Titel: | Polytechnische Schau. |
Autor: | Sander |
Fundstelle: | Band 335, Jahrgang 1920, S. 238 |
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Polytechnische
Schau.
(Nachdruck der Originalberichte – auch im Auszuge
– nur mit Quellenangabe gestattet.)
Polytechnische Schau.
Werkstattstechnik.
Ein neues, genau zentrierendes Dreibackenfutter. Die
üblichen Dreibackenfutter mit Plan – Spiralgewinde spannen nicht durchaus genau,
weil die Krümmung des Spiralgewindes nur in einer ganz bestimmten Stellung der
Backen mit der Krümmung der in das Gewinde eingreifenden Backenzähne übereinstimmt.
In allen anderen Stellungen liegen die Zähne der Backen nur an einer oder zwei sehr
schmalen Stellen, also jedenfalls unvollkommen an den Gewindegängen an. Dadurch
wird beim Zuspannen des Futters eine übermäßig hohe Pressung des Materials an der
Druckstelle herbeigeführt, die Formänderungen und Quetschungen im Gefolge hat, so
daß eine genaue Zentrierung unmöglich wird. Die fehlerhafte Zentrierung kann
gemildert werden, indem man die Backen für den gewünschten Spanndurchmesser durch
Einspannen eines Werkstückes in einer anderen Stufe auf den gewünschten eigentlichen
Spanndurchmesser
einstellt und auf der Drehbank selbst rundschleift oder runddreht.
Aber auch diese für einen bestimmten Durchmesser geschaffene Genauigkeit hält sich im
Betriebe nicht aufrecht, weil sich die Backenzähne und das Plangewinde durch das
erwähnte unvollkommene Anliegen bald ab nutzen. Die Abnutzung wird noch dadurch
gefördert, daß den Drehspänen, den Schleifspänen und der Feuchtigkeit das Eindringen
zwischen die Gewindegänge durch das unvollkommene Anliegen der Gänge und die offene
Bauart des Futters bedeutend erleichtert wird.
Textabbildung Bd. 335, S. 239
Abb. 1.
Textabbildung Bd. 335, S. 239
Abb. 2.
Das in Abb. 1 und 2
gezeichnete Präzisionsfutter der Nassovia-Maschinenfabrik
Kolb & Co., Langen in Hessen vermeidet die
geschilderten Uebelstände dadurch, daß die drei Backen A in drei genau nach einem Kreisbogen ausgearbeiteten Schlitzen der
Scheibe D durch je einen kräftigen Zapfen B und einen gehärteten Stein C geführt werden. Alle Führungsflächen sind genauestens nach Grenzlehren
gearbeitet und liegen stets voll an, so daß der Flächendruck an den Zapfen und den
Steinen in zulässigen Grenzen bleibt und eine vorzeitige Abnutzung verhindert wird.
Dieses Anliegen ist in allen Backenstellungen ohne
weiteres gewährleistet, so daß sich ein Schleifen auf den gewünschten Durchmesser
vor Beginn der Arbeit erübrigt.
Das Spannen geschieht durch Drehen der Schnecke E, die
in eine Segmentverzahnung der Kurvenscheibe D
eingreift. Die Kurvenscheibe D ist durch die richtige
Wahl der Kurvenwinkel ebenso wie die Schnecke E
selbstsperrend. Ein unbeabsichtigtes Lösen des Futters während der Arbeit ist also
ausgeschlossen.
Das gegenseitige satte Anliegen der verschiedenen Flächen ist zwar an sich schon ein
guter Schutz gegen das Eindringen der den Führungsflächen äußerst gefährlichen
Spänen und der Feuchtigkeit; das vorliegende Futter hat aber noch einen besonderen
Schutz der Führungsschlitze gegen das Eindringen der Fremdkörper durch die
Schutzklappen F auf der Innenseite und G auf der Außenseite. Der Hub der Backen ist derartig
bemessen, daß sie die Schlitze weder in der äußeren noch inneren Endstellung
freilegen, so daß also auch hier kein Schmutz eindringen kann.
