Titel: | Neues zum Schlickschen Schiffskreisel. |
Autor: | Walther Parey |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 16 |
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Neues zum Schlickschen
Schiffskreisel.
SCHREBER, Neues zum Schlickschen Schiffskreisel.
Ein Schiff hat im Wasser die Möglichkeit, sich um drei auf einander senkrechte
Achsen zu bewegen. In bewegtem Wasser bewirken die das Schiff treffenden Stöße in
Wechselwirkung mit den Schweremomenten Pendelungen um die drei Achsen, das
Schlingern als Pendelung um die Längsachse, das Stampfen um die Querachse und
schließlich das Gieren um die Lotrechte. Das Gieren äußert sich hierbei weniger als
stete Pendelung, sondern als Kursänderung bewirkt durch den Seegang. Die
Schiffpendelungen sind von jeher als sehr unangenehm empfunden worden, und zwar am
unangenehmsten das Schlingern. Schlick hat nun seinerzeit versucht, die
Schhingerbewegungen durch den Einbau eines Kreisels in das Schiff auszuschalten oder
wenigstens zu dämpfen. Die ersten Versuche versprachen Erfolg und die von Föppl,
Sommerfeld and Noether angestellten Rechnungen bestätigten die Richtigkeit des
Gedankens. Um so unerklärlicher war es, daß bei schwerem Seegang das Versuchsschiff
oft in ganz plötzlich einsetzende starke Schlingerbewegungen geriet, daß also der
Kreisel völlig versagte. Die Nachrechnungen unter weitgehender Berücksichtigung
derStampfbewegung lösten die Frage nicht, denn durch das Stampfen konnten die
Störungen nicht hervorgerufen sein. Infolge des Versagens der Kreisel kam man wieder
ab von dem Gedanken, das Schlingern durch Kreisel zu beseitigen.
Den Ursachen für das rätselhafte Versagen des Kreisels ist nun Dr.-Ing. Schuler, Göttingen, nach, gegangen; über seine Ergebnisse
berichtete er auf der Tagung der deutschen physikalischen Gesellschaft, Gau
Niedersachsen, in Hamburg im Juni 1924. Der Vortrag Ist in der Zeitschrift des
Vereins Deutscher Ingenieure 1924, Heft 47, wiedergegeben. Schuler hat die vorher
nicht beachtete dritte Bewegungsmöglichkeit des Schiffes, das Gieren, in den Kreis
seiner Betrachtungen gezogen und hat durch die Rechnung und durch Versuche
nachgewiesen, daß die Energie des Gierens durch den Kreisel in Schlingerbewegungen
umgesetzt wird.
Die Anordnung des Kreisels im Schiff ist folgende: Die senkrecht stehende Drehachse
des Kreisels ist in einem Rahmen gelagert, der um zwei Zapfen pendeln kann, die in
Richtung der Schiffsquerachse liegen. Die Aufhängung des Rahmens an diesen Zapfen erfolgt so,
daß der Schwerpunkt des ganzen Kreiselsystems einschließlich des Rahmens unterhalb
der Aufhänge-Achse liegt. Bedeutet G2 das Gewicht
des ganzen Kreiselsystems, s2 den Abstand des
Systemschwerpunktes von der Aufhängeachse und β den Winkel der Kreiselachse gegen
die Lotrechte in bezug auf die Aufhängeachse, so wirkt auf den Kreisel ein
Schweremoment
G2 · s2 • sin β,
das die Kreiselachse in der lotrechten Lage zu erhalten sucht.
Ist G1 das Gewicht des Schiffes, s1 seine metazentrische Höhe und α der Winkel, um den
sich das schlingernde Schiff gegen die Lotrechte neigt, so wirkt auf das Schiff ein
aufrichtendes Moment
G1 • s1 • sin α
Bei ruhendem Kreisel sind die Schlingerpendelungen des Schiffes und die Pendelungen
des Kreisels um seine Aufhängezapfen annähernd völlig unabhängig von einander. Bei
laufendem Kreisel sind dagegen beide Pendelungen mit einander gekoppelt. Die
Schwingungszeit der Schlingerpendelungen wird durch den Kreisel vergrößert, bei
Reibung in den Aufhängezapfen wird das Schlingern gedämpft. Diese Reibung wird durch
eine Flüssigkeits- und eine Bandbremse erzeugt, um nicht nur eine Verlängerung der
Schwingungszeit, sondern vor allem eine Dämpfung der Schwingungen zu erreichen. Das
tritt ein bei stetem, d.h. geradlinigem Kurs des Schiffes. Baut man zur Erprobung
der Kreiselwirkung einen Kreisel auf ein Gestell, das wie ein Schiff sich um die
drei auf einander senkrechten Achsen drehen kann, und versetzt dieses Gestell bei
laufendem Kreisel in Pendelungen, die dem Schlingern entsprechen, so tritt eine
Drehbewegung um die Lotrechte ein. Der Kreisel formt also Schlingerpendelungen in
Gierbewegungen um. Rückwärts kann man daraus folgern, daß Gierbewegungen des
Schiffes durch den Kreisel in Schlingerbewegungen umgewandelt werden. Der Versuch
bestätigt dies, doch tritt die Umwandlung des Gierens in Schlingern nur ein, wenn
die Gierbewegung des Schiffes entgegengesetzten Drehsinn hat wie der Kreisel und
auch nur innerhalb eines begrenzten Bereiches der Drehgeschwindigkeit des Schiffes.
