Titel: | Betrachtungen über die Stillegung eines neuzeitlichen großstädtischen Kraftwerkes. |
Autor: | Hanszel |
Fundstelle: | Band 335, Jahrgang 1920, S. 166 |
Download: | XML |
Betrachtungen über die Stillegung eines
neuzeitlichen großstädtischen Kraftwerkes.
Von Prof. Dr.-Ing. Hanszel, Berlin-Charlottenburg.
HANSZEL: Betrachtungen über die Stillegung eines neuzeitlichen
großstädtischen Kraftwerkes.
Das Beispiel der Stillegung eines neuzeitlichen großen städtischen
Elektrizitätswerkes einer Groß-Berliner Gemeinde regt zur Betrachtung an, wie weit
der augenblickliche Zustand unserer Brennstoffversorgung für die künftige Wirtschaft
maßgebend sein soll. Das etwa erst 8 Jahre alte Werk ist mit Wasserrohrkesseln,
Kettenrosten, großen Dampfturbineneinheiten von zusammen 11000 kW Maschinenleistung
einschl. Reserve, vollständig mechanischer Kohlen- und Aschentransportanlage
ausgestattet und liegt unmittelbar an einem schiffbaren Kanal. Es hatte eine
außerordentlich günstige Belastung. So betrug 1915, 16, 17 bei 4200–4500 kW
Spitzenbelastung (Maximum) die Erzeugung 16–18000000 kWh im Jahr. Daraus ergeben
sich \frac{16-18000000}{4200-4500}=\mbox{ rd. }4000\ (-4500)
Benutzungsstunden des Maximums, also etwa 50 v. H. der möglichen Benutzungsstunden
(8760 im Jahr). Zum Vergleich sei angeführt, daß z.B. (im Jahre 1905) 12 größere
Elektrizitätswerke im Mittel nur 25 v. H. der möglichen Benutzungsstunden des
Maximums aufweisen.
Bis in die ersten Kriegsjahre betrug der Kohlenverbrauch etwa 1 kg je Kilowattstunde
(oberschl. Steinkohle). In späteren Kriegsjahren und nachher jedoch stieg er bis auf
das 1,6–1,7 fache, ja das doppelte. Die Ursache liegt bekanntlich in erster Linie in
der außerordentlichen Verschlechterung der Kohle, die heute ohne jede Rücksicht auf
die Beschaffenheit ungewaschen und unsortiert mit hohem Steingehalt verkauft
und verfrachtet wird und so verwendet werden muß. Der Heizwert der Kohle betrug
schließlich nur noch etwa 5400 WE gegen früher 6800 bis 7000 WE. Es mußten trotz
hoher Rostbeanspruchung mehr Kessel als früher in Betrieb gehalten werden, um die
gleiche Leistung zu erzielen, der Wirkungsgrad wurde bedeutend schlechter. Da zur
Zeit der Vergleichsbetrachtung der Preis des Brennstoffes etwa das 10 fache des
Friedenspreises betrug, so ergaben sich also 20 fache Brennstoffkosten gegenüber dem
letzten Friedensjahr.
Dazu kommt, daß in dem Werk, das infolge seiner vollständig automatisch-mechanischen
Einrichtungen ein geringes Lohnkonto besaß, dieses unter dem Einfluß der
Lohnsteigerungen, der Verminderung der Arbeitsleistungen und der oben erwähnten
Verschlechterung der Kohle (erhöhte Schlackenmenge) etwa auf das 15 fache stieg.
Unter diesen Umständen ergab eine Kalkulation, daß beim Bezug des Stromes von einem
anderen Elektrizitätswerk, welches den Strom teilweise von einem neuen Großkraftwerk
im Braunkohlengebiet erhält, eine jährliche Ersparnis von 500000 bis 600000 M
erzielt werden konnte, was schließlich dazu führte, die Stillegung des Werkes zu
beschließen.
Allgemein betrachtet, ist der Fall ein bedauerliches Beispiel dafür, daß wir uns
heute noch mehr als früher von den erstrebenswerten Zielen der Wärmewirtschaft
entfernen, denn wärend in einer Stadt im allgemeinen die
Möglichkeit gegeben ist, durch Verwertung der Abwärme eines eigenen Kraftwerkes
die Stromerzeugung zu verbilligen, fällt dieser Umstand beim Bezüge des Stromes
durch eine Fernleitung aus dem weit entfernten Kohlengebiet weg.
Bei dem neuen von der Gemeinde abgeschlossenen Stromlieferungsvertrag wurde
allerdings ausgemacht, daß soviel Kraft im eigenen Werk erzeugt werden kann, als bei
Verwertung der Abwärme für Heizungszwecke anfällt. Eine umfangreiche
Fernheizungsanlage ist auch bereits in Ausführung begriffen, und zwar für städtische
Gebäude, Badeanstalten usw., jedoch wird, wie in Charlottenburg, das Warmwasser
(richtiger Heißwasser) nicht durch Abwärme, sondern mit Frischdampf aus den
Hochdruckkesseln erzeugt. Bei vollem Ausbau der Fernheizung werden bei tiefster
Temperatur (– 20°) etwa 18000 kg Dampf in der Stunde benötigt, mit welchen eine
Gegendruckturbine von etwa 600 kW betrieben werden könnte, normal werden jedoch im
Winter nur etwa 6 bis 10000 kg Dampf/st gebraucht, und es ist geplant, eine
Gegendruckturbine von etwa 300 kW aufzustellen und die aus dem Heizdampf gewonnene
Energie an die benachbarte Gasanstalt abzugeben.