Die Kurven der Scheibe D geben einen bestimmten Hub der
Backen, der allerdings etwas geringer ist als der bei gewöhnlichen
Plangewindefuttern gleichen Spanndurchmessers. Das bedingt eine um einen geringen
Betrag engere Bohrung des Futters als bei den gewohnten Futtern und eine etwas
höhere Stufenzahl, wenn an der Forderung festgehalten wird, daß das Futter seinen
eigenen Durchmesser noch spannen soll. Eine von Abb.
1 und 2 abweichende Bauart wird diese
an sich gegenüber den Vorzügen der langen Lebensdauer und der Genauigkeit der
erwähnten Futter kaum ins Gewicht fallende Unbequemlichkeiten soweit herabmildern,
daß praktisch auch in dieser Hinsicht kein Unterschied mehr besteht. Die Bauhöhe der
Futter ist etwas niedriger als diejenige der anderen Konstruktionen. Die Backen
können wie bei den gewöhnlichen Futtern je nach Bedarf als Bohr- oder Drehbacken
eingesetzt und ausgewechselt werden. Die Auswechselung erfolgt zweckmäßig in der
Werkzeugausgabe durch geübte Arbeiter, um die Genauigkeit des Futters nicht durch
unsachgemäße Behandlung zu beeinträchtigen. Im Betriebe selbst sind die Futter auch
rauher Behandlung gewachsen.
Die Futter eignen sich für genaue Dreh- und Schleifarbeiten und sind vor allem dort
empfehlenswert, wo man auf genaues Spannen ohne besondere Vorarbeiten Wert legt.
Skleroskop-, Kugeldruck- und Ritzhärte. In der Praxis
haben sich eingeführt die Kugeldruckprobe nach Brinell
und die Skleroskopprobe nach Shore, hingegen ist die
Bestimmung der Ritzhärte auf Laboratoriumsversuche beschränkt geblieben. Ein
Vergleich zwischen den Härtezahlen verschiedener Eisen- und Stahlsorten bei gleichen
und verschiedenen Metallen ergab nach den Zusammenstellungen des Prof. Berndt folgendes: Das Verhältnis der drei verschiedenen
Härtezahlen zeigt große Unterschiede bei verschiedenen Eisensorten. Die
Verhältniszahl durchschnittliche Brinellhärte: durchschnittliche Skleroskophärte
beträgt bei Thomasstahl rd. 7, für Tiegelgußstahl und Nickelstahl 9 bis 10, für
Chromnickelstahl 10, für Rohlinge 10,4. Die Verschiedenheit dieser Verhältnisse
scheint auf die Verschiedenheit der Elastizitätsmoduln zurückzuführen zu sein.
Textabbildung Bd. 335, S. 239
Es zeigt sich aber, daß auch bei ein und demselben Metall, z.B. Werkzeugstahl, das
Verhältnis der Härtezahlen nicht gleich bleibt Um den Zusammenhang aufzuklären,
wurde eine Stahlstange von 1 v. H. Kohlenstoffgehalt und 15 × 15 mm Querschnitt 24
mal eingekerbt und an dem einen Ende auf Schmelztemperatur erhitzt, so daß ihre
Temperatur allmählich zum anderen Ende abnahm. Die Stange wurde dann abgeschreckt
und in die 25 Teile zerbrochen. Die Kugeldruck-, die Skleroskop- und die Ritzhärte
wurde an den einzelnen Stücken gemessen. Die Abbildung gibt die Ergebnisse wieder.
Es zeigt sich, daß der Verlauf der drei Härtezahlen annähernd parallel verläuft,
wenn auch das Verhältnis der Härtezahlen schwankt. Im Betrieb müßte also für jede
Stahlsorte eine besondere Skala über den Zusammenhang zwischen den Härtezahlen
aufgestellt werden. Immerhin ergibt sich aber, daß die Skleroskophärte ihren
Höchstwert ebenfalls bei den Höchstwerten der anderen Härtezahlen hat, so daß das
Skleroskop gut geeignet erscheint, die günstigste Härtetemperatur anzugeben.
