Titel: | Das Problem des Windkraftschiffes. |
Autor: | Wilhelm Buchmann |
Fundstelle: | Band 339, Jahrgang 1924, S. 222 |
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Das Problem des Windkraftschiffes.Wenn auch die nachfolgenden Zeilen noch keine
erschöpfende Darstellung der neuen Erfindung Flettners, namentlich in
zahlenmäßiger Hinsicht geben, so dürfte doch unseren Lesern die faßliche
Erläuterung der Grundlagen willkommen sein.Die
Schriftleitung.
Von Wilhelm
Buchmann.
BUCHMANN, Das Problem des Windkraftschiffes.
Ueber das eigentliche Wesen der jüngsten, aufsehenerregenden Erfindung Anton
Flettners, des Windkraftschiffes, ist trotz der zahlreichen Pressenachrichten bisher
so gut wie nichts in die breite Oeffentlichkeit gedrungen. Selbst in Kreisen von
Fachleuten tappt man vielfach noch im Dunkeln und man hört die widersprechendsten
Ansichten und Erklärungsversuche. Und doch ist die Sache einfach, wenn man sich die
physikalischen Grundlagen vor Augen hält.
Den äußeren Aufbau des Versuchschiffes, des Motorschoners „Buckau“, das von
der Friedr. Krupp A.-G. – Germaniawerft Kiel, nach Flettners Ideen umgebaut wurde,
zeigt im wesentlichen unser Bild 1:
Textabbildung Bd. 339, S. 221
Abb. 1.
Ueber dem glatten, 60 Meter langen Rumpf erheben sich auf dem Deck an Stelle der
Masten zwei 15,6 m hohe, völlig glatte, senkrecht stehende Metallzylinder von 2,8 m
Durchmesser. Sie sind aus 1 mm starkem Stahlblech hergestellt, und können von in
ihrem Inneren angeordneten, verhältnismäßig kleinen Elektromotoren von je 11 kW um
je einen aus dem Rumpf aufsteigenden Mast, um den sie gelagert sind, gedreht werden.
Das Gewicht beider Hohlwalzen mit ihren Lagermasten beträgt trotz des massigen
Eindrucks nur etwa den fünften Teil der bisher für ein gleich großes Schiff
notwendigen Takelung. Außer einem Steuerstand sind keine weiteren Aufbauten
vorhanden. Das Schiff gewährt also einen gänzlich ungewohnten, fremdartigen
Anblick. Eine Maschinenanlage im Inneren des Schiffes erzeugt den notwendigen
Strom für die Elektromotoren, die von einem einzigen Mann auf der Kommandobrücke mit
Leichtigkeit beliebig gesteuert werden können.
Wie wirkt nun die Einrichtung? Zum Verständnis betrachten wir den im Bild 2 in
Draufsicht gezeichneten Zylinder. Angenommen, der Zylinder steht still und es trifft
ihn ein Luftstrom in der Richtung der großen Pfeile. Die Luft staut sich dann an der
Vorderseite und strömt an beiden Seiten um den Zylinder in Richtung der kleinen
Pfeile herum. Auf der Vorderseite entsteht dadurch ein Ueberdruck und auf der
Rückseite ein Unterdruck, der eine saugartige Wirkung auf den Zylinder ausübt.
Infolge dieser beiden Kräfte, die in der gleichen Richtung wirken, sucht sich der
Zylinder in der Richtung des Pfeiles B zu bewegen.
Nun wollen wir uns den Zylinder schnell links herum gedreht denken und zwar mit
größerer Umfangsgeschwindigkeit als die Windgeschwindigkeit (Bild 3). Auch die
Zylinder des Versuchsschiffes laufen mit einer hohen Umfangsgeschwindigkeit von etwa
15 Metern in der Sekunde um, das ist bedeutend mehr als die gewöhnlich herrschenden
Windgeschwindigkeiten, da 15 Meter in der Sekunde schon Sturm bedeutet. Die den
Zylinder umgebende Luft haftet an seiner Oberfläche, genau so, wie z.B.
Zigarrenrauch auf einer Tischplatte oder Nebel an Bäumen oder Bergen. Die
Luftschichten rings um den Zylinder nehmen nun infolge der molekularen Reibung an
dessen Umdrehung teil und zwar um so mehr, je näher sie sich am Zylinderumfang
befinden. Hierin und in der Schnelligkeit der Umdrehung liegt das ganze Geheimnis der
Erfindung. Betrachten wir nun das Bild 3 genauer, in dem die Verhältnisse der
Klarheit wegen übertrieben dargestellt sind. Der Wind trifft dabei auf einen schnell
umlaufenden Luftring. Auf der ganzen linken Seite und noch einem Teil der rechten
oberen Seite wird der Wind von der kreisenden Luft mitgerissen- und er muß von
dieser Luft beschleunigt werden. Hierdurch entsteht aber eine sehr hohe
Luftverdünnung, ein Unterdruck, der um so größer wird, je größer der Unterschied
zwischen der Umfangsgeschwindigkeit des Zylinders und der Windgeschwindigkeit ist.
