapparat (Abb.
6) zum Abdruck des Zeichens benutzt. Dies geschieht wie folgt: Die
eintreffenden Stromimpulse werden zunächst fünf polarisierten Kombinationsrelais
zugeführt, die je nach der Richtung der einzelnen Impulse ihre Anker in die eine
oder andere Lage bringen. Darauf überstreichen eine Anzahl Kontaktbürsten eine in
mehrere Kontaktringe zerlegte sogenannte Uebersetzerscheibe (Abb. 5). Die Kontaktringe sind nach bestimmtem System
in Segmente unterteilt, die abwechselnd mit den beiden Kontaktstellen der
Kombinationsrelais in Verbindung stehen. Durch die verschiedenen Ankerstellungen der
Relais und die eigenartige Einteilung der Uebersetzerscheibe können 32 Stromwege
gebildet werden, wovon immer einer bei jeder Umdrehung der Kontaktbürsten zur
Wirkung kommt und den Druck des Zeichens veranlaßt. Das Typenrad dreht sich
gleichzeitig mit den Kontaktbürsten; in dem Augenblick, wo der dem gegebenen Zeichen
entsprechende Stromweg geschlossen wird, siehe Uebersetzerscheibe und
Bürstenstellung auf Abb. 5, zieht der
Druckelektromagnet seinen Anker an, drückt den Papierstreifen gegen das Typenrad,
wobei die gerade über dem Papier befindliche Type abgedruckt wird. Der ganze Vorgang
spielt sich so schnell ab, daß bis 1000 Zeichen i. d. Min. übermittelt werden
können, normal begnügt man sich mit etwa 700 Zeichen. Da das System aber fast
ausschließlich in Duplexschaltung betrieben wird, so kann über eine Leitung in
beiden Richtungen zusammen annähernd die doppelte Zeichenzahl befördert werden.
Ist es erforderlich, Telegramme von einer Leitung auf eine andere weiterzugeben, so
wird auf der Vermittelungsstation mit dem Empfangsapparat ein Tastlocher verbunden,
der das ankommende Telegramm auf einem Lochstreifen empfängt, welcher dem
Originalstreifen genau entspricht und zur Weitergabe benutzt wird.
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Abb. 6.
Der Siemens-Schnelltelegraph verdankt seine Entstehung und Durchbildung der Anregung
des am 14. Oktober v. Js. verstorbenen Geheimrates Wilhelm v. Siemens, des zweiten Sohnes des
berühmten Gelehrten und Elektrotechnikers Werner v. Siemens. Glücklicherweise hat Wilhelm v. Siemens die
Erfolge seines Schnelltelegraphen, der bereits im Auslande, vor allem aber auch im
Weltkriege im Dienste der obersten Heeresleitung zahlreiche Anwendung gefunden hat,
noch erleben können.