(Werkstattstechnik 1920, Heft 7.)
Auffinden von Oberflächenrissen an blanken Maschinenteilen und
gehärteten Werkzeugen. Feine Haarrisse, die sich beim Härten und Vergüten
von Stahlteilen gebildet haben und oftmals wieder so dicht geschlossen haben, daß
sie durch das Mikroskop, die Aetzung mit Kupferchlorammonium und anderen
Aetzflüssigkeiten nicht sichtbar werden, können nach einem amerikanischen Verfahren
dadurch gefunden werden, daß man die zu prüfenden Stücke in ein feines
durchsichtiges Oel taucht, dem man feinste Eisenschleifspäne zugemischt hat. Beim
Herausnehmen bleibt eine Oelschicht auf dem Werkstück haften, und die in ihr
enthaltenen Eisenteilchen gruppieren sich nach den von den Rissen ausgehenden
Magnetfeldern und gestatten so ein sicheres Auffinden derselben. Infolge des
Erdmagnetismus ist nämlich jeder Stahl unmittelbar nach dem beim Abkühlen
durchlaufenen kritischen Temperatur ein Sammler für Erdkraftlinien. An den Rissen
werden diese Kraftlinien abgelenkt. (Werkstattstechnik 1920, Heft 9.)
Selbsttätige Gewindedrehbank. Für die Fertigung von
Präzissionsgewinde an Massengegenständen, besonders wenn es sich um Gewinde größeren
Profiles handelt, ist die selbsttätige Gewindedrehbank gut geeignet. Die Maschine
arbeitet grundsätzlich ähnlich wie eine gewöhnliche Spitzendrehbank, nur erfolgen
alle Bewegungen, insbesondere das Vor- und Zurückstellen des Stahles nach jedem
Schnitt, und die leere Rückwärtsverschiebung des Supportes vollkommen selbsttätig,
so daß ein Arbeiter mehrere Maschinen gleichzeitig bedienen kann. Die Maschine
arbeitet meistens mit zwei Stählen von vorn und von hinten. Im ganzen sind vier
Werkzeughalter vorhanden, von denen entweder die beiden linken oder die beiden
rechten in Gebrauch sind, je nachdem das Gewinde links oder rechts an einen Ansatz
herangedreht werden soll. Beim Schneiden von Innnengewinde kann nur ein einziger
Werkzeughalter arbeiten. Ist das Gewinde auf die richtige Tiefe geschnitten, so
rückt die Maschine selbsttätig aus. Die Werkzeuge arbeiten in der Weise zusammen,
daß entweder der eine Stahl die linke, der andere die rechte Gewindeflanke
bearbeitet, oder der rückwärtige Stahl ist als Schruppstahl, der vordere als
Schlichtstahl ausgebildet, oder ein rechteckiger Einstechstahl schneidet eine Nut
vor, die von zwei anderen gegenüberliegenden Stählen an der rechten und der linken
Flanke fertig bearbeitet wird. Beim Schneiden von doppeltem Gewinde können zwei
hintere Schruppstähle und zwei vordere Schlichtstähle verwendet werden.
(Werkstattstechnik 1920, Heft 5.)
Ernst Preger.
Feuerungstechnik.
