Titel: | Theodor Rümelin †. |
Autor: | F. Eisner |
Fundstelle: | Band 336, Jahrgang 1921, S. 24 |
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Theodor Rümelin †.
Von Dipl.-Ing. F. Eisner,
München.
EISNER: Theodor Rümelin †.
Einer der Besten ist in der Vollkraft seines Schaffens von uns gegangen: Am 9.
November 1920 ist Dr. Ing. Theodor Rümelin im Alter von
43 Jahren gestorben, aus arbeitsreichem Leben am Vorabend der Vollendung und
Fertigprojektierung großer und größter Wasserkraft- und Schiffahrtsanlagen durch
jähen Tod hinweggerafft. Viel Großes hat Rümelin in seinem kurzen Leben gewirkt;
wieviel Großes hätte er noch geleistet, wenn er nur einen Teil seiner Pläne hätte
verwirklichen können!
Am 20. Mai 1877 wurde Theodor Rümelin in Besigheim in Württemberg geboren. Die
humanistische Reifeprüfung legte er am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart ab.
1895 ging er als Einjährig-Freiwilliger zum Tübinger Kaiser-Friedrich-Regiment, dem
er 1896 bis 1898 als aktiver Offizier angehörte. Eine Fußverletzung und wohl auch
die in ihm schlummernde Erkenntnis, als Ingenieur Großes leisten zu können,
bestimmten ihn, Bauingenieurwesen zu studieren. Nach der ersten Staatsprüfung in
Stuttgart ging er drei Jahre zur Tiefbauunternehmung Grün & Bilfinger in
Mannheim, wo er neben andern größeren Arbeiten die Bauleitung beim Ausbau des MannheimerIndustriehafens
und bei der Rheinbrücke Ruhrort-Homburg innehatte.
Textabbildung Bd. 336, S. 23
1906–1909 wurde ihm die Bauführung der Isarwasserkraftanlage
für die Stadt München bei Moosburg übertragen. Dann arbeitete er in der
Nähe von Metz und beteiligte sich am Wettbewerb für das Walchensee-Projekt mit mehreren Teilentwürfen.
Im Auftrage der Bayerischen Stickstoffwerke A.-G. baute er die 12000 PS. liefernde
Wasserkraftanlage Trostberg-Tacherting. 1912 ging er nach Dresden zu Windschild & Langelott, und
entwarf dort unter anderem die Pläne, nach denen später die Wasserkraftanlage
Frankenberg gebaut wurde. Während dieser Zeit schrieb er für die Sammlung Göschen
seine ausgezeichneten Bändchen „Wasserkraftanlagen.“ Kurz und prägnant werden
in diesen Bändchen alle bei Wasserkraftanlagen auftauchenden Fragen behandelt, so
daß das Werk sich einer großen Beliebtheit bei allen im Wasserbau tätigen Praktikern
erfreut und Rümelin weit über Deutschlands Grenzen hinaus berühmt und zu einem der
bekanntesten Wasserfachmänner gemacht hat. Weiter schrieb er in Dresden seine
Doktorarbeit „Wie bewegt sich fließendes Wasser?“, welche für den Praktiker eine
ausgezeichnete kritische Vergleichung der gebräuchlichen Fließformeln, wie sie bis
dahin mit solcher Tiefgründigkeit noch nie gegeben war, und für den theoretischen
Hydrauliker und Hydrodynamiker eine sehr interessante Anregung darstellt, sodaß alle
neueren Werke der praktischen Hydraulik und viele der Hydrodynamik auf diese Arbeit
Bezug nehmen. Von Oktober 1913 bis April 1918 war er ständiger Assistent am
Wasserbaulaboratorium der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg bei Geheimrat
Grantz. Gleichzeitig unterrichtete er als Lehrer für Mathematik und Physik an der
Kadettenanstalt für Berlin und arbeitete später für die Siemens-Schuckertwerke die
Projekte für Wasserkraftanlagen Ostpreußen aus. Außerdem entwarf er Wasserbauten an
der Moldau, ferner eine Donau-Elbe-Beraun-Anlage und bearbeitete die gesamte
Binnenschiffahrts-Literatur für ein Werk über
Binnenschiffahrt, um das ihn der Verlag Teubner gebeten hatte. Daneben
liefen Versuche über Pulsationen und Strahlenzuckungen,
die er mit oft primitivsten Mitteln und geistreichen Anordnungen in seiner
Privatwohnung vornahm.