Für die Verwendung von Maschinenabwärme zur Heizung in größerem Maßstabe sind die
örtlichen Verhältnisse nicht gerade günstig. Das Werk liegt etwa 2 km von dem
Zentrum des Wärmebedarfs entfernt. Die in der weiteren Umgebung befindlichen
städtischen Gebäude und einzelne mit Zentralheizung versehene Miethäuser werden zwar
an die neue Fernheizung angeschlossen, die Möglichkeit der Verwertung der Abwärme
ist aber unter den jetzigen Umständen eine beschränkte und entspricht nicht dem
Kraftbedarf; dagegen ist die eigene Energieerzeugung ohne Abwärmeausnutzung
gegenüber dem zweiten Elektrizitätswerk mit dem Anschluß an das Braunkohlenkraftwerk
wirtschaftlich im Nachteil.
Das Beispiel zeigt, wie sich die Verhältnisse seit den letzten Jahren in erster Linie
infolge der Brennstoffnot verschoben haben. Es wäre aber falsch, einen solchen Fall
zu verallgemeinern, denn für viele großstädtische Elektrizitätswerke liegen die
Verhältnisse umgekehrt. Die Möglichkeit des Absatzes von Abwärme ist in der
Großstadt so groß, wenigstens während der Heizperiode, das ist während 8 Stunden,
daß dadurch eine erhebliche Energieleistung gleichzeitig gedeckt werden kann, womit
bekanntlich die größte Brennstoffersparnis verknüpft ist.
Die Grundfrage, die vor der Lösung aller schwebenden Wärmewirtschaftsprobleme
erledigt werden muß, ist die Frage der Brennstoffversorgung überhaupt. Der heutige
Zustand, daß minderwertigste Kohle mit einem hohen Steingehalt auf weite Strecken
aus den Kohlengebieten verfrachtet und mit Preisen, die das 20 fache des früher für
hochwertige, sortierte, gewaschene Kohle giltigen betragen, bezahlt wird, kann nicht
als Dauerzustand betrachtet werden, und eine normale Wirtschaft wird erst dann
wieder in Gang kommen, wenn der wichtigste Rohstoff, die Kohle, einigermaßen nach
seinem Werte gehandelt und bezahlt wird.
Es ist ein Zeichen der heutigen Not, daß man endlich die Wärmewirtschaft nach
allgemeinen Gesichtspunkten betrachtet und nicht wie bisher nur an eine billige
Elektrizitätserzeugung und -Verteilung denkt. Mit berechtigtem Stolz hat die
chemische und elektrische Großindustrie bei der Erbauung der Großkraftwerke während
des Krieges auf die unübertrefflich billige Energieerzeugung aus der Rohbraunkohle
hingewiesen. Es wurden Stromkosten genannt, die etwa den günstigsten
Wasserkraftanlagen entsprechen, z.B. ½ Pfg. pro kWh, und doch gehen auch in
diesen Anlagen über 80 v. H. der kostbaren Wärme nutzlos in die Luft.
Die Rohbraunkohle wird dabei einseitig nur nach Gestehungskosten und nicht allgemein
als Quelle von Wärme und hochwertiger Nebenprodukte bewertet. Wenn es gelingt, die
Brikettierung wärmewirtschaftlich zu verbessern und den Vergasungsprozeß der
Rohbraunkohle mit Nebenproduktengewinnung in großem Maßstabe durchzuführen, wofür
die Aussichten günstig sind, so wird die jetzige Verfeuerung der Rohkohle unter dem
Kessel der Großkraftwerke für manche Zwecke als unwirtschaftlich verworfen
werden.
Bei der Erbauung unserer heutigen Elektrizitätswerke hat man wohl billige
Energieerzeugung, aber nicht auch Abwärmeverwertung bedacht, und die nachträgliche
Einrichtung dazu (durch Aufstellung neuer Gegendruck- oder Anzapfturbinen) ist mit
den größten Schwierigkeiten und Kosten verbunden. Auch für die Großkraftwerke im
Braunkohlengebiet müßte durch Angliederung wärmeverbrauchender Industrieen, wie
Brikettfabriken, Brauereien, Wäschereien, Färbereien, chemischer Großbetriebe ein
Absatzgebiet für Wärme geschaffen werden und dadurch der schlechte
Gesamtwirkungsgrad gehoben werden.
Auch für den Fall einer künftigen Vergasung der Brennstoffe wird die Verquickung von
Krafterzeugung mit Heizungsanlagen als wärmesparend aussichtsreich bleiben.
