Titel: | Die Entstehungsgeschichte der neuen amerikanischen Schnelläufer-Turbinen. |
Autor: | Viktor Kaplan |
Fundstelle: | Band 336, Jahrgang 1921, S. 95 |
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Die Entstehungsgeschichte der neuen
amerikanischen Schnelläufer-Turbinen.
Von Prof. Dr. Viktor Kaplan in
Brunn.
KAPLAN, Die Entstehungsgeschichte der neuen amerikan.
Schnelläufer-Turbinen.
In den verschiedenen amerikanischen Fachzeitschriftten erschienen in der letzten
Zeit mehrere VeröffentlichungenMechanical Engineering
1919 (Dezemberheft)Electrical World vom
Juli 1920., welche sich mit einer neuen angeblich
amerikanischen Turbinenbauweise beschäftigen. Da diese Berichte auch von deutschen
ZeitschriftenZ. d. V. d. I. 1920, S.
936 und Z. d. V. D.
I. 1921, S. 44, und E. und M. 1921, S.
84. auszugsweise gebracht wurden, sei es mir gestattet, die
eigentliche Entstehungsgeschichte dieser amerikanischen Bauweise hier kurz zu
schildern.
Zunächst sei festgestellt, daß der neue Schnelläufer keine amerikanische Erfindung, sondern eine deutsche Erfindung darstellt, wie
dies kurz aus folgenden Angaben entnommen werden kann.
Nachdem ich im Jahre 1912 die ersten Versuchsergebnisse mit der
„Kaplan-Turbine“Vergl. meinen im Ing.- und Arch.-Verein in Wien gehaltenen Vortrag (Z. d.
öst. Ing.- und Arch.-Vereins 1917, Heft 33 bis einschl. 39). im
hiesigen Turbinenlaboratorium zum befriedigenden Abschluß gebracht hatte, bot ich
u.a. auch der Firma Allis Chalmers in Milwaukee, Wisconsin, das Ausführungsrecht der
Kaplanturbine für Amerika an. Am 5. VI. 1913 kabelte mir Allis Chalmers, daß diese
Firma die diesbezüglichen Verhandlungen aufzunehmen wünsche. Im November gleichen
Jahres sandte Allis Chalmers seinen autorisierten Vertreter, Herrn Pattiz. Im
Dezember des gleichen Jahres traf noch der Chefingenieur von A. Ch. Herr Schmidt, in
der gleichen Sache in Brunn ein. Ich bot Herrn Ing. Schmidt in meinem Laboratorium
Gelegenheit, sich durch eigene Bremsungen von der bisher unbekannten
Schnelläufigkeit der Kaplanturbine (ns = 700 bis 800) zu überzeugen; die von Herrn
Ing. Schmidt damals aufgenommenen und mit seiner Unterschrift versehenen
Originalbremsprotokolle stehen jedem Interessenten zur Verfügung. Da mir von
verschiedener Seite nahegelegt wurde, mit der Mitteilung von Einzelheiten vorsichtig
zu sein, so habe ich mich zur Bekanntgabe der Laufradform und der übrigen Bauweise
der Kaplanturbine erst dann entschlossen, als von Allis Chalmers am 22. I. 1914 bei
einer hiesigen Bank ein größeres Depot erlegt wurde und zwischen mir und Herrn
Schmidt im Namen von Allis Chalmers eine Vereinbarung zu Stande kam, von welcher
hier der Kürze halber nur Punkt c) angeführt werden soll.
„c). Schließlich fällt das Depot auch noch in jenem Falle an Herrn Dr. Kaplan,
wenn die Firma Allis Chalmers, M. Co., ohne vertragsmäßig dazu berechtigt zu
sein, die Nachkonstruktion oder den Bau der rechtskräftigen
Erfindungsgegenstände auf direktem Wege vornimmt, oder indirekt durch
Mittelspersonen vornehmen läßt. Im letzteren Falle hat die Allis Chalmers Co.