Windregelung bei Unterwindfeuerungen. Die rohe Einregelung
der Verbrennungsluftmenge auf das verfeuerte Kohlengewicht geschieht bei
Unterwindfeuerungen durch Wechsel der Ventilatorgeschwindigkeit, durch Klappen in
der Windleitung oder durch Veränderung des die Düsen verlassenden Dampfvolumens. Sie
kann für mehrere Feuerungen gleichzeitig und gemeinsam erfolgen. Außerdem muß aber
eine Feineinstellung der Windzufuhr vorgenommen werden, die sich nach dem jeweiligen
Feuerzustande auf den einzelnen Rosten richtet. Diese bietet bei Unterwindrosten mit
darunterliegenden Windkammern, die sowohl für Ventilatorbetrieb als auch für
Dampfstrahlgebläse brauchbar sein sollen, gewisse Schwierigkeiten. Wie sie
überwunden werden können, zeigt Dipl.-Ing. Pradel in Heft
36 der Zeitschrift für Dampfkessel und Maschinenbetrieb.
Bekanntlich gehört zu jeder Kammer ein Saugrohr und eine Dampfdüse. Obgleich alle
Düsen mit demselben Dampfdrucke arbeiten, bekommen die einzelnen Kammern nicht
immer die gleiche Luftmenge. Diese hängt nämlich auch vom Durchtrittswiderstande im
Roste und in der Brennstoffschicht ab, so daß die Kammer mit der geringsten
Bedeckung erheblich größere Luftmengen aufnimmt als die anderen. Eine bestimmte
Grenze kann allerdings der Unterschied zwischen den einzelnen Kammern nicht
überschreiten, da die Stärke der Luftzuführung von der Leistungsfähigkeit der Düse
abhängt und somit nicht allzusehr wachsen kann. Ohne die Kammerunterteilung des
Rostes würde, wie eine einfache Ueberlegung ergibt, der Einfluß einer
ungleichmäßigen Verteilung des Brennstoffes noch fühlbarer werden. Die Benutzung von
Dampfstrahlgebläsen an Stelle von Ventilatoren bringt ferner den Vorzug großer
Betriebssicherheit und einfacher Bedienung mit sich. Auch wirkt bei vielen
Brennstoffen der Zusatz von Dampf zur Verbrennungsluft günstig auf die
Schlackenbildung. Indessen ist der Kraftverbrauch von Dampfstrahlgebläsen höher als
der von Ventilatoren. Diese sind daher bei Verwendung von Brennstoffen zu empfehlen,
die keinen Kühldampf benötigen. Da nun in vielen Betrieben mit einem Wechsel des
Heizmittels gerechnet werden muß, so ist man neuerdings bestrebt, die
Unterwindfeuerungen für wahlweisen Betrieb mit Dampfstrahlgebläse und Ventilator
einzurichten. Dies führte zu den oben erwähnten Schwierigkeiten bei der
Windregelung, denn die Beschränkung der Stärke der Luftzuführung durch die höchste
Leistungsfähigkeit der Dampfdüse fällt fort, wenn man die Feuerung ohne weiteres an
eine Ventilator-Windleitung anschließt. Bei gemeinsamem Anschluß mehrerer Roste an
eine Luftzuführung machen sich naturgemäß die Mißstände in erhöhtem Maße geltend.
Sie werden behoben durch Einbau des Luftreglers der Deutschen
Evaporator-A.-G., dessen wesentlichstes Merkmal die Fortsetzung der
Kammerunterteilung bis in die Windleitung hinein ist. In den hierdurch geschaffenen
Abteilen werden die Regelglieder angeordnet, so daß der Windzutritt zu jeder
einzelnen Kammer von den selbsttätig arbeitenden Vorrichtungen beeinflußt wird.
Diese bestehen aus einer seitlich in jedem Abteile aufgehängten Pendelklappe mit
Gegengewicht. Auf deren Lage wirkt die dynamische Kraft des Luftstromes ein. Bei
geringer Windgeschwindigkeit hängt die Klappe entsprechend ihrem Gleichgewichte
ungefähr senkrecht. Sie hebt sich und verengt den Querschnitt der Leitung, wenn die
Geschwindigkeit der Verbrennungsluft zunimmt. Hierdurch erfolgt zunächst Drosselung
des Windes und schließlich nahezu völliger Abschluß. Nur noch einer unbedeutenden
Luftmenge zur Kühlung der Roststäbe wird der Zutritt zur Feuerung gestattet. Außer
den Regelgliedern findet sich in der Windleitung die übliche Abschlußklappe, mit
deren Hilfe man im Falle der Reinigung jede Feuerung gänzlich von der Luftzufuhr
abschalten kann. Beim Oeffnen der Feuertür erfolgt selbsttätig die Absperrung des
Windes und der Dampfzufuhr für die Düsen.