Unter der Voraussetzung, daß das Schiff sich entgegen der Kreiselrotation dreht,
treten folgende drei Fälle ein:
1. Bei langsamem Drehen des Schiffes wird der Kreisel nur wenig beeinflußt, die
Schlingerbewegungen werden nur unwesentlich gestört.
2. Bei einer bestimmten Drehgeschwindigkeit des Schiffes, die der gleichförmigen
Präzession des Kreisels unter der Einwirkung des Schweremomentes G2 . s2 um die
Aufhängeachse des Rahmens entspricht, stellt sich der Aufhängerahmen schräg. Das
Schiff schlingert auch bei starken Stößen nicht. Ueberschreitet man nun diese
bestimmte Drehgeschwindigkeit des Schiffes um die Lotrechte, so überschlägt sich der
Kreisel um die Aufhängeachse und erregt ein starkes Schlingern. Hört das Schiff auf
zu gieren, so fällt der Kreiselrahmen aus seiner Schräglage wieder in die normale
Lage zurück und bewirkt von neuem kräftiges Schlingern; dabei wirkt die ganze sonst
zur Schlingerdämpfung benutzte Energie des Kreisels als Anstoß zum Schlingern. Geht
man mit der Gierbewegung des Schiffes weiter bis zu der Drehgeschwindigkeit, die der
gleichförmigen Präzession des Kreisels unter der Einwirkung des Schweremomentes G •
s, des Schiffes entspricht, so legt sich das Schiff auf die Seite und richtet sich
nicht mehr auf.
3. Ueberschreitet man die in Fall 2 zuletzt genannte Drehgeschwindigkeit des
Schiffes, die der gleichförmigen Präzession des Kreisels unter dem Schweremoment des
Schiffes entspricht, so wird der Kreisel wieder stabil und das Schiff vollführt
normale Schlingerbewegungen.
Schüler führt dieses Verhalten des Schiffes auf die Coriolismomente zurück, die bei
den Schiffsdrehungen auftreten, und belegt diese Behauptung durch nachfolgende
Berechnung, In dieser bedeutet
J den Impuls des Kreisels – Trägheitsmoment mal
Winkelgeschwindigkeit des Kreisels,
U die Drehgeschwindigkeit des Schiffes um die Lotrechte,
T die Schlingerzeit des Schiffes,
δ den Winkel der Kreiselachse zur Lotrechten,
R ein Restglied in der Rechnung, das sehr klein und deswegen zu
vernachlässigen ist.
Das Coriolismoment läßt sich berechnen nach der Formel
K = J U • sin δ – K0 • sin δ
Es wirkt in der gleichen Ebene wie das Schweremoment, also in der Ebene des Winkels δ
und ist ebenfalls vom Sinus des Ausschlagwinkels δ direkt abhängig. Bei gleicher
Drehrichtung von Schiff und Kreisel ist K positiv, bei entgegengesetzter
Drehrichtung negativ. Es ergibt sich also bei laufendem Kreisel die
Schiffsstabilität zu
(G1 • s1 ± K0) • sin α,
die Stabilität des Kreisels um die Aufhängezapfen zu
(G2 • s2 ± K0) • sin β.
Föppl hat für raumfeste Koordinaten bei laufendem Kreisel die
Schlingerzeit berechnet zu
T=2\,\pi\,\sqrt{\frac{J^2+R}{G_1\,\cdot\,s_1\,\cdot\,G_2\,\cdot\,s_2}}.
Unter Berücksichtigung der Coriolismomente, die beim Drehen
des Schiffes um die Lotrechte auftreten, ändert sich nun die Schlingerzeit des
Schiffes. Im Zähler treten die Coriolismomente nur in dem Restglied R auf, das immer
noch so klein bleibt, daß es auf den Bruch keinen wesentlichen Einfluß hat.