Herrn Dr. Kaplan für den Schaden auch über den Depositbetrag hinaus
aufzukommen.“
Ebenso mußte Herr Ing. Schmidt vereinbarungsgemäß seiner Firma ein Werturteil über
meine Patente abgeben; der Kürze halber sei hier nur das Urteil des Genannten über
das Kaplanlaufrad (D. R. P. Nr. 300591) angeführt:
„2. Laufrad mit flügelartigen Schaufeln.
Die Laufräder mit flügelartigen Schaufeln, wie in den Patentansprüchen beschrieben
und durch Modelle beschrieben, ergeben sehr einfache Konstruktionsformen; ihre
Einfachheit, geringe Schaufelzahl und Steifigkeit der Konstruktion machen diese
Laufräder den bisherigen bedeutend überlegen. Die Konstruktion der Laufräder mit
flügelartigen Schaufeln ist wirtschaftlich.“Auf eindringliches
Befragen erklärte Herr Schmidt, daß A. Ch. weder derartige Räder jemals hergestellt
habe, noch ohne meine Einwillignug herstellen werde, weil dies ja schon Punkt c
unserer Vereinbarungen verbiete.
Am 16. II. 1914 wurde von A. Ch. die hier mit Herrn Ing. Schmidt geschlossene
Vereinbarung bestätigt. Am 30. VI. kündigte der Vertreter von A. Ch., Herrn Ing.
Pfau, in der gleichen Sache seinen Besuch an, und ich habe auch Herrn Pfau einige
Versuche und Versuchsergebnisse der Kaplanturbine gezeigt.
Bald hernach brach der Weltkrieg aus, wodurch der Briefwechsel mit A. Ch. ins Stocken
geriet.
Ich war daher sehr erstaunt, im Dezemberheft des „Mechanical Engineering“
(1919)A New Type of Hydraulic Turbine Runner. By Forrest Nagler, Milwaukee,
Wis. von Herrn Forrest Nagler, Ingenieur bei Allis Chalmers, M.
Co., eine Veröffentlichung zu finden, in welcher sich Herr Nagler als der Erfinder
der Kaplanturbine vorstellt. Da in dieser Veröffentlichung alle jene Merkmale meiner
Erfindung aufgenommen wurden, zu deren Geheimhaltung sich Allis Chalmers
ausdrücklich verpflichtete, so konnte es mich natürlich nicht mehr überraschen, daß
sich diese Firma zum Baue meiner Turbine entschloß, obwohl sich dieselbe vor
Kriegsausbruch verpflichtet hatte, den Kaplanturbinenbau nur mit meiner Einwilligung
aufzunehmen.
Textabbildung Bd. 336, S. 96
Abb. 1. Laufrad der Allis Chalmers-Turbine.
Textabbildung Bd. 336, S. 96
Abb. 2. Kaplan-Laufrad.
Textabbildung Bd. 336, S. 96
Abb. 3. Kaplan-Laufrad.
Es würde mich nicht wundern, wenn die mitgeteilte Entstehungsgeschichte der
amerikanischen Kaplanturbine bei manchem Leser ein ungläubiges Lächeln auslösen
sollte, dies umsomehr, als es sich ja um eine ernst zu nehmende amerikanische
Turbinenfabrik handelt. Diese letzten Bedenken werden jedoch zerstreut, wenn die
bildliche Darstellung des in der „Electrical World“ 1920, Heft 3,
veröffentlichten „Naglerrades“ (Abb. 1) mit
den beiden Lichtbildern jenes Kaplanlaufrades verglichen wird, welches ich der Firma
Allis Chalmers, bezw. Herrn Ing. Schmidt schon im Jahre 1913 vorführte (Abb. 2, 3). Man braucht
kein Schaufelkonstrukteur zu sein, um die vollständige Gleichheit der beiden
Bauweisen zu erkennen. Daß mein im Jahre 1912 gebautes Laufrad ein
„Rechtsläufer“ war, Allis Chalmers dagegen im Jahre 1920 einen
„Linksläufer“ ausgeführt hat, kann doch wohl auch von Allis Chalmes nicht
als eine bemerkenswerte „Erfindung“ des Herrn Nagler gewertet werden.