Schmolke.
Maschinentechnik.
Grabenbagger mitRaupenkettenantrieb. In Amerika hat man zuerst Traktoren
und Motorpflüge mit Raupenkettenantrieb ausgeführt. An Stelle der üblichen
Triebräder treten endlose Gleisketten, Raupen genannt, die über zwei Räder gelegt
werden. Durch ihre große Auflagefläche ergibt sich eine sehr geringe Bodenpressung.
Dadurch wird der Raupenketten-Grabenbagger von Boden- und Witterungsverhältnissen
unabhängig, es wird dadurch möglich, mit solchen Maschinen auf Moorboden zu
arbeiten. Den Raupenantrieb hat man nun bereits während des Krieges bei
Grabenbaggern verwendet.
Für den Antrieb des Fahrgestelles und des Baggers wird wie bei Traktoren und
Motorpflügen der Explosionsmotor
verwendet. Eine Gelenkwelle verbindet die Motorwelle mit dem Fahrgetriebe, das
mit mehreren Geschwindigkeitsstufen für Vorwärtsfahrt und einem Rückwärtsgang
versehen ist. Hinter dem Fahrgetriebe ist das Arbeitsgetriebe angeordnet. Beide sind
ebenfalls mit einer Gelenkwelle verbunden. Die kleinste Fahrgeschwindigkeit während
des Baggerns beträgt etwa 12 m i. d. St. Dies ergibt eine Gesamtübersetzung von etwa
1 : 1000. Diese große Uebersetzung wird hauptsächlich durch die im Arbeitsgetriebe
angeordnete Zahnradgruppe mit unveränderlichem Zahneingriff erzielt. Diese
Zahnradgruppe befindet sich bei Straßenfahrt im Leerlauf und es arbeitet auf die
beiden Raupenketten nur das Fahrgetriebe. Bei Baggerbetrieb wird gewöhnlich ein
zweistufiges, ein- und ausrückbares Rädervorgelege an die genannte Zahnradgruppe
zugeschaltet. Durch diese Anordnung wird die Anzahl der Geschwindigkeiten
verdoppelt, bei jeder Schaltstufe des Fahrgetriebes können zwei Schaltstufen des
Arbeitsgetriebes eingeschaltet werden.
Jede Raupenkette besitzt einen unabhängigen, entkuppelbaren Antrieb. Für den Antrieb
des Baggerwerkes ist im Fahrgetriebe ein ein- und ausschaltbares Stirnrad
einzuschalten, dessen Gelenkwelle mit dem Getriebe verbunden ist. Der
Eimerkettenantrieb eines solchen Grabenbaggers erfolgt über das sogen.
Turasgetriebe. Damit ein Rücklauf der Eimerkette möglich ist, enthält das
Turasgetriebe ein Wendegetriebe. Für die Urbarmachung von Sumpf- und Oedland können
solche Grabenbagger in kleinerer Ausführung ebenfalls mit Nutzen verwendet werden.
Die Gewinnung von Kulturland ist volkswirtschaftlich zurzeit von höchster Bedeutung,
um ertragfähiges Siedelungsland zu erhalten.
W.
Gastechnik.