Ausschlaggebend werden die Coriolismomente dagegen im Nenner. Die Schlingerzeit
während des Gierens ist
T=2\,\pi\,\sqrt{\frac{J^2+R}{(G_1\,s_1\,\pm\,K_0)\,(G_2\,\cdot\,s_2\,\pm\,K_0)}}.
Man erkennt sofort, daß ein positives K0 nur eine
Verkürzung der Schlingerzeit zur Folge hat. Anders dagegen ist es, wenn K0 negativ wird, also wenn das Schiff sich entgegen
der Kreiselrichtung dreht. Für 2 Grenzfälle wird dann die Schwingungszeit unendlich,
für K0 = G2 • s2 und K0 = G1 • s1, denn dadurch
wird jeweils eine der Klammern im Nenner zu Null. Die beiden Geschwindigkeiten, die
diesen Werten von K0 entsprechen, bilden die
Grenzwerte für den oben genannten Fall 2. Bei K0 =
G2 • s2 bleibt
der Kreiselrahmen in schräger Lage stehen; wird K0 >
G2 . s2, so wird
der Nenner negativ, die Schwingungszeit wird imaginär, der Kreisel überschlägt sich;
für K0 = G2 • s2 wird die Schlingerzeit wieder unendlich, das
Schiff richtet sich nicht mehr auf. Wird K > G1 •
S1 > G2 • s2, so werden beide Klammern negativ, der Nenner wird
dadurch wieder positiv und die Schlingerzeit reell; das entspricht dem Fall 3. Für
den oben genanntenFall 1 würde dagegen gelten, daß durch das langsame Gieren K0 stets kleiner bleibt als G1 • s1 daß also im
Verhältnis der Drehgeschwindigkeit des Schiffes die Schlingerzeit größer wird,
jedoch immer noch endlich bleibt; erst bei der Grenzgeschwindigkeit, die Fall 2
entspricht, wird sie unendlich.
Die von Schuler angestellten Rechnungen legen einen Kreisel ohne Reibung in den
Zapfen zugrunde. Sie gelten aber gleichwohl für den in der Praxis stets gebremsten
Kreisel. Denn durch die Bremsung wird eine unendliche Schwingungszeit nicht endlich
und eine labile Schwingung nicht stabil.
Schuler weist nun nach, daß die unendliche Schwingungszeit nicht nur am Modell,
sondern auch bei einem Schiff eintreten kann. Für ein bestimmtes Schiff ergab sich,
daß K0 = G2 • s2 würde bei einer Drehzeit von 12 Min. bzw. 34 Min.
für einen vollen Drehkreis. Die Zeiten von 12 Min. und 34 Min. gelten für zwei
verschiedene Arten der Ausbalancierung des Kreisels. Man sieht, daß der labile
Zustand des Kreisels leicht zu erreichen ist, wobei der Kreisel durch Ueberschlagen
oder, wenn das unmöglich ist, durch sein Zurückfallen in die normale Lage beim
Aufhören des Gierens Schlingerbewegungen auslöst. Der Fall, daß K0 = G1 • S1 wird, läßt sich praktisch jedoch nicht erreichen,
dadann das Schiff in einer Sekunde zwei volle Kreise beschreiben müßte.
Um die Coriolismomente unschädlich zu machen, schlägt Schüler nun vor, zwei völlig
gleiche Kreisel mit entgegengesetzter Drehrichtung anzuordnen, die aber nicht von
einander unabhängig sein dürfen, wie etwa Skutsch 1908 bereits vorgeschlagen hatte.
Vielmehr erhalten die Kreisel je ein Zahnsegment, die mit den Kreiselrahmen fest
verbunden sind und ihre Mittelpunkte in der Mitte der Aufhängezapfen haben. Beide
Segmente sind gleich groß und stehen mit einander in Eingriff. Schlingert das Schiff
bei stetem Kurs, so schwingen beide Kreisel um gleiche Winkel nach entgegengesetzten
Richtungen; die Zahnsegmente werden also nicht beansprucht. Treten dagegen durch
Gieren Coriolismomente auf, so sind diese einander entgegengesetzt infolge der
Gegenläufigkeit der Kreisel. Die Zahnsegmente müssen also die Coriolismomente
aufnehmen, wodurch diese sich aufheben und unschädlich Werden.
Wir haben heute in der Erfindung der Schlingertanks ein Mittel, das auf recht
einfache Weise die Schlingerbewegungen dämpft. Immerhin dürfte der Schlicksche
Schiffskreisel hier und da mit ihnen in Wettbewerb treten, nachdem die Ursachen
seines Versagens gefunden und beseitigt sind.
Walther Parey.