Schließlich nehme ich mir die Freiheit, einen in Bälde zu erwartenden neuen
„Fortschritt“ aus dem Dollarlande anzukündigen, der sicher wieder als
„amerikanische Erfindung“ in die Welt gesetzt werden wird. Die Firma
Allis Chalmers hat nämlich vor Kriegsausbruch durch Herrn Schmidt auch über meine
„Laufschaufelregulierung“ sämtliche Unterlagen erhalten. Allerdings
sprach sich dieser Ingenieur damals noch etwas abwartend über die Anwendbarkeit von
drehbaren Laufradschaufeln aus, wie aus nachfolgendem, am 24. 1. 14 an Allis
Chalmer abgegebenen Gutachten hervorgeht:
„3. Laufschaufelregulierung.
Die durch das Patent und Modell zur Einsicht genommene Konstruktion bedingt
verstellbare Laufradschaufeln. Die endgiltige mechanische Lösung der
Konstruktion für Anlagen in größerem Maßstabe ist noch nicht durchgearbeitet.
Meiner Ansicht nach kann eine wirtschaftliche, mechanische Lösung gefunden
werden. Das Laufrad bleibt trotz der verstellbaren Laufschaufeln verhältnismäßig
einfach in der Herstellung und im Betriebe. Von der Lösung der mechanischen
Konstruktion wird die Wirtschaftlichkeit der Maschine abhängen.“
Da in der nächsten Zeit in dieser Zeitschrift ein ausführlicher Bericht über die
Kaplanturbine folgen wird, so kann ich mich hier bezüglich meiner
„Laufschaufelregulierung“ auf die Mitteilung beschränken, daß schon die
erste von meiner hiesigen Lizenzfirma (Turbinenfabrik und Stahlhütte Ing. Storck in
Brunn) gebaute Kaplanturbine während des Betriebes verstellbare Laufradschaufeln
aufwies, durch die es ermöglicht wurde, selbst bei einer spezifischen Drehzahl von
700 bis 800 den Wirkungsgrad von voller Beaufschlagung bis herab zur halben über 80
% zu haltenVergl. die „Wasserwirtschaft“ 1919, Nr. 14, Z. d. Ost. Ing.-und
Arch.-Vereinsl 919, H. 47, die Wasserkraft (München) 1919, H.
17..
Da ich auch diese Mitteilungen an A. Ch. bekanntgab, so können wir daher in Bälde
eine neue amerikanische „Erfindung“, nämlich die von uns schon längst gebaute
„Kaplanregulierung“ erwarten.
Bei unseren gegenwärtigen zerrütteten wirtschaftlichen Verhältnissen können Sich die
Amerikaner wohl gefahrlos derartige „Erfindungen“ leisten. Ich glaube aber,
daß sie damit weder der deutschen Industrie schaden, noch ihrem eigenen
Wirtschaftsleben nützen werden. So handelt es sich beispielsweise im vorliegenden
Falle nicht um ein bloßes Nachbauen der Kaplanturbine, das ja von Fall zu Fall
gelingen mag, sondern um eine wissenschaftliche Durchdringung aller ihrer
Einzelheiten und nicht zuletzt um die Beherrschung der theoretischen Grundlage der
Schaufelkonstruktion. Daß aber alle Grundbedingungen einer wirtschaftlichen
Entwicklung des amerikanischen Kaplanturbinenbaues fehlen, wird jeder mit den
theoretischen Grundlagen der Kaplanturbine vertraute Fachmann aus den bisher
erschienenen amerikanischen Veröffentlichungen auf den ersten Blick erkennen. Es
bleibt abzuwarten, ob A. Ch. den unrechtmäßig begonnenen Weg auch weiter fortsetzt
oder sich doch besinnen wird, das fremde geistige Eigentum nach den vor dem
Weltkriege üblichen Rechtsgrundgesetzen zu wahren.
Im ersteren Falle kann der weiteren Entwicklung des empirischen Kaplanturbinenbaues
in Amerika mit Interesse entgegengesehen werden.