Kohlenvergasung und Elektrifizierung der Staatsbahnen. Die
Einführung des elektrischen Betriebes auf unseren Staatsbahnen macht jetzt, nachdem
die früher gegen eine weitgehende Elektrifizierung hauptsächlich geltend gemachten
Einwände der Militärbehörde hinfällig geworden sind, raschere Fortschritte. Dies ist
um so erfreulicher, als der elektrische Betrieb sich vor dem Dampfbetrieb durch
größere Wirtschaftlichkeit auszeichnet und beträchtliche Ersparnisse an Brennstoffen
ermöglicht. So hat man berechnet, daß allein die preußischen Bahnen, die bei dem
heutigen Dampfbetrieb rd. 9 Mill. t Kohle jährlich verbrauchen, bei elektrischem
Betrieb nur etwa 5 Mill. t Kohle im Jahre nötig hätten. Durch Anwendung der
Kohlenvergasung mit Gewinnung von Nebenprodukten in den Bahnkraftwerken lassen sich
noch erheblich größere Ersparnisse erzielen, zumal in diesem Falle auch
minderwertige Brennstoffe verarbeitet werden können, die für den Lokomotivbetrieb
unmittelbar nicht verwendbar sind. Daß die amtlichen Stellen diesen Weg zu
beschreiten gewillt sind, geht aus Mitteilungen hervor, die der Wirkl. Geh.
Oberbaurat Dr.-Ing. Wittfeld im Zentralblatt der
Bauverwaltung 1919, S. 513, macht. Danach ist die Eisenbahnverwaltung auf Grund
mehrjähriger Vorarbeiten zu der Erkenntnis gelangt, daß es bei elektrischer
Zugförderung wie überhaupt bei elektrischen Großkraftwerken zweckmäßig sein kann,
die elektrische Energie durch Gasmaschinen (wenn möglich durch Gasturbinen) zu
erzeugen und das hierfür erforderliche Gas durch Schwelvergasung unter Gewinnung
sämtlicher Nebenprodukte herzustellen. Von letzteren seien genannt Ammoniaksalze,
Schmieröle, Leucht- und Treiböle, Benzin, Paraffin, Pech und Schwefel.
Um den theoretischen Erörterungen endlich einmal etwas Wirkliches gegenüberstellen zu
können, hat die Eisenbahnverwaltung eine größere Gasturbine von 3300 kW mit
zugehörigen Generatoren beschafft und gleichfalls eine Turbine für schweres Treiböl
in Bau gegeben. Dabei handelt es sich, wie Geh. Rat Wittfeld betont, keineswegs um einen Sprung ins Dunkle, vielmehr ist die
Erwartung berechtigt, daß jene beiden Ausführungen Erfolg haben werden, nachdem
durch die langwierigen Versuche eines großgewerblichen Unternehmens mit Gasturbinen
gute Grundlagen für den Bau und Betrieb derartiger Maschinen geschaffen worden
sind.
Der Entwurf für die Generatoren stützt sich gleichfalls auf umfassende Studien an
einer Versuchsanlage. Die Generatoren werden so eingerichtet, daß sie ohne,
grundsätzliche Aenderung jeden Brennstoff, selbst Oelschiefer, verarbeiten können.
Die Vergasungsanlage soll ferner mit den neuesten Einrichtungen zur Abscheidung der
wertvollen Nebenprodukte einschließlich des Schwefels ausgestattet werden sowie auch
mit einer Anlage zur Gewinnung von Salpetersäure aus den Abgasen. Diese
Generatorenanlage wird zusammen mit der Gasturbine eine Ergänzung des Bahnkraftwerks
Muldenstein bei Bitterfeld bilden. Um eine möglichst gleichmäßige Belastung dieses
Kraftwerkes herbeizuführen, was im Hinblick auf die Gewinnung von Nebenprodukten
besonders wichtig ist, sollen die Züge, die regelmäßig oder nur zu gewissen Zeiten
des Jahres hohe „Spitzen“ hervorrufen, durch Diesel-Lokomotiven oder
Triebwagen befördert werden, zu deren Betrieb die in der Generatorenanlage des
Kraftwerkes selbst erzeugten Treiböle dienen sollen.
Sander.