Titel: | Wilhelm Siemens, |
Fundstelle: | Band 338, Jahrgang 1923, S. 66 |
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Wilhelm Siemens,
geboren am 4. April 1823 in Lenthe bei
Hannover,
gestorben am 19. November 1883.
[Wilhelm Siemens.]
Am 4. April dieses Jahres ist ein Jahrhundert verflossen, seit der zweite der
berühmten Brüderreihe Siemens das Licht der Welt erblickte. Wilhelm Siemens ging
schon im Alter von kaum 20 Jahren zum ersten Male nach England, um eine Erfindung
(Vergoldungs-Verfahren) seines ältesten Bruders Werner zu verwerten. Das Glück und
Geschick, das er dabei entwickelte, führte ihn in dem nächsten Jahre wieder nach
England, wo er von da an seßhaft geworden ist.
Textabbildung Bd. 338, S. 65
Während der ganzen 40 Jahre seines Lebens in England gingen die Arbeiten Wilhelms
nach zwei verschiedenen Richtungen. Er war zunächst Vertreter der von seinem Bruder
Werner 1847 gegründeten Firma Siemens & Halske, dann Mitinhaber und Leiter der
Zweigniederlassung von Siemens & Halske in England, die 1863 den Namen Siemens
Brothers annahm. In dieser Eigenschaft richtete Wilhelm sein Ziel besonders auf die
Entwicklung des in England so wichtigen Kabelwesens. Es entstand in den 60er Jahren
das große Kabelwerk von Siemens Brothers, die auch schon begannen, selbst die
Verlegung von Kabeln zu übernehmen. Im Jahre 1874 verlegten sie mit dem nach
Wilhelms Entwürfen eigens für solche Zwecke gebauten Dampfer „Faraday“ ihr
erstes transatlantisches Kabel. Zu Wilhelms Lebzeiten stand bei Siemens Brothers das
Kabelwesen immer im Vordergrunde, daneben aber verstand er, der Betätigung im
Telegraphengerät in engster Verbindung mit dem Mutterhause einen erheblichen Umfang
zu geben. Den Höhepunkt im Telegraphenbau erreichten Siemens Brothers und mit ihnen
die Gesamtfirma in der zweiten Hälfte der 60er Jahre durch Ausführung der
großen Indo-Europäischen Ueberland-Linie, die auf Wunsch der englischen Regierung
von dem Siemens-Konzern übernommen wurde, im Auftrage einer englischen Gesellschaft,
deren Aktien aber meist in Deutschland gezeichnet wurden. In seiner letzten
Lebenszeit widmete sich Wilhelm Siemens eingehend dem Ausbau des elektrischen
Starkstromes, der durch die Erfindung der dynamoelektrischen Maschine Werners (1866)
eingeleitet wurde. Wilhelm sah auch frühzeitig die Wichtigkeit des Starkstromes für
metallurgische Zwecke voraus und schuf durch eigene größere Versuche die ersten
Grundlagen dazu.
Der andere Zweig von Wilhelms Tätigkeit galt der Wärmetechnik. Schon bald nach seiner
Niederlassung in England hatte er den sogen. Regenerator für Wärmemotoren, der schon
früher von Stierling angegeben war, in eigenartiger Weise auf die Dampfmaschine
angewendet. Wilhelm hat mehr als 10 Jahre seines Lebens hauptsächlich auf diese
Erfindung verwendet, die bei dem damaligen unvollkommenen Stande der Wärme-Physik
große Vorzüge versprach. Wenn diese Hoffnung auch nicht in Erfüllung gehej konnte,
so bildeten die Arbeiten an der Maschine für den dritten Bruder Friedrich, der
Wilhelms Gehilfe war, doch die Anregung zu seiner großen Erfindung der
Regenerativ-Feuerung (1856), mit der hohe Temperaturen, wie sie das Hüttenwesen und
die Keramik erfordern, auf wirtschaftlichem Wege erzielt werden können. Wilhelm hat
die Regenerativ-Feuerung besonders auf das Eisenhüttenwesen angewendet und
grundlegend neue Verfahren zur Stahlerzeugung geschaffen, anfangs in Verbindung mit
den Brüdern Martin in Frankreich, daher die Bezeichnung Siemens-Martin-Verfahren,
das an Wichtigkeit in der Stahlerzeugung dem Bessemer-Verfahren gleichsteht. Wilhelm
ist auch der Urheber der allbekannten Wassermesser, die in unseren Häusern den
Wasserverbrauch angeben. Der Erfolg dieser um 1850 entstandenen Messer befestigte
zuerst seine Stellung in der technischen Welt.
Nach dem Vorbilde seines Bruders Werner neigte auch Wilhelm zu rein
wissenschaftlicher Tätigkeit, der er sich nach seiner Entlastung von der
umfangreichen geschäftlichen Tätigkeit vorwiegend hingab. Am bekanntesten von
den Ergebnissen der Studien seiner letzten Lebensjahre war seine Sonnentheorie, in
der er entgegen allen bisherigen Schulmeinungen eigenartige Vorstellungen über die
Erhaltung der Sonnenwärme entwickelte.
Wilhelm Siemens war wie seine Brüder von großer technischer Veranlagung und von
außerordentlichem Fleiße, sehr vielseitig und fruchtbar. Er wurde in England
hochgeehrt und noch im letzten Jahre seines Lebens mit der englischen Ritterwürde
belehnt. Mit dem deutschen Vaterlande ist er immer im engsten Zusammenhange
geblieben und, selbst ohne Nachkommen, vermachte er sein großes Vermögen seinen
deutschen Verwandten.