Im April 1918 erhielt er von einer Interessenten-Vereinigung unter Beteiligung
namentlich Bayerischer Banken den ehrenvollen Auftrag der Ausnutzung der
Wasserkräfte der Mittleren Isar zwischen München und
Moosburg. Als Anfang 1919 der Ausbau der Mittleren Isar vom Staat
übernommen wurde, hatte er bereits in dieser kurzen Zeit das gesamte vorliegende
Material durchgearbeitet und unter mehreren Möglichkeiten mit genialem Blick die
richtige Lösung gefunden, welche München die Schiffahrt
bringen wird. Die Verstaatlichung der Mittleren Isar brachte für Rümelin
eine herbe Enttäuschung. Hätte er doch mit Bestimmtheit darauf rechnen können, die
Durchführung des gesamten Projektes in eigener Verantwortung und Selbständigkeit
übertragen zu erhalten. Da stellte er sich auch dem Staat sofort in
uneigennützigster Weise weiterhin zur Verfügung, nur um der Sache und der Idee zu
dienen und unter Hintansetzung aller aussichtsreichen Möglichkeiten, die sich ihm
damals boten. Bei diesem seinem Werk hat er bis zu seinem Tode verharrt und dafür
mit Liebe und wahrhafter Aufopferung gearbeitet.
Die Mittlere Isar ist Rümelins Projekt und wird es auch
bleiben.
Seine letzten Projekte sind großer und größter Art und beziehen sich auf die
Ausnützung von Wasserkräften in Südbayern, an der Donau, am Rhein und Bodensee,
sowie außerhalb Deutschlands, ja auch Europas. Diese Projekte werden erst in einiger
Zeit reif werden, denn Rümelin hat mit genialem Blick stets weit vorausgeschaut. –
So 3aren seine Ideen auf Großes gerichtet, dafür war er geschaffen. Seine
allerletzten Arbeiten galten einer großzügigen Statistik der
gesamten Wasserkraftanlagen.
Seit Ostern 1920 war Rümelin Herausgeber der „Wasserkraft“, des Organs des Bayerischen
Energiewirtschaftsverbandes. Ferner gründete er das „Kuratorium für Rauhigkeitsuntersuchungen“, dem
die hervorragendsten Wissenschaftler angehören, wie u.a. Geheimrat Sommerfeld,
Geheimrat Camerer in München, Hofrat Forchheimer in Wien und Dr. L. Hopf in Aachen.
Die bereits erzielten Erfolge lassen außerordentlich viel erwarten.
Rümelins Bild wäre unvollkommen, wenn wir nicht auch noch kurz auf den Menschen
Rümelin eingehen würden. Arbeitsamkeit und Selbstlosigkeit, Edelmut und
Großzügigkeit, ein selten vielseitiges Wissen und Können bei großer Gründlichkeit,
schaffensfreudiger Idealismus, dem das Werden und Sichauswirken seiner großen
Gedanken über alles, über Person und Form und eigenes Interesse ging, eine
bewundernswerte Selbstbeherrschung und Energie, – das alles sind einige wenige der
Eigenschaften, die das Leben von Theodor Rümelin kennzeichnen. Erstaunlich ist
besonders seine dauernde Arbeitsfreudigkeit und Arbeitsfröhlichkeit gewesen, die
scheinbare Leichtigkeit, mit der er alles elegant „hinschmeißen“ konnte, das
Nie-Lahmwerden bei den vielen schweren Kämpfen, die er durchzufechten hatte. Denn
man hat es ihm – und er auch sich selbst – nicht leicht gemacht, insbesondere
zuletzt nicht.
Sein innerer Reichtum war so groß, daß er jeden daran teilnehmen ließ: „Ich habe
Sonne in mir und möchte gern allen meinen Mitmenschen etwas davon geben.“ –
Seinen kraft- und energiespendenden, seinen anregenden und belehrenden Einfluß,
seine Menschenfreundlichkeit und seinen Gerechtigkeitssinn haben alle verspürt, die
mit ihm in Berührung kamen.
In lustiger Gesellschaft war er einer der fröhlichsten und ausdauerndsten, sein
übersprudelndes Temperament riß dann alle mit sich fort. Am meisten aber zu
bewundern ist es, wie er sich selbst in der Hand gehabt hatte: Oft hatte er die
Nächte durchgearbeitet und war müde und abgespannt; dann hatte er sich innerhalb
eines Augenblickes wieder vollkommen in der Gewalt und arbeitete weiter mit alter
Frische und Tatkraft. Oft mahnten wir ihn, mehr auf seine Gesundheit zu achten, und
auch an sich zu denken. Seine Antwort war dann: „Ach lassen Sie doch diese
kleinen Menschen, die nur an sich selbst denken; wer den Geist in sich verspürt,
der muß so schaffen, und das allein bringt die Welt vorwärts.“ – – –
– Wir alle haben an Rümelin ein unersetzbares Gut verloren, einen Menschen und einen
Arbeiter, der für uns alle gearbeitet hat und Mensch, gewesen ist. Sein Andenken
bleibt in uns und bei den Werken, die er geschaffen hat. Daß sein Name auch in
Zukunft mit seinen großen Projekten verknüpft bleibt, wenn diese ausgereift sind,
dafür werden seine Freunde sorgen.