Selbst wenn einmal eine Verteilung der Wärme in Form von Ferngasleitungen
durchgeführt werden sollte, wird die Krafterzeugung auch in kleineren Anlagen
wirtschaftlich vorteilhaft sein, solange eben die Wärme, die für Heizungszwecke
erzeugt werden muß, mit so hoher Temperatur gewonnen wird, daß eine Vorschaltung
eines Energiegewinnungsprozesses möglich ist.
Ein Idealfall der Zukunft wäre die Verbindung großstädtischer
Dampf-Elektrizitätswerke mit Dampf- oder Gaskraftwerken der Kohlengebiete. In der
Großstadt mit ihrem großen Wärmebedarf würde dann während der Heizperiode
gleichzeitig die Energieerzeugung in örtlichen Dampfkraftwerken erfolgen, während
der übrigen Zeit würde der Strom aus den Großkraftwerken der Kohlengebiete bezogen
werden; dabei müßten auch diese, wie oben erwähnt, zur Abwärmeausnützung
eingerichtet werden. Die angeschlossenen wärmeverbrauchenden Industrieen könnten
ihren Betrieb der Belastung des Werkes (saisonweise) anpassen.
Welche Energiemengen in Großstädten aus dem Brennstoff für Heizungszwecke gewonnen
werden könnten, zeigt schon eine oberflächliche Schätzung. Nimmt man an, daß für
eine Person im Tag nur 2 Briketts zum Heizen und Kochen verwendet werden, so werden
für eine Million Einwohner rund 10000 Mill. Brennstoff-Wärmeeinheiten täglich
aufgewendet. Aus dieser Wärme könnten leicht 600000 KWh erzeugt werden, ohne die zur
Heizung in Form von Abdampf von etwa 2 at abs. Spannung oder Warmwasser verfügbare
Wärme merklich einzuschränken. Diese Energiemenge übertrifft erfahrungsgemäß den
Bedarf um das Vielfache. Die in den Elektrizitätswerken installierte Gesamtleistung,
die für eine Million Einwohner etwa 40000 kW beträgt, könnte damit 15 Stunden Tag
und Nacht voll betrieben werden. Dabei ist allerdings zu beachten, daß der Bedarf an
Heizwärme und elektrischer Energie zeitlich nicht immer zusammen fällt. Aus den
obigen Zahlen ist aber zu entnehmen, daß auch schon eine teilweise Ausnutzung des
für Heizungszwecke aufzuwendenden Brennstoffes im Elektrizitätswerk zur Deckung des
Energiebedarfes ausreichen würde, und ferner ist es möglich, durch Aufspeicherung
von Warmwasser für Heizung in besonderen Behältern und von Elektrizität in
Akkumulatorenbatterien einen Ausgleich herbeizuführen.
Bei einer solchen Fernheizung werden andere Gesichtspunkte maßgebend sein, als
bisher üblich, die Heizungsanlagen werden knapper zu bemessen sein, dafür kann die
Betriebszeit ausgedehnt werden und eine automatische Wärmemessung muß den sparsamen
Verbrauch sicherstellen.
Grundsätzlich verschieden von der Kraftwirtschaft aus Wärmeenergiequellen ist die
Wasserkraft-Wirtschaft. Hier ist die elektrische Energieerzeugung und -Verteilung
Alleinherrscherin. Wasserkraftreiche Länder können sogar elektrisch heizen. Mit der
besseren Ausnutzung der vorhandenen Wasserkraftanlagen und dem Ausbau der noch
fehlenden kann selbst in unserem gefällearmen Lande noch eine wenigstens örtlich
merkliche unmittelbare Ersparnis an Brennstoff erreicht werden, für die Gesamtlage
der Brennstoffwirtschaft allerdings kaum fühlbar, da bekanntlich vom
Gesamtkohlenverbrauch nur wenige Hundert-Teile (vor dem Kriege etwa 2 v. HL
Steinkohle) auf Elektrizitätswerke entfallen. Es empfiehlt sich jedoch, die billige
Energie bestehender Wasserkraftanlagen auch zu Heizzwecken zu verwenden. So
könnten viele Fabrikwasserkräfte im Nachtbetrieb Wärmeenergie für Fabrikationszwecke
abgeben, wenn es auch nur z.B. zum Wasseranwärmen ist.
Leider läßt sich auch hier, ähnlich wie bei der Abwärmeverwertung, feststellen, daß
man kleinere Anlagen unter dem Einfluß der größeren Kraftwerke vernachlässigt hat.
Wenn man sich im Kriege wunderte, daß alle kleineren Mühlen, insbesondere auch
Windmühlen stillagen oder sogar abgerissen wurden, so hörte man als Grund, daß die
Zwangswirtschaft große Dampfmühlen bevorzuge, weil sie leichter zu kontrollieren
seien. Dabei ist es längst ein offenes Geheimnis, daß es beim „Schieben“
keine oberen Grenzen gibt.
Es wäre zu begrüßen, wenn wieder alle Wasser- und Windmühlen sich drehen und kleinere
ausgebaute Wasserkräfte als örtliche Elektrizitätswerke auch neben der
Ueberlandzentrale verwertet würden. Auch die Erhaltung bodenständiger und
gleichzeitig selbständiger Kleinunternehmer läge im allgemeinen Volksinteresse.