Der Zylinder wird also sozusagen in der Richtung des Pfeiles D angesaugt. Eine
ähnliche Beobachtung kann man an einem Wasser- oder Luftstrahl und einem an einem
Zwirnsfaden hängenden Korken oder dergleichen machen. Nähert man den Korken dem
Strahl, und versucht man ihn dann fortzuziehen, so bleibt er infolge der Saugwirkung
der vom Strahl mitgerissenen Luft seitlich am Strahl kleben. Auch die auf einem
Luft- oder Wasserstrahl tanzende Kugel beruht auf der gleichen Erscheinung. Auf der
anderen Seite des Zylinders wirkt nun aber die mitgerissene Luft der Windströmung
entgegen. Hier staut sich daher die Luft und ihr Druck steigt bis zur Höhe des
Staudrucks an, der nicht vor- oder rückwärts, sondern nur nach der Seite abfließen
kann. Einem Ausweichen nach rechts setzen die ständig vom Wind und dem kreisenden
Luftring zuströmenden Luftteilchen Widerstand entgegen und so bildet sich ein schräg
rechts vom Zylinder stehendes Druckpolster. Diesem Druck sucht der Zylinder etwa in
der Richtung des Pfeiles S auszuweichen. Auf den Zylinder wirken also zwei Kräfte:
auf der einen Seite wird er angesaugt (Pfeil D), auf der anderen Seite dagegen
gedrückt (Pfeil S). Der Unterdruck spielt dabei die bedeutend größere Rolle. Diese
beiden Kräfte ergänzen sich und wirken in der Richtung des Pfeiles B. Der Zylinder
wird sich also in dieser Richtung fortbewegen wollen. Damit sind die Grundzüge der
Erfindung gegeben.
Textabbildung Bd. 339, S. 222
Abb. 2.
Setzen wir unseren Zylinder jetzt auf ein Schiff, wie das Bild 4 zeigt, so wird sich
dieses vorwärts bewegen müssen. Kommt der Wind von der anderen Seite, so muß
man die Drehrichtung natürlich umkehren, denn sonst würde es rückwärts fahren. Das
Schiff kann sehr spitz gegen den Wind gestellt werden, da die Vortriebsrichtung
äußerst günstig liegt, viel steiler, als dies beim gewöhnlichen Segelschiff der Fall
ist. Das Kreuzen geht daher auch fast ohne einen Geschwindigkeitsverlust sehr
schnell und sanft vor sich. Beim Ueberluvgehen wird der Zylinder gebremst und in der
anderen Richtung wieder beschleunigt.
Textabbildung Bd. 339, S. 222
Abb. 3.
Textabbildung Bd. 339, S. 222
Abb. 4.
Man sieht, daß sich das Problem bereits mit einem einzigen Zylinder lösen läßt. Das
Versuchschiff hat nun aber deren zwei. Damit kann nicht nur die doppelte Leistung
erzielt werden, sondern man hat das Schiff auch noch besser in der Hand, ja, man
kann es ganz ohne Ruder steuern. Läßt man nämlich z.B. en vorderen Zylinder schnell
umlaufen, während der hintere stillsteht, so wird, wie unser Bild 5 zeigt, dieser
vom Wind in der Richtung B1 fortgedrückt, d.h., das
Schiff schwenkt mit der Spitze gegen den Wind. Läßt man den hinteren Zylinder nun
langsam anlaufen und dann immer schneller, so wandert die verschwenkende Kraft im Pfeilsinne herum,
bis beim Gleichlauf mit dem Vorderzylinder beide Kräfte B wieder in der gleichen
Richtung wirken. Will man die Spitze vom Wind abdrehen, so muß man den
Vorderzylinder verzögern.
Textabbildung Bd. 339, S. 223
Abb. 5.
Ein außerordentlicher Vorteil liegt gegenüber dem gewöhnlichen Segler darin, daß das
Schiff z.B. bei Gefahr ohne abzudrehen auf schnellstem Wege abgestoppt, ja sogar
rückwärts bewegt werden kann, indem die Zylinderdrehrichtung einfach umgekehrt wird.
Beim Fahren mit dem Winde sind die Verhältnisse etwa genau so günstig wie beim
Segelschiff; obwohl dieses seine ganze große Segelfläche annähernd quer zum Winde
stellen und ihn fast restlos ausnutzen kann, hat die Erfahrung gezeigt, daß es die
verhältnismäßig schmalen Zylinder bei richtig gewählter Drehzahl gestatten, mit
gleich guter Wirkung den Rückenwind zum Vortrieb heranzuziehen.
Die zum Antrieb der beiden Zylinder notwendigen Motoren haben im Verhältnis zu der
guten Windausnutzung, die nach den Versuchserfahrungen etwa das 10- bis 15fache
gegenüber einem gleichgroßen Segelschiff beträgt, nur sehr wenig Leistung
aufzuwenden. Sie haben in der Hauptsache nur die Beschleunigungsarbeit beim Anlassen
der Zylinder zu leisten und die Luft- und Lagerreibung zu überwinden. Die
erzielbaren Betriebsersparnisse werden sehr hoch bewertet. Die Versuche mit der
„Burkau“ sind noch nicht abgeschlossen. Sollten die weiteren Ergebnisse
die auf das Schiff gesetzten Hoffnungen bestätigen, so würde ein neuer Zeitabschnitt
für die Segelschiffahrt anbrechen. Dabei könnten solche Anlagen für sich allein oder
als wesentliche Bestandteile von Schraubenschiffen gebraucht werden.
Dem deutschen Erfinder, Anton Flettner, gebührt das unbestrittene Verdienst, mit
seiner überraschenden Neuerung dem Schiffswesen einen aussichtsvollen Weg gewiesen